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Informationen zum Dokument  BGer 2C_806/2013  Materielle Begründung
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BGer 2C_806/2013 vom 24.03.2014
 
{T 0/2}
 
2C_806/2013
 
 
Urteil vom 24. März 2014
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Aubry Girardin, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter Donzallaz, Kneubühler,
 
Gerichtsschreiber Wyssmann.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Christof Schäfli,
 
gegen
 
Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Direkte Bundessteuer, Verrechnungssteuer, Stempelabgaben, Eigerstrasse 65, 3003 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Verrechnungssteuer (Solidarhaftung),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I, vom 7. August 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wurde unter Einhaltung der gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG) eingereicht und richtet sich gegen einen Endentscheid (Art. 90 BGG) in einer öffentlich-rechtlichen Angelegenheit (Art. 82 lit. a BGG) des Bundesverwaltungsgerichts (Art. 86 Abs. 1 lit. a BGG). Ein Ausschlussgrund gemäss Art. 83 BGG liegt nicht vor. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung (Art. 89 Abs. 1 BGG). Die form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde ist zulässig.
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1.2. Mit der Beschwerde können Rechtsverletzungen nach Art. 95 und 96 BGG geltend gemacht werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es im Rahmen der allgemeinen Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Besondere Anforderungen gelten für die Begründung von Rügen wegen Verletzung von Grundrechten (Art. 106 Abs. 2 BGG), doch stehen solche Rügen hier nicht in Frage.
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1.3. Der von der Vorinstanz festgestellte Sachverhalt ist für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich, soweit er nicht offensichtlich unrichtig festgestellt worden ist oder die Feststellung auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG), was in der Beschwerde darzulegen ist (BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f.; 137 I 58 E. 4.1.2 S. 62; 134 V 53 E. 4.3 S. 62).
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1.4. Streitig ist die solidarische Haftung des Beschwerdeführers als Liquidator für die von der Gesellschaft geschuldete Verrechnungssteuer. Der Beschwerdeführer bestreitet seine solidarische Haftung generell wie auch hinsichtlich der Höhe der geltend gemachten Solidarforderung. Darauf bezieht sich das Hauptbegehren, es sei der Betrag aus Liquidatorenhaftung auf Fr. 0.-- festzusetzen. Mindestens müssten aber die Liquidationskosten angerechnet werden. Darauf bezieht sich der Eventualantrag (Haftungsbetrag Fr. 149'418.--).
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Erwägung 2
 
2.1. Gemäss Art. 4 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 13. Oktober 1965 über die Verrechnungssteuer (VStG; SR 642.21) unterliegen Gewinnanteile und sonstige Erträge auf den von einer schweizerischen Aktiengesellschaft ausgegebenen Aktien der Verrechnungssteuer. Art. 20 Abs. 1 der Verordnung vom 19. Dezember 1966 über die Verrechnungssteuer (VStV; SR 642.211) bezeichnet jede geldwerte Leistung der Gesellschaft an die Inhaber gesellschaftlicher Beteiligungsrechte oder an ihnen nahestehende Dritte, die sich nicht als Rückzahlung der im Zeitpunkt der Leistung bestehenden Anteile am einbezahlten Grund- oder Stammkapital darstellt, als steuerbaren Ertrag.
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2.2. Steuerpflichtig ist gemäss Art. 10 Abs. 1 VStG der Schuldner der steuerbaren Leistung, hier die X.________ AG. Die ESTV verpflichtete diese mit Einspracheentscheid vom 8. Februar 2010, Verrechnungssteuern im Betrag von Fr. 780'837.-- zuzüglich Verzugszins zu bezahlen. Sie stellte fest, dass die Gesellschaft in den Jahren 2002 bis 2005 vorwiegend an Ausländer Beratungsdienstleistungen fakturiert hatte, die sich geschäftsmässig nicht begründen liessen. Sie erachtete daher den von der Gesellschaft für diese Dienstleistungen verbuchten direkten Aufwand als geldwerte Leistungen an nahestehende Personen, die zu 35 Prozent der Verrechnungssteuer unterliege. Zudem erachtete sie eine von der Gesellschaft an eine ausländische Gesellschaft weitergeleitete Inkassokommission lediglich zu 20 Prozent als angemessen und unterstellte die Differenz zur effektiv bezahlten Kommission ebenso als geldwerte Leistung der Verrechnungssteuer.
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Erwägung 3
 
3.1. Nach Art. 15 Abs. 1 lit. a VStG haften für die Steuer ein1er aufgelösten juristischen Person die mit der Liquidation betrauten Personen solidarisch mit dem Steuerpflichtigen bis zum Betrag des Liquidationsergebnisses. Gemäss Abs. 2 haften diese Personen aber nur für Steuer-, Zins- und Kostenforderungen, die während ihrer Geschäftsführung entstehen, geltend gemacht oder fällig werden; ihre Haftung entfällt, soweit sie nachweisen, dass sie alles ihnen Zumutbare zur Feststellung und Erfüllung der Steuerforderung getan haben.
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3.2. Zu den mit der Liquidation betrauten Personen im Sinne von Art. 15 Abs. 1 lit. a VStG gehören in erster Linie die als Organe bestellten Personen, namentlich die Mitglieder der Verwaltung (BGE 115 Ib 274 E. 14c S. 283 f.; Urteil 2C_499/2011 vom 9. Juli 2012 E. 7.2 mit weiteren Hinweisen, in: RDAF 2012 II S. 450).
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3.3. Nach der Praxis ist der Beginn einer faktischen Liquidation dann anzunehmen, wenn die Gesellschaftsaktiven versilbert werden und die Aktionäre bzw. die ihnen nahestehenden Personen den Verwertungserlös erhalten (Urteil 2C_695/2009 vom 3. Februar 2010 E. 2.1, in: StR 65/2010 S. 579; s. auch 2C_502/2008 vom 18. Dezember 2008 E. 4.2, in: StR 64/2009 S. 588 E. 4.2).
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3.4. Gemäss Art. 15 Abs. 2 VStG haftet die mit der Liquidation betraute Person für die Steuer-, Zins- und Kostenforderungen, die während ihrer Geschäftsführung entstehen, geltend gemacht oder fällig werden. Es genügt, dass eines dieser Merkmale erfüllt ist (Walter Robert Pfund, Verrechnungssteuer, 1. Teil 1971, N. 19 zu Art. 15). Die Haftung bezieht sich somit nicht nur auf die infolge der Liquidationshandlungen entstandenen Steuerforderungen, sondern umfasst auch Steuerforderungen, die vor Amtsantritt der mit der Liquidation betrauten Personen entstanden sind, aber erst während deren Amtsdauer geltend gemacht werden (Jacques Béguelin, La responsabilité fiscale des liquidateurs de sociétés anonymes, sociétés à responsabilité limitée et sociétés coopératives, in: Mélanges Henri Zwahlen, 1977, S. 546; Danon, a.a.O., S. 213; Thomas Meister, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, II/2, 2. Aufl. 2012, N. 21 und 25 zu Art. 15 VStG; Urteil 2C_499/2011 vom 9. Juli 2012 E. 7.3, in: RDAF 2012 II S. 450). Entscheidend ist somit der Zeitpunkt des Beginns der Liquidation. Dass diese im Handelsregister eingetragen wird, ist nicht erforderlich. Gleichzeitig beginnt auch die Haftung der mit der Liquidation betrauten Person für die Verrechnungssteuer (vgl. Béguelin, a.a.O., S. 545; Danon, a.a.O., S. 212; Pfund, a.a.O., N 18 zu Art. 15 Abs. 2 VStG).
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3.5. Der Beschwerdeführer haftet aber höchstens bis zum Betrag des Liquidationsergebnisses (Art. 15 Abs. 1 lit. a VStG).
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3.5.1. Massgebend für die Bestimmung des Liquidationsergebnisses ist das Gesamtvermögen der Gesellschaft bei Beginn der Liquidation. Der Liquidationsüberschuss ist der Betrag, welcher der Gesellschaft nach Tilgung der Schulden und der Liquidationskosten verbleibt. Für die Aktiven ist der Stand bei Beginn der faktischen Auflösung massgebend. Aktiven, die nicht versilbert, sondern den Gesellschaftern abgetreten werden, sind für die Berechnung des Liquidationsergebnisses mit dem Verkehrswert zu berücksichtigen (Urteil A.335/1976 vom 17. Februar 1978 E. 9, in: ASA 47 S. 541, mit Hinweis auf Pfund, a.a.O., N. 3.42 und 3.48 zu Art. 4 Abs. 1 lit. b VStG und N. 7 zu Art. 15 Abs. 1 lit. a VStG; Urteil 2A.94/2001 vom 27. Juni 2001 E. 2c und d; Béguelin, a.a.O., S. 547; Meister, a.a.O., N. 20 zu Art. 15 VStG). Da bei faktisch abgewickelten Liquidationen eine korrekt erstellte Liquidationsbilanz in der Regel nicht vorliegt, muss zur Bestimmung der Werte bei Beginn der Liquidation zwangsläufig auf die letzte vor Beginn der faktischen Liquidation eingereichte Bilanz abgestellt werden (Urteile 2C_695/2009 vom 3. Februar 2010 E. 2.2, in: StR 65/2010 S. 579; 2C_502/2008 vom 18. Dezember 2008 E. 4.2, in: StR 64/2009 S. 588). Im Übrigen sind unklare Positionen ermessensweise zu bestimmen, wobei das Bundesgericht an die Ermessenseinschätzung gebunden ist, wenn sie auf einer richtigen und vollständigen Sachverhaltsermittlung und einer sachgemässen Abwägung der massgebenden Umstände beruht (genanntes Urteil 2C_695/2009 vom 3. Februar 2010 E. 2.2).
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3.5.2. Vorliegend haben Vorinstanz und ESTV auf die Bilanz per 31. Dezember 2005 als letzte vor Beginn der faktischen Liquidation erstellte Bilanz abgestellt. Das ist nach dem Gesagten nicht zu beanstanden. Gemäss dieser Bilanz ergibt sich nach Abzug des Fremdkapitals von den gesamten Aktiven ein Eigenkapital der Gesellschaft per Bilanzstichtag in der Höhe von Fr. 172'212.50. Die Aktiven setzten sich im Umlaufvermögen hauptsächlich aus liquiden Mitteln (Fr. 69'022.21) und aktiven Rechnungsabgrenzungen (Fr. 20'033.35) und im Anlagevermögen aus Beteiligungen (Fr. 111'411.80), Darlehen (Fr. 66'847.--) sowie nicht einbezahltem Aktienkapital (Fr. 50'000.--) zusammen. In diesen Beträgen sind Wertberichtigungen für Beteiligungen (- Fr. 37'999.--) und Darlehen (- Fr. 90'023.55) bereits enthalten. Das Vorhandensein eines Warenlagers konnte die ESTV nicht feststellen, obschon auch der Warenhandel vom Gesellschaftszweck erfasst wird. Die Gesellschaft befand sich somit zu Beginn der Liquidation bereits zu einem grossen Teil in liquider Form, zum Teil verfügte sie über Beteiligungen und Forderungen.
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3.5.3. Das nicht näher substantiierte Eventualbegehren (Festsetzung des Haftungsbetrages auf Fr. 149'418.--) bezieht sich offenbar auf die im Konkurs angefallenen Liquidationskosten. Hierzu bemerkt die ESTV in der Vernehmlassung zu Recht, dass die Liquidationskosten erst im Konkursverfahren im Jahr 2010 angefallen sind und keinen Einfluss auf die spätestens im Jahr 2006 abgeschlossene Liquidation ausüben konnten. Damit kann offen bleiben, ob die Liquidationskosten als neu in den Prozess eingeführte Tatsache überhaupt berücksichtigt werden könnten (vgl. Art. 99 Abs. 1 BGG).
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3.6. Die Haftung würde gänzlich entfallen, wenn der Beschwerdeführer nachweisen könnte, dass er alles Zumutbare zur Feststellung und Erfüllung der Steuerforderung getan hat (Art. 15 Abs. 2 VStG). Darauf bezieht sich das Hauptbegehren, es sei der Haftungsbetrag auf Fr. 0.-- festzusetzen. Den Nachweis hierfür tritt der Beschwerdeführer aber nicht an. Er macht geltend, dass die Werthaltigkeit der Aktivposten bereits am 31. Dezember 2005 nicht mehr vorhanden gewesen sei, ohne dies aber zu beweisen. Er macht zudem geltend, er hätte schlicht nichts vorkehren können, um die Werterhaltung der Aktiven zu beeinflussen. Das mag zutreffen. Der Beschwerdeführer müsste aber darlegen, was er zur Sicherung der Steuerforderung aktiv vorgekehrt oder versucht hat vorzukehren. Erst anhand einer solchen Darstellung könnte beurteilt werden, ob der Beschwerdeführer seinen Obliegenheiten vollumfänglich nachkam, das heisst, alles ihm Zumutbare insbesondere zur Zahlung der Steuerforderung vorgekehrt hat. Damit wird dem Beschwerdeführer kein negativer Beweis (im Sinne eines Nichtvorhandenseins von Tatsachen) auferlegt. Dass der Beschwerdeführer eine solche Beweisführung angetreten hätte, wird nicht behauptet. Der Beschwerdeführer kann sich somit nicht exkulpieren und haftet für die Verrechnungssteuerforderung.
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Erwägung 4
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 6'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten sowie dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 24. März 2014
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Aubry Girardin
 
Der Gerichtsschreiber: Wyssmann
 
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