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Informationen zum Dokument  BGer 5A_720/2013  Materielle Begründung
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BGer 5A_720/2013 vom 04.03.2014
 
{T 0/2}
 
5A_720/2013
 
 
Urteil vom 4. März 2014
 
 
II. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
 
Bundesrichter Herrmann, Schöbi,
 
Gerichtsschreiberin Friedli-Bruggmann.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Dana Matanovic,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Y.________,
 
vertreten durch Fürsprecherin Barbara Künzi-Egli,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Eheschutz,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern, Zivilabteilung, 1. Zivilkammer, vom 23. August 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
A. X.________ (geb. 1974, ägyptischer Staatsangehöriger) und Y.________ (geb. 1980) sind die Eltern von A.________ (geb. 2010). Sie heirateten im Dezember 2011. In der Folge kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien, welche den Beizug der Polizei erforderten. Nach einer Eskalation am 17. April 2012 trennten sie sich. Die Kindsbetreuung erfolgte danach hauptsächlich durch die Kind smutter, deren Eltern und eine Kita.
1
 
B.
 
B.a. Am 18. Juni 2012 leitete Y.________ beim Regionalgericht Bern-Mittelland ein Eheschutzverfahren ein. Sie beantragte, es sei festzustellen, dass nach der Heirat der gemeinsame Haushalt der Ehegatten nie aufgenommen worden sei. Die Wohnung und das Obhutsrecht über den Sohn seien ihr zuzuweisen. X.________ sei vorsorglich und superprovisorisch unter Strafandrohung zu verbieten, sich ihrer Wohnung zu nähern.
2
B.b. Mit superprovisorischer Verfügung vom 19. Juni 2012 erliess das Regionalgericht das beantragte Annäherungsverbot.
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B.c. X.________ verlangte mit Stellungnahme vom 19. Juli 2012 seinerseits die Obhut für den Sohn. Die Anträge von Y.________ seien abzuweisen und das Rayonverbot aufzuheben. Für die Dauer des Verfahrens sei ihm ein Besuchsrecht von mindestens einem Tag pro Woche zu gewähren.
4
B.d. Mit Verfügung vom 26. September 2012 errichtete das Regionalgericht für das Kind eine Beistandschaft gemäss Art. 308 Abs. 2 ZGB. Dem Vater wurde ein begleitetes Besuchsrecht ein Mal im Monat zugesprochen.
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B.e. Das Regionalgericht holte Berichte zur Situation ein. Am 10. Oktober 2012 ging ein Bericht von B.________ für das Burgerliche Sozialzentrum ein. Er empfahl eine Obhutszuteilung an die Mutter, wobei dem Kindsvater ein unbegleitetes Besuchsrecht eingeräumt werden könne. Am 30. November 2012 erstattete die Beiständin des Kindes einen Verlaufsbericht über die Ausübung des begleiteten Besuchsrechts.
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B.f. Am 17. Dezember 2012 und 24. Januar 2013 führte das Regionalgericht Parteiverhandlungen durch.
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B.g. Mit Eheschutzentscheid vom 24. Januar 2013 (Datum des begründeten Entscheids: 22. April 2013) stellte das Regionalgericht A.________ unter die Obhut der Mutter. Dem Vater räumte es ein Besuchsrecht von einem Tag pro Woche (werktags) ein. Sobald seine Wohnsituation ein kindsgerechtes Übernachten ermögliche, sei das Kontaktrecht auf zwei aufeinander folgende Tage auszudehnen plus zwei nicht zusammenhängende Wochen Ferien pro Jahr. Die Modalitäten seien vom Beistand zu regeln. Weiter verpflichtete es die Eltern unter Strafandrohung zur Hinterlegung der Reise- und Identitätspapiere von A.________ beim Burgerlichen Sozialzentrum. Das Annäherungsverbot vom 19. Juni 2012 hob es auf. Schliesslich hielt das Gericht fest, dass der Vater grundsätzlich unterhaltspflichtig, jedoch nicht leistungsfähig sei.
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C. Am 16. April 2013 stellte die Beiständin des Kindes dem Regionalgericht Antrag um Neufestsetzung und Präzisierung des Besuchsrechts von Vater und Sohn. Sie teilte mit, dass die Beziehung der Kindseltern "hochgradig zerstritten, von gegenseitiger Missgunst, feindseliger Emotionalität und manifestiertem Misstrauen geprägt" sei, so dass keine Lösung habe gefunden werden können für ein Besuchsrecht mit Übernachtungen. Die Übergaben seien für das Kind nicht mehr zumutbar. Sie selbst habe um Entlassung aus dem Mandat ersucht.
9
 
D.
 
D.a. X.________ erhob gegen den Eheschutzentscheid am 6. Mai 2013 Berufung an das Obergericht des Kantons Bern. Er verlangte, dass der Sohn in seine Obhut zu stellen sei. Weiter seien das Besuchsrecht und die Unterhaltspflicht der Kindsmutter zu regeln. Y.________ beantragte die Abweisung der Berufung.
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D.b. Mit Urteil vom 23. August 2013 wies das Obergericht die Berufung ab, womit A.________ in der Obhut der Kindsmutter verbleiben sollte. Das Obergericht präzisierte aber - in Kenntnisnahme des Antrags der Beiständin des Kindes (Bst. C) -, dass die Anordnungen des Beistands bezüglich Besuchsrecht verbindlich seien, und ermächtigte den Beistand, auch sämtliche weiteren Kontakte zwischen Vater und Sohn verbindlich zu regeln. Die Kosten des Verfahrens auferlegte es unter Vorbehalt des gewährten Armenrechts dem Kindsvater.
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E. Der Kindsvater (Beschwerdeführer) zieht die Angelegenheit mit Beschwerde vom 26. September 2013 an das Bundesgericht weiter. Er hält daran fest, dass der Sohn ihm zuzuteilen sei. Die Kindsmutter sei zu Kindesunterhaltszahlungen von monatlich Fr. 1'000.-- zu verpflichten. Eventualiter sei die Sache zur Einholung eines Gutachtens an die Vorinstanz zurückzuweisen. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.
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F. Das Bundesgericht hat die Akten der Vorinstanzen, in der Sache aber keine Vernehmlassungen eingeholt.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzliches Urteil in einer Zivilsache, welche keiner Streitwertgrenze unterliegt (Art. 72 Abs. 1, Art. 75 Abs. 1, Art. 90 BGG). Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 76 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt und die Beschwerdefrist ist eingehalten (Art. 100 Abs. 1 BGG), womit die Beschwerde in Zivilsachen grundsätzlich zulässig ist.
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1.2. Weil Eheschutzentscheide vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 98 BGG darstellen (BGE 133 III 393 E. 5.2 S. 397), kann einzig die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden. Hierfür gilt das strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG). Das bedeutet, dass das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene und soweit möglich belegte Rügen prüft, während es auf ungenügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid nicht eintritt. Wird die Verletzung des Willkürverbots gerügt, reicht es sodann nicht aus, die Lage aus Sicht des Beschwerdeführers darzulegen und den davon abweichenden angefochtenen Entscheid als willkürlich zu bezeichnen; vielmehr ist im Einzelnen darzulegen, inwiefern das kantonale Gericht willkürlich entschieden haben soll und der angefochtene Entscheid deshalb an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet (BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246). Die Aufhebung eines angefochtenen Entscheids rechtfertigt sich erst, wenn sich dieser nicht nur in der Begründung als unhaltbar erweist, sondern er auch im Ergebnis verfassungswidrig ist (BGE 135 V 2 E. 1.3 S. 5; 136 I 316 E. 2.2.2 S. 319).
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2. Umstritten ist vorliegend in erster Linie die Obhutszuteilung.
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3. Das Obergericht hat festgestellt, dass angesichts der widersprüchlichen Aussagen der Parteien unklar bleibe, ob und wie lange die Parteien seit der Geburt des Jungen resp. der Heirat zusammengelebt hätten (zu den Eckdaten vgl. vorstehend Bst. A). Der Beschwerdeführer stamme aus Ägypten, lebe seit 12 Jahren in der Schweiz und studiere seit 2001 an der Universität Bern. Das Studium werde er voraussichtlich im Herbst 2013 abschliessen. Daneben arbeite er zwei bis vier Nächte pro Monat als Nachtportier in einem Hotel sowie an einem grösseren Übersetzungsauftrag. Die Beschwerdegegnerin sei nach der Geburt des Kindes verschiedenen Erwerbstätigkeiten nachgegangen und sei aktuell mit einem Vollzeitpensum in den Anstalten C.________ als Vollzugsverantwortliche angestellt, wobei sie nach bestandener Probezeit alternativ ein Pensum von 80 % oder 90 % wählen könne. Der Junge sei an drei Tagen pro Woche in der Kita, einen Werktag verbringe er beim Vater in Bern, die Wochenenden bei der Mutter in Bern. Ansonsten werde er vom Grossvater mütterlicherseits in D.________ betreut.
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4. Der Beschwerdeführer beanstandet, dass die Vorinstanz entgegen seinen Anträgen kein Kindergutachten eingeholt habe. Seines Erachtens hätte nur ein Gutachten den für die Obhutszuteilung entscheidwesentlichen Sachverhalt beibringen können.
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4.1. Nach Art. 296 Abs. 1 ZPO erforscht das Gericht bei Kinderbelangen in familienrechtlichen Angelegenheiten den Sachverhalt von Amtes wegen. Die Untersuchungsmaxime verpflichtet das Gericht, von sich aus alle Elemente in Betracht zu ziehen, die entscheidwesentlich sind, und unabhängig von den Anträgen der Parteien Beweise zu erheben. Art. 296 Abs. 1 ZPO schreibt dem Gericht indessen nicht vor, mit welchen Mitteln der Sachverhalt abzuklären ist. Ebenso wenig erfasst diese Bestimmung die Art der Erhebung von Beweismitteln. Wenn der massgebliche Sachverhalt sich auf andere Weise abklären lässt, verstösst demzufolge auch der Verzicht auf ein bestimmtes Gutachten nicht gegen Bundesrecht. Die Untersuchungsmaxime schliesst sodann eine vorweggenommene Beweiswürdigung nicht aus: Verfügt das Gericht über genügende Grundlagen für eine sachgerechte Entscheidung, kann es auf weitere Beweiserhebungen verzichten (BGE 130 III 734 E. 2.2.3 S. 735; Urteil 5A_505/2013 vom 20. August 2013 E. 5.2.1, in: FamPra.ch 2013 S. 1045). In einem Eheschutzverfahren muss grundsätzlich nicht zwingend ein Gutachten eingeholt werden (Urteil 5A_444/2008 vom 14. August 2008 E. 2.2 mit weiteren Hinweisen, nicht publ. in: FamPra 2009 S. 252; zuletzt Urteil 5A_452/2013, 5A_453/2013 vom 2. Dezember 2013 E. 5.1).
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4.2. Er bringt vor, die Vorinstanz habe willkürlich die Erziehungsfähigkeit der Mutter bejaht. Aus den Berichten gingen nur dürftige Feststellungen hierzu hervor. Die von ihr geschaffene Situation für das Kind werde als unruhig und unstet bezeichnet; das Kind pendle zwischen vier Lebensmittelpunkten hin und her und eine eindeutig prioritäre Betreuungsperson fehle. Er sei zur Betreuung und Erziehung des Sohnes geeigneter, was auch aus den Akten hervor gehe. Damit hätte die Vorinstanz die beiden Eltern nicht als gleich erziehungsfähig beurteilen dürfen. Die Kindsmutter habe Männerbekanntschaften gepflegt.
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4.3. Weiter ist der Beschwerdeführer der Ansicht, die Vorinstanz habe das Kriterium der persönlichen Betreuung willkürlich beurteilt. Es stimme zwar, dass beide Elternteile das Kind nicht ohne Dritthilfe betreuen könnten. Es entspreche auch der Wahrheit, dass die Beschwerdegegnerin auf ihre Eltern zurückgreifen könne. Aber trotz deren Obhut sei das Kind nur am Wochenende bei der Mutter, d.h. nur unwesentlich mehr als bei ihm. Ihre Schichtarbeit in einem Vollzeitpensum sei zudem nicht mit der Kita vereinbar, weshalb sie ihren eigenen Vater überdurchschnittlich in Anspruch nehmen müsse. Er selbst sei demgegenüber dabei, sein Studium abzuschliessen und versuche eine Stelle zu 40-50 % zu finden, was sich problemlos mit der Kita-Betreuung von rund drei Tagen vereinbaren lasse. Seine Übersetzungsaufträge könne er zudem von zu Hause aus erledigen, weshalb während dieser Zeit keine Fremdbetreuung notwendig sei. Diese Tatsachen seien der Vorinstanz bekannt gewesen, von dieser aber vernachlässigt worden.
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4.4. Der Beschwerdeführer kritisiert sodann, dass die Vorinstanz die Betreuungssituation vor der Trennung nicht abgeklärt habe. Er habe sich vor der Trennung hauptsächlich um das Kind gekümmert, was seines Erachtens für die Obhutszuteilung massgeblich hätte sein müssen. Die Vorinstanz habe dadurch zudem sein rechtliches Gehör und die Offizialmaxime verletzt.
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4.5. Schliesslich moniert der Beschwerdeführer eine willkürliche Einschätzung der gegebenen und zukünftigen Situation der Parteien. Zu Unrecht habe die Vorinstanz bei der Beschwerdegegnerin stabile Verhältnisse bejaht. Sie wechsle stetig die Arbeitsstellen, investiere sich in wechselnde Männerbekanntschaften, habe Auswanderungspläne und der Junge verfüge weder über einen eindeutigen Lebensmittelpunkt noch über eine prioritäre Bezugsperson, so dass nicht von Kontinuität gesprochen werden könne. Bei ihm hingegen habe die Vorinstanz stabile Verhältnisse willkürlich verneint.
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4.6. Die Kritik des Beschwerdeführers schliesslich, die Vorinstanz habe die Beziehung zwischen Kind und Mutter nicht abgeklärt, geht ins Leere. Er bringt selbst nicht vor, dass die Mutter-Kind-Beziehung nicht gut sei, womit sich diesbezüglich eine über die eingeholten Berichte hinausgehende Beweisführung erübrigte. Nach dem Gesagten lag die getroffene Obhutsregelung im Ermessensspielraum der Vorinstanz (vgl. vorstehend E. 2). Der Verzicht auf die Einholung eines Gutachtens hält ebenfalls vor der Verfassung stand (E. 4.1).
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4.7. Da die Obhut bei der Beschwerdegegnerin verbleibt und der Beschwerdeführer für diesen Fall kein Eventualbegehren gestellt hat, wird der Antrag bezüglich Kindesunterhalt gegenstandslos. In Bezug auf das Besuchsrecht hat er keine Beurteilung verlangt.
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5. Zusammengefasst ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden konnte.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Bern, Zivilabteilung, 1. Zivilkammer, der Beiständin sowie der B urgerlichen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Bern schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 4. März 2014
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: von Werdt
 
Die Gerichtsschreiberin: Friedli-Bruggmann
 
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