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Informationen zum Dokument  BGer 6B_983/2013  Materielle Begründung
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BGer 6B_983/2013 vom 24.02.2014
 
{T 0/2}
 
6B_983/2013; 6B_995/2013
 
 
Urteil vom 24. Februar 2014
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Mathys, Präsident,
 
Bundesrichter Denys, Oberholzer,
 
Gerichtsschreiberin Siegenthaler.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Gregor Münch,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Verwertung von Beweisen, rechtliches Gehör, Willkür, Anrechnung Untersuchungshaft (Vergewaltigung, mehrfache Drohung, mehrfache einfache Körperverletzung, wiederholte Tätlichkeiten)
 
Beschwerde gegen die Urteile des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 26. August 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
 
Erwägung 2
 
 
Erwägung 3
 
3.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 141 StPO. Die sich in den Akten befindenden Aufnahmen mehrerer Telefongespräche zwischen ihm und der Geschädigten seien ohne seine Einwilligung erfolgt. Die Geschädigte habe sich deshalb nach Art. 179ter StGB strafbar gemacht. Infolgedessen handle es sich bei den Aufnahmen um ein von einer Privatperson rechtswidrig beschafftes Beweismittel. Dieses dürfe in Anwendung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht verwertet werden, da die Strafverfolgungsbehörden es im konkreten Fall nicht selbst hätten erlangen können. Auch eine Interessenabwägung spreche gegen die Verwertbarkeit.
1
3.2. Art. 141 StPO regelt die Verwertbarkeit von Beweisen, die durch die Strafbehörden erhoben wurden. Zur Verwertbarkeit von privat gesammelten Beweisen enthält die Strafprozessordnung keine Bestimmung. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind von Privaten rechtswidrig erlangte Beweismittel nur verwertbar, wenn sie von den Strafverfolgungsbehörden rechtmässig hätten erlangt werden können und überdies eine Interessenabwägung für ihre Verwertung spricht (Urteil 1B_22/2012 vom 11. Mai 2012 E. 2.4.4 mit Hinweisen).
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3.3. Ob die Geschädigte bei der Aufzeichnung ihrer Gespräche mit dem Beschwerdeführer rechtswidrig handelte, kann offen bleiben. Das Beweismittel bliebe selbst im Fall seiner rechtswidrigen Beschaffung verwertbar, da die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind.
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3.3.1. Die Strafverfolgungsbehörden hätten das fragliche Beweismittel rechtmässig erlangen können.
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3.3.2. Die Interessenabwägung spricht für die Verwertbarkeit des umstrittenen Beweismittels.
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Erwägung 4
 
4.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Seinen Antrag auf Befragung des Zeugen Y.________ habe die Vorinstanz mehrmals abgewiesen, obschon dessen Aussage geeignet gewesen wäre, ihn zu entlasten.
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4.2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV umfasst u.a. das Recht des Betroffenen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 133 I 270 E. 3.1; Urteil 6B_446/2011 vom 27. Juli 2012 E. 3.3; je mit Hinweisen). Dem Richter ist es nicht verwehrt, einen Beweisantrag abzulehnen. Er muss zum einen in willkürfreier Würdigung der bereits abgenommenen Beweise zur Überzeugung gelangen, der rechtlich erhebliche Sachverhalt sei genügend abgeklärt. Zum anderen (kumulativ) muss er in willkürfreier antizipierter Würdigung der zusätzlich beantragten Beweise zur Auffassung gelangen, weitere Beweisvorkehren würden an seiner Würdigung der bereits abgenommenen Beweise voraussichtlich nichts mehr ändern (BGE 136 I 229 E. 5.3; Urteil 6B_446/2011 vom 27. Juli 2012 E. 3.3; je mit Hinweisen).
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4.3. Die Vorinstanz begründet nachvollziehbar, weshalb sie den Beweisantrag des Beschwerdeführers abweist (Urteil SB130134, S. 5). Weil die Wahrnehmungen des beantragten Zeugen bereits in schriftlicher Form Eingang in die Akten gefunden hatten und ihr deshalb bekannt waren, konnte sie deren Bedeutung für das Beweisergebnis einschätzen. Unter diesen Umständen und gestützt auf die gesamte Aktenlage durfte sie willkürfrei zur Überzeugung gelangen, die Erhebung weiterer Beweise sei zur Klärung des Sachverhalts nicht nötig und die Aussage von Y.________ werde an ihrer Würdigung der bereits vorhandenen Beweise nichts mehr ändern. Eine Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV liegt nicht vor.
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Erwägung 5
 
5.1. Der Beschwerdeführer rügt, er sei auf der Grundlage eines offensichtlich unrichtig festgestellten Sachverhalts und in Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" verurteilt worden.
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5.2. Die Vorinstanz erachtet den Anklagesachverhalt als erwiesen. Sie stellt auf die von ihr als glaubhaft beurteilten Aussagen des Opfers ab (vgl. Urteil SB130134, S. 40 ff.). Diese seien von logischer Konsistenz und in Bezug auf das Kerngeschehen detailliert. Die Geschädigte habe von Interaktionen zwischen ihr und dem Beschwerdeführer berichtet, ihre jeweilige Gemütsverfassung beschreiben können und auch offen zugegeben, wenn sie sich an etwas nicht zu erinnern vermochte. Offene Strukturbrüche in ihren Schilderungen seien keine erkennbar und die Geschädigte verstricke sich auch nicht in unauflösbare Widersprüche. Ausserdem würden ihre Aussagen durch ein objektives Beweismittel in Form der Aufnahmen ihrer Telefongespräche mit dem Beschwerdeführer untermauert, was ihnen zusätzliche Glaubhaftigkeit verleihe.
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5.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich im Sinne von Art. 9 BV ist (BGE 137 III 226 E. 4.2 mit Hinweisen; zum Begriff der Willkür BGE 138 I 49 E. 7.1; 136 III 552 E. 4.2; je mit Hinweisen) oder wenn sie auf einer Verletzung von schweizerischem Recht im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Eine entsprechende Rüge muss klar vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 137 IV 1 E. 4.2.3; 136 I 65 E. 1.3.1; je mit Hinweisen). Auf eine rein appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3; 136 II 489 E. 2.8; je mit Hinweisen). Dem Grundsatz "in dubio pro reo" kommt in seiner Funktion als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor dem Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (vgl. BGE 138 V 74 E. 7; 127 I 38 E. 2a; je mit Hinweisen; Urteil 6B_730/2012 vom 24. Juni 2013 E. 1.2).
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5.4. Was der Beschwerdeführer vorbringt, begründet weder Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung noch eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo". Seine Ausführungen belegen nicht, dass das vorinstanzliche Beweisergebnis schlechterdings nicht vertretbar ist oder inwiefern sich ein anderes geradezu aufgedrängt hätte.
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5.4.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Staatsanwaltschaft habe der Geschädigten gegenüber eine suggestive Fragetechnik angewandt. Selbst wenn dies zuträfe, liesse sich daraus nicht direkt Willkür bei der vorinstanzlichen Beweiswürdigung ableiten. Der Beschwerdeführer zeigt nicht auf und es ist nicht ersichtlich, inwiefern angeblich suggestiv erlangte Antworten die Aussagewürdigung der Vorinstanz massgeblich beeinflusst haben sollen und dadurch allenfalls willkürlich werden liessen.
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5.4.2. Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz vor, ausser Acht gelassen zu haben, dass die Geschädigte sich verschiedentlich kaum mehr bzw. nur sehr vage an das Geschehen habe erinnern und allgemein nur sehr ungenaue zeitliche Angaben habe machen können. Dabei verkennt er, dass die Vorinstanz sich eingehend mit diesen Erinnerungslücken und Ungenauigkeiten auseinandersetzt (Urteil SB130134, S. 42 f.). Ihre Erwägungen sind nachvollziehbar.
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5.4.3. Sämtliche vom Beschwerdeführer dargelegten Widersprüche in den Aussagen der Geschädigten bezieht die Vorinstanz in ihre Würdigung mit ein. Sie zeigt auf, dass die Unstimmigkeiten entweder nur vermeintlich existieren oder bietet plausible Erklärungen dafür, weshalb es zu widersprüchlichen Aussagen seitens der Geschädigten gekommen sein könnte. Die vorinstanzliche Argumentation ist einleuchtend und überzeugend.
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5.4.4. Soweit der Begründung des Beschwerdeführers die Annahme zugrunde liegt, die Gesprächsaufzeichnungen seien als Beweismittel unverwertbar, läuft sie ins Leere. Die fraglichen Aufnahmen sind verwertbar (vgl. Ziffer 2.3 hiervor), und ihre Würdigung durch die Vorinstanz erfolgt willkürfrei.
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5.4.5. Im Übrigen sind die Vorbringen des Beschwerdeführers appellatorischer Natur oder beschränken sich darauf, andere mögliche Beweiswürdigungen aufzuzeigen bzw. seine persönliche Sichtweise darzulegen. Damit lässt sich keine Willkür begründen. Auf die entsprechenden Vorbringen ist nicht einzutreten.
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Erwägung 6
 
6.1. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung von Art. 51 StGB geltend. Im Zusammenhang mit seinem Schuldspruch wegen Vergewaltigung etc. (SB130134) hätte ihm nicht nur die in diesem Verfahren erstandene Haft von 383 Tagen angerechnet werden sollen, sondern auch jene von 22 Tagen aus dem Verfahren wegen Drohung (SB130221). Die Vorinstanz verletze den Grundsatz der umfassenden Anrechnung und missachte, dass erstandene Haft in erster Linie an die Freiheitsstrafe anzurechnen sei, wenn Strafen unterschiedlicher Art verhängt würden.
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6.2. Gemäss Art. 51 StGB kann ausgestandene Untersuchungshaft in einem anderen Verfahren zur Anrechnung gelangen als jenem, in dem sie angeordnet wurde. Zu entziehende Freiheit soll wenn immer möglich mit bereits entzogener kompensiert werden (BGE 135 IV 126 E. 1.3.6; 133 IV 150 E. 5.1 mit Hinweisen). Diesen Grundsatz verletzt die Vorinstanz, indem sie die Haft von 22 Tagen im Verfahren wegen Drohung an die bedingte Geldstrafe anrechnet.
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6.3. Die Beschwerde 6B_995/2013 ist gutzuheissen. Das Urteil SB130221 des Obergerichts des Kantons Zürich vom 26. August 2013 ist hinsichtlich Ziffer 2 (Anrechnung der Haft) aufzuheben. Die 22 Tage Haft sind auf die Freiheitsstrafe aus dem Urteil SB130134 des Obergerichts des Kantons Zürich vom 26. August 2013 anzurechnen.
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Erwägung 7
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Verfahren 6B_983/2013 und 6B_995/2013 werden vereinigt.
 
2. Die Beschwerde 6B_983/2013 wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil SB130134 des Obergerichts des Kantons Zürich vom 26. August 2013 wird hinsichtlich Ziffer 3 aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
3. Die Beschwerde 6B_995/2013 wird gutgeheissen. Das Urteil SB130221 des Obergerichts des Kantons Zürich vom 26. August 2013 wird hinsichtlich Ziffer 2 aufgehoben.
 
4. Die Sache wird zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
 
5. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist.
 
6. Dem Beschwerdeführer werden Gerichtskosten von Fr. 800.-- auferlegt.
 
7. Der Kanton Zürich hat Rechtsanwalt Gregor Münch für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- auszurichten.
 
8. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 24. Februar 2014
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Mathys
 
Die Gerichtsschreiberin: Siegenthaler
 
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