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Informationen zum Dokument  BGer 1B_598/2012  Materielle Begründung
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BGer 1B_598/2012 vom 11.12.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1B_598/2012
 
Urteil vom 11. Dezember 2012
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Merkli, Karlen,
 
Gerichtsschreiber Mattle.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Alain Joset,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren; Ausstand,
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 16. August 2012 des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Appellationsgerichtspräsidentin.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Gegen X.________ wurde nach einem Vorfall vom 3. Juni 2012 wegen Verdachts auf Angriff, Drohung gegen Behörden und Beamte, Köperverletzung, Sachbeschädigung und Landfriedensbruch ein Strafverfahren eröffnet. Ihm wird vorgeworfen, im Zusammenhang mit einer unbewilligten Party zusammen mit 30 bis 50 weiteren Personen an einem Angriff gegen verschiedene Polizeibeamte und einen als Privatperson anwesenden Staatsanwalt beteiligt gewesen zu sein, die sich aufgrund des Musiklärms sowie der tumultartigen Vorgänge zum Ort der Party begeben hatten. Dabei sollen die Angreifer insbesondere gegen den Staatsanwalt sowie einen Polizeibeamten Fusstritte und Fausthiebe ausgeteilt, einem weiteren Polizisten eine Glasflasche an den Kopf geworfen und eine Scheibe eingeschlagen haben.
 
B.
 
Am 18. Juni 2012 beantragte X.________, sämtliche Staatsanwälte des Kantons Basel-Stadt hätten in den Ausstand zu treten. Mit Eingabe vom 2. August 2012 hielt er ergänzend fest, das Ausstandsbegehren beziehe sich auf alle im Strafverfahren gegen ihn ermittelnden Staatsanwälte. Am 16. August 2012 entschied die Präsidentin des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, das Ausstandsgesuch werde abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden könne.
 
C.
 
Dagegen hat X.________ am 11. Oktober 2012 Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht erhoben. Er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei anzuordnen, dass das Strafverfahren gegen ihn von einem unabhängigen Staatsanwalt zu leiten sei. Sämtliche bisherigen Verfahrenshandlungen seien aufzuheben und zu wiederholen. Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt und die Appellationsgerichtspräsidentin haben auf eine Vernehmlassung verzichtet und beantragen die Abweisung der Beschwerde.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Angefochten ist ein letztinstanzlicher (vgl. Art. 59 Abs. 1 StPO [SR 312.0]) kantonaler Entscheid über ein Ausstandsbegehren. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen zulässig (vgl. Art. 78 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1 und Art. 92 Abs. 1 BGG). Als Beschuldigter ist der Beschwerdeführer zur Beschwerde berechtigt (vgl. Art. 81 Abs. 1 lit. a und b BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten.
 
2.
 
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet einzig der angefochtene Entscheid und damit die Frage, ob die Vorinstanz das Ausstandsgesuch des Beschwerdeführers als unbegründet abweisen durfte. Das vom Beschwerdeführer vor Bundesgericht gestellte Begehren, es seien sämtliche bisherigen Verfahrenshandlungen aufzuheben und zu wiederholen, liegt ausserhalb des durch den angefochtenen Entscheid begrenzten Streitgegenstands. Insoweit ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.
 
3.
 
Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Entscheid verletze Art. 6 Abs. 2 und Art. 56 StPO sowie Art. 29 Abs. 1 BV.
 
3.1 Nach Art. 56 StPO hat eine in einer Strafbehörde tätige Person in den Ausstand zu treten, wenn ein ein Ausstandsgrund gemäss lit. a-f vorliegt. Hinsichtlich der Staatsanwaltschaft in ihrer Funktion als Strafuntersuchungs- und Anklagebehörde konkretisiert Art. 56 StPO den in Art. 29 Abs. 1 BV verankerten Anspruch jeder Person auf ein faires Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen. Die Garantie ist verletzt, wenn bei objektiver Betrachtungsweise Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen. Voreingenommenheit und Befangenheit werden nach der Rechtsprechung angenommen, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Solche Umstände können in einem bestimmten Verhalten des betreffenden Richters oder in gewissen äusseren Gegebenheiten funktioneller und organisatorischer Natur begründet sein. Bei der Beurteilung solcher Umstände ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken (BGE 138 IV 142 E. 2.1 S. 144 f.; 137 I 227 E. 2.1 S. 229; je mit Hinweisen). Vom Staatsanwalt als Untersuchungs- und Anklagebehörde ist Sachlichkeit, Unbefangenheit und Objektivität namentlich insofern zu erwarten, als er sich vor Abschluss der Untersuchung grundsätzlich nicht darauf festlegen darf, dass dem Beschuldigten ein strafbares Verhalten zur Last zu legen sei. Auch hat er den entlastenden Indizien und Beweismitteln ebenso Rechnung zu tragen wie den belastenden (Art. 6 Abs. 2 StPO; BGE 127 I 196 E. 2d S. 199).
 
3.2 Der Beschwerdeführer beruft sich auf Art. 56 lit. f StPO, wonach eine in einer Strafbehörde tätige Person in Ausstand zu treten hat, wenn sie aus anderen als den in lit. a-e genannten Gründen, insbesondere wegen Freundschaft (vgl. auch den französischen Gesetzestext: "un rapport d'amitié étroit") oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte. Der Beschwerdeführer macht geltend, die das Strafverfahren leitende Staatsanwältin arbeite in der gleichen Abteilung wie der an der Auseinandersetzung vom 3. Juni 2012 beteiligte Staatsanwalt, welcher sich im Strafverfahren als Privatkläger konstituiert habe. Aufgrund der beruflichen Nähe zwischen der das Strafverfahren leitenden Staatsanwältin und der als Privatkläger beteiligten Person sei die Unabhängigkeit der Staatsanwältin in Frage zu stellen. Dass zwischen diesen beiden Personen eine über das Berufsverhältnis hinausgehende Freundschaft bestehe, könne nicht nachgewiesen werden. Schon aufgrund der engen beruflichen Verbindung lägen aber Umstände vor, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit erwecken würden.
 
3.3 Ein kollegiales Verhältnis bzw. die berufliche Beziehung zwischen der in der Strafbehörde tätigen Person und einer Verfahrenspartei oder deren Rechtsbeistand begründen noch keinen Ausstandsgrund, sofern keine weiteren, konkreten Umstände auf mangelnde Unvoreingenommenheit schliessen lassen (vgl. ANDREAS J. KELLER, in: Donatsch/ Hansjakob/Lieber, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2010, N. 26 zu Art. 56). Wie die Vorinstanz zu Recht festgehalten hat, vermag bei objektiver Betrachtung allein der Umstand, dass sowohl die das Strafverfahren leitende Staatsanwältin als auch die als Privatkläger am Strafverfahren beteiligte Person in der allgemeinen Abteilung der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt beschäftigt sind, den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit nicht zu erwecken. Dass zwischen diesen beiden Personen eine über das Arbeitsverhältnis hinausgehende freundschaftliche Beziehung besteht, wird vom Beschwerdeführer nicht dargetan. Auch sonst sind keine Gründe ersichtlich, die bei objektiver Betrachtungsweise den Anschein der Befangenheit erwecken könnten. Unter diesen Umständen darf von der das Strafverfahren führenden Staatsanwältin erwartet werden, dass sie sich vor Abschluss der Untersuchung grundsätzlich nicht darauf festlegt, dem Beschuldigten sei ein strafbares Verhalten zur Last zu legen, und dass sie den entlastenden Indizien und Beweismitteln ebenso Rechnung trägt wie den belastenden. Daran, dass bei objektiver Betrachtungsweise keine Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit zu begründen vermögen, ändert auch der Einwand des Beschwerdeführers nichts, die das Strafverfahren leitende Staatsanwältin sei indirekt mitverantwortlich dafür, ob und wie ihr Berufskollege mit seinen Zivilforderungen im Strafprozess durchdringen werde.
 
3.4 Vor der Vorinstanz hat der Beschwerdeführer nicht nur den Ausstand der das Strafverfahren leitenden Staatsanwältin, sondern sämtlicher bzw. sämtlicher im Strafverfahren gegen ihn ermittelnden Staatsanwälte der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt beantragt. Wie dem angefochtenen Entscheid zu entnehmen ist, hat die Vorinstanz das Ausstandsgesuch in diesem Sinne entgegengenommen und abgewiesen, soweit sie darauf eintrat. Der Beschwerdeführer macht vor Bundesgericht nicht geltend und den Akten ist nicht zu entnehmen, dass weitere Staatsanwälte der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt am Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer beteiligt wären bzw. gewesen wären. Für sie gälte jedenfalls das Gleiche wie für die das Strafverfahren leitende Staatsanwältin: Allein der Umstand, dass sie wie die als Privatkläger am Strafverfahren beteiligte Person in der allgemeinen Abteilung oder sonst als Staatsanwälte der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt beschäftigt sind, vermag den Anschein der Befangenheit bei objektiver Betrachtungsweise nicht zu erwecken und weitere Umstände, die dies täten, werden vom Beschwerdeführer nicht dargetan.
 
4.
 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er ersucht indes um unentgeltliche Rechtspflege. Da die Voraussetzungen von Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen werden.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.
 
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.
 
2.2 Advokat Alain Joset wird aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- ausgerichtet.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Appellationsgerichtspräsidentin, und dem Strafgericht Basel-Stadt (act. SG.2012.295) schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 11. Dezember 2012
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Der Gerichtsschreiber: Mattle
 
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