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Informationen zum Dokument  BGer 1C_570/2013  Materielle Begründung
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BGer 1C_570/2013 vom 07.01.2014
 
{T 1/2}
 
1C_570/2013
 
 
Urteil vom 7. Januar 2014
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Aemisegger, Merkli,
 
Gerichtsschreiber Haag.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
1. Alma Redzic,
 
2. Luca Maggi,
 
handelnd durch Alma Redzic,
 
3. Yannick Zryd,
 
handelnd durch Alma Redzic,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Regierungsrat des Kantons Zürich, Kaspar Escher-Haus, Neumühlequai 10, 8090 Zürich.
 
Gegenstand
 
kantonale Volksabstimmung vom 9. Juni 2013 über die Änderung des Gesetzes über den Beitritt zum Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen,
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 22. Mai 2013 des Regierungsrats des Kantons Zürich.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Mit Beschluss vom 5. November 2012 erliess der Kantonsrat des Kantons Zürich eine Änderung des Gesetzes über den Beitritt zum Konkordat über die Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen (im Folgenden: Konkordat; BGE 137 I 31). Damit trat der Kanton Zürich den von der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) am 2. Februar 2012 vorgenommenen Änderungen des Konkordats vom 15. November 2007 bei. Gegen den Beschluss wurde das Volksreferendum ergriffen. Der Regierungsrat des Kantons Zürich setzte am 27. März 2013 die Volksabstimmung auf den 9. Juni 2013 an und genehmigte die Abstimmungszeitung, die den Beleuchtenden Bericht zur Vorlage enthält.
1
B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 4. Juni 2013 beantragen Alma Redzic, Luca Maggi und Yannick Zryd, der Entscheid des Regierungsrats vom 22. Mai 2013 sei aufzuheben, und die Angelegenheit sei dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich zur Behandlung zu überweisen. Eventualiter seien die Ergebnisse der kantonalen Volksabstimmung vom 9. Juni 2013 aufzuheben.
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C. Die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich beantragt im Namen des Regierungsrats die Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdeführer haben auf eine Stellungnahme zur Vernehmlassung des Regierungsrats verzichtet.
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D. Mit Präsidialverfügung vom 7. Juni 2013 wurde ein Antrag der Beschwerdeführer auf Verschiebung der Volksabstimmung abgewiesen.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Mit der Beschwerde nach Art. 82 lit. c BGG kann beim Bundesgericht die Verletzung von politischen Rechten geltend gemacht werden. Dazu zählt die Rüge, Abstimmungserläuterungen seien mangelhaft oder nicht hinreichend neutral und objektiv, was eine zuverlässige und unverfälschte Willensbildung und -äusserung der Stimmberechtigten im Sinne von Art. 34 Abs. 2 BV verhindere (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_385/2012 vom 17. Dezember 2012, in: ZBl 114/2013 524 E. 1.2).
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1.2. Gemäss Art. 88 Abs. 2 Satz 1 BGG müssen die Kantone ein Rechtsmittel gegen behördliche Akte vorsehen, welche die politischen Rechte verletzen können. Vor dem Hintergrund der Rechtsweggarantie nach Art. 29a BV und der Zielsetzungen des Bundesgerichtsgesetzes müssen die Kantone nach der Rechtsprechung als Rechtsmittelinstanz eine gerichtliche Behörde einsetzen (BGE 134 I 199 E. 1.2 S. 201 mit Hinweisen). Allerdings nimmt Artikel 88 Abs. 2 Satz 2 BGG Akte des Parlaments und der Regierung ausdrücklich aus. Für diese Akte steht es den Kantonen frei, ein kantonales Rechtsmittel vorzusehen oder nicht.
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1.2.1. Nach § 44 lit. a des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Zürich vom 24. Mai 1959 (VRG; LS 175.2) ist die Beschwerde an das kantonale Verwaltungsgericht unzulässig in Stimmrechtssachen gegen erstinstanzliche Anordnungen und Einspracheentscheide des Regierungsrates. Der Regierungsrat erklärt, der Bestimmung liege die Überlegung zugrunde, dass solche Akte im Zusammenhang mit der Durchführung einer Volksabstimmung von verhältnismässig grosser politischer Bedeutung seien, weshalb dem Verwaltungsgericht im Sinn von Art. 88 Abs. 2 Satz 2 BGG hier keine Rechtsprechungsfunktion übertragen worden sei. Statt dessen bestehe im Kanton Zürich ein Einspracheverfahren, in dem der Regierungsrat in Kenntnis der Einwände gegen seinen Akt nochmals entscheiden könne.
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1.2.2. Zu den Akten der Regierung im Sinne von Art. 88 Abs. 2 Satz 2 BGG zählen nach Lehre und Rechtsprechung nicht nur Entscheide und Erlasse, sondern auch Realakte im Zusammenhang mit Wahlen und Abstimmungen, namentlich Abstimmungserläuterungen und -informationen (Urteil des Bundesgerichts 1C_124/2009 vom 29. Juni 2009 E. 2.2.2; Gerold Steinmann, Bundesgerichtsgesetz, Basler Kommentar, 2. Auflage 2011, Art. 88 N. 13; Thomas Pfisterer, Der kantonale Gesetzgeber vor der Reform der Bundesrechtspflege, in: Ehrenzeller/ Schweizer, Die Reorganisation der Bundesrechtspflege - Neuerungen und Auswirkungen in der Praxis, St. Gallen 2006, S. 306; vgl. auch Hansjörg Seiler/Nicolas von Werdt/Andreas Güngerich, Bundesgerichtsgesetz, Art. 88 N. 11: Interventionen der Regierung in den Abstimmungskampf; s. auch Urteil des Bundesgerichts 1C_385/2012 vom 17. Dezember 2012, in: ZBl 114/2013 524 E. 1.2).
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1.2.3. Da gegen den Einspracheentscheid des Regierungsrats Beschwerde an das Bundesgericht erhoben werden kann, ist dem Antrag der Beschwerdeführer, die Angelegenheit an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich zu überweisen, nicht zu entsprechen.
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1.3. Die Beschwerdeführer sind als im Kanton Zürich wohnhafte Stimmberechtigte zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 3 BGG). Auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, so dass auf die Beschwerde eingetreten werden kann.
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Erwägung 2
 
2.1. Die Beschwerdeführer rügen die Verletzung des Gebots der Neutralität, Objektivität und Sachlichkeit der Abstimmungserläuterungen. Sie machen namentlich geltend, dass sich die beiden abgedruckten Fotos deutlich vom Text abheben, womit das Auge der Leserinnen und Leser an den Bildern und nicht am Text hängen bleibe. Die Fotos würden Ängste und Emotionen auslösen und das Sachlichkeitsgebot grob missachten. Der Anspruch der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger auf freie Willensbildung und unverfälschte Stimmabgabe werde verletzt. Ins Gewicht falle auch, dass nicht erwähnt werde, dass die beiden Fotos vom Stadtzürcher Derby Grasshoppers (GC) gegen Fussballclub Zürich (FCZ) vom Oktober 2011 stammten, das abgebrochen worden sei. Bei diesem Fussballspiel habe es sich um einen absoluten Extrem- und Ausnahmefall gehandelt.
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2.2. Die in Art. 34 Abs. 2 BV als Grundrecht verankerte Abstimmungsfreiheit gibt den Stimmberechtigten Anspruch darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt. Es soll garantiert werden, dass jeder Stimmberechtigte seinen Entscheid gestützt auf einen möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen und entsprechend mit seiner Stimme zum Ausdruck bringen kann. Die Abstimmungsfreiheit gewährleistet die für den demokratischen Prozess und die Legitimität direktdemokratischer Entscheidungen erforderliche Offenheit der Auseinandersetzung (BGE 139 I 2 E. 6.2 S. 13 f.; 138 I 61 E. 6.2 S. 82; 135 I 292 E. 2 S. 293, je mit Hinweisen).
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2.3. Stellt das Bundesgericht im Vorfeld einer Abstimmung oder bei deren Durchführung Mängel fest, so hebt es den Urnengang nur auf, wenn die gerügten Unregelmässigkeiten erheblich sind und das Ergebnis beeinflusst haben können. Die Beschwerdeführenden müssen in einem solchen Fall allerdings nicht nachweisen, dass sich der Mangel auf das Ergebnis der Abstimmung entscheidend ausgewirkt hat. Es genügt, dass nach dem festgestellten Sachverhalt eine derartige Auswirkung im Bereich des Möglichen liegt. Mangels einer ziffernmässigen Feststellbarkeit der Auswirkung eines Verfahrensmangels ist nach den gesamten Umständen und grundsätzlich mit freier Kognition zu beurteilen, ob der gerügte Mangel das Wahl- oder Abstimmungsergebnis beeinflusst haben könnte. Dabei ist auch die Grösse des Stimmenunterschiedes, die Schwere des festgestellten Mangels und dessen Bedeutung im Rahmen der Abstimmung mit zu berücksichtigen. Erscheint die Möglichkeit, dass die Abstimmung ohne den Mangel anders ausgefallen wäre, nach den gesamten Umständen als derart gering, dass sie nicht mehr ernsthaft in Betracht fällt, so kann von der Aufhebung der Abstimmung abgesehen werden (BGE 138 I 61 E. 4.7.2 S. 78; 135 I 292 E. 4.4 S. 301; 132 I 104 E. 3.3 S. 110; 130 I 290 E. 3.4 S. 296; je mit Hinweisen).
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Erwägung 3
 
3.1. Der Text des in der Abstimmungszeitung abgedruckten Beleuchtenden Berichts des Regierungsrats zur Vorlage betreffend die Änderung des Gesetzes über den Beitritt zum Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen wird in der vorliegenden Beschwerde nicht beanstandet. Diese bezieht sich ausschliesslich auf die Ergänzung des Texts mit zwei Bildern, welche Gewalttätigkeiten im Stadion anlässlich einer Sportveranstaltung zum Gegenstand haben. Die Bilder stammen vom Stadtzürcher Derby im Fussballspiel GC-FCZ vom 2. Oktober 2011, das abgebrochen wurde. Die Beschwerdeführer machen geltend, dass der Regierungsrat mit diesen Bildern die faire und offene Meinungsbildung in ungebührlicher Weise verfälscht habe.
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3.2. Die beiden verwendeten Farbfotos illustrieren das im Textteil behandelte Problem, das Grund für die Änderung des Konkordats ist: Die Gewalt bei Sportveranstaltungen, namentlich bei Fussball- und Eishockeyspielen. Auf dem Foto auf Seite 3 der Abstimmungserläuterungen ist eine grössere Anzahl vermummter, dunkel bekleideter Männer zu sehen; einige erheben lange Eisenstäbe und andere versuchen, über einen Sicherheitszaun zu klettern; ein Stadionsitz fliegt durch die Luft. Auf dem Foto auf Seite 4 verprügeln drei vermummte, dunkel bekleidete Männer eine Person.
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3.3. In der Abstimmungszeitung wird unter dem Titel "Gewalt und Sportveranstaltungen" ausgeführt, dass solche Veranstaltungen neben vielen positiven Aspekten auch negative Begleiterscheinungen aufweisen, wozu vor allem Gewalttätigkeiten an Fussball- und Eishockeyspielen gehörten. Die Fotos illustrieren das im Text zum Ausdruck gebrachte Problem bildlich. Sie stehen in einem klar verständlichen und direkten Zusammenhang mit Inhalt und Titel der Abstimmungsvorlage. Aus dem Text und den Bildern ergibt sich deutlich, dass es bei der Vorlage namentlich darum geht, gewaltbereite und gewalttätige Personen, wie sie auf den Bildern dargestellt werden, besser von Sportveranstaltungen fernzuhalten, als dies nach den bisherigen Bestimmungen des Konkordats möglich war. Die gewählten Bilder zeigen typische Merkmale des Verhaltens solcher Personen, die anlässlich von Sportveranstaltungen inner- und ausserhalb der Stadien die Konfrontation suchen. Dazu gehören namentlich die Vermummung sowie die Zweckentfremdung von zum Teil zunächst versteckt gehaltenen oder für friedliche Zwecke verwendeten Gegenständen (z.B. Stangen, die von Fahnen als Fanutensilien stammen). Das Konkordat dient der Vorbeugung gegen die auf den Fotos gezeigte Gewaltausübung bei Sportveranstaltungen und ermöglicht die Ergreifung von Massnahmen gegen Personen, die anlässlich solcher Veranstaltungen auf diese Weise Gewalt ausüben. Insoweit kann den Darstellungen die Sachbezogenheit nicht generell abgesprochen werden.
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3.4. Das Bundesgericht hebt Wahlen oder Abstimmungen wegen Verfahrensmängeln nur auf, wenn die gerügten Unregelmässigkeiten erheblich sind und das Ergebnis beeinflusst haben könnten (s. E. 2.3 hiervor).
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4. Die Beschwerde ist aus den genannten Gründen abzuweisen. Bei diesem Ausgang sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens den Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 und 5 BGG). Den unterliegenden Beschwerdeführern steht keine Parteientschädigung zu (Art. 68 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern und dem Regierungsrat des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 7. Januar 2014
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Der Gerichtsschreiber: Haag
 
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