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Informationen zum Dokument  BGer 2C_856/2013  Materielle Begründung
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BGer 2C_856/2013 vom 10.02.2014
 
{T 0/2}
 
2C_856/2013
 
 
Urteil vom 10. Februar 2014
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichter Seiler, Kneubühler,
 
Gerichtsschreiberin Hänni.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
Beschwerdeführerin,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Willy Bolliger-Kunz,
 
gegen
 
Gemeinderat Wettingen,
 
Beschwerdegegner,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Patrick Bürgi.
 
Gegenstand
 
Ausführen von Hunden,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 3. Kammer, vom 8. August 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Beim angefochtenen Urteil handelt es sich um einen letztinstanzlichen Endentscheid einer Vorinstanz im Sinne von Art. 86 Abs. 1 BGG in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts, der grundsätzlich mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten angefochten werden kann (Art. 82 lit. a und Art. 90 BGG). Eine Ausnahme nach Art. 83 BGG liegt nicht vor. Die Beschwerdeführerin ist vom angefochtenen Entscheid besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf die form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten.
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1.2. Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Die Verletzung von kantonalem Recht prüft das Bundesgericht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Diesfalls prüft es die Auslegung und Anwendung von kantonalen Gesetzesbestimmungen, unter Vorbehalt von hier nicht in Betracht fallenden Ausnahmen (s. Art. 95 BGG), nicht frei, sondern nur mit einer auf Willkür beschränkten Kognition. Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig - das heisst willkürlich - ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels ausserdem für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann.
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Das Bundesgericht prüft, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Eine qualifizierte Rügepflicht gilt hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht. Das Bundesgericht behandelt eine solche Rüge nur insofern, als sie in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden ist. In der Beschwerde ist klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (BGE 138 I 225 E. 3.1 und 3.2 S. 227 f.; 137 IV 57 E. 1.3 S. 60; 136 I 49 E. 1.4.1 S. 53, 65 E. 1.3.1 S. 68; 135 III 513 E. 4.3 S. 521 f.).
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Erwägung 2
 
 
Erwägung 3
 
3.1. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, die Vorinstanz habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK) verletzt. Der Gemeinderat von Wettingen habe seine Verfügung erlassen, ohne sie vorher anzuhören. Darin liege eine schwere Verletzung des rechtlichen Gehörs. Deshalb und angesichts der formellen Natur dieses Rechts komme eine Heilung nicht infrage. Indem die Vorinstanz diese Möglichkeit bejaht habe, habe sie ihrerseits eine Gehörsverletzung begangen.
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3.2. Der durch Art. 29 Abs. 2 BV gewährleistete Grundsatz des rechtlichen Gehörs garantiert den betroffenen Personen ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht im Verfahren. Sie sollen sich vor Erlass des Entscheids zur Sache äussern, erhebliche Beweise beibringen, an der Erhebung von Beweisen mitwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis äussern können. Die Behörde muss die Vorbringen der Parteien tatsächlich hören, prüfen und in der Entscheidfindung berücksichtigen. Die Begründung muss deshalb zumindest kurz die wesentlichen Überlegungen nennen, von denen sich das Gericht hat leiten lassen und auf die es seinen Entscheid stützt (vgl. BGE 138 IV 81 E. 2.2 S. 84; 136 I 265 E. 3.2 S. 272, 229 E. 5.2 S. 236, 184 E. 2.2.1 S. 188; je mit Hinweis).
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3.3. Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt darin, dass die vorinstanzliche Gehörsverletzung nicht in der Missachtung der Parteirechte durch das Verwaltungsgericht selbst begründet sein soll, sondern in der von diesem bejahten Möglichkeit, die von der verfügenden Behörde unterlassene Anhörung zu heilen.
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Erwägung 4
 
4.1. Die Beschwerdeführerin erachtet den angefochtenen Entscheid im Kosten- und Entschädigungspunkt als willkürlich. Zum einen hätte das Verwaltungsgericht angesichts der Gehörsverletzung den Anteil der von ihr zu tragenden Kosten des Verfahrens vor dem Regierungsrat um mehr als einen Fünftel reduzieren müssen, zum anderen hätte es diesen Umstand auch bei der Verlegung der eigenen Prozesskosten berücksichtigen müssen; ausserdem hätte die Gemeinde keine Parteikostenentschädigung erhalten dürfen.
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4.2. Das Verwaltungsgericht stützte sich bei der Verlegung der Verfahrens- sowie der Parteikosten auf das kantonale Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege. Die Beschwerdeführerin beruft sich nicht auf eine Bestimmung dieses Gesetzes, die willkürlich angewandt worden sei. Sie behauptet auch nicht, eine abweichende Regelung des Kosten- und Entschädigungspunkts ergebe sich direkt aus einem Grundrecht, namentlich dem rechtlichen Gehör. Damit genügt sie ihrer Rügepflicht nicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. oben E. 1.2). Insoweit kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.
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Erwägung 5
 
5.1. Das Grundrecht auf persönliche Freiheit umfasst neben den in Art. 10 Abs. 2 BV ausdrücklich genannten Rechten auch das Recht auf Selbstbestimmung und auf individuelle Lebensgestaltung sowie den Schutz der elementaren Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung. Das Grundrecht enthält jedoch keine allgemeine Handlungsfreiheit, auf die sich der Einzelne gegenüber jedem staatlichen Akt, der sich auf seine persönliche Lebensgestaltung auswirkt, berufen kann (BGE 138 IV 13 E. 7.1 S. 25; 133 I 110 E. 5.2 S. 119). So hat das Bundesgericht etwa entschieden, ein Fahrverbot, das es einem Eigentümer einer Zweitwohnung während einiger Stunden pro Saison verunmögliche, diese zu erreichen, beeinträchtige Art. 10 Abs. 2 BV nicht (Urteil 2P.113/1999 vom 17. April 2000 E. 3a). Auch ein Fahrverbot für Boote in einzelnen Wasserzonen eines Sees berührt den Schutzbereich der persönlichen Freiheit "klarerweise" nicht, denn dieses Grundrecht garantiert nicht die Möglichkeit, jeden See an beliebiger Stelle befahren zu dürfen (BGE 108 Ia 59 E. 4a S. 61). Das Bundesgericht hat es sodann als fraglich bezeichnet, ob sich aus der persönlichen Freiheit ein Recht ergebe, im öffentlichen Raum auf das Tragen von Kleidern zu verzichten und somit nackt zu wandern, doch hat es diese Frage letztlich offen gelassen (BGE 138 IV 13 E. 7.2 S. 26).
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5.2. Das Bundesgericht hatte auch schon mehrfach Gelegenheit, Aspekte des Verhältnisses von Menschen zu Hunden unter dem Blickwinkel der persönlichen Freiheit zu prüfen.
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In BGE 133 I 249 hat das Bundesgericht entschieden, dass das Halten von Hunden einer bestimmten Rasse grundsätzlich nicht in den Schutzbereich der persönlichen Freiheit fällt. Immerhin erscheint gemäss BGE 134 I 293 E. 5.2.1 S. 300 die Wegnahme und allfällige (definitive) Fremdplatzierung eines Hundes unter dem Gesichtswinkel der persönlichen Freiheit nicht unproblematisch. Im Urteil 2C_81/2008 / 2C_82/2008 vom 21. November 2008 hat das Bundesgericht indessenerkannt, es falle ausser Betracht, das Grundrecht der persönlichen Freiheit dahingehend auszuweiten, dass die darin enthaltene Bewegungsfreiheit das Recht beinhalte, mit einem Hund zu spazieren und Zutritt zu allen öffentlichen Parkanlagen zu haben. Ein kommunales Reglement, das dies ausschliesse, betreffe die persönliche Freiheit des betreffenden Beschwerdeführers und Hundehalters nicht. Dieser könne sich weiterhin frei bewegen, bloss sei es ihm nicht mehr möglich, in einigen Parks mit seinem Hund zu spazieren (vgl. zu dieser Rechtsprechung auch FELIX BAUMANN, Das Grundrecht der persönlichen Freiheit in der Bundesverfassung, Freiburger Diss., 2011, S. 56 f.).
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5.3. Unter das Grundrecht der persönlichen Freiheit lässt sich in besonderen Konstellationen die Beziehung zu einem Haustier subsumieren (BGE 134 I 293 E. 5.2.1 S. 300; vgl. auch BGE 133 I 249 E. 2 S. 252 f.; Urteil 2P.24/2006 vom 27. April 2007 E. 3.2). Indessen ist der Schutzbereich durch die vorliegende Verfügung des Wettinger Gemeinderats nicht tangiert: Trotz dessen Anordnungen bleibt es der Beschwerdeführerin weiterhin möglich, sich mit ihren Hunden auf dem gesamten Gemeindegebiet zu bewegen. Nach wie vor darf sie auch mehrere Hunde gleichzeitig auszuführen, sodass ihre Bewegungsfreiheit nur geringfügig eingeschränkt wird. Es stellt keine elementare Erscheinung der Persönlichkeitsentfaltung dar, mit sechs oder mehr Hunden gleichzeitig zu spazieren bzw. dies tun zu dürfen, ohne die Tiere an der Leine zu führen. Da die angefochtene Verfügung der Gemeinde Wettingen die persönliche Freiheit der Beschwerdeführerin nicht betrifft, ist auf die Rügen, die sie aus der angeblichen Verletzung dieses Rechts herleitet, nicht einzugehen.
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Erwägung 6
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. 
 
2. 
 
3. 
 
Lausanne, 10. Februar 2014
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Die Gerichtsschreiberin: Hänni
 
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