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Informationen zum Dokument  BGer 1B_126/2014  Materielle Begründung
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BGer 1B_126/2014 vom 11.04.2014
 
{T 0/2}
 
1B_126/2014
 
 
Urteil vom 11. April 2014
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
 
Gerichtsschreiber Störi.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. Nicolas Roulet,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm, Untere Grabenstrasse 32, Postfach 1475, 4800 Zofingen.
 
Gegenstand
 
Haft,
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 25. Februar 2014 des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm führt gegen X.________ ein Strafverfahren wegen versuchter schwerer Körperverletzung (Art. 122 StGB), mehrfacher einfacher Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 2 StGB), mehrfachen Tätlichkeiten (Art. 126 Abs. 2 StGB), mehrfacher Beschimpfung (Art. 177 Abs. 1 StGB), mehrfacher Drohung (Art. 180 Abs. 2 StGB) und mehrfacher versuchter Nötigung (Art. 181 StGB) zum Nachteil seiner damaligen Lebensgefährtin Y.________ sowie Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19a BetmG). Laut Anklage vom 3. März 2014 hat er Y.________ zwischen Juli und Oktober 2013 wiederholt beschimpft, bedroht, genötigt und gewürgt. So soll er sie u.a. am 13. Juli 2013 am Arm gepackt und vor die Türe der gemeinsamen Wohnung gestellt haben. Am 6. August 2013 soll er sie übel beschimpft ("fette dumme Scheissnutte") und ihr gedroht haben, sie "abzufackeln"; zur Unterstreichung seiner Drohung soll er das austretende Gas einer Haarspraydose entzündet und die Stichflamme gegen das Gesicht von Y.________ gerichtet haben. Am 8. oder am 9. August 2013 soll er sie von hinten gewürgt und ihr gedroht haben, sie abzustechen; er habe in der Küche ein Metzgermesser geholt und sie dadurch in Angst und Schrecken versetzt. Zwischen dem 17. August 2011 und dem 4. Oktober 2013 habe er zudem Betäubungsmittel konsumiert.
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B. Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, diesen Entscheid des Obergerichts aufzuheben und ihn umgehend aus der Haft zu entlassen, eventuell unter Anordnung einer Ausweis- und Schriftensperre und eines Ausreiseverbots. Subeventuell sei die Sache an die Vorinstanz zu neuem Entscheid zurückzuweisen. X.________ ersucht zudem um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
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C. Die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm beantragt in ihrer Vernehmlassung, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Sie bringt insbesondere vor, der angefochtene Entscheid sei durch die Anordnung von Sicherheitshaft gegen X.________ durch das Zwangsmassnahmengericht vom 7. März 2014 überholt. Das Obergericht verzichtet auf Vernehmlassung. X.________ hält an der Beschwerde fest.
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Erwägungen:
 
1. Angefochten ist der kantonal letztinstanzliche Haftentscheid des Obergerichts. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen nach den Art. 78 ff. BGG gegeben. Der Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheids und Haftentlassung ist zulässig (BGE 132 I 21 E. 1). Der Beschwerdeführer ist durch die Verweigerung der Haftentlassung in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen und damit zur Beschwerde befugt (Art. 81 Abs. 1 BGG). Der Umstand, dass in der Zwischenzeit die Untersuchungshaft gegen ihn in Sicherheitshaft umgewandelt und bis zum 3. Juni 2014 verlängert wurde, ändert nichts daran, dass er ein aktuelles Rechtsschutzinteresse an der Überprüfung der Haftvoraussetzungen hat. Der Beschwerdeführer macht die Verletzung von Bundesrecht geltend, was zulässig ist (Art. 95 lit. a BGG). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde eingetreten werden kann.
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2. Untersuchungs- und Sicherheitshaft kann unter anderem angeordnet werden, wenn ein dringender Tatverdacht in Bezug auf ein Verbrechen oder Vergehen sowie Fluchtgefahr besteht (Art. 221 Abs. 1 StPO).
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2.1. Der Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer richtet sich u.a. auf Verbrechen (Art. 122 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 StGB) und Vergehen (Art. 123, 180, 181 i.V. m. Art. 10 Abs. 3 StGB). Er beruht, was für Fälle häuslicher Gewalt typisch ist, auf den Anschuldigungen seiner ehemaligen Lebensgefährtin. Er gibt zwar zu, dass er diese mehrfach beschimpft hat, sich ihr gegenüber mehrfach zu Tätlichkeiten hinreissen liess und Drogen konsumierte. Hingegen bestreitet er die schwererwiegenden Vorwürfe der versuchten schweren und der einfachen Körperverletzung. Diesbezüglich seien die Aussagen der Geschädigten unglaubhaft. Ihre Version des Geschehens sei den Behörden mit Schreiben ihrer Anwältin vom 9. September 2013 zur Kenntnis gebracht worden. In der Folge seien diese Vorwürfe von der Polizei in Fragen umformuliert und der Geschädigten gestellt worden. Diese habe den nunmehr zur Anklage erhobenen Sachverhalt gestützt auf diese unzulässigen Suggestivfragen bestätigt.
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2.2. Für die Annahme von Fluchtgefahr genügt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts die Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe für sich allein nicht. Eine solche darf nicht schon angenommen werden, wenn die Möglichkeit der Flucht in abstrakter Weise besteht. Vielmehr müssen konkrete Gründe dargetan werden, die eine Flucht nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe kann immer nur neben anderen, eine Flucht begünstigenden Tatsachen herangezogen werden (BGE 125 I 60 E. 3a; 117 Ia 69 E. 4a; 108 Ia 64 E. 3; 107 Ia 3 E. 6; Urteil 1B_353/2013 vom 4. November 2013 E. 4.1).
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2.3. Die Fortführung der Haft ist auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit nicht zu beanstanden. Ein Grenzübertritt von der Schweiz nach Deutschland ist leicht ohne Ausweispapiere zu bewerkstelligen. Eine Ausweis- und Schriftensperre als Ersatzmassnahme könnte den Beschwerdeführer damit nicht an einer Flucht nach Deutschland hindern. Abgesehen davon könnte die Schweiz nicht verhindern, dass sich der Beschwerdeführer in seinem Heimatland neue Papiere verschafft.
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3. Die Beschwerde ist damit als unbegründet abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird an sich der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat indessen ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches gutzuheissen ist, da seine Bedürftigkeit ausgewiesen scheint und die Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen:
 
2.1. Es werden keine Kosten erhoben.
 
2.2. Advokat Nicolas Roulet wird für das bundesgerichtliche Verfahren als amtlicher Verteidiger eingesetzt und mit Fr. 1'500.-- aus der Bundesgerichtskasse entschädigt.
 
3. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 11. April 2014
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Der Gerichtsschreiber: Störi
 
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