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Informationen zum Dokument  BGer 9C_223/2014  Materielle Begründung
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BGer 9C_223/2014 vom 04.06.2014
 
{T 0/2}
 
9C_223/2014
 
 
Urteil vom 4. Juni 2014
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Kernen, Präsident,
 
Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
 
Gerichtsschreiber Fessler.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Stefanie Wiget,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Avenir Krankenversicherung AG,
 
Rechtsdienst, Rue des Cèdres 5, 1920 Martigny,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Krankenversicherung (Krankenpflege; Zahnarzt),
 
Beschwerde gegen den Entscheid
 
des Obergerichts des Kantons Uri
 
vom 7. Februar 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Mit Verfügung vom 3. Dezember 2012 lehnte die Avenir Krankenversicherung AG das Gesuch der ... A.________ um Kostengutsprache betreffend die zahnärztliche Behandlung wegen "schwerer aggressiver juveniler Parodontitis" ab. Daran hielt der obligatorische Krankenversicherer in Berücksichtigung des Berichts des Dr. med. dent. B.________, Fachzahnarzt für Parodontologie, vom 20. Februar 2013 mit Einspracheentscheid vom 11. April 2013 fest.
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B. Die Beschwerde der A.________ wies das Obergericht des Kantons Uri, Verwaltungsrechtliche Abteilung, nach zweifachem Schriftenwechsel mit Entscheid vom 7. Februar 2014 ab.
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, der Entscheid vom 7. Februar 2014 sei aufzuheben und die Avenir Krankenversicherung AG zu verpflichten, die gesamten Kosten für die zahnärztliche Behandlung der Erkrankung des Zahnhalteapparates zu bezahlen bzw. die gesamten Kosten für bereits geleistete Zahnbehandlungen zurückzuerstatten; eventualiter sei die Sache zwecks weiterer Beweiserhebungen und Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Erwägungen:
 
1. Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt und geben im Übrigen zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
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2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG; BGE 138 V 17 E. 3 S. 19). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden. Es kann - im Rahmen der den Parteien obliegenden Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 sowie Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1 und E. 1.4.2 S. 254 mit Hinweisen) - die Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen oder mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 134 V 250   E. 1.2 S. 252; 132 II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140).
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Erwägung 3
 
3.1. Nach Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG übernimmt die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Kosten der zahnärztlichen Behandlung, u.a. wenn diese durch eine schwere, nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems bedingt ist. Voraussetzung ist, dass das Leiden Krankheitswert erreicht; die Behandlung ist nur so weit von der Versicherung zu übernehmen, wie es der Krankheitswert des Leidens notwendig macht (Art. 17 Ingress KLV in Verbindung mit Art. 33 lit. d KVV und Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG). Zu den in Art. 17 lit. a-f KLV abschliessend aufgezählten schweren, nicht vermeidbaren Erkrankungen des Kausystems (BGE 130 V 464 E. 2.2 S. 467) gehört u.a. die juvenile, progressive Parodontitis (Art. 17 lit. b Ziff. 2 KLV).
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3.2. Die in Art. 17 lit. a-f KLV aufgezählten Erkrankungen des Kausystems gelten grundsätzlich als schwer im Sinne des Ingresses dieser Bestimmung. Bei feststehender Diagnose stellt sich die Frage der Schwere der Erkrankung von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen nicht (Urteil 9C_50/2007 vom 10. Juli 2007 E. 4.2 mit Hinweisen, in: SVR 2008 KV Nr. 3 S. 8). Allgemein setzt eine schwere, nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems im Sinne von Art. 17 Ingress KLV ein durch prophylaktische Massnahmen im Sinne und im Rahmen zumutbarer Mund- und Zahnhygiene (BGE 128 V 59 und 70) nicht zu verhinderndes pathologisches Geschehen voraus, welches zu erheblichen Schäden an Zähnen, Kieferknochen oder Weichteilen geführt hat oder nach klinischem und allenfalls radiologischem Befund mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde (BGE 127 V 328 E. 7a S. 335; Urteil 9C_830/2010 vom 21. Dezember 2010 E. 2.2).
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4. Der von der Beschwerdegegnerin mit einer Aktenbeurteilung beauftragte Parodontologe Dr. med. dent. B.________ wies in seinem Bericht vom 20. Februar 2013 darauf hin, dass die Nomenklatur geändert habe und seit 1999 die juvenile Parodontitis (JP) nicht mehr als solche benannt werde. Es werde unterschieden zwischen einer "chronischen" und einer "aggressiven" Parodontitis, wobei die juvenile zu letzterer eingeteilt werden müsse. Wegen der neuen Nomenklatur bzw. Definition empfehle die Schweizerische Gesellschaft für Parodontologie (SSP) gestützt auf die heutige Literatur bei der diagnostischen Abklärung, ob eine JP vorliege, u.a. folgende Punkte zu beachten: "- Röntgenbilder müssen nachweisen können, dass die Krankheit schon vor dem 20. Lebensjahr begonnen hat. Zudem muss eine 'aggressive' Knochendestruktion feststellbar sein. - Parostatus (aus der Jugendzeit) mit Angabe der Sondierungstiefen (...) und ev. des Attachementverlustes. - Plaqueindex (regelmässige Plaqueindices). - Liegen zur Beurteilung nur Röntgenbilder aus der Zeit zwischen dem 20.-25. Lebensjahr vor, welche massive Knochendestruktionen aufzeigen, der Patient sowohl Nichtraucher, als auch eine gute Mundhygiene aufweist, kann eine JP mit überwiegender Wahrscheinlichkeit diagnostiziert werden. Stammen hingegen die Röntgenbilder nur aus der Zeit ab dem 25. Lebensjahr, darf trotz massiven Knochendestruktionen und guter Hygiene nicht eine JP diagnostiziert werden."
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Bezogen auf den konkreten Fall gelangte Dr. med. dent. B.________ zum Ergebnis, anhand der Unterlagen könne bei der 37jährigen Patientin keine "juvenile oder präpubertäre Parodontitis " diagnostiziert werden. Es liege zwar eine generalisierte aggressive Parodontitis vor, zur richtigen Diagnosestellung fehlten jedoch insbesondere Röntgenbilder aus der Jugendzeit.
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5. Die Vorinstanz hat dem von der Beschwerdegegnerin eingeholten Bericht vom 20. Februar 2013, bei dem es sich um ein versicherungsexternes Gutachten handle, Beweiswert zuerkannt und gestützt darauf sowie unter Hinweis auf den Atlas der Erkrankungen mit Auswirkungen auf das Kausystem der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft SSO, 3. Aufl. 2008, festgestellt, das Vorhandensein einer aggressiven Parodontitis im Sinne von Art. 17 lit. b Ziff. 2 KLV sei nicht überwiegend wahrscheinlich. Es bestehe kein Anlass für zusätzliche beweismässige Vorkehren, da die Aktenlage als ausreichend betrachtet werden könne. Die Folgen der Beweislosigkeit habe die Beschwerdeführerin zu tragen, was bedeute, dass die Beschwerdegegnerin die Kosten für die zahnärztliche Behandlung nicht zu übernehmen habe.
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Erwägung 6
 
6.1. Die Beschwerdeführerin bestreitet den Beweiswert des Berichts vom 20. Februar 2013. Zum einen sei Dr. med. dent. B.________ von der Beschwerdegegnerin beigezogen worden und könne somit nicht als unbefangen gelten; zum andern beruhe seine Beurteilung nicht auf eigenen (eingehenden) Untersuchungen. Beide Einwendungen sind nicht stichhaltig. Der Umstand allein, dass ein Krankenversicherer eine fachärztliche Stellungnahme einholt, vermag nicht Anschein von Befangenheit des betreffenden Arztes zu begründen (vgl. BGE 137 V 210 E. 1.3-4 S. 226 ff.). Sodann können auch Aktengutachten beweiskräftig sein, sofern ein lückenloser Befund vorliegt und es im Wesentlichen nur um die Beurteilung eines an sich feststehenden medizinischen Sachverhalts geht, mithin die direkte fachärztliche Befassung mit der versicherten Person in den Hintergrund rückt (vgl. Urteil 9C_1063/2009 vom 22. Januar 2010 E. 4.2.1, in: SVR 2010 IV Nr. 46 S. 143; Urteil 8C_119/2012 vom 30. März 2012 E. 4 mit Hinweis). Vorliegend standen Dr. med. dent. B.________ u.a. das 2010 erstellte Orthopantomogramm sowie das Schreiben des früheren behandelnden Zahnarztes vom 30. März 2011 zur Verfügung. In seiner Beurteilung nahm er darauf Bezug. Danach waren horizontale und vertikale Knocheneinbrüche bei sämtlichen Zähnen festzustellen. Die Molaren wiesen offene Furkationen auf. Teils reichte die als massiv bezeichnete Knochendestruktion bis zur Zahnwurzelspitze (Apex [radicis] dentis). Die Zähne 34 und 35 fehlten. Es wird nicht geltend gemacht, diese Beschreibung der Situation am Zahnhalteapparat sei unzutreffend. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, inwiefern eine klinische Untersuchung absolut erforderlich war; eine solche erübrigte sich aus Sicht des Dr. med. dent. B.________ ohnehin, da gemäss den von ihm erwähnten Empfehlungen der SSP aufgrund der Tatsache, dass erst aus der Zeit nach dem 25. Lebensjahr Röntgenbilder vorhanden waren, von vornherein keine "juvenile progressive Parodontitis" im Sinne von Art. 17 lit. b Ziff. 2 KLV diagnostiziert werden konnte (vorne E. 4). Gemäss Beschwerdeführerin sind die in ihrer Jugendzeit in ihrem Heimatland erstellten Röntgenbilder verloren gegangen.
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6.2. Weiter rügt die Beschwerdeführerin, die Vorinstanz habe den Berichten des früheren und des jetzigen behandelnden Zahnarztes (Dres. med. dent. C.________ und D.________) keinen Beweiswert zuerkannt, ohne darzulegen, weshalb sie "die Position von Dr. med. dent. B.________ bevorzuge". Insbesondere befasse sie sich nicht mit den Überlegungen des Dr. med. dent. C.________ zum Knochenverlust, zur mikrobiologischen Diagnostik oder zur familiären Disposition in seinem Bericht vom 30. März 2011. Letztlich werde bei übereinstimmender Diagnose einer aggressiven Parodontitis die Ablehnung der Leistungspflicht mit fehlenden Unterlagen (u.a. Röntgenbilder und Plaqueindices) begründet. Auch diese Vorbringen sind im Lichte der Empfehlungen der SSP (vorne E. 4) nicht stichhaltig. Es steht fest und ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin bei Behandlungsbeginn weit über 30 Jahre alt war, Röntgenbilder aus der Zeit vor dem 25. Lebensjahr nicht vorhanden sind, ein Parostatus und auch regelmässige Plaqueindices fehlen.
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Nichts anderes ergibt sich aus dem SSO-Atlas, 3. Aufl. 2008. Dieser enthält unter der Überschrift "Art. 17b, Erkrankungen des Zahnhalteapparates, Juvenile progressive Parodontitis" Ausführungen u.a. zu Definition, Anamnese, klinischem Erscheinungsbild und radiologischen Befunden. Am Schluss folgt die Rubrik 'Zu beachten'. Dazu wird festgehalten: "Frühdiagnose mit Sonde und Röntgenbild wesentlich, da juvenile Parodontitis im wenig plaqueinfizierten Gebiss klinisch unbemerkt fortschreiten kann. Die Frage der Alterslimite, bis zu welcher eine postjuvenile Parodontitis als Pflichtleistung der Krankenversicherung anerkannt werden muss, kann nur individuell beurteilt werden. Je älter der Patient wird, desto stärker werden auch verhaltensbedingte Faktoren (Mundhygiene, Rauchen, Allgemeinerkrankungen) ins Gewicht fallen (...)." Dabei bedingt gemäss Definition die Diagnose ['postjuvenile Parodontitis'] den Nachweis lokalisierter oder generalisierter Parodontaldestruktionen im Bereich der ersten Molaren und/oder Inzisive, die vor dem 20. Lebensjahr aufgetreten sind, und zum radiologischen Befund gehört der Nachweis früh aufgetretener Parodontaldestruktionen an typischer Lage anhand von früheren Bite-Wing-Aufnahmen.
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Beim SSO-Atlas handelt es sich um einen Leitfaden ohne Verbindlichkeitscharakter für Krankenversicherer und Sozialversicherungsgerichte (Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts K 147/98 vom 21. Juni 1999 E. 2c und K 63/98 vom 24. August 1998 E. 2b, in: SVR 1999 KV Nr. 11 S. 25; vgl. auch BGE 127 V 328 E. 4 S. 332), was in gleicher Weise auch für Empfehlungen der SSP gilt. Gleichwohl sind sie zu beachten, da und soweit sie auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen, die wiederum für die Diagnosestellung massgebend sind.
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6.3. Nach dem Gesagten kann auch nicht von einer willkürlichen Beweiswürdigung (Urteil 9C_824/2013 vom 20. Februar 2014 E. 4 mit Hinweisen) gesprochen werden. Dies räumt die Beschwerdeführerin selber ein, wenn sie vorbringt, dass eine - ihres Erachtens - pflichtgemässe Beweiswürdigung kein eindeutiges Ergebnis hätte erzielen können.
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Die Beschwerde ist unbegründet.
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7. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Uri, Verwaltungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 4. Juni 2014
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Kernen
 
Der Gerichtsschreiber: Fessler
 
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