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Informationen zum Dokument  BGer 2C_995/2013  Materielle Begründung
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BGer 2C_995/2013 vom 24.04.2014
 
{T 0/2}
 
2C_995/2013
 
 
Urteil vom 24. April 2014
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Seiler, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichterin Aubry Girardin,
 
Bundesrichter Kneubühler,
 
Gerichtsschreiberin Hänni.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kurt Pfau,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau, Rechtsdienst, Bahnhofplatz 3C, 5001 Aarau.
 
Gegenstand
 
Widerruf der Niederlassungsbewilligung und Wegweisung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 2. Kammer, vom 20. September 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.________ (geb. 1986) stammt aus Mazedonien. Er reise im Jahr 1992 im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz ein und erhielt im Jahr 2000 eine Niederlassungsbewilligung.
1
Nach einem Strafbefehl des Bezirksamtes Zofingen wegen Sachbeschädigung und geringfügigen Diebstahls (10 Tage bedingte Haft und Busse von Fr. 500.--) verwarnte das Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau A.________ am 24. März 2006.
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Im Folgenden ergingen gegen den Beschwerdeführer drei weitere Verurteilungen infolge verschiedener Verstösse gegen das Strassenverkehrsgesetz. Am 24. Juni 2010 verurteilte das Obergericht des Kantons Aargau A.________ unter anderem wegen versuchter vorsätzlicher Tötung sowie mehrfachen Verstössen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vier Jahren und einer Busse von Fr. 2'000.--. Eine hiergegen gerichtete Beschwerde an das Bundesgericht blieb erfolglos (Urteil 6B_823/2010 vom 25. Januar 2011). Während des hängigen Berufungsverfahrens wegen versuchter vorsätzlicher Tötung ans Obergericht erfolgte im Juli 2010 sodann eine Verurteilung zu 90 Tagessätzen à Fr. 90.-- und einer Busse von Fr. 1'500.-- wegen Strassenverkehrsdelikten.
3
 
B.
 
Mit Verfügung vom 15. August 2011 widerrief das Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau die Niederlassungsbewilligung und wies A.________ auf den Zeitpunkt der Entlassung aus dem Strafvollzug weg. Eine dagegen erhobene Eingabe an den Rechtsdienst des Amts für Migration und Integration lehnte dieses am 12. Dezember 2011 ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde ans Verwaltungsgericht des Kantons Aargau blieb ohne Erfolg (Urteil vom 20. September 2013).
4
 
C.
 
Mit Beschwerde vom 25. Oktober 2013 beantragt A.________ dem Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben. Vom Widerruf der Niederlassungsbewilligung und der Wegweisung sei abzusehen.
5
Das Amt für Migration und Integration und das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist unzulässig gegen Entscheide auf dem Gebiet des Ausländerrechts betreffend Bewilligungen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Gegen den Widerruf einer ausländerrechtlichen Bewilligung ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten grundsätzlich zulässig, ungeachtet davon, ob sie auf einem Rechtsanspruch beruht (BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4; Urteile 2C_207/2014 vom 6. März 2014 E. 2.1; 2C_235/2012 vom 13. März 2013 E. 1.1). Auf die form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 42 Abs. 2 und Art. 100 Abs. 1 BGG).
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1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, wie die Vorinstanz ihn festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann diesen bloss berichtigen oder ergänzen, wenn er offensichtlich unrichtig oder in Verletzung wesentlicher Verfahrensrechte ermittelt worden ist (Art. 105 Abs. 2 BGG). Die beschwerdeführende Person muss rechtsgenügend dartun, dass und inwiefern der festgestellte Sachverhalt bzw. die beanstandete Beweiswürdigung klar und eindeutig mangelhaft, mit anderen Worten willkürlich, erscheint (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 137 I 58 E. 4.1.2 S. 62; 133 II 249 E. 1.4.3; 133 III 350 E. 1.3). Auf rein appellatorische Kritik an der Sachverhaltsermittlung und an der Beweiswürdigung geht das Bundesgericht nicht ein (BGE 136 II 101 E. 3 S. 104 f.).
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1.3. Neue tatsächliche Vorbringen und Beweismittel sind im bundesgerichtlichen Verfahren grundsätzlich unzulässig (Art. 99 BGG). Auf die beiden Schreiben, die nach dem angefochtenen Entscheid erstellt wurden und die der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde eingereicht hat (Schreiben seiner Ehefrau und der Firma B.________), kann nicht weiter eingegangen werden. Auch zwei weitere Dokumente, mit denen der Beschwerdeführer seine Kooperation im Strafvollzug belegen möchte, können nicht berücksichtigt werden. Es handelt sich um unzulässige Noven.
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Erwägung 2
 
2.1. Die Niederlassungsbewilligung kann widerrufen werden, wenn die ausländische Person zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe, d.h. zu einer solchen von mehr als einem Jahr, verurteilt worden ist (Art. 63 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 62 lit. b AuG; BGE 135 II 377 E. 4.2 S. 381; 137 II 297 E. 2) oder wenn der Ausländer in schwerwiegender Weise gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen hat bzw. diese gefährdet (Art. 63 Abs. 1 lit. b AuG). Hiervon ist auszugehen, wenn die ausländische Person durch ihre Handlungen besonders hochwertige Rechtsgüter verletzt oder in Gefahr bringt oder sie sich von strafrechtlichen Massnahmen nicht beeindrucken lässt und damit zeigt, dass sie auch künftig weder gewillt noch fähig erscheint, sich an die Rechtsordnung zu halten, was jeweils im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu prüfen ist (BGE 139 I 16 E. 2, 31 E. 2, 145 E. 2; 137 II 297 E. 3 S. 302 ff.; Urteile 2C_562/2011 vom 21. November 2011 E. 3.2 und 2C_310/2011 vom 17. November 2011 E. 5). Die genannten Widerrufsgründe gelten auch für Niederlassungsbewilligungen ausländischer Personen, die sich seit mehr als 15 Jahren ununterbrochen und ordnungsgemäss in der Schweiz aufhalten (Art. 63 Abs. 2 AuG).
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2.2. Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung muss in jedem Fall verhältnismässig sein (vgl. dazu BGE 139 I 16 E. 2.2.2; 135 II 377 E. 4.3 u. 4.5). Dabei sind namentlich die Schwere des Delikts und des Verschuldens des Betroffenen, der seit der Tat vergangene Zeitraum, das Verhalten des Ausländers während diesem, der Grad seiner Integration bzw. die Dauer der bisherigen Anwesenheit sowie die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile zu berücksichtigen (BGE 135 II 377 E. 4.3; vgl. auch das Urteil des EGMR i.S. 
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Erwägung 3
 
Der Beschwerdeführer bestreitet einzig die Interessenabwägung und Verhältnismässigkeitsprüfung, wie sie die Vorinstanz vorgenommen hat. Entgegen seinen Ausführungen hat die Vorinstanz die widerstreitenden Interessen sorgsam gewichtet, in zulässiger Weise gegeneinander abgewogen und den Widerruf der Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers zurecht als verhältnismässig erachtet:
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3.1. Der Beschwerdeführer wurde rechtskräftig wegen versuchter vorsätzlicher Tötung und anderen Delikten zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Wie sich aus den Akten ergibt (Art. 105 Abs. 2 BGG), hatte er anlässlich eines Streits aus nichtigem Anlass einem unbeteiligten Opfer völlig überraschend von hinten mit einem Maurerhammer auf den Kopf eingeschlagen und es dabei lebensgefährlich verletzt. Das Obergericht bezeichnete sein Verschulden als schwer. Der Beschwerdeführer habe skrupellos und in Geringschätzung menschlichen Lebens gehandelt. Das Verwaltungsgericht durfte ausländerrechtlich - auch unter generalpräventiven Überlegungen - von einem gravierenden Verstoss gegen die Rechtsordnung und einem entsprechend hohen öffentlichen Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers ausgehen (vgl. BGE 130 II 176 E. 4.2 - E. 4.4 S. 185 ff.; Urteile 2C_218/2011 vom 4. Januar 2012 E. 2; 2C_963/2012 vom 1. April 2013 E. 5.1.3). Mit den Vorbringen, er sei alkoholisiert gewesen und seine Gruppe sei "durch Rechtsextremisten provoziert" worden, rügt der Beschwerdeführer sinngemäss eine rechtswidrige Erstellung des rechtserheblichen Sachverhalts durch die Vorinstanz. Er verkennt jedoch, dass diese an die rechtskräftigen Erkenntnisse des Strafgerichts gebunden ist, das allfällige schuldmildernde Umstände berücksichtigt. Keine Bedeutung zu erlangen vermögen sodann seine Hinweise auf ein Wohlverhalten seit seinem jüngsten Delikt im Juli 2010. Der Umstand, dass sich der seit 2011 im Strafvollzug befindliche Beschwerdeführer nach der letzten Verurteilung nichts mehr hat zuschulden kommen lassen, lässt angesichts der im Strafvollzug vorhandenen, verhältnismässig engmaschigen Betreuung keine verlässlichen Rückschlüsse auf das Verhalten in Freiheit zu (vgl. Urteile 2C_512/2013 vom 17. Februar 2014 E. 3.2.1; 2C_125/2010 vom 28. Oktober 2010 E. 3.4; 2C_331/2010 vom 16. September 2010 E. 3.3).
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3.2. Die gegenläufigen privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz fallen demgegenüber - wie die Vorinstanz zu Recht ausgeführt hat - weniger ins Gewicht. Der Beschwerdeführer hält sich zwar seit langer Zeit in der Schweiz auf und ist seit 2013 mit einer Schweizer Bürgerin verheiratet. Die Heirat erfolgte während des Strafvollzugs und nach der verfügten Wegweisung; der Gattin musste klar gewesen sein, dass sie die Beziehung angesichts der wiederholten und schweren Delikte allenfalls inskünftig nicht weiter in der Schweiz würde leben können (vgl. Urteil 2C_873/2012 vom 28. März 2013 E. 4.2.4). Ihr steht es selbstverständlich offen, in der Schweiz zu verbleiben und den Kontakt zum Beschwerdeführer durch Kommunikationsmittel oder durch Besuche aufrecht zu erhalten (vgl. Urteile 2C_963/2012 vom 1. April 2013 e. 6.2; 2C_679/2011 vom 21. Februar 2012 E. 3.4.3). Der Beschwerdeführer selbst kann angesichts der Tatsache, dass er seit seinem 19. Lebensjahr immer wieder und schwer straffällig geworden ist, nicht als sozial integriert gelten. Entgegen seiner Ansicht können die erheblichen öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung aufgrund des von ihm begangenen Gewaltdelikts auch nicht durch eine "sehr negative Gruppendynamik" in der Tatnacht relativiert werden. Nach seiner Verwarnung durch das Migrationsamt, die bereits im Jahr 2006 erfolgte, hätte er wissen müssen, dass er mit weiteren Straftaten seine Aufenthaltsberechtigung in der Schweiz riskierte. Der Beschwerdeführer spricht albanisch, hat immer wieder Ferien in Mazedonien verbracht und ist auch durch seine Eltern mit der mazedonischen Kultur vertraut. Die nunmehr abgeschlossene Ausbildung als Spengler kann ihm hilfreich sein, sich in Mazedonien beruflich zu integrieren. Sein Vorbringen, wonach das wirtschaftliche Fortkommen in seinem Herkunftsland schwieriger sein werde, kann im Rahmen der Überprüfung des Widerrufs nicht entscheidend sein (vgl. Urteile 2C_695/2012 vom 28. Januar 2013 E. 3.2.3; 2C_1029/2011 vom 10. April 2012 E. 3.3.2 mit Hinweisen). Eine Ausreise in sein Heimatland ist ihm zumutbar. Zwar sind die privaten Interessen des Beschwerdeführers nach einem längeren Aufenthalt in der Schweiz und der Beziehung zu seiner Schweizer Gattin bedeutend; sie vermögen jedoch das gewichtige sicherheitspolizeiliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts aufgrund der schweren Delinquenz nicht zu überwiegen.
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Erwägung 4
 
Die Beschwerde ist demnach unbegründet und abzuweisen. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 2. Kammer, und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 24. April 2014
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Seiler
 
Die Gerichtsschreiberin: Hänni
 
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