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Informationen zum Dokument  BGer 2C_175/2012  Materielle Begründung
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BGer 2C_175/2012 vom 04.10.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
2C_175/2012
 
Urteil vom 4. Oktober 2012
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichterin Aubry Girardin,
 
nebenamtlicher Bundesrichter Camenzind,
 
Gerichtsschreiber Winiger.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Mehrwertsteuer, Schwarztorstrasse 50, 3003 Bern, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
X.________,
 
Beschwerdegegner, vertreten durch SwissInterTax AG.
 
Gegenstand
 
Mehrwertsteuer (1. Semester 2002 - 2. Semester 2004; "Verkauf über die Gasse"),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I, vom 23. Januar 2012.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________ (im Folgenden: der Steuerpflichtige) betreibt in der Rechtsform einer Einzelfirma in Zürich einen Verpflegungskiosk. Er bietet Sandwiches, Backwaren sowie diverse kalte und warme Getränke an und ist im Register der Eidgenössischen Steuerverwaltung (im Folgenden: ESTV) für Mehrwertsteuerpflichtige eingetragen. Die ESTV erteilte ihm am 15. Januar 2001 die Bewilligung, nach der Saldosteuersatzmethode für "Cafetier, Verpflegungskioske" mit einem Satz von 0,6 % abzurechnen.
 
In der Folge gelangte der Treuhänder des Steuerpflichtigen am 11. Juni 2001 mit einer schriftlichen Anfrage an die ESTV und erkundigte sich, ob auch nach einem Umbau des kleinen Gebäudes mit dem Saldosteuersatz abgerechnet werden dürfe, wenn die Stadt Zürich als Eigentümerin damit einige Sitzgelegenheiten schaffe, die auch von Kunden des Verpflegungskiosks genutzt werden könnten. Aufgrund der telefonisch erteilten Antwort hielt der Treuhänder in einer Aktennotiz fest, dass dies seiner Einschätzung nach weiterhin möglich sei. In der Folge errichtete die Stadt Zürich drei Stehtische mit neun bis zwölf Plätzen sowie acht Tische mit 24 Sitzplätzen.
 
B.
 
Im April 2005 erfolgte durch die ESTV vor Ort eine Steuerkontrolle. Diese ergab, dass spätestens ab dem 1. Mai 2002 Konsumationseinrichtungen bestanden, womit die Vorgaben für einen gastgewerblichen Betrieb mit Konsumationsmöglichkeiten erfüllt waren. Deshalb widerrief die ESTV die Bewilligung zur Anwendung des Saldosteuersatzes für Take-away ohne Konsumationsmöglichkeit für den Steuerzeitraum vom 1. Mai 2002 bis zum 31. Dezember 2004. Gleichzeitig erliess die ESTV eine Ergänzungsabrechnung und forderte damit total geschuldete Steuern im Betrag von Fr. 102'849.25 nach. Sie ging aufgrund ihrer Prüfung davon aus, dass der Steuerpflichtige keine organisatorische Trennung zwischen den gastgewerblichen Leistungen und dem "Verkauf über die Gasse" (Take-away) vorgenommen habe.
 
Nachdem der Steuerpflichtige einen anfechtbaren Entscheid verlangt hatte, hielt die ESTV mit Verfügung vom 14. Februar 2006 fest, dass sie vom Steuerpflichtigen zu Recht für die Zeit vom 1. Mai 2002 bis 31. Dezember 2004 Fr. 102'849.25 Mehrwertsteuer (zuzüglich Verzugszins) nachgefordert habe. Gegen diesen Entscheid erhob der Steuerpflichtige am 16. März 2006 Einsprache, welche von der ESTV mit Einspracheentscheid vom 26. Januar 2011 abgewiesen wurde.
 
C.
 
Hiergegen gelangte der Steuerpflichtige mit Beschwerde vom 28. Februar 2011 an das Bundesverwaltungsgericht und beantragte die Aufhebung des Einspracheentscheides bzw. die nachträgliche Erhebung von Mehrwertsteuern im Umfange von Fr. 21'000.--. Das Bundesverwaltungsgericht hiess die Beschwerde mit Urteil vom 23. Januar 2012 im Sinne der Erwägungen gut, hob den Einspracheentscheid vom 26. Januar 2011 auf und wies die Sache zur Fällung eines neuen Entscheides an die ESTV zurück. Das Gericht kam zum Schluss, es müsse hier eine Ermessenstaxation vorgenommen werden, um die verschiedenen Umsätze zu ermitteln. Es sei nicht zulässig, für alle Umsätze den (höheren) Normalsatz zu belasten.
 
D.
 
Gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts führt die ESTV mit Eingabe vom 20. Februar 2012 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt, das angefochtene Urteil vom 23. Januar 2012 sei aufzuheben und der Einspracheentscheid der ESTV vom 26. Januar 2011 zu bestätigen.
 
Während das Bundesverwaltungsgericht auf eine Stellungnahme verzichtet, beantragt der Steuerpflichtige die Abweisung der Beschwerde.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit (Art. 29 Abs. 1 BGG) bzw. die Zulässigkeit des Rechtsmittels von Amtes wegen und mit freier Kognition (BGE 137 III 417 E. 1).
 
1.2 Gegen Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht gegeben (Art. 82 lit. a i.V.m. Art. 83, Art. 86 Abs. 1 lit. a BGG). Die ESTV ist zur vorliegenden Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG).
 
1.3 In der Sache selbst ist im bundesgerichtlichen Verfahren die Frage strittig, ob hier - wie die Vorinstanz angenommen hat - eine Ermessenstaxation vorzunehmen sei oder ob im Sinne der ESTV auf allen vom Steuerpflichtigen im fraglichen Zeitraum erbrachten Leistungen der Normalsatz anzuwenden sei. Mit der Gutheissung der Beschwerde und der Rückweisung der Sache hätte die ESTV weitere Berechnungen bzw. ergänzende Sachverhaltsabklärungen vorzunehmen. Die Aufgabe reicht über eine blosse, rein technische Umsetzung der oberinstanzlichen Anordnungen hinaus. Der Rückweisungsentscheid stellt sich nicht als (Quasi)-Endentscheid, sondern als Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG dar (Urteile 2C_835/2011 vom 4. Juni 2012 E. 1.3; 2C_705/2011 vom 26. April 2012 E. 1.3; 2C_645/2011 vom 12. März 2012 E. 1.3.1). Die Anfechtbarkeit des selbständig eröffneten Zwischenentscheides ergibt sich daraus, dass der Rückweisungsentscheid die ESTV zu einer aus ihrer Optik unrichtigen Ermessenseinschätzung zwingen kann. Diese könnte sie aller Voraussicht nach nicht mehr anfechten, was praxisgemäss einem nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur gleichkommt (BGE 134 II 124 E. 1.3 S. 128; 133 II 409 E. 1.2 S. 412; 133 V 477 E. 5.2 S. 483 ff.). Damit sind die Voraussetzungen gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG erfüllt und ist das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Januar 2012 selbständig anfechtbar. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben unter Vorbehalt des Nachfolgenden zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist somit grundsätzlich einzutreten.
 
1.4 Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 und 96 BGG geltend gemacht werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde vorgebrachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann die Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen, und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Trotz Rechtsanwendung von Amtes wegen prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), an sich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389; 134 III 102 E. 1.1 S. 104; 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht untersucht es in jedem Fall nur insoweit, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).
 
1.5 Im Streit liegt die Ermittlung der steuerbaren Umsätze, die der Steuerpflichtige in den Jahren 2002 bis 2004 mit seinem Verpflegungskiosk erzielt hat. Am 1. Januar 2010 ist das Bundesgesetz vom 12. Juni 2009 über die Mehrwertsteuer (MWSTG; SR 641.20) in Kraft getreten. Gemäss Art. 112 Abs. 1 MWSTG sind jedoch die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen - namentlich jene gemäss dem Bundesgesetz vom 2. September 1999 über die Mehrwertsteuer (aMWSTG; AS 2000 1300) - mit hier nicht interessierenden Ausnahmen weiterhin auf alle während ihrer Geltungsdauer eingetretenen Tatsachen und entstandenen Rechtsverhältnisse anwendbar; somit erfolgt die materielle Beurteilung im vorliegenden Fall noch nach den Bestimmungen des aMWSTG. Demgegenüber ist verfahrensrechtlich das neue Recht gemäss Art. 113 Abs. 3 MWSTG auf sämtliche im Zeitpunkt des Inkrafttretens hängigen Verfahren anwendbar (Urteil 2C_399/2011 vom 13. April 2012 E. 1.4, zur Publikation vorgesehen).
 
2.
 
2.1 Gemäss Art. 36 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 aMWSTG werden Lieferungen und der Eigenverbrauch von Ess- und Trinkwaren mit Ausnahme von alkoholischen Getränken zum reduzierten Satz von 2,4 % besteuert. Dies gilt jedoch nicht für Ess- und Trinkwaren, wenn die steuerpflichtige Person sie beim Kunden zubereitet bzw. serviert oder wenn sie für deren Konsum an Ort und Stelle besondere Vorrichtungen bereithält. In diesem Falle gilt der Normalsatz von 7,6 % (Art. 36 Abs. 3 aMWSTG in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 aMWSTG). Zum reduzierten Steuersatz abgerechnet werden dagegen Ess- und Trinkwaren die zum Mitnehmen oder zur Auslieferung bestimmt sind und wenn hierfür geeignete organisatorische Massnahmen getroffen worden sind (Art. 36 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 aMWSTG).
 
An dieser Rechtslage hat sich im Übrigen auch mit Inkrafttreten des neuen MWSTG nichts geändert (vgl. Art. 25 Abs. 1 sowie Art. 25 Abs. 2 lit. a Ziff. 2 bzw. Abs. 3 MWSTG).
 
2.2 Die Praxis der ESTV sowie Lehre und Rechtsprechung zeigen, dass die Abgrenzung der privilegiert besteuerten sog. Take-away-Leistungen von den ordentlich zu besteuernden Leistungen nicht immer einfach ist (vgl. dazu die detaillierte Regelung in der Branchenbroschüre Nr. 08 der ESTV, Hotel- und Gastgewerbe [610.540-08], insb. Ziffer 1.3.2 ff.). Die Praxis der ESTV geht davon aus, dass die Anwendung des reduzierten Satzes nur bei Einhaltung der dort aufgeführten strengen Anforderungen möglich ist (vgl. auch MOLLARD/ OBERSON/TISSOT BENEDETTO, Traité TVA, 2009, S. 641 ff.; MARTIN KOCHER, in: mwst.com, Kommentar zum Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer, 2000, N. 14 ff. insb. N. 27 zu Art. 36 aMWSTG).
 
Für das neue MWSTG wurden zwar verschiedene Begriffe in Art. 53 bis 56 der Mehrwertsteuerverordnung vom 27. November 2009 (MWSTGV; SR 641.201) detailliert geregelt, so etwa "Besondere Konsumvorrichtungen an Ort und Stelle" (Art. 54 MWSTGV), "Zum Mitnehmen oder zur Auslieferung bestimmte Nahrungsmittel" (Art. 55 MWSTGV) oder "Geeignete organisatorische Massnahme" (Art. 56 MWSTGV). Die Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen jedoch weiterhin (vgl. CAMENZIND/HONAUER/VALLENDER/JUNG/PROBST, Handbuch zum Mehrwertsteuergesetz [MWSTG], 3. Aufl. 2012, Rz 1557).
 
2.3 Das Bundesgericht hat sich bereits verschiedentlich mit Abgrenzungsfragen im Zusammenhang mit Take-away-Leistungen bzw. dem sog. "Verkauf über die Gasse" befasst. In BGE 123 II 16 E. 6f S. 29 hat es festgehalten, dass das vom Verordnungsgeber in Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 zweites Lemma der alten Verordnung über die Mehrwertsteuer vom 22. Juni 1994 (aMWSTV; AS 1994 1464) gewählte Unterscheidungsmerkmal - das Bereitstellen von besonderen Vorrichtungen zum Konsum an Ort und Stelle - für die Anwendung des ordentlichen Steuersatzes für gastgewerbliche Leistungen sachgerecht und zweckmässig ist. Diese Praxis wurde mit den Urteilen 2A.68/2003 vom 31. August 2004 E. 3.3 sowie 2C_662/2007 vom 23. Juli 2008 E. 2 bestätigt.
 
3.
 
3.1 Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass der Betrieb des Steuerpflichtigen in der fraglichen Zeit über verschiedene Konsumationseinrichtungen (Tische und Stühle) verfügte. Gemäss Art. 36 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 aMWSTG hatte dies für vor Ort konsumierte Leistungen eine Besteuerung als gastgewerbliche Leistungen zur Folge und führte für solche Leistungen zur Anwendung des Normalsatzes. Unbestritten ist auch, dass für Ess- und Trinkwaren die zum Mitnehmen bestimmt waren (Take-away-Leistungen), in dem hier zu beurteilenden Zeitraum keine organisatorischen Massnahmen getroffen wurden, die eine Anwendung des reduzierten Steuersatzes im Sinne von Art. 36 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 aMWSTG gerechtfertigt hätte.
 
Umstritten ist die Frage, ob das Nichteinhalten der für die Anwendung des reduzierten Satzes erforderlichen Voraussetzungen ("das Treffen von geeigneten organisatorischen Massnahmen") gemäss den Ausführungen der Vorinstanz zu einer Ermessenstaxation führt, oder ob die Anwendung des reduzierten Steuersatzes untrennbar mit dem Bestehen von organisatorischen Massnahmen zusammenhängt. Letzteres hätte zur Folge, dass bei Fehlen von solchen organisatorischen Massnahmen, keine Ermessenstaxation vorzunehmen ist, sondern zwingend für alle erbrachten Leistungen der Normalsatz angewendet wird, wie dies die ESTV verlangt.
 
3.2 Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Bestimmung. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach der wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente. Abzustellen ist namentlich auf die Entstehungsgeschichte der Norm und ihren Zweck sowie auf die Bedeutung, die der Norm im Kontext mit anderen Bestimmungen zukommt. Das Bundesgericht hat sich bei der Auslegung von Erlassen stets von einem Methodenpluralismus leiten lassen und hat nur dann allein auf den Wortlaut abgestellt, wenn sich daraus zweifelsfrei die sachlich richtige Lösung ergab. Sind mehrere Interpretationen denkbar, soll jene gewählt werden, welche die verfassungsrechtlichen Vorgaben am besten berücksichtigt (BGE 138 II 107 E. 5.2 S. 107 f.; 137 II 164 E. 4.1 S. 170; 135 II 416 E. 2.2 S. 418). Im Übrigen ist zu beachten, dass Ausnahmevorschriften weder extensiv noch restriktiv, sondern nach dem Sinn und Zweck der Bestimmungen im Rahmen der allgemeinen Regeln "richtig" auszulegen sind (BGE 138 II 251 E. 2.3.3 mit Hinweis).
 
3.2.1 Dem Wortlaut von Art. 36 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 aMWSTG ist zu entnehmen, dass für Ess- und Trinkwaren (ausgenommen alkoholische Getränke) grundsätzlich der reduzierte Satz zur Anwendung kommt (1. Halbsatz des ersten Satzes von Ziff. 2). Der reduzierte Steuersatz gilt im Sinne einer Ausnahme aber nicht für Ess- und Trinkwaren, die im Rahmen von gastgewerblichen Leistungen abgegeben werden (2. Halbsatz des ersten Satzes von Ziff. 2). Als gastgewerbliche Leistung gilt dabei die Abgabe von Ess- und Trinkwaren, wenn die steuerpflichtige Person sie beim Kunden zubereitet bzw. serviert oder wenn sie für deren Konsum an Ort und Stelle besondere Vorrichtungen bereit hält (1. Halbsatz des zweiten Satzes von Ziff. 2). Sind vor Ort Stühle, Bänke bzw. Tische, Theken usw. vorhanden, handelt es sich um solche besonderen Vorrichtungen, was grundsätzlich zu einer gastgewerblichen Leistung führt, für welche - wie im 1. Satz gesagt - der reduzierte Steuersatz nicht gilt. Der 2. Halbsatz des zweiten Satzes von Ziff. 2 hält sodann fest, dass der reduzierte Steuersatz Anwendung findet, wenn die Ess- und Trinkwaren zum Mitnehmen oder zur Auslieferung bestimmt und wenn hiefür geeignete organisatorische Massnahmen getroffen worden sind. Damit wird eine Ausnahme von der Ausnahme für gastgewerbliche Leistungen stipuliert und festgelegt, dass beim sog. Take-away-Geschäft im Ergebnis dennoch der reduzierte Satz zur Anwendung kommt.
 
Gemäss dem Wortlaut der für das Take-away-Geschäft in Art. 36 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 aMWSTG formulierten Bestimmung sind damit zwei Bedingungen verbunden: Verlangt wird, dass es sich a) um Ess- und Trinkwaren handelt, die zum Mitnehmen oder zur Auslieferung bestimmt sind und dass b) hierfür geeignete organisatorische Massnahmen getroffen werden. Dabei bezieht sich "hierfür" sprachlich auf das "Mitnehmen und die Auslieferung von Ess- und Trinkwaren". Der Beschwerdegegner weist deshalb darauf hin, aus dem reinen Wortlaut der Bestimmung könne geschlossen werden, dass beim Vorliegen von geeigneten organisatorischen Massnahmen die "hierfür", d.h. deshalb getroffen werden, um das Mitnehmen oder die Auslieferung sicherzustellen, (wie z.B. das Bereithalten von Papiertüten, Kartonbehältnissen oder Servietten), der reduzierte Steuersatz zur Anwendung kommen müsste.
 
3.2.2 Betrachtet man aber die Entstehungsgeschichte dieser Norm, so steht fest, dass eine solche Auslegung nicht Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist.
 
3.2.2.1 Ausgehend von der zu Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 zweites Lemma aMWSTV entwickelten Praxis der ESTV (vgl. dazu die Wegleitung 1997 für Mehrwertsteuerpflichtige, Rz. 213 ff. sowie die Branchenbroschüre Nr. 10 für das Gastgewerbe, Rz 2.37) stand unter dem Regime der aMWSTV fest, dass der reduzierte Satz nur dann zur Anwendung kommen sollte, wenn der "Verkauf über die Gasse" in räumlich und organisatorisch abgetrennten Verkaufsräumlichkeiten erfolgte. Demgegenüber lag z.B. beim Verkauf von Esswaren und alkoholfreien Getränken am Buffet eines Restaurants immer eine zum Normalsatz steuerbare gastgewerbliche Leistung vor (vgl. Branchenbroschüre Nr. 10 für das Gastgewerbe, Rz. 2.37).
 
3.2.2.2 Diese Praxis wurde unter dem Regime des aMWSTG fortgesetzt. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Präzisierung in Art. 36 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 aMWSTG wird von der ESTV so verstanden, dass der reduzierte Steuersatz bei Take-away-Lieferungen nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn geeignete organisatorische Massnahmen zum Nachweis eines "Verkaufs über die Gasse" getroffen wurden. Konkret geht die ESTV davon aus, dass beim "Verkauf über die Gasse" durch gastgewerbliche Betriebe mit Konsumationseinrichtungen geeignete organisatorische Massnahmen zur Abgrenzung der Verkäufe von den gastgewerblichen Tätigkeiten vorliegen müssen (z.B. getrennte Kassen oder Kasse, die eine Aufteilung der verschiedenen Umsätze erlaubt) und dass aufgrund von Indizien nur gewisse Leistungen hierfür in Frage kommen (vgl. dazu Wegleitung 2001 zur Mehrwertsteuer, Rz. 129 ff. und Branchenbroschüre Nr. 08 der ESTV, a.a.O., Rz 1.3 zweites Lemma sowie Rz. 1.3.2.1 und 1.3.2.2).
 
3.2.2.3 Aus den Materialien zum aMWSTG ergibt sich, dass die neu im Gesetz eingefügte Formulierung "sind hierfür geeignete organisatorische Massnahmen getroffen worden" primär bezweckte, ein Kriterium zu finden, das zur Abgrenzung gegenüber der ohne Serviceleistungen erbrachten Lieferungen diente. Entscheidendes Kriterium für gastgewerbliche Leistungen ist der Service (vgl. dazu den Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats vom 28. August 1996 zur Parlamentarischen Initiative Dettling, BBl 1996 773 zu Art. 34 Ziff. 1). Als Abgrenzungskriterium ist der Servicebegriff aber nur beschränkt tauglich. Aus diesem Grunde sollte der ESTV mit der oben zitierten Formulierung - im Einklang mit BGE 123 II 16 - ermöglicht werden, für gemischte Betriebe, die sowohl Take-away-Leistungen als auch gastgewerbliche Leistungen vor Ort erbringen, praktikable Abgrenzungen vornehmen zu können (vgl. Votum Speck, AB 1999 N 340 f; Voten Brändli, Merz und Bundesrat Villiger, AB 1998 S 985 ff.). Die Votanten waren sich dabei einig, dass die "geeigneten organisatorischen Massnahmen" wirksame Kontrollen ermöglichen sollen und damit die Steuerpflichtigen in die Lage versetzt werden, die verschiedenen Steuersätze sauber auseinanderzuhalten und damit auch die Steuer korrekt abzurechnen.
 
3.2.3 Weder dem Gesetzeswortlaut noch den Materialien kann jedoch entnommen werden, welche Rechtsfolgen sich für die nicht vor Ort konsumierten Leistungen ergeben, wenn der Steuerpflichtige die für die Abgrenzung der zum Mitnehmen bestimmten zu den an Ort und Stelle konsumierten Trink- und Esswaren vorgesehenen organisatorischen Massnahmen nicht vornimmt. Würde man der Auffassung der ESTV folgen und die organisatorischen Massnahmen als konstitutives Element für die Unterstellung unter den Normal- bzw. den reduzierten Satz betrachten, so widerspräche dies vorab dem Aufbau der Bestimmung von Art. 36 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 aMWSTG. Diese geht nämlich davon aus, dass für Ess- und Trinkwaren (ohne alkoholische Getränke) grundsätzlich der reduzierte Steuersatz gilt (1. Halbsatz des ersten Satzes) und dass dies folgerichtig auch für Ess- und Trinkwaren zu gelten hat, die zur Mitnahme oder Auslieferung bestimmt sind (2. Halbsatz des zweiten Satzes).
 
Überdies hätte die Auffassung der ESTV zur Folge, dass alle Leistungen durch die vor Ort konsumierten Umsätze zum Normalsatz miterfasst und damit im Ergebnis sämtliche Leistungen, die von einem Take-away-Stand abgegeben werden, mit dem Normalsatz besteuert würden. Eine solche Auslegung, wie sie von der ESTV verlangt wird, widerspricht damit aber Sinn und Zweck der Gesetzgebung, die eine bewusste Unterscheidung zwischen Leistungen getroffen hat, die zum Normal- bzw. zu einem reduzierten Satz besteuert werden.
 
Im Übrigen wäre die Auffassung der ESTV auch nicht mit dem in Art. 8 BV enthaltenen Rechtsgleichheitsgebot zu vereinbaren, weil im Falle fehlender organisatorischer Massnahmen mit der Besteuerung sämtlicher Take-away-Leistungen zum Normalsatz eine Unterscheidung getroffen wird, die zu einer Ungleichbehandlung gegenüber den nicht im Zusammenhang mit Take-away-Lieferungen abgegebenen Ess- und Trinkwaren führt (vgl. BGE 136 II 457 E. 7 S. 468 f.; 135 V 361 E. 5.4.1 S. 369 f.).
 
4.
 
4.1 Das Bundesgericht hat für einen Fall, der noch Art. 27 aMWSTV betraf, ausgeführt, dass bei Hauslieferungen von Pizzas eine Ermessenstaxation vorzunehmen ist und die Anwendung des ermässigten Steuersatzes auf einem Teil des Umsatzes verweigert werden kann, wenn der Steuerpflichtige nicht genügend nachweist, dass es sich um Hauslieferungen handelt (BGE 123 II 16 E. 9c S. 34 f.). In einem anderen Fall, der eine ähnliche Frage betraf, nämlich die Abgrenzung von steuerbaren zu von der Besteuerung ausgenommenen Leistungen, hat das Bundesgericht entschieden, dass keine Schätzung vorzunehmen sei, sondern gewisse Leistungen zu fakturieren seien (BGE 126 II 443 E. 5 S. 450).
 
4.2 Die Vornahme einer Ermessenstaxation für Fälle, bei denen kein genügender Nachweis für die Anteile der zum Normalsatz und zum reduzierten Satz steuerbaren Leistungen gegeben ist, erscheint auch im vorliegenden Fall als sachgerecht, weil damit eine ungerechtfertigte Mehrbelastung für Leistungen, die dem reduzierten Satz unterliegen, vermieden werden kann.
 
Dies hat auch die ESTV in der Zwischenzeit offenbar erkannt und mit der Praxisänderung, welche zwar erst ab dem 1. Juli 2005 Gültigkeit hat (vgl. Praxisänderung der ESTV ab 1. Juli 2005, Ziff. 2.10) festgestellt, dass gemischte Betriebe sowie Imbissbars oder -stände ihre zum Normalsatz steuerbaren gastgewerblichen Leistungen mit einer Pauschale abrechnen dürfen, sofern sie über nicht mehr als 20 Sitz- oder Stehplätze verfügen. Die übrigen Verkäufe von Ess- und Trinkwaren "über die Gasse" unterliegen dabei dem reduzierten Steuersatz, auch wenn die erwähnten organisatorischen Massnahmen (inkl. Abgabe eines Kassenzettels) nicht durchgeführt wurden. Damit wird von der ESTV - wenn auch nur für Betriebe, welche über nicht mehr als 20 Sitz- oder Stehplätze verfügen - anerkannt, dass das Treffen von geeigneten organisatorischen Massnahmen keine zwingende Voraussetzung für die Anwendung des reduzierten Steuersatzes für die übrigen "Verkäufe über die Gasse" ist.
 
4.3 Daraus ergibt sich zusammenfassend Folgendes: Aufgrund einer sachgerechten Auslegung von Art. 36 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 aMWSTG ist davon auszugehen, dass bei Ess- und Trinkwaren, die zum Mitnehmen oder zur Auslieferung bestimmt sind, geeignete organisatorische Massnahmen getroffen werden müssen, damit diese von den vor Ort konsumierten Leistungen unterschieden werden können. Fehlt es an solchen organisatorischen Massnahmen, so führt dies nicht automatisch zur Anwendung des Normalsatzes für alle Leistungen. Vielmehr muss im Rahmen einer Ermessenstaxation eine Aufteilung der Umsätze in solche, welche zum Normalsatz und solche, welche zum reduzierten Satz zu besteuern sind, vorgenommen werden. Dies erscheint in jedem Falle dann als richtig, wenn - wie hier - feststeht, dass tatsächlich Leistungen zum reduzierten Satz erbracht worden sind. Zudem darf auf den Kassenzetteln gegenüber den Leistungsempfängern nicht der höhere Normalsatz ausgewiesen worden sein, was nach dem Grundsatz "fakturierte Steuer gleich geschuldete Steuer" eine Anwendung des reduzierten Satzes verunmöglichen würde. Hier liegen jedoch keine Hinweise vor, dass dies im vorliegenden Falle so gewesen sein könnte.
 
5.
 
Die Beschwerde erweist sich demnach als unbegründet und ist abzuweisen. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens der Beschwerdeführerin, die Vermögensinteressen wahrnimmt, aufzuerlegen (Art. 65 f. BGG). Diese hat dem Beschwerdegegner zudem eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit insgesamt Fr. 4'000.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 4. Oktober 2012
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Der Gerichtsschreiber: Winiger
 
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