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Informationen zum Dokument  BGer 1C_464/2013  Materielle Begründung
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BGer 1C_464/2013 vom 16.01.2014
 
{T 0/2}
 
1C_464/2013
 
 
Urteil vom 16. Januar 2014
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
 
Gerichtsschreiber Stohner.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. German Grüniger,
 
gegen
 
Politische Gemeinde Ennetbürgen,
 
handelnd durch den Gemeinderat, Friedensstrasse 6, 6373 Ennetbürgen,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Beat Zelger,
 
Regierungsrat des Kantons Nidwalden, Dorfplatz 2, 6371 Stans.
 
Gegenstand
 
Anordnung der kostenpflichtigen Sicherung des ehemaligen Steinbruchs Obermatt,
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 4. Juni 2012 des Verwaltungsgerichts des Kantons Nidwalden, Verwaltungsabteilung.
 
 
Sachverhalt:
 
A. X.________ ist Grundeigentümerin des in Ennetbürgen gelegenen ehemaligen Steinbruchs Obermatt. Per 1. Januar 1924 räumte sie mit einem als "Konzession" bezeichneten Vertrag Y.________ das Recht ein, den Steinbruch während 20 Jahren zu betreiben. Am 10. Juni 1944 übernahm die Firma Z.________ den Betrieb. Am 27. Februar 1963 und am 8. August 1964 ereigneten sich beim Steinbruch zwei grosse Felsstürze. Der Regierungsrat des Kantons Nidwalden beschloss deshalb am 10. August 1964 mit sofortiger Wirkung die Einstellung des Gesteinsabbaus.
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B. Mit Eingabe vom 7. Mai 2013 reicht X.________ Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht ein mit den Anträgen, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 4. Juni 2012 aufzuheben und sie von der Kostenpflicht zu befreien; eventualiter sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Nach Art. 89 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat, durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat. Diese Regelung ist in erster Linie auf Privatpersonen zugeschnitten, doch können sich auch Gemeinden und andere öffentlich-rechtliche Körperschaften darauf stützen, falls sie durch einen angefochtenen Entscheid gleich oder ähnlich wie Private oder aber in spezifischer Weise in der Wahrnehmung einer hoheitlichen Aufgabe betroffen sind und nicht bloss das allgemeine Interesse an der richtigen Rechtsanwendung geltend machen (BGE 138 II 506 E. 2.1.1 S. 508 mit Hinweisen).
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1.2. Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Dies setzt voraus, dass sich die Beschwerdeführerin wenigstens kurz mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheids auseinandersetzt. Zwar wendet das Bundesgericht das Recht grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Das bedingt aber, dass auf die Beschwerde überhaupt eingetreten werden kann, diese also wenigstens die Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 BGG erfüllt.
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1.3. Die Beschwerdeführerin wiederholt über weite Strecken ihren bereits im vorinstanzlichen Verfahren vertretenen Standpunkt, ohne näher auf die Argumentation der Vorinstanz einzugehen. Sie macht in ihrer Beschwerde keine Willkür geltend, rügt mithin weder eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung oder Beweiswürdigung noch eine willkürliche Anwendung kantonalen Rechts. Insbesondere setzt sie sich in ihrer Beschwerdeschrift nicht mit dem Gutachten der W.________ GmbH vom 22. Januar 2009 auseinander.
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2. Die Beschwerdeführerin macht eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV geltend, da sich die Vorinstanz nicht mit ihrem Argument auseinandergesetzt habe, die eingetretenen Felsabbrüche seien nicht auf ein mangelhaft erstelltes Werk zurückzuführen, sondern bildeten adäquat kausale Folge von Naturgewalten.
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Erwägung 3
 
3.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über den Wald (Waldgesetz, WaG; SR 921.0). Sie macht geltend, die Steinschläge und Felsstürze beim Steinbruch seien als Naturereignisse im Sinne des WaG zu qualifizieren, selbst wenn diese durch menschliche Einflüsse allenfalls begünstigt worden seien. Aus den verschiedenen zwischen 1963 und 2007 erstellten Gutachten ergebe sich, dass die Felsabbrüche im Wesentlichen auf Kluftwassereintritte sowie geologische bzw. tektonische Instabilitäten und nicht auf einen mangelhaften Unterhalt oder einen nicht fachgemässen Abbaubetrieb zurückzuführen seien. In Anbetracht der fortbestehenden Gefährdung von Menschen und erheblichen Sachwerten greife eine staatliche Schutzpflicht im Sinne des WaG zur Vermeidung solcher Naturgefahren. Eine (vollumfängliche) Überwälzung der damit verbundenen Kosten auf betroffene Private sei gesetzlich nicht vorgesehen.
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3.2. Gemäss Art. 1 Abs. 2 WaG soll das Gesetz dazu beitragen, dass Menschen und erhebliche Sachwerte vor Lawinen, Rutschungen und Steinschlag (Naturereignisse) geschützt werden. Wo es der Schutz von Menschen und erheblichen Sachwerten erfordert, sind die Kantone nach Art. 19 WaG im Kapitel "Schutz vor Naturereignissen" verpflichtet, die Anrissgebiete von Lawinen sowie Rutsch-, Erosions- und Steinschlaggebiete zu sichern.
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3.3. Die Vorinstanz hat erwogen, der ehemalige Steinbruch sei als Baute und Anlage im Sinne von Art. 22 RPG (SR 700) zu qualifizieren. Eine Renaturierung im Sinne einer stabilen Verbindung mit der natürlichen Umgebung habe sich nicht ergeben. Gemäss Art. 168 des Gesetzes des Kantons Nidwalden vom 24. April 1988 über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht (Baugesetz/NW, BauG/NW; NR 611.1) seien alle Bauten und Anlagen so zu erstellen und zu unterhalten, dass weder Menschen, Tiere noch Sachen gefährdet würden. Art. 168 BauG/NW gelte in Analogie zur Werkeigentümerhaftung nach Art. 58 OR als gewöhnliche Kausalhaftung (Zustandshaftung) und stelle eine genügende Rechtsgrundlage dar, um die Grund- und Werkeigentümerin zur Durchführung der (dringend) notwendigen Sicherheitsmassnahmen auf eigene Kosten zu verpflichten. Ein Verschulden der Werkeigentümerin sei nicht vorausgesetzt.
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3.4. Im Gutachten der W.________ GmbH vom 22. Januar 2009, auf welches die Vorinstanz in ihrer Begründung entscheidend abstellt, wird ausgeführt, alle dokumentierten Felsstürze der letzten Jahrzehnte am Bürgenstock seien im ehemaligen Steinbruch Obermatt aufgetreten. Obschon das Gelände dort extrem steil sei, habe man zuerst den Fuss des 150 m breiten Steinbruchs abgetragen und in Kauf genommen, auf diese Weise in der oberen Wandhälfte grosse Felsüberhänge (aus nicht abbauwürdigen Gesteinen) zu schaffen. Dass hierdurch grosse, steil hangauswärts (seewärts) geneigte "Störungsflächen" freigelegt worden seien, welche die überhängenden Felspakete "hinterschneiden" würden, sei entweder nicht bedacht, nicht bemerkt oder ignoriert worden. In Anbetracht der ungünstigen natürlichen Gegebenheiten sei die gewählte Abbaumethode völlig falsch gewesen. Die grossen Felsstürze in den Jahren 1963, 1964 und 2007 seien die zwangsläufige Konsequenz der unsachgemässen technischen Eingriffe in das natürliche Stabilitätsgleichgewicht des Hangs gewesen. Die Serie von Felsstürzen im ehemaligen Steinbruch sei mit anderen Worten ein anthropogen (durch menschliche Einwirkung) ausgelöster "Dominoeffekt".
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3.5. Das Bundesamt für Umwelt BAFU hat in seiner Stellungnahme im bundesgerichtlichen Verfahren vom 16. August 2013 festgehalten, Steinschläge und Felsstürze seien dann als Naturereignisse im Sinne von Art. 1 Abs. 2 und Art. 19 WaG zu qualifizieren, wenn sie durch die Natur ausgelöst würden. Nicht vom Geltungsbereich des Gesetzes erfasst würden demgegenüber vom Menschen verursachte Massenbewegungen. Aus dem Gutachten der louis Ingenieurgeologie GmbH vom 22. Januar 2009 gehe eindeutig hervor, dass das Schadenspotenzial und die Eintrittswahrscheinlichkeit der natürlichen Erosionsprozesse durch die intensiven und unsachgemässen menschlichen Eingriffe derart vergrössert worden seien, dass nicht mehr von natürlichen Prozessen gesprochen werden könne. Bei den Steinschlägen und Felsstürzen am Steinbruch Obermatt handle es sich daher nicht um Naturereignisse im Sinne des WaG, weshalb dieses Gesetz vorliegend nicht anwendbar sei.
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3.6. Die Beschwerdeführerin rügt, wie erwähnt, in ihrer Beschwerde keine willkürliche Beweiswürdigung. Es ist aber auch nicht ersichtlich, inwiefern die von der Vorinstanz im angefochtenen Urteil übernommenen Einschätzungen der W.________ GmbH unhaltbar sein sollten, zumal auch das Bundesamt für Umwelt BAFU die Ansicht der Gutachterin teilt. Für das Bundesgericht besteht kein Anlass, von der Bewertung des Bundesamts für Umwelt BAFU als Fachbehörde abzuweichen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin sind die Steinschläge und Felsstürze beim ehemaligen Abbaugebiet damit nicht als Naturereignisse im Sinne des WaG zu qualifizieren, weshalb die Vorinstanz dieses Gesetz zu Recht für nicht anwendbar erklärt hat. Dass die Vorinstanz in diesem Zusammenhang anderweitig Bundesrecht verletzt oder Art. 168 BauG/NW willkürlich angewendet hätte, wird von der Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht.
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Erwägung 4
 
4.1. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe das Bundesgesetz vom 21. Juni 1991 über den Wasserbau (SR 721.100) zu Unrecht nicht (von Amtes wegen) angewendet. Bei den Steinschlägen und Felsstürzen, die zu Flutwellen führten, handle es sich um schädliche Auswirkungen des Wassers im Sinne des Gesetzes. Die Kosten für Massnahmen nach dem Wasserbaugesetz könnten ihr nicht (vollumfänglich) überbunden werden.
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4.2. Dieses Vorbringen der Beschwerdeführerin ist zwar neu. Gemäss Art. 99 BGG dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Abs. 1). Neue Begehren sind unzulässig (Abs. 2).
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4.3. Das Gesetz über den Wasserbau bezweckt gemäss dessen Art. 1 Abs. 1 den Schutz von Menschen und erheblichen Sachwerten vor schädlichen Auswirkungen des Wassers, insbesondere Überschwemmungen, Erosionen und Feststoffablagerungen (Hochwasserschutz). Nach Art. 3 des Gesetzes gewährleisten die Kantone den Hochwasserschutz in erster Linie durch den Unterhalt der Gewässer und durch raumplanerische Massnahmen (Abs. 1). Reicht dies nicht aus, so müssen Massnahmen wie Verbauungen, Eindämmungen, Korrektionen, Geschiebe- und Hochwasserrückhalteanlagen sowie alle weiteren Vorkehrungen, die Bodenbewegungen verhindern, getroffen werden (Abs. 2).
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4.4. Das Bundesamt für Umwelt BAFU hat in seiner Eingabe vom 16. August 2013 betont, die Ausführungen in der Botschaft (BBl 1988 II 1389), wonach vom Gesetz über den Wasserbau auch Gefährdungen erfasst sind, "bei denen das Gewässer die Gefährdung weitergibt wie etwa die Rutschung von Seitenhängen", bezögen sich auf Hangrutschungen, welche durch ein Hochwasser ausgelöst würden, nicht aber auf den umgekehrten Fall, in welchem Hangrutschungen Auslöser eines Hochwassers seien. Damit von einer schädlichen Auswirkung des Wassers im Sinne des Gesetzes gesprochen werden könne, müsse die Gefährdung unmittelbar vom Wasser ausgehen und nicht nur vom Wasser verbreitet werden. Das Gesetz über den Wasserbau sei demnach weder auf Schutzmassnahmen am Steinbruch selbst noch auf allfällige Schutzmassnahmen gegen durch Felsstürze ausgelöste Flutwellen auf der anderen Seeseite anwendbar.
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4.5. Diese Ausführungen des Bundesamts für Umwelt BAFU als Fachbehörde überzeugen. Sie stehen in Einklang mit dem Wortlaut (Art. 1 Abs. 1) und dem Sinn und Zweck des Gesetzes über den Wasserbau, welches den Schutz vor schädlichen Folgen übermässiger Wassereinwirkung verfolgt. Auch andere Ursachen wie durch menschliche Dispositionen verursachte Felsstürze und damit indirekte Auswirkungen des Wassers zu erfassen, würde den gesetzlichen Anwendungsbereich überdehnen.
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5. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind keine zuzusprechen, da die Politische Gemeinde Ennetbürgen im Rahmen ihres amtlichen Wirkungskreises obsiegt (Art. 68 Abs. 3 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Politischen Gemeinde Ennetbürgen, dem Regierungsrat des Kantons Nidwalden, dem Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden, Verwaltungsabteilung, und dem Bundesamt für Umwelt schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 16. Januar 2014
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Der Gerichtsschreiber: Stohner
 
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