VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 1C_718/2013  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 1C_718/2013 vom 20.03.2014
 
{T 1/2}
 
1C_718/2013
 
 
Urteil vom 20. März 2014
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Aemisegger, Chaix
 
Gerichtsschreiberin Gerber.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
1.  Korporation Ursern,
 
2.  Elektrizitätswerk Ursern,
 
Beschwerdeführerinnen,
 
gegen
 
Regierungsrat des Kantons Uri,
 
Rathaus, 6460 Altdorf UR.
 
Gegenstand
 
Sanierung der Restwasserstrecke Oberalpreuss,
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 5. Juli 2013 des Obergerichts des Kantons Uri, Verwaltungsrechtliche Abteilung.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
D.
 
 
E.
 
 
F.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht - einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens - gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Bundesrecht grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dagegen prüft es die Verletzung von Grundrechten (einschliesslich die willkürliche Anwendung von kantonalem Recht) nur insoweit, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und genügend begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254 mit Hinweisen).
1
2. 
2
Streitig ist vorliegend, ob bei der Berechnung der sanierungsbedingten Produktionsminderung nach Art. 80 Abs. 1 GSchG nur von der konzessionierten Wassermenge, ohne Einbezug der Nebengewässer Ober Laub und Hintere Riederen, auszugehen ist, oder ob diese mitberücksichtigt werden müssen. Hierfür ist im Folgenden zu klären, ob es sich um "bestehende Wassernutzungsrechte" i.S.v. Art. 80 Abs. 1GSchG handelt.
3
 
Erwägung 3
 
 
Erwägung 4
 
4.1. Die aufgeworfenen kantonalrechtlichen Zuständigkeitsfragen prüft das Bundesgericht nicht frei, sondern lediglich unter dem Blickwinkel des Willkürverbots (Art. 9 BV). Willkür liegt nach der Rechtsprechung nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder sogar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht weicht vom Entscheid der kantonalen Instanz nur ab, wenn dieser offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 136 I 316 E. 2.2.2 S. 318 f. mit Hinweisen).
4
4.1.1. Mit den Vorinstanzen ist grundsätzlich von der Dringlichkeit der Sanierung auszugehen. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung des AFU war die in Art. 81 Abs. 2 GSchG vorgesehene Frist (31. Dezember 2012) schon fast abgelaufen. Die Sanierung erscheint auch materiell dringlich, da die Oberalpreuss durch die Wasserfassungen mit Nulldotation stark beeinträchtigt wird und auf den Restwasserstrecken zeitweise trocken ist.
5
4.1.2. Unter dem Blickwinkel der Verfahrensökonomie ist zu berücksichtigen, dass der Regierungsrat (als sachkompetente Behörde) zugleich erste Rechtsmittelbehörde gegen den Sanierungsentscheid des AFU ist (Art. 44 Abs. 1 der Verordnung über die Verwaltungsrechtspflege vom 23. März 1994 [VRPV]). Die Beschwerdeführerinnen konnten somit den vorfrageweise gefällten Entscheid des AFU über die Rechtmässigkeit der Nutzung der Seitengewässer im Beschwerdeverfahren vom Regierungsrat (als sachkompetenter Behörde) mit freier Kognition (Art. 47 VRPV) überprüfen lassen.
6
4.1.3. Unter diesen Umständen ist Willkür zu verneinen. Dies hat zur Folge, dass die Sanierungsverfügung nicht wegen Zuständigkeitsmängeln aufzuheben ist und sich (erst recht) nicht als nichtig erweist.
7
4.2. Das Obergericht verneinte eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch den Regierungsrat mit der Begründung, dieser sei eindeutig zum Schluss gelangt, dass das Vorgehen des AFU keinen Anlass zu Beanstandungen biete und habe auch die übrigen Argumente der Beschwerdeführerinnen für unbegründet erachtet.
8
 
Erwägung 5
 
5.1. Die Vorinstanzen räumten ein, dass der Kanton von der rechtswidrigen Ausnützung der Wasserkräfte der Seitengewässer Kenntnis hatte und sie nie beanstandet hat. Konzessionen und Bewilligungen als mitwirkungsbedürftige Verfügungen könnten jedoch nicht formlos, durch blosse Untätigkeit der Behörden, erworben werden. Ebenso wenig ergebe sich aus der Duldung des rechtswidrigen Zustands ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Bewilligung oder auf Fortsetzung der Tätigkeit. Die Beschwerdeführerinnen machten selbst nicht geltend, dass sie die Rechtswidrigkeit nicht erkannt hätten. Gegenstand der Konzession bildeten staatliche Sonderrechte, die exklusiv dem Gemeinwesen zustehen. Eine Beanspruchung dieser Gewässer ohne aktives Zutun der zuständigen kantonalen Behörden wäre mit der staatlichen Monopolstellung in diesem Bereich unvereinbar. Ausserdem vertrage sich ein solches Vorgehen nicht mit der Zweckbestimmung der Kantonsgewässer als öffentliche Sachen im Gemeingebrauch, die allen Privaten offen zu halten seien. Insgesamt könne daher die Berufung auf den Vertrauensschutz dem Anliegen der Beschwerdeführerinnen nicht zum Durchbruch verhelfen.
9
5.2. Die Beschwerdeführerinnen machen dagegen geltend, dass der Kanton von Anfang an Kenntnis von der Fassung der Seitengewässer gehabt habe. Sie berufen sich auf einen Ausführungsplan aus dem Jahre 1963, aus dem die Fassung der Seitengewässer im Bereich Ober Laub und Hintere Riederen erkennbar sei; dieser sei dem Kanton gemäss Art. 15 der Konzession eingereicht worden. Die kantonalen Behörden hätten die Nutzung der Seitengewässer rund 50 Jahre lang nicht beanstandet, was beinahe zwei Drittel der gesamten Konzessionslaufzeit entspreche. Dies habe ein schützenswertes Vertrauen in die Rechtmässigkeit der Nutzung begründet, das bei der Festlegung der Dotierwassermenge berücksichtigt werden müsse.
10
5.3. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verwirkt der Anspruch der Behörden auf Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands bei materiell und formell rechtswidrigen Bauten im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich nach 30 Jahren. Kürzere Verwirkungsfristen können sich aus Gründen des Vertrauensschutzes (Art. 9 BV) ergeben, insbesondere wenn die Baupolizeibehörden den rechtswidrigen Zustand über Jahre hinaus duldeten, obschon ihnen die Gesetzwidrigkeit bekannt war oder sie diese bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätten kennen müssen. Darauf kann sich allerdings nur berufen, wer selbst in gutem Glauben gehandelt hat, d.h. angenommen hat und (unter Anwendung zumutbarer Sorgfalt) annehmen durfte, die von ihm ausgeübte Nutzung sei rechtmässig bzw. stehe mit der Baubewilligung in Einklang (vgl. zum Ganzen BGE 132 II 21 E. 6.3 S. 39 mit Hinweisen).
11
5.4. Diese Rechtsprechung kann jedoch nicht ohne Weiteres auf Fälle wie den Vorliegenden übertragen werden, in denen es um die Frage geht, ob eine von den Behörden geduldete rechtswidrige Ausbeutung eines Grundstücks oder Sondernutzung eines Gewässers trotz fehlender Bewilligung bzw. Konzession fortgesetzt oder (entschädigungslos) eingestellt werden muss. Zwar sind auch in diesen Fällen die Grundsätze der Verhältnismässigkeit und des Vertrauensschutzes zu beachten, d.h. die mit der Betriebseinstellung verbundenen Nachteile sind den öffentlichen Interessen gegenüber zu stellen, welche für die Herstellung des rechtmässigen Zustands sprechen. In der Regel kommt jedoch den öffentlichen Interessen an einem ordnungsgemässen Vollzug des Raumplanungs- und des Umweltrechts massgebendes Gewicht zu. Die ohne Bewilligung bzw. Konzession tätige Betreiberin muss in Kauf nehmen, dass aus grundsätzlichen Erwägungen, nämlich zum Schutz der Rechtsgleichheit und der baurechtlichen Ordnung, dem Interesse an der Herstellung des gesetzmässigen Zustands, d.h. an der Einstellung der Nutzung, erhöhtes Gewicht beigelegt wird und die ihr allenfalls erwachsenden Nachteile nicht oder nur in verringertem Masse berücksichtigt werden.
12
5.4.1. Im Urteil 1C_276/2009 vom 26. Juli 2010 (E. 2.3.2 und 2.3.3) ordnete das Bundesgericht die Einstellung eines jahrelang ohne Bewilligung erfolgten Gesteinsabbaus ausserhalb der Bauzone an. Dieser stelle eine schwerwiegende Verletzung des Grundsatzes der Trennung des Baugebiets vom Nichtbaugebiet dar und verletze damit ein grundlegendes Prinzip des Raumplanungsrechts. Die Abweichung vom Gesetz könne keineswegs als geringfügig eingestuft werden. Das öffentliche Interesse an einem ordentlichen Vollzug des Bau-, Planungs- und Umweltrechts durch die Kantone und den Bund sei gebührend zu berücksichtigen. Die Betreiberin habe den Steinbruch seit Jahrzehnten ohne die erforderliche baurechtliche Bewilligung genutzt und den Abbau seit 2004 sogar noch intensiviert. Sie habe aus dieser Situation wirtschaftliche Vorteile gezogen, ohne die rechtlichen Vorgaben einzuhalten, die sich aus der Baubewilligungspflicht ergeben. Eine Beendigung dieser jahrelangen ungerechtfertigen Privilegierung sei ihr zuzumuten. Es stehe ihr frei, umgehend die baurechtliche Bewilligung der Abbautätigkeit zu beantragen. Das Raumplanungsrecht des Bundes könne nur ordnungsgemäss vollzogen werden, wenn in Fällen wie dem vorliegenden die Einstellung der nicht bewilligten Tätigkeit angeordnet werde.
13
5.4.2. Im Urteil 1P.651/2005 vom 17. Januar 2005 (E. 4) entschied das Bundesgericht, dass die bisherige Nutzung eines Grundstücks zur Ausbeutung von Sand und Kies, für die nie eine Konzession oder Bewilligung erteilt worden war, rechtswidrig sei und daher bei der Entschädigungsbemessung unberücksichtigt bleiben müsse. Daran würde sich selbst dann nichts ändern, wenn dem Beschwerdeführer seinerzeit tatsächlich mündlich die Kiesentnahme erlaubt worden wäre und er während Jahren unangefochten Material ausgebeutet hätte. Einerseits hätte eine solche formlose Erlaubnis angesichts der auch seinerzeit geltenden gesetzlichen Anforderungen nicht rechtsgültig sein können. Andererseits könnten Konzessionen und Bewilligungen als mitwirkungsbedürftige Verfügungen nicht durch Ersitzung erworben werden. Ebenso wenig könne aus einer unbeanstandet gebliebenen Ausübung einer bewilligungspflichtigen Tätigkeit ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Bewilligung oder auf Fortsetzung der Tätigkeit hergeleitet werden.
14
5.5. Diese Erwägungen gelten auch für die vorliegend streitige Nutzung von Gewässern zur Energieerzeugung. Dies stellt, wie das Obergericht zutreffend dargelegt hat, eine Sondernutzung der Gewässer dar, die nach kantonalem Recht konzessionspflichtig ist (oben E. 3) und auch bundesrechtlich der Bewilligungspflicht unterliegt (Art. 4 WRG; Art. 29 GSchG). Damit soll sichergestellt werden, dass die erforderlichen Schutzmassnahmen zugunsten der Umwelt angeordnet werden (Botschaft des Bundesrats vom 29. April 1987 zur Volksinitiative "zur Rettung unserer Gewässer" und zur Revision des Bundesgesetzes über den Schutz der Gewässer; BBl 1987 II 1127 zu Art 29). Dazu gehört insbesondere die Sicherung angemessener Restwassermengen (Art. 31 ff. GSchV) als Voraussetzung für wichtige, im öffentlichen Interesse liegende Funktionen der Gewässer: als Landschaftselement und als Lebensraum für die davon abhängige Tier- und Pflanzenwelt, für die langfristige Erhaltung der Wasserqualität sowie eines ausgeglichenen Grundwasserhaushalts und die Sicherstellung der landwirtschaftlichen Bewässerung (vgl. Art. 33 Abs. 3 GSchG).
15
Dagegen wiegen die Interessen der Beschwerdeführerinnen nicht schwer. Diese haben die Seitengewässer seit rund 50 Jahre nutzen können, ohne dafür eine Konzessionsgebühr gezahlt zu haben oder Schutzauflagen respektieren zu müssen. Es ist davon auszugehen, dass in diesem Zeitraum die Investitionskosten für die Fassung und Ableitung der Seitengewässer amortisiert worden sind. Insofern ist ihnen aus der langjährigen Untätigkeit der Behörden kein Nachteil entstanden, sondern sie haben, im Gegenteil, daraus einen wirtschaftlichen Vorteil gezogen.
16
5.6. Die zuständigen Behörden werden daher im dafür vorgesehenen Verfahren prüfen müssen, ob und unter welchen Auflagen die Nutzung der Seitengewässer erstmals genehmigt und konzessioniert werden kann. Dabei sind nicht die Bestimmungen über die Sanierung altrechtlicher Wassernutzungsrechte gemäss Art. 80 ff. GSchG zugrunde zu legen, sondern die aktuellen Bestimmungen, insbesondere die Art. 29 ff. GSchG.
17
 
Erwägung 6
 
Im Übrigen stellt sich die Frage, ob nicht weitergehende Sanierungsmassnahmen nach Art. 80 Abs. 2 GSchG geboten sind. Das AFU hat dies zwar für das Flachmoor von nationaler Bedeutung "zu den Staflen" (Objekt 2561) im Abschnitt zwischen dem Oberalpsee und Schöni verneint (Verfügung S. 4), aber nicht geprüft, ob weitergehende Sanierungsmassnahmen zum Schutz der Oberalpreuss geboten sind, bei der es sich um ein kantonales Naturobjekt sowie ein wertvolles Landschaftselement und Fischgewässer handelt (Verfügung AFU S. 2 unten).
18
Die kantonalen Behörden werden daher anlässlich des Verfahrens zur Erweiterung der bestehenden Konzession auf die Seitengewässer weitere Erhöhungen der Dotationswassermengen auch für die bereits konzessionierte Wassernutzung prüfen müssen.
19
 
Erwägung 7
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden den Beschwerdeführerinnen auferlegt.
 
3. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.
 
4. Dieses Urteil wird den Beschwerdeführerinnen, dem Regierungsrat und dem Obergericht des Kantons Uri, Verwaltungsrechtliche Abteilung, sowie dem Bundesamt für Umwelt schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 20. März 2014
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Die Gerichtsschreiberin: Gerber
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).