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Informationen zum Dokument  BGer 5A_826/2012  Materielle Begründung
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BGer 5A_826/2012 vom 05.12.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
5A_826/2012
 
Urteil vom 5. Dezember 2012
 
II. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
 
Bundesrichter Marazzi, von Werdt,
 
Gerichtsschreiber Zbinden.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Advokat Dieter Roth,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Amtsarzt des Bezirkes Y.________.
 
Gegenstand
 
Kosten- und Entschädigungsregelung im Verfahren der fürsorgerischen Freiheitsentziehung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 1. Kammer, vom 17. August 2012.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
A.a X.________ (geb. 1958) war vom 24. bis 28. März 2006 erstmals kurzzeitig in der Psychiatrischen Klinik A.________ hospitalisiert. Seit Kurzem befindet sie sich in ambulanter psychiatrischer Behandlung. Ihren eigenen Angaben zufolge interessiert sie sich zunehmend für Esoterik, unter anderem für Kartenlegen und Pendeln, wobei sie glaubt, ihre Fähigkeiten auch für die Unterstützung der Terror- und Verbrechensbekämpfung einsetzen zu können. In diesem Zusammenhang verfasste sie zahlreiche E-Mails an das deutsche Bundeskriminalamt (BKA). Letztmals wandte sie sich am 7. August 2012 per E-Mail an B.________ vom BKA, wobei sich dieser Mail folgende Aussagen entnehmen lassen:
 
"[Es geht mir] sehr schlecht bis nahe am Tod, es ist nicht zu glauben, wohl bald genug, um die Welt in die Luft zu sprengen... inklusive mir selbst!!! Wohl bald genug, um loszulassen, für immer....wohl bald genug, um aufzugeben, so gänzlich ohne ein einziges Wort der Liebe und keinerlei Aussicht darauf...."
 
"Nur Polizisten, die allesamt erschossen gehören [....]."
 
"Ich werde Menschen ermorden, wie Osama Binladen, B.________, ich weiss das !!! Es wohl bald soweit und Du weisst darum..."
 
A.b Nachdem ein Stier vom Hof von X.________ ausgebrochen war, benachrichtigte der Nachbar die Polizei, welcher X.________ allerdings den Zutritt zu ihrem Hof verweigerte. Sie wurde in der Folge am 9. August 2012 auf dem Polizeiposten Y.________ zur Sache befragt. Aufgrund der ausgesprochenen Drohungen wurde der Amtsarzt beigezogen, der bei X.________ eine psychotische Störung diagnostizierte und sie gleichentags wegen unklaren Gefährdungspotentials im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung in die Psychiatrische Klinik A.________ einwies.
 
B.
 
Die anwaltlich vertretene X.________ gelangte gegen die Einweisung mit Eingabe vom 10. August 2012 an das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau. An dessen Verhandlung vom 17. August 2012 hörte das Gericht die Betroffene und deren Vertreter sowie die Ärztin der Klinik A.________, Dr. med. C.________ und die Stationsleiterin D.________ sowie die gerichtliche Sachverständige Dr. med. E.________ an. Mit Urteil vom gleichen Tag hob das Verwaltungsgericht die fürsorgerische Freiheitsentziehung per 17. August 2012 auf und überband der Betroffenen die Hälfte der Kosten des Verfahrens von Fr. 1'166.--, wobei sie diesen Betrag zufolge der gewährten unentgeltlichen Rechtspflege einstweilen unter Vorbehalt der Nachzahlung vormerkte. Des weiteren wies sie die Obergerichtskasse an, der Beschwerdeführerin die vor Verwaltungsgericht entstandenen Parteikosten in der Höhe von Fr. 2'068.-- unter Vorbehalt späterer Nachzahlung zur Hälfte (Fr. 1'034.30) zu ersetzen.
 
C.
 
X.________ hat gegen das ihrem Anwalt am 10. Oktober 2012 zugestellte begründete Urteil des Verwaltungsgerichts am 9. November 2012 (Postaufgabe) beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Unrechtmässigkeit der Anordnung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung festzustellen; ferner seien ihr keine Gerichtskosten aufzuerlegen und ihr die Parteikosten von Fr. 2'068.-- in vollem Umfang zu ersetzen. Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens seien dem Kanton Aargau aufzuerlegen und ihr im Fall des Unterliegens die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
 
Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Angefochten ist ein letztinstanzlicher Endentscheid (Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG) betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung und damit ein öffentlich-rechtlicher Entscheid in engem Zusammenhang mit dem Zivilrecht, der grundsätzlich der Beschwerde in Zivilsachen unterliegt (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG). Die beanstandeten Regelungen der Gerichts- und Parteikosten sind Teil des Endentscheides in der Sache und können somit ungeachtet ihres Streitwertes mit dem gleichen Rechtsmittel wie der Sachentscheid angefochten werden (BGE 137 III 47).
 
1.2 Obwohl die Entlassung der Beschwerdeführerin aus der Anstalt angeordnet worden ist, hat ihr das Verwaltungsgericht - entgegen der Praxis anderer Kantone - einen Teil der Gerichtskosten auferlegt und ihre Entschädigung für das verwaltungsgerichtliche Verfahren gekürzt. Damit aber verfügt die Beschwerdeführerin trotz erfolgter Entlassung über ein aktuelles schützenswertes Interesse an der Behandlung der Beschwerde (Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG). Daran ändert nichts, dass der Beschwerdeführerin im kantonalen Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege gewährt worden ist: Die Vormerkung der Gerichtskosten und die Auszahlung der Parteikosten durch den Staat erfolgten unter dem ausdrücklichen Vorbehalt späterer Rückforderung.
 
1.3 Die Beschwerdeführerin ersucht zusätzlich um Feststellung der Unrechtmässigkeit der fürsorgerischen Freiheitsentziehung. Feststellungsbegehren sind vor Bundesgericht zulässig, wenn das schutzwürdige Interesse nicht ebenso gut mit einem Leistungsbegehren bzw. rechtsgestaltenden Antrag gewahrt werden kann (BGE 123 III 49 E. 1a S. 51; 126 II 300 E. 2c S. 303). Die Beschwerdeführerin verlangt zur Hauptsache, dass ihre keine Gerichtskosten überbunden und eine volle Parteientschädigung zugesprochen werden. Inwiefern ihr schützwürdiges Interesse mit den genannten Leistungsbegehren bzw. Unterlassungsbegehren nicht gewahrt wird, unterlässt sie indes auszuführen. Auf das Feststellungsbegehren ist nicht einzutreten.
 
1.4 Die Beschwerde ist zu begründen (Art. 42 Abs. 2 BGG). Mit ihr ist in gedrängter Form durch Auseinandersetzung mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen, welche Vorschriften und warum sie vom Obergericht verletzt worden sein sollen. Allgemein gehaltene Einwände, die ohne aufgezeigten oder erkennbaren Zusammenhang mit bestimmten Entscheidungsgründen vorgebracht werden, genügen nicht (BGE 116 II 745 E. 3 S. 749; 5A_92/2008 vom 25. Juni 2008 E. 2.3). Die Begründung muss in der Beschwerdeschrift selbst enthalten sein; auf blosse Verweise auf andere Rechtsschriften ist nicht einzutreten (BGE 116 II 92 E. 2 S. 93 f.; BGE 126 III 198 E. 1d S. 201; 131 III 384 E. 2.3 S. 387 f.; zur Weitergeltung dieser Rechtsprechung für die Beschwerde in Zivilsachen vgl. Urteile 4A_115/2007, E. 2.1; 4A_137/2007, E. 4). Verfassungsverletzungen werden nur geprüft, wenn sie gerügt und gehörig begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 IV 286 E. 1.4 S. 287; 134 I 83 E. 3.2. S. 88 mit Hinweisen). Die Beschwerde vermag diesen Anforderungen über weite Strecken nicht zu genügen. Insoweit ist darauf nicht einzutreten.
 
2.
 
Infolge der Entlassung der Beschwerdeführerin aus der fürsorgerischen Freiheitsentziehung ist die Beschwerde auf die Kosten- und Entschädigungsregelung beschränkt, die sich gemäss den Ausführungen der Vorinstanz nach § 31 Abs. 2 bzw. § 34 Abs. 1 und 2 des aargauischen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 4. Dezember 2007 (VRPG; SAR 271.200) richtet. Ist somit einzig die Anwendung kantonalen Rechts und nicht die Rechtmässigkeit der fürsorgerischen Freiheitsentziehung als solche streitig, drängt es sich auf, die Voraussetzungen der fürsorgerischen Freiheitsentziehung nicht frei, sondern nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür zu prüfen (zum Willkürbegriff: BGE 138 I 49 E. 7.1 S. 51; 137 I 1 E. 2.4 S. 5).
 
3.
 
Das Verwaltungsgericht hat in einem ersten Schritt die Einweisung der Beschwerdeführerin als mit Art. 397a Abs. 1 ZGB vereinbar betrachtet. In einem zweiten Schritt hat es abgeklärt, ob die Zurückbehaltung in der Klinik im Lichte von Art. 397a Abs. 3 ZGB weiterhin aufrecht erhalten werden kann. Aufgrund dieser Prüfung hat es die Entlassung der Beschwerdeführerin angeordnet und wegen der Rechtmässigkeit der Einweisung die hier angefochtene Kosten- und Entschädigungsregelung getroffen. Strittig ist vorliegend, ob die Beschwerdeführerin anlässlich ihrer amtsärztlichen Einweisung in die Psychiatrische Klinik A.________ die Voraussetzungen von Art. 397a Abs. 1 ZGB erfüllte und ihr deshalb zu Recht ein Teil der Verfahrens- und Parteikosten auferlegt worden sind.
 
Die Einweisung bzw. die Zurückbehaltung in einer Anstalt gestützt auf Art. 397a Abs. 1 ZGB erfordert, dass die betroffene Person infolge der im Gesetz umschriebenen Schwächezustände persönlicher Fürsorge bedarf, die ihr nur in einer Anstalt gewährt werden kann (BGE 114 II 213 E. 5; siehe zum Ganzen: BGE 134 III 289 E. 4).
 
4.
 
Das Verwaltungsgericht ist aufgrund der Akten und der ärztlichen Befunde von einer psychischen Erkrankung in Form einer wahnhaften Störung ausgegangen und hat damit einen Schwächezustand im Sinn von Art. 397a Abs. 1 ZGB bejaht. Die Beschwerdeführerin bringt weder gegen die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts noch dessen Schluss auf einen gesetzlichen Schwächezustand etwas vor, was den Entscheid der Vorinstanz insoweit als willkürlich erscheinen liesse.
 
5.
 
Im Zusammenhang mit dem gesetzlich erforderlichen Bedarf an Fürsorge ist wesentlich, dass der Amtsarzt gemäss der Einweisungsverfügung in der Beschwerdeführerin eine Person vorfand, die in einem fort vor sich hinredete (Redeschwall). Erwähnt werden im Weiteren Perseverationen sowie eine Fixierung auf ihr geschehendes Unrecht. Dem Amtsarzt lag aber auch die an das BKA gerichtete E-Mail der Beschwerdeführerin vom 7. August 2012 vor (vgl. Sachverhalt A), aus dessen im Sachverhalt wiedergegebenen Auszug sich klar eine Suizidabsicht der Beschwerdeführerin ergibt; im Weiteren droht sie darin mit der Ermordung anderer Menschen. Aufgrund dieser tatsächlichen Ausgangslage durfte die Vorinstanz entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin eine konkrete Selbstgefährdung sowie einen Fürsorgebedarf in Form der Stabilisierung des bestehenden Gesundheitszustandes und der Behandlung der festgestellten Krankheit annehmen. Es lag eine akute Situation vor, die den Arzt zum Handeln drängte. Bei der geschilderten Sachverhaltslage ist die Einweisung der Beschwerdeführerin nicht willkürlich.
 
6.
 
Ist die Einweisung gestützt auf Art. 397a Abs. 1 ZGB unter dem Aspekt der Willkür nicht zu beanstanden, so erweist sich die angefochtene Kosten- und Entschädigungsregelung als haltbar und damit nicht willkürlich, zumal die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang nicht substanziiert behauptet, kantonales Verwaltungsverfahrensrecht sei willkürlich angewendet worden.
 
7.
 
Damit ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
8.
 
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren ist abzuweisen, da sich die Beschwerde als von Anfang an aussichtslos erwiesen hat (Art. 64 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin dem Amtsarzt des Bezirkes Y.________ und dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 5. Dezember 2012
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Hohl
 
Der Gerichtsschreiber: Zbinden
 
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