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Informationen zum Dokument  BGer 1C_124/2014  Materielle Begründung
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BGer 1C_124/2014 vom 27.05.2014
 
{T 1/2}
 
1C_124/2014
 
 
Urteil vom 27. Mai 2014
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Aemisegger, Merkli,
 
Gerichtsschreiber Dold.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Alexandros-Ioannis  Guekos,
 
gegen
 
Stadt Luzern, handelnd durch den Stadtrat Luzern,
 
Regierungsrat des Kantons Luzern, handelnd durch das Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons.
 
Gegenstand
 
Stimmrecht (Abstimmung vom 9. Juni 2013 über die Revision der Bau- und Zonenordnung der Stadt Luzern),
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 27. Januar 2014 des Kantonsgerichts Luzern, 4. Abteilung.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
 
Erwägung 2
 
2.1. Der Beschwerdeführer macht in zweierlei Hinsicht eine Verletzung der Abstimmungsfreiheit geltend. Er ist zum einen der Ansicht, dass die Abstimmung anders ausgefallen wäre, hätte nicht ein Teil der Stimmberechtigten die behördlichen Abstimmungsunterlagen früher als angekündigt erhalten (E. 3 hiernach). Zum andern macht er geltend, die Abstimmungserläuterungen seien unvollständig und irreführend (E. 4 hiernach).
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2.2. Die in Art. 34 Abs. 2 BV als Grundrecht verankerte Abstimmungsfreiheit gibt den Stimmberechtigten Anspruch darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt. Es soll garantiert werden, dass jeder Stimmberechtigte seinen Entscheid gestützt auf einen möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen und entsprechend mit seiner Stimme zum Ausdruck bringen kann. Die Abstimmungsfreiheit gewährleistet die für den demokratischen Prozess und die Legitimität direktdemokratischer Entscheidungen erforderliche Offenheit der Auseinandersetzung (BGE 139 I 195 E. 2 S. 201 f. mit Hinweisen).
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2.3. Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rügepflicht. Das Bundesgericht prüft eine solche Rüge nur insofern, als sie in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 137 V 57 E. 1.3 S. 60 mit Hinweisen).
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Erwägung 3
 
3.1. Der Beschwerdeführer kritisiert die vorinstanzlichen Ausführungen zur verfrühten Zustellung der Abstimmungsunterlagen. Als Präsident des die BZO-Revision bekämpfenden Vereins "Stadtbild Luzern" habe er den Versand der eigenen Abstimmungsbroschüre auf den angekündigten Versand der behördlichen Unterlagen hin terminiert. Wegen des Zustellungsfehlers habe eine beachtliche Anzahl Stimmberechtigter bereits brieflich abgestimmt gehabt, als sie am 13. Mai 2013 vom Standpunkt der Gegner erfahren habe.
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3.2. Das Kantonsgericht hielt dazu fest, ein Fehler bei der Post habe dazu geführt, dass einige Abstimmungsunterlagen bereits vor dem 13. Mai 2013 zugestellt worden seien; ob am 10. oder bereits am 8. Mai 2013, könne offen bleiben. Der Rücklauf sei am 21. Mai 2013 überprüft worden und habe zu diesem Zeitpunkt 1'691 Kuverts betragen. Aufgrund der beim Regierungsrat eingereichten Stimmrechtsbeschwerde habe sich die Stadt Luzern zudem beim Leiter des Wahlbüros nach dem Rücklauf per 13. Mai 2013 erkundigt. Dieser habe angegeben, dass bis zu jenem Zeitpunkt ca. 60 Kuverts eingetroffen seien. Zwar sei möglich, dass noch nach diesem Datum vorher abgesandte Kuverts bei der Stadt eintrafen. Dass dies mehrere hundert Stimmberechtigte betreffe, erscheine aber wenig wahrscheinlich. Zudem habe der Abstimmungskampf ohnehin schon vor der Zustellung der Abstimmungsunterlagen begonnen. Auch die BZO-Gegner hätten sich daran frühzeitig mit Informationen auf ihren Internetseiten beteiligt, was unter anderem aus entsprechenden Medienmitteilungen und Leserbriefen ersichtlich werde. Schliesslich hätten die Abstimmungserläuterungen durchaus auch Hinweise auf die umstrittenen Punkte der Vorlage enthalten. Bei einem Abstimmungsergebnis mit einem Unterschied von 1'124 Stimmen erscheine eine Wiederholung der Abstimmung unter diesen Voraussetzungen als unverhältnismässig.
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3.3. Der Beschwerdeführer rügt zunächst eine offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts durch das Kantonsgericht. Aus den Akten ergebe sich, dass die retournierten Kuverts am 21. Mai 2013 erstmals gezählt worden seien. Die Behauptung der Stadt Luzern, bis zum 13. Mai 2013 seien ca. 60 Kuverts eingetroffen, sei durch nichts belegt. Sie sei auch deshalb völlig unglaubwürdig, weil die Stadt geltend mache, sich aufgrund der eingereichten Stimmrechtsbeschwerde nach dem Rücklauf erkundigt zu haben. Die Beschwerde sei aber erst frühestens einen Tag später, am 14. Mai 2013, beim Regierungsrat eingetroffen. Das Kantonsgericht habe in dieser Hinsicht zudem das rechtliche Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt, da es nicht auf seine Kritik eingegangen sei. Auch sei falsch, einfach anzunehmen, der Zustellungsfehler sei auf ein Versagen der Post zurückzuführen.
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3.4. Allenfalls fehlerhafte behördliche Handlungen und Unterlassungen im Rahmen der Abstimmungsvorbereitungen führen nur dann zu einer Aufhebung des Urnengangs bzw. der Abstimmung, wenn die gerügten Unregelmässigkeiten erheblich sind und das Ergebnis beeinflusst haben könnten. Die Auswirkungen brauchen vom Beschwerdeführer nicht nachgewiesen zu werden; vielmehr genügt es, wenn eine derartige Beeinflussung im Bereich des Möglichen liegt. Mangels einer ziffernmässigen Feststellung der Auswirkung eines Verfahrensmangels ist dessen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis nach den gesamten Umständen und grundsätzlich mit freier Kognition zu beurteilen. Dabei wird namentlich auf die Schwere des festgestellten Mangels und dessen Bedeutung im Rahmen der gesamten Abstimmung sowie auf die Grösse des Stimmenunterschiedes abgestellt. Erscheint die Möglichkeit, dass die Abstimmung ohne den Mangel anders ausgefallen wäre, nach den gesamten Umständen als derart gering, dass sie nicht mehr ernsthaft in Betracht fällt, so kann von der Aufhebung der Abstimmung abgesehen werden (BGE 135 I 292 E. 2 S. 293 f. mit Hinweisen).
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3.5. Zu Recht stellte das Kantonsgericht zunächst auf die Angaben zum Rücklauf der Kuverts ab. Wenn es aufgrund der Auskunft des Leiters des Wahlbüros der Stadt Luzern davon ausging, am 13. Mai 2013 seien ca. 60 Kuverts eingetroffen, erscheint dies nicht als willkürlich. Der Beschwerdeführer übersieht mit seiner Kritik, dass die Stadt nicht behauptete, diese Auskunft noch am 13. Mai 2013 eingeholt zu haben. Auch kann der Vorinstanz diesbezüglich keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vorgeworfen werden, hat sie doch dargelegt, woraus sich die beiden Zahlen über den Rücklauf der Kuverts ergaben. Dass es sich bei der ersten um eine Schätzung, bei der zweiten um eine Zählung handelt, ergibt sich ebenfalls aus dem angefochtenen Urteil. Nicht einzutreten ist auf das Vorbringen, das Kantonsgericht habe zu Unrecht festgestellt, die Verantwortung für die Unregelmässigkeit liege bei der Post. Wie es sich damit verhält, ist für den Ausgang des Verfahrens nicht von Bedeutung (Art. 97 Abs. 1 BGG).
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Erwägung 4
 
4.1. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, die Abstimmungserläuterungen seien unzureichend und enthielten falsche Angaben. In Bezug auf die Vorlage zum Standort des Hochhauses Steghof habe die Stadt Luzern inhaltlich nur Folgendes ausgeführt:
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"Stadtrat und Parlament sprechen sich für eine Verdichtung nach innen aus. Als Folge davon haben sich Stadtrat und Parlament auf vier Hochhausstandorte geeinigt: Beim Steghof soll ein Hochhaus von 45, beim Bundes- und beim Pilatusplatz je eines von 35 Metern und bei der Seeburg eines von 40 Metern gebaut werden können."
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Der Beschwerdeführer rügt, den Stimmbürgern seien die wesentlichen Argumente für und insbesondere wider den Standort Steghof nicht dargelegt worden. Daran ändere auch nichts, dass in den Abstimmungserläuterungen weiter ausgeführt werde, gegen diesen Standort habe sich teilweise Widerstand geregt. Zudem sei falsch, dass der Bau von Hochhäusern zu einer Verdichtung führe. Schliesslich sei den Stimmbürgern das Entwicklungskonzept "Schlüsselareal Steghof" vorenthalten worden. Dieses hätte in den Abstimmungserläuterungen zumindest kurz dargelegt werden müssen.
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4.2. Das Kantonsgericht gab in seinem Urteil sämtliche vom Beschwerdeführer erwähnten Rügen wieder. Es führte dazu im Wesentlichen aus, dass bei einer komplexen Abstimmungsvorlage eine umfassende und detaillierte Darstellung weder sinnvoll noch möglich sei. Zudem gehe der Beschwerdeführer mit seinen inhaltlichen Ausführungen zur BZO-Revision über den Gegenstand einer Stimmrechtsbeschwerde hinaus; diesbezüglich hätte er seine Rechte im Ortsplanungsverfahren geltend machen müssen.
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4.3. Nach der Rechtsprechung sind behördliche Abstimmungserläuterungen oder Abstimmungsbotschaften, in denen eine Vorlage erklärt und zur Annahme oder Ablehnung empfohlen wird, unter dem Gesichtswinkel der Abstimmungsfreiheit zulässig. Die Behörde ist dabei zwar nicht zur Neutralität verpflichtet - und darf eine Abstimmungsempfehlung abgeben -, wohl aber zur Sachlichkeit. Sie verletzt ihre Pflicht zu objektiver Information, wenn sie über den Zweck und die Tragweite der Vorlage falsch orientiert. Dem Erfordernis der Objektivität genügen Abstimmungserläuterungen, wenn die Aussagen wohlabgewogen sind und beachtliche Gründe dafür sprechen, wenn sie ein umfassendes Bild der Vorlage mit ihren Vor- und Nachteilen abgeben und den Stimmberechtigten eine Beurteilung ermöglichen oder wenn sie trotz einer gewissen Überspitzung nicht unwahr und unsachlich bzw. lediglich ungenau und unvollständig sind. Die Behörde muss sich nicht mit jeder Einzelheit einer Vorlage befassen und nicht alle denkbaren Einwendungen, welche gegen eine Vorlage erhoben werden könnten, erwähnen. Im Sinne einer gewissen Vollständigkeit verbietet das Gebot der Sachlichkeit indessen, in den Abstimmungserläuterungen für den Entscheid des Stimmbürgers wichtige Elemente zu unterdrücken, für die Meinungsbildung bedeutende Gegebenheiten zu verschweigen oder Argumente von gegnerischen Referendums- oder Initiativkomitees falsch wiederzugeben (BGE 139 I 2 E. 6.2 S. 14; 138 I 61 E. 6.2 S. 83; je mit Hinweisen).
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4.4. Der Beschwerdeführer konkretisiert seine Kritik hinsichtlich der Ausführlichkeit der Abstimmungserläuterungen nicht. Welche Argumente unterschlagen worden sein sollen und inwiefern eine Präsentation des Entwicklungskonzepts "Schlüsselareal Steghof" unter dem Gesichtswinkel der Objektivität von Abstimmungserläuterungen von Bedeutung gewesen wäre, geht aus der Beschwerdeschrift nicht hervor. Diese ist insofern unzureichend begründet (Art. 106 Abs. 2 BGG). Dasselbe gilt für die Vorbringen betreffend die Notwendigkeit der BZO-Revision, die Veränderungen der Wohn- und Arbeitszone sowie die Wachstumsberechnung. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, weshalb der angefochtene Entscheid in dieser Hinsicht Bundesrecht verletzt, sondern verweist pauschal auf seine Rechtsschrift an die Vorinstanz. Insofern setzt er sich nicht in substanziierter Weise mit dem angefochtenen Entscheid auseinander. Darauf ist nicht einzutreten.
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4.5. Um sein Argument zu untermauern, Hochhäuser würden keinen Beitrag zur Verdichtung leisten, zitiert der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdeschrift drei Fachpersonen. Diese verneinen solches jedoch nicht generell, sondern weisen etwa darauf hin, dass wegen grosser Abstandsflächen mit Hochhäusern im Regelfall nicht mehr Dichte erreicht werde als mit fünfgeschossigen Bauten. Ob Hochhäuser eine Verdichtung bewirken, kann denn auch nicht kategorisch für alle Fälle bejaht oder verneint werden. Massgebend ist insbesondere der Ausgangszustand, das heisst die Vergleichsgrösse. Mithin kommt es darauf an, welche Dichte die früheren Bau- und Zonenvorschriften zuliessen und wie es sich damit unter der revidierten Ordnung verhält. Dass unter diesem Gesichtspunkt der Bau eines Hochhauses beim Steghof keine Verdichtung bewirkt, zeigt der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdeschrift nicht auf (Art. 106 Abs. 2 BGG). Es ist nicht die Aufgabe des Bundesgerichts, anhand der alten und der revidierten Vorschriften eine Vergleichsberechnung anzustellen. Zudem übersieht der Beschwerdeführer, dass sich der Begriff der Verdichtung nicht zwingend nur auf die Wohn- und Arbeitsfläche bezieht, sondern auch die Abstandsflächen umfassen kann, welche neu etwa als Grün- und Erholungsflächen zusätzlichen Lebensraum schaffen. Es erscheint deshalb nicht als geradezu falsch oder irreführend, wenn in den Abstimmungserläuterungen der Bau der vier vorgesehenen Hochhäuser mit der Verdichtung in Zusammenhang gebracht wird. Dass Hochhäuser generell und in jeder Hinsicht eine Verdichtung bewirken würden, wird in den Erläuterungen entgegen der Kritik des Beschwerdeführers nicht behauptet. Die Abstimmungserläuterungen genügen insofern dem Erfordernis der Objektivität. Die Rüge der Verletzung von Art. 34 Abs. 2 BV erweist sich deshalb auch in dieser Hinsicht als unbegründet, soweit sie überhaupt hinreichend substanziiert wurde.
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Erwägung 5
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. 
 
2. 
 
3. 
 
4. 
 
Lausanne, 27. Mai 2014
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Der Gerichtsschreiber: Dold
 
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