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Informationen zum Dokument  BGer 6B_385/2012  Materielle Begründung
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BGer 6B_385/2012 vom 21.12.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6B_385/2012
 
Urteil vom 21. Dezember 2012
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Mathys, Präsident,
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
 
Bundesrichter Schöbi,
 
Gerichtsschreiber Briw.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Advokat Thierry P. Julliard,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
1. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, 4001 Basel,
 
2. Y.________, vertreten durch Advokatin Kathrin Bichsel,
 
Beschwerdegegnerinnen.
 
Gegenstand
 
Mehrfache Vergewaltigung usw.,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 28. März 2012.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Y.________ (Jahrgang 1988) lernte den 28 Jahre älteren X.________ im August 2004 kennen. Ab Mitte August 2005 machte sie bei ihm eine Lehre als Automechanikerin. Er bedrängte sie mit seiner Forderung nach einem "Freistoss". Sie könne die Lehre bei ihm nur machen, wenn sie ihm sexuell gefällig sei. Es folgten während sechs Jahren Sexualkontakte.
 
B.
 
Das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt erklärte am 6. Juli 2011 X.________ der mehrfachen Vergewaltigung, der versuchten Vergewaltigung, der sexuellen Nötigung, der mehrfachen sexuellen Handlungen mit einer Abhängigen und des mehrfachen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung schuldig. Es verurteilte ihn zu 3 Jahren Freiheitsstrafe, davon 24 Monate mit bedingtem Strafvollzug bei einer Probezeit von 2 Jahren, und zu einer Busse von Fr. 200.--.
 
X.________ und die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt erhoben Berufung. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt bestätigte am 28. März 2012 das strafgerichtliche Urteil im Schuldpunkt. Es verurteilte X.________ zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und zu einer Busse von Fr. 200.--.
 
C.
 
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das appellationsgerichtliche Urteil aufzuheben und ihn von der versuchten und der mehrfachen Vergewaltigung sowie der sexuellen Nötigung freizusprechen. Eventuell sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Das Bundesgericht stützt sein Urteil auf den Sachverhalt, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG).
 
Der Beschwerdeführer legt seiner Beschwerde eine eigene Würdigung des Sachverhalts zugrunde, ohne eine willkürliche vorinstanzliche Beweiswürdigung explizit vorzubringen und substanziiert zu begründen (Art. 42 Abs. 2 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG). Die Vorbringen sind appellatorisch. Darauf ist nicht einzutreten (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3; 134 II 244 E. 2.2).
 
2.
 
Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei mangels Nachweises der Widerstandsunfähigkeit oder einer ausweglosen Situation der Geschädigten zu Unrecht wegen versuchter sowie mehrfacher Vergewaltigung und wegen sexueller Nötigung schuldig gesprochen worden. Die angesichts der gewaltdeliktischen Natur von Art. 189 und Art. 190 StGB erforderliche erhebliche Einwirkung auf die Freiheit der sexuellen Selbstbestimmung sei nicht erreicht worden. Die Verurteilung wegen sexueller Handlungen mit einer Abhängigen (Art. 188 Ziff. 1 StGB) rechtfertige höchstens eine Freiheitsstrafe von einem Jahr, wenn die Liebesbeziehung berücksichtigt werde. Die Verurteilung wegen mehrfachen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung werde nicht angefochten.
 
3.
 
3.1 Die Vorinstanz hält fest, das Anfassen von Brüsten und Beinen einer Frau gegen deren ausdrücklichen Willen sei eine sexuelle Nötigung im Sinne von Art. 189 StGB. Sie bestätigt den Schuldspruch zu Recht (Urteil S. 6).
 
3.2 Die Vorinstanz führt zu den Vergewaltigungsvorwürfen aus, der Beschwerdeführer habe die Ängstlichkeit der Geschädigten ausgenützt. Nach einem misslungenen ersten Versuch (Urteil S. 7 f.) sei es zu verschiedenen Sexualkontakten gemäss Anklageschrift gekommen, welche das Strafgericht zu Recht als mehrfache Vergewaltigung qualifiziert habe. Der Beschwerdeführer habe die Geschädigte durch Androhung von Nachteilen unter enormen Druck gesetzt und diesen Druck mit seinem weiteren Verhalten verstärkt. Sein unermüdliches Drängen der Geschädigten, ihm sexuell entgegenzukommen, die Schikanen und die für die Umgebung ersichtliche Verärgerung, mit welcher er regelmässig auf Zurückweisungen reagiert habe, hätten dem Mädchen im Laufe der Zeit keinen anderen Ausweg mehr offen gelassen, als sich in das ihm Unausweichliche zu fügen (Urteil S. 8).
 
3.3 Wer eine Person weiblichen Geschlechts zur Duldung des Beischlafs nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft (Art. 190 Abs. 1 StGB).
 
Art. 190 StGB bezweckt den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung und erfasst alle erheblichen Nötigungsmittel. Es soll ebenfalls das Opfer geschützt werden, das in eine ausweglose Situation gerät, in der es ihm nicht zumutbar ist, sich dem Vorhaben des Täters zu widersetzen, auch wenn dieser keine Gewalt anwendet (BGE 131 IV 167 E. 3.1). Prinzipiell genügt der ausdrückliche Wille, den Geschlechtsverkehr nicht zu wollen. Die Art. 189 Abs. 1 und Art. 190 Abs. 1 StGB "tendent à protéger la libre détermination en matière sexuelle, en réprimant de manière générale la contrainte dans ce domaine, ayant pour objet d'amener une personne, sans son consentement, à faire ou subir l'acte sexuel ou un autre acte d'ordre sexuel" (BGE 122 IV 97 E. 2b). Der entgegenstehende Wille muss unzweideutig manifestiert werden. Die von der Rechtsprechung geforderte Widersetzlichkeit des Opfers ist nichts anderes als eine tatkräftige und manifeste Willensbezeugung, mit welcher dem Täter unmissverständlich klargemacht wird, den Geschlechtsverkehr oder die sexuelle Handlung nicht zu wollen. Unter dem Nötigungsmittel der Gewalt ist nicht mehr verlangt als das Mass an körperlicher Kraftentfaltung, das notwendig ist, um sich über diese entgegenstehende Willensbetätigung hinwegzusetzen. Ebenso verhält es sich mit dem Nötigungsmittel des Unter-psychischen-Druck-Setzens. Dieses muss eine der Gewaltanwendung oder Bedrohung vergleichbare Intensität erreichen (BGE 131 IV 167 E. 3.1 S. 171). Darunter ist nicht mehr verlangt, als die psychische Einwirkung auf das Opfer, die darauf gerichtet ist, dessen geleisteten oder erwarteten Widerstand zu brechen (vgl. Urteil 6B_304/2012 vom 8. November 2012 E. 2.2 mit Hinweis).
 
3.4 Die Vorinstanz begründet unter weiterer Verweisung auf das strafgerichtliche Urteil das Nötigungsmittel hinsichtlich der mehrfachen Vergewaltigung damit, dass der Beschwerdeführer die Ängstlichkeit der Geschädigten ausgenützt und sie mit der Androhung von Nachteilen unter enormen Druck gesetzt habe (Urteil S. 8). Insbesondere hatte er die Geschädigte "am rechten Nerv getroffen", wie ihre Mutter aussagte, als er ihr erklärte, er werde dafür sorgen, dass die kleine Schwester wieder ins Heim müsse. Zu ihr hatte die Geschädigte eine sehr enge Bindung und war für sie fast wie eine Mutter. Um ihr eine Heimplatzierung zu ersparen, gab sie dem Druck nach, zumal dieser Druck auch auf die Familienangehörigen übergegangen war, welche angesichts des wütenden Beschwerdeführers annahmen, die Geschädigte habe sich wieder falsch benommen (Urteil S. 6 f.). Nach dem strafgerichtlichen Urteil (S. 25 f.) baute der Beschwerdeführer eine psychische Drucksituation auf, die so immens war, dass der ursprüngliche Widerstand der Geschädigten gebrochen wurde. Dies wurde dadurch begünstigt, dass sie seitens der Familie keinerlei Unterstützung und Hilfestellung erwarten konnte. Die Mutter hatte den Kontakt abgebrochen, und der Vater hatte jeglichen Kontakt abgelehnt. Sie wurde mit Ausgrenzung und Schikanierungen bestraft, wenn sie den Wünschen des Beschwerdeführers nicht entsprach. Ihr damaliges Zuhause (vgl. unten E. 4), ihre Berufsausbildung und damit ihre Zukunft hingen vom Beschwerdeführer ab. Er setzte diese soziale Abhängigkeit als Druckmittel ein. In der Anfangsphase hatte die Geschädigte das Schutzalter kaum überschritten. Das Strafgericht weist in seinem Urteil (S. 22) zutreffend auf die Rechtsprechung hin, wonach solches Drangsalieren geeignet ist, einem jungen, unsicheren Menschen, der kein soziales Auffangnetz hat, zu zermürben und damit unerträglichem Druck auszusetzen. Ihr Nachgeben erscheint unter diesen Umständen verständlich (BGE 126 IV 124 E. 3b und c).
 
Die Schuldsprüche wegen versuchter sowie mehrfacher Vergewaltigung und wegen sexueller Nötigung verletzen kein Bundesrecht.
 
4.
 
Die Vorinstanz geht mit dem Strafgericht von einem schweren Verschulden aus. Sie nimmt aber an, das Strafgericht habe zu Unrecht zugunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt, dass dieser nicht nur Macht und Dominanz gezeigt habe, sondern wohl auch Gefühle für die Geschädigte gehabt und bekundet habe. Diese Gefühle hätten sich erst im Laufe der Beziehung entwickelt. Zu Beginn, als er die Vergewaltigungen und die sexuelle Nötigung begangen habe, könne davon keine Rede sein. Er habe einen "Freistoss" gewollt, weil ihm dieser seiner Meinung nach angesichts seiner Grosszügigkeit, dem Mädchen eine Lehrstelle zu bieten, zugestanden habe, und nicht, weil er verliebt gewesen sei. Er wolle nicht wahrhaben, was er ihr angetan habe. Nicht berücksichtigt habe das Strafgericht, dass die Geschädigte zur Zeit der ersten Übergriffe durch das Jugendamt bei Sohn und Schwiegertochter des Beschwerdeführers in Pflege gegeben war. Das sei ihm bekannt gewesen, weshalb seine Übergriffe besonders schwer wiegen. Die strafgerichtlich ausgesprochene dreijährige Freiheitsstrafe erscheine zu milde (Urteil S. 13 f.).
 
Angesichts dieses Sachverhalts war keine Liebesbeziehung zu berücksichtigen. Das Strafmass ist nicht zu beanstanden.
 
5.
 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abzuweisen (Art. 64 BGG). Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist mit herabgesetzten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 und Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 21. Dezember 2012
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Mathys
 
Der Gerichtsschreiber: Briw
 
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