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Informationen zum Dokument  BGer 5A_597/2013  Materielle Begründung
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BGer 5A_597/2013 vom 04.03.2014
 
{T 0/2}
 
5A_597/2013
 
 
Urteil vom 4. März 2014
 
 
II. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
 
Bundesrichterin Hohl,
 
Bundesrichter Marazzi, Herrmann, Schöbi,
 
Gerichtsschreiberin Friedli-Bruggmann.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Stephan Thurnherr,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Y.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Niels Möller,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Abänderung von vorsorglichen Massnahmen (Ehescheidung),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 19. Juni 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
A. X.________ (geb. 1969) und Y.________ (geb. 1969) heirateten im Jahr 2000. Sie haben eine gemeinsame Tochter (geb. 2002).
1
B. Ende 2011 leitete Y.________ ein Scheidungsverfahren ein. Mit Vereinbarung vom 6. Dezember 2011 einigten sich die Parteien über vorsorgliche Massnahmen für die Dauer des Verfahrens, welche mit Urteil des Bezirksgerichts Z.________ vom 7. Dezember 2011 genehmigt wurden. Demnach übernahm Y.________ die Obhut für die Tochter. X.________ bezahlte ab 1. Januar 2012 einen monatlichen Kindesunterhaltsbeitrag von Fr. 1'500.-- zuzüglich allfälliger Kinderzulagen. Gegenüber der Ehefrau verpflichtete er sich zu einer Unterhaltszahlung von Fr. 5'500.-- pro Monat, zuzüglich Fr. 12'000.--, welche er der Ehefrau im Juni jedes Jahres als Ausgleich für erhaltene Boni bezahle.
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C.
 
C.a. Am 9. März 2012 stellte X.________ ein Gesuch um Abänderung des Entscheids vom 7. Dezember 2011, worauf das Bezirksgericht Z.________ den ersten Entscheid mit Urteil vom 3. Mai 2012 in Bezug auf den Betreuungsplan der Tochter abänderte und eine Besuchsrechtsbeistandschaft errichtete.
3
C.b. Am 20. Juli 2012 stellte X.________ ein weiteres Abänderungsgesuch, nun betreffend Reduktion der Unterhaltszahlungen für das Kind und die Ehefrau. Am 21. Dezember 2012 reichte er eine Zusatzeingabe ein und beantragte gar die Aufhebung des Ehegattenunterhalts per 1. Februar 2013.
4
 
D.
 
D.a. Hiergegen erhob Y.________ mit Eingabe vom 15. April 2013 Berufung an das Obergericht des Kantons Thurgau. Sie beantragte, der Kinderunterhalt sei gemäss Bezirksgerichtsurteil vom 7. Dezember 2011 beizubehalten (Fr. 1'500.--). Ihr persönlicher Unterhaltsbeitrag könne per 1. August 2012 auf Fr. 3'600.-- reduziert werden. Die Bonusregelung im Urteil vom 7. Dezember 2011 sei unverändert zu bestätigen. Eventualiter sei der Ehemann zu verpflichten, ihr die Hälfte eines zusätzlich zu dem gemäss Arbeitsvertrag vom 19. September 2012 geschuldeten ordentlichen Gehalt ausgerichteten Salärs zu bezahlen und sich über die Höhe dieses Salärs auszuweisen.
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D.b. Der Ehemann verlangte die Abweisung der Berufung. Beide Parteien reichten weitere Stellungnahmen, der Ehemann zudem neue Akten ein.
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D.c. Das Obergericht hiess die Berufung mit Urteil vom 19. Juni 2013 teilweise gut (Ziff. 1 des obergerichtlichen Urteils) und hob den Abänderungsentscheid vom 4. April 2013 in Bezug auf Kindes- und Ehegattenunterhalt auf (Ziff. 2a). Der Kindesunterhaltsbeitrag betrug demnach wieder unbefristet die ursprünglich festgelegten Fr. 1'500.--. Den Betrag zugunsten der Ehefrau setzte das Obergericht in Abänderung des Bezirksgerichtsurteils vom 7. Dezember 2011 ab dem 1. August 2012 auf Fr. 3'600.-- fest. Die vom Ehemann gestützt auf den ersten Entscheid ab 1. Januar 2013 zu viel bezahlten Ehegattenunterhaltsbeiträge seien mit den laufenden Unterhaltsbeiträgen zu verrechnen (Ziff. 2b). Sodann regelte es die Bonusklausel neu (Ziff. 2c). Die Verfahrenskosten auferlegte das Obergericht dem Ehemann (Ziff. 3).
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E. Mit Eingabe vom 21. August 2013 gelangt X.________ (Beschwerdeführer) an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung der Ziffern 1, 2a und b sowie 3 des vorinstanzlichen Entscheids unter Kosten- und Entschädigungsfolge zulasten der Ehefrau. Der Unterhaltsbeitrag für die Tochter sei ab 1. Januar 2012 bis 31. Januar 2013 auf Fr. 1'500.-- und ab 1. Februar 2013 auf Fr. 1'200.-- festzulegen, je zuzüglich allfälliger Kinderzulagen. Der Unterhaltsbeitrag für die Ehefrau sei ab 1. Januar 2012 bis 31. Januar 2013 auf Fr. 3'600.-- und ab 1. Februar 2013 auf Fr. 1'500.-- zu reduzieren. Weiter seien die von ihm zu viel bezahlten Ehegattenunterhaltsbeiträge mit den laufenden zu verrechnen. Eventualiter sei die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ausserdem sei der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu gewähren.
8
 
F.
 
F.a. Mit Stellungnahmen vom 28. August 2013 und 3. September 2013 beantragten sowohl die Beschwerdegegnerin also auch die Vorinstanz die Abweisung des Antrags um aufschiebende Wirkung.
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F.b. Im Übrigen hat das Bundesgericht die Akten der Vorinstanzen, in der Sache aber keine Vernehmlassungen eingeholt.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die rechtzeitig (Art. 100 Abs. 1 BGG) eingereichte Beschwerde richtet sich gegen einen Endentscheid (Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz (Art. 75 BGG) über die Anordnung vorsorglicher Massnahmen während des Scheidungsverfahrens. Diese zivilrechtliche Streitigkeit (Art. 72 Abs. 1 BGG) hat den ehelichen Unterhalt zum Gegenstand. Sie ist vermögensrechtlicher Natur (BGE 133 III 393 E. 2 S. 395). Die gesetzliche Streitwertgrenze (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG) ist erreicht. Auf das Rechtsmittel ist somit einzutreten.
11
1.2. Beim angefochtenen Urteil handelt es sich um eine vorsorgliche Massnahme im Sinne von Art. 98 BGG, so dass nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte geltend gemacht werden kann. Hierfür gilt das strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246; 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254). Dabei genügt es nicht, wenn der angefochtene Entscheid sich nur in der Begründung als unhaltbar erweist; eine Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn er auch im Ergebnis verfassungswidrig ist. Dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht (BGE 136 I 316 E. 2.2.2 S. 319; 135 V 2 E. 1.3 S. 5).
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2. Nachfolgend sind die zwei unterschiedlichen Abänderungsgründe, welche vom Beschwerdeführer geltend gemacht wurden, auseinander zu halten.
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2.1. Das Abänderungsgesuch vom 20. Juli 2012 begründete er damit, dass der Beschwerdegegnerin nachträglich eine IV-Rente zugesprochen worden sei, womit sich ihre Einkünfte verbessert hätten.
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2.2. In der Ergänzungseingabe vom 21. Dezember 2012 machte der Beschwerdeführer zusätzlich eine Einkommensreduktion auf seiner Seite ab dem 1. Februar 2013 geltend.
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3. In Bezug auf den ersten Abänderungsgrund (Rente der Beschwerdegegnerin) kritisiert der Beschwerdeführer, dass die Vorinstanz den Unterhaltsbeitrag erst ab August 2012 und nicht rückwirkend ab Januar 2012 reduziert hat.
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3.1. Der Abänderungsentscheid wirkt grundsätzlich nur für die Zukunft, d.h. ab Eintritt seiner formellen Rechtskraft, doch kann die Änderung auf den Zeitpunkt der Einreichung des entsprechenden Gesuches zurückbezogen werden. Vorbehalten bleibt eine weitergehende Rückwirkung aus ganz besonderen Gründen, zum Beispiel wegen unbekannten Aufenthalts oder Landesabwesenheit des Unterhaltspflichtigen, treuwidrigen Verhaltens einer Partei, schwerer Krankheit des Berechtigten, usw. (BGE 111 II 103 E. 4 S. 107 f.; Urteil 5A_608/2010 vom 6. April 2011 E. 4.2.1).
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3.2. Die Vorinstanz erwog, mit der IV-Verfügung vom 24. Juli 2012 sei der Beschwerdegegnerin die Rente zwar rückwirkend ab März 2011 zugesprochen worden. Die Parteien hätten jedoch im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Vereinbarung vom 6. Dezember 2011 wissen müssen, dass sie bei einem beruflichen Ausfall in den Genuss eines Ersatzeinkommens kommen könnte. Sie sei bereits zu diesem Zeitpunkt zu 100 % arbeitsunfähig gewesen und habe offengelegt, dass eine Besserung ihrer gesundheitlichen Situation nicht absehbar sei. Dennoch hätten die Parteien auf einen entsprechenden Vorbehalt in der Vereinbarung verzichtet. Damit sei eine Rückwirkung über den Zeitpunkt des Abänderungsbegehrens (Juli 2012) hinaus nicht gerechtfertigt.
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3.3. Der Beschwerdeführer rügt die vorinstanzliche Begründung, die Parteien hätten keinen entsprechenden Vorbehalt gemacht, als formalistisch und willkürlich. Er bezeichnet es gar als treuwidrig, wenn die Beschwerdegegnerin die Renten quasi zusätzlich erhalte. Ihr Fr. 4'000.-- mehr als ihren ausgewiesenen Bedarf zuzusprechen, wo sie doch bereits seit dem 1. März 2011 IV-Leistungen erhalte, verstosse gegen den Gerechtigkeitsgedanken und verletze Art. 9 BV.
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3.4. Eine Abänderung vorsorglicher Massnahmen im Scheidungsverfahren setzt eine Veränderung der Verhältnisse voraus (Art. 276 Abs. 1ZPO i.V.m. Art. 179 Abs. 1 ZGB). Veränderungen, die bereits zum Zeitpunkt des zu Grunde liegenden Urteils voraussehbar waren und zum Voraus bei der Festsetzung des abzuändernden Unterhaltsbeitrages berücksichtigt worden sind, können indes keinen Abänderungsgrund bilden (BGE 138 III 289 E. 11.1.1 S. 292; 131 III 189 E. 2.7.4 S. 199).
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4. In Bezug auf den zweiten Abänderungsgrund (Reduktion seines Arbeitspensums) wehrt sich der Beschwerdeführer gegen die Anrechnung des hypothetischen Ergänzungseinkommens.
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4.1. In erster Linie rügt er, die vorinstanzliche Annahme, er könne die Einbusse von 40 % durch Ausweitung der Treuhandtätigkeit in der eigenen Unternehmung kompensieren, stelle eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung dar. Das Obergericht habe zu Unrecht darauf abgestützt, dass die Firma im Jahr 2012 mit der Mitwirkung einer Drittperson einen grösseren Umsatz erzielt habe. Die betreffende Person sei ausgebildete Personalfachfrau und 2012 arbeitslos gewesen, heute arbeite sie aber zu 100 % in einem anderen Unternehmen. Die von ihr erzielten Sonderumsätze könnten daher im laufenden Jahr nicht mehr erzielt werden. Als Wirtschaftsprüfer könne er nicht Einnahmen erzielen, welche die ausgebildete Personalfachfrau erzielt habe. Das Obergericht habe nicht geprüft, mit welchen Kunden, welchen Umsatzmöglichkeiten, welchen Gestehungskosten und welchen Gewinnmöglichkeiten eine Ausweitung seiner Treuhandtätigkeit möglich sein solle; es habe einfach pauschal ein Ersatzeinkommen angenommen.
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4.2. Im Zusammenhang mit der Sachverhaltsfeststellung durch die Vorinstanz rügt der Beschwerdeführer sodann eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs, insbesondere der Begründungspflicht. Die Vorinstanz begründe nicht, weshalb die Einmaligkeit des Umsatzes des Jahres 2012 nicht von Bedeutung sei. Sie zeige auch nicht auf, inwiefern die A.________ GmbH Wachstumspotenzial aufweise und wie konkret Umsätze resp. Gewinne erwirtschaftet werden könnten.
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4.3. Betreffend Sachverhalt macht der Beschwerdeführer schliesslich ein Novenrecht im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG geltend. Er reicht dem Bundesgericht mehrere neue Unterlagen betreffend die A.________ GmbH ein, welche vor der Eröffnung des angefochtenen Entscheids datieren. Er führt dazu aus, es sei nicht voraussehbar gewesen, dass das Obergericht der A.________ GmbH eine Bedeutung im Zusammenhang mit einem Zusatzeinkommen einräumen würde. Nicht einmal die Beschwerdegegnerin sei auf diese Idee gekommen.
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4.4. In rechtlicher Hinsicht kritisiert der Beschwerdeführer, das hypothetische Einkommen sei ihm rückwirkend angerechnet worden, was unzulässig sei. Es sei ihm zumindest eine angemessene Übergangsfrist zu gewähren.
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4.5. Als stossend rügt er sodann, dass die Beschwerdeführerin mit der vorinstanzlichen Lösung deutlich mehr erhalte, als sie zur Deckung ihres Bedarfs benötige, während er nicht einmal 50 % seines Bedarfs decken könne.
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5. Schliesslich verlangt der Beschwerdeführer, die gestützt auf den Entscheid des Bezirksgerichts Z.________ vom 7. Dezember 2011 seit 1. Januar 2012 zu viel bezahlten Ehegattenunterhaltsbeiträge seien mit den laufenden Ehegattenunterhaltsbeiträgen zu verrechnen. Dass ihm die Vorinstanz erst für die seit Januar 2013 zu viel bezahlten Unterhaltsbeiträge ein Verrechnungsrecht gewähre, sei willkürlich.
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5.1. Gemäss Urteil vom 7. Dezember 2011 hatte er der Ehefrau Fr. 5'500.-- zu bezahlen. Mit Abänderungsurteil vom 4. April 2013 wurde dieser Betrag per 1. Januar 2012 auf Fr. 3'600.-- und ab 1. Februar 2013 auf Fr. 1'500.-- reduziert. Auf Berufung der Beschwerdegegnerin hin, wurde dieser Betrag im angefochtenen Urteil wieder angehoben auf Fr. 5'500.-- ab 1. Januar 2012 resp. Fr. 3'600.-- ab 1. August 2012. Nachdem der Beschwerdeführer vor Bundesgericht nicht durchdringt, behalten diese letzten Zahlen Gültigkeit. Die Frage der Verrechnung stellt sich damit grundsätzlich erst ab dem 1. August 2012. Nun akzeptierte die Beschwerdegegnerin aber in ihrer Berufung ab dem 1. August 2012 einen Unterhaltsbetrag von Fr. 3'600.--, was für den Zeitraum bis Ende Januar 2013 mit dem Abänderungsurteil vom 4. April 2012 übereinstimmt. Damit war klar, dass er für diesen Zeitraum Fr. 3'600.-- bezahlen muss, womit auch hier eine Verrechnung entfällt. Ab dem 1. Januar 2013 gewährte die Vorinstanz dem Beschwerdeführer sodann, allfällig zu viel bezahlte Unterhaltsbeiträge an den laufenden Unterhalt anzurechnen. Die Rüge ist unbegründet.
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5.2. Seine übrigen Vorbringen in diesem Zusammenhang sind appellatorisch. Darauf ist nicht einzutreten (E. 1.2).
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6. Zusammengefasst ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden konnte.
30
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 200.-- zu entschädigen.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 4. März 2014
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: von Werdt
 
Die Gerichtsschreiberin: Friedli-Bruggmann
 
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