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Informationen zum Dokument  BGer 1C_789/2013  Materielle Begründung
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BGer 1C_789/2013 vom 21.02.2014
 
{T 0/2}
 
1C_789/2013
 
 
Urteil vom 21. Februar 2014
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Aemisegger, Merkli,
 
Gerichtsschreiberin Gerber.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Gemeinderat der Stadt Zürich,
 
handelnd durch den Stadtrat von Zürich,
 
und dieser vertreten durch die Vorsteherin des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements der Stadt Zürich,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
X.________,
 
Beschwerdegegner,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Fritz Frey.
 
Gegenstand
 
Baulinien,
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 22. August 2013 des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 3. Abteilung, 3. Kammer.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
D.
 
 
E.
 
 
F.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Der Gemeinderat beruft sich auf Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG: Mit der Gutheissung der Beschwerde könnte das Baulinienverfahren abgeschlossen, d.h. ein Endentscheid herbeigeführt werden. Bei einer Rückweisung müssten - auf der Grundlage von fiktiven Annahmen insbesondere zur Notwendigkeit von Abbiegespuren - Varianten zur Baulinienvorlage ausgearbeitet und in einem langwierigen politischen Prozess beschlossen und genehmigt werden, was einen bedeutenden Aufwand an Zeit und Kosten zur Folge hätte.
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Der Beschwerdeführer macht dagegen geltend, dass ein schwerer Eingriff in sein Grundeigentum in Frage stehe und der Gemeinderat daher ohnehin verpflichtet gewesen sei, Varianten zu prüfen.
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Dem hält der Gemeinderat entgegen, dass ursprünglich die Sicherung des Raums für einen 36 m breiten Boulevard diskutiert worden sei; diese Variante sei verworfen und der Baulinienabstand auf 28 m reduziert worden. Varianten mit einem noch geringeren Baulinienabstand wären von der kantonalen Genehmigungsbehörde nicht genehmigt worden.
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1.2. Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass die Ausbaupläne für die Hohlstrasse, insbesondere für mögliche Abbiegespuren und Fussgängerübergänge westlich der Tramhaltestelle "Güterbahnhof", nicht genügend konkretisiert seien; es verlangte u.a. die Prüfung einer gesamthaft schlankeren Variante des Projekts, z.B. mit schmaleren Rad-/Gehwegen bzw. ohne Allee; ansonsten müsse aufgrund von genügend konkretisierten Abbiegespuren und Fussgängerübergängen der Nachweis erbracht werden, dass die Verbreiterung der Baulinien erforderlich sei. Dies hat zur Folge, dass die Stadt Varianten für den Endausbau der Hohlstrasse zwischen Seebahnstrasse und Hardplatz ausarbeiten müsste, mit Hinweisen zur Lage künftiger Abbiegespuren, Fussgängerspuren, der Breite von Rad- und Gehwegen, der Beibehaltung oder dem Verzicht auf Längsparkplätze, etc. Dies bedingt umfangreiche Abklärungen und politische Diskussionen im Dialog mit dem Kanton, da es sich im fraglichen Abschnitt um eine Staatsstrasse handelt und der Baulinienplan von der Volkswirtschaftsdirektion genehmigt werden muss. Unter diesen Umständen ist mit der Gemeinde davon auszugehen, dass bei einer Gutheissung der Beschwerde ein bedeutender Aufwand an Zeit und Kosten erspart werden könnte.
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1.3. Der Gemeinderat Zürich als zur Festsetzung von Baulinien in der Stadt Zürich zuständige Behörde kann sich auf die Verletzung der Gemeindeautonomie berufen und ist insofern zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG).
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Erwägung 2
 
 
Erwägung 3
 
3.1. Sie beruft sich auf § 98 des Zürcher Planungs- und Baugesetzes vom 7. September 1975 (PBG), wonach Baulinien so festzusetzen sind, dass sie den Bedürfnissen beim voraussichtlichen Endausbau der betreffenden Anlage genügen. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung genügten konkrete Vorstellungen über den künftigen Strassenverlauf im Sinn eines generellen Projekts; nicht erforderlich sei, dass bereits ein Strassenbauprojekt vorliege.
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3.2. Der Beschwerdegegner betont, dass es sich bei der streitigen Baulinienvorlage um einen schweren Eingriff in sein Eigentum handle. Die Verschiebung der Baulinie um 4 m habe zur Folge, dass sein Grundstück nur noch auf einer Fläche von 102 m² bebaubar bleibe. Unter diesen Umständen seien hohe Anforderungen an den Nachweis des öffentlichen Interesses zu stellen (BGE 118 Ia 372 E. 4c und d S. 376 f.; Urteil 1C_50/2008 vom 10. Juni 2008 E 4.5.1) und müsse eine differenzierte Verhältnismässigkeitsprüfung vorgenommen werden, unter sorgfältiger Prüfung von milderen Massnahmen. Dies setze eine Variantenprüfung voraus.
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Erwägung 4
 
4.1. Die Hohlstrasse ist eine Hauptverkehrsstrasse, die seit der Eröffnung der Westumfahrung sogar ein erhöhtes Verkehrsaufkommen zu bewältigen hat. Es ist davon auszugehen, dass sie über kurz oder lang ausgebaut werden muss, insbesondere für die im Richtplan vorgesehene Erstellung eines regionalen Radwegs. Streitig ist, ob hierfür im Bereich der Parzelle des Beschwerdegegners eine Baulinienbreite von 28 m (statt heute 24 m) erforderlich ist.
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4.5 m
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2 Fahrspuren stadtauswärts
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6.0 m
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1 Fahrspur stadteinwärts  
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3.0 m
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Rad-/Gehweg
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4.5 m
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24 m
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Diese Berechnung berücksichtigt jedoch weder die bestehenden Parkplätze längs der Hohlstrasse noch die bestehende Fussgängerinsel in der Einmündung der Zypressenstrasse (vgl. oben E. 2).
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4.2. Mit dem Gemeinderat ist davon auszugehen, dass im Endausbau der Hohlstrasse zusätzliche und breitere Schutzinseln für Fussgänger erforderlich sein werden, um ein sicheres Kreuzen der stark befahrenen und mehrspurigen Strasse zu ermöglichen, und zwar auch im streitigen Bereich der Hohlstrasse, zwischen den beiden Tramstationen. Schon daraus ergibt sich ein zusätzlicher Platzbedarf von 1.5 bis 2 m (selbst bei Aufhebung der bestehenden Längsparkplätze mit einer Breite von je 2 m).
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4.3. Aufgrund der zu erwartenden Bautätigkeit im nördlichen Geviert (nach Abriss des Güterbahnhofs) erscheint es zudem sinnvoll, eine Platzreserve für zusätzliche Abbiegespuren zu schaffen. Allerdings steht deren Lage und Ausgestaltung heute noch nicht fest. Die vom Verwaltungsgericht verlangte Konkretisierung der Planung ist zurzeit nicht möglich und würde - wie der Gemeinderat zu Recht geltend macht - auf eine fiktive Strassenplanung hinauslaufen, deren Umsetzung völlig ungewiss wäre. Aufgrund der geplanten Bautätigkeit (insbesondere Abriss und Neubau auf den Liegenschaften Hohlstrasse 176 - 188) besteht jedoch ein Bedürfnis, die Baulinien schon heute verbindlich festzulegen.
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4.4. Sollte sich ergeben, dass auf Abbiegespuren verzichtet werden kann, hätte die Stadt die Möglichkeit, die öffentlichen Parkplätze längs der Hohlstrasse (ganz oder teilweise) beizubehalten, ihr Alleenkonzept (ganz oder teilweise) zu realisieren bzw. die Fahrspuren zu erweitern.
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4.5. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die geplante Baulinienerweiterung von 24 auf 28 m bescheiden dimensioniert ist. Der Gemeinderat hat auf den ursprünglich vorgesehenen, sehr viel weitergehenden Eingriff in das Eigentum der Anrainer (Baulinienabstand von 36 m für einen Boulevard) verzichtet. Dies hat zur Folge, dass sich nicht alle planerischen Vorstellungen (Radwege, Fussgängerinseln, Allee, Abbiegespuren, evtl. Fahrspurerweiterung, Beibehaltung der Längsparkplätze) verwirklichen lassen werden, sondern nur ein Teil davon. Der hierfür angenommene Raumbedarf von 28 m erscheint unter Berücksichtigung der Verkehrsfunktion der Hohlstrasse (Hauptverkehrsstrasse mit Tramlinie) und der zu erwartenden Bautätigkeit im Quartier realistisch und jedenfalls nicht überrissen. Dies bestätigt der Genehmigungsentscheid der Volkswirtschaftsdirektion vom 21. Februar 2013, wonach das Baulinienband von 28 m den Anforderungen an die Sicherung des Strassenraums im streitigen Bereich (ausserhalb der Haltestellenbereiche auf freier Strecke) nur knapp genüge. Die Baulinienerweiterung ist damit als erforderlich zu betrachten.
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Erwägung 5
 
 
Erwägung 6
 
6.1. Im Baulinienbereich dürfen grundsätzlich nur Bauten und Anlagen erstellt werden, die dem Zweck der Baulinie nicht widersprechen (vgl. § 99 Abs. 1 PBG mit gewissen Ausnahmen gemäss § 100 PBG). Ein Neubau müsste daher 4 m weiter von der Strasse zurückversetzt werden, was die (ohnehin nicht grosse) überbaubare Fläche des Beschwerdegegners (152 m²) erheblich verringern würde. Immerhin ist mit dem Baurekursgericht davon auszugehen, dass das Grundstück überbaubar bliebe.
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6.2. Gemäss § 110 PBG steht dem Werkträger mit Rechtskraft der Baulinien im Rahmen ihrer Zweckbestimmung das Enteignungsrecht zu. Dieses kann aber erst ausgeübt werden, wenn ein konkretes Ausführungsprojekt vorliegt, weil erst zu diesem Zeitpunkt feststeht, ob die Enteignung zur Erreichung des Zweckes erforderlich ist (BGE 118 Ia 372 E. 4a S. 375; Urteil 1C_50/2008 vom 10. Juni 2008 E. 3.3 und 4.5.1). Die Verhältnismässigkeit eines Abrisses der bestehenden Baute kann zum heutigen Zeitpunkt noch nicht beurteilt werden und ist erst zu prüfen, wenn ein konkretes Projekt für den Ausbau der Hohlstrasse unter Inanspruchnahme des Grundstücks des Beschwerdegegners vorliegt.
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Erwägung 7
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. 
 
2. 
 
3. 
 
4. 
 
Lausanne, 21. Februar 2014
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Die Gerichtsschreiberin: Gerber
 
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