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Informationen zum Dokument  BGer 6B_344/2012  Materielle Begründung
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BGer 6B_344/2012 vom 01.10.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6B_344/2012
 
Urteil vom 1. Oktober 2012
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Schneider, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter Denys,
 
Bundesrichter Schöbi,
 
Gerichtsschreiber Boog.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas Gattlen,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Schützengasse 1, 9001 St. Gallen,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Falsche Anschuldigung; Willkür,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom 7. März 2012.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________ lenkte am 24. September 2004 trotz auf unbestimmte Zeit verfügten Führerausweisentzugs einen Lieferwagen. Um ca. 09.30 Uhr geriet er auf der Flaachtalstrasse in Volken wegen übersetzter Geschwindigkeit in eine Radarkontrolle. In der Folge wurde ihm eine Übertretungsanzeige zugestellt, auf die er nicht reagierte. Bei der polizeilichen Einvernahme vom 18. Dezember 2004 gab er zu diesem Vorfall wahrheitswidrig an, während des ganzen Monates September 2004 sei immer A.________ mit dem Lieferwagen gefahren.
 
B.
 
Das Kreisgericht Rheintal erklärte X.________ mit Entscheid vom 23. März/6. April 2011 aufgrund dieses und eines anderen Sachverhalts der mehrfachen falschen Anschuldigung sowie verschiedener Vermögens-, Urkunden- und Strassenverkehrsdelikte schuldig und verurteilte ihn - teilweise im Zusatz zum Entscheid des Bezirksgerichts Zürich vom 6. Dezember 2004 - zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten, unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungs- und Sicherheitshaft und mit bedingtem Strafvollzug bei einer Probezeit von 4 Jahren. In einem Punkt sprach es ihn frei, in weiteren Punkten stellte es das Verfahren ein. Ferner ordnete es die mit Entscheid des Bezirksgerichts Zürich vom 6. Dezember 2004 bedingt aufgeschobene Gefängnisstrafe von 18 Monaten, abzüglich 50 Tagen Untersuchungshaft, zum Vollzug an. Schliesslich behaftete es X.________ bei der Anerkennung der Zivilforderungen.
 
Auf Berufung des Beurteilten hin sprach das Kantonsgericht St. Gallen X.________ mit Urteil vom 7. März 2012 in einem Punkt von der Anklage der falschen Anschuldigung frei. Hinsichtlich der übrigen Schuld- und Freisprüche sowie im Zivilpunkt bestätigte es das angefochtene Urteil. Es verurteilte X.________ zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten, unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungs- und Sicherheitshaft. Die Strafe schob es im Umfang von zehn Monaten unter Auferlegung einer Probezeit von zwei Jahren bedingt auf. Vom Widerruf der mit Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 6. Dezember 2004 bedingt ausgesprochenen Gefängnisstrafe von 18 Monaten sah es ab.
 
C.
 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht, mit der er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben, er sei vom Vorwurf der falschen Anschuldigung freizusprechen und der Entscheid sei zur Neuregelung der Strafzumessung sowie der Kostenfolgen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
D.
 
Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Die Vorinstanz nimmt an, für die Ahndung einer Geschwindigkeitsüberschreitung als Übertretung sehe das Ordnungsbussengesetz ein vereinfachtes Verfahren vor. Das Ordnungsbussenverfahren sei vom Prinzip der Anonymität geprägt. Soweit die Busse innert Frist bezahlt werde, sei die Identität des Täter nicht von Bedeutung. Sofern der Fahrzeughalter, gegen den typischerweise die Ordnungsbusse ausgestellt werde, seine Täterschaft indes bestreite, bedürfe es polizeilicher Ermittlungen zur Feststellung der Täterschaft, so dass die Anonymität des Ordnungsbussenverfahrens dahinfalle. In solchen Fällen werde das Ordnungsbussenverfahren verlassen und ein ordentliches Strafverfahren eingeleitet. In Anbetracht des Schutzbereichs der Strafnorm von Art. 303 StGB könne keine falsche Anschuldigung ergehen, solange die Anonymität des Ordnungsbussenverfahrens gewahrt werde. Im vorliegenden Fall habe der Beschwerdeführer auf die ihm zugestellte Übertretungsanzeige nicht reagiert und sei die Busse nicht fristgerecht bezahlt worden. Bei der rund zwei Monate später erfolgten polizeilichen Befragung habe der Beschwerdeführer als Täter der Geschwindigkeitsüberschreitung A.________ angegeben. Mit der Weigerung, seine Täterschaft einzugestehen, habe er in Kauf genommen, dass die Anonymität des Ordnungsbussenverfahrens dahingefallen sei und die Polizei weitere Schritte zur Ermittlung zur Täterschaft unternommen habe. Das Verhalten des Beschwerdeführers lasse keinen anderen Schluss zu, als dass er in der Absicht gehandelt bzw. zumindest in Kauf genommen habe, dass gegen A.________ eine Strafverfolgung herbeigeführt werde (Urteil S. 8 f.).
 
1.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, der Betroffene habe Anspruch auf die Durchführung des Ordnungsbussenverfahrens, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür erfüllt seien. Das Ordnungsbussenverfahren komme auch zur Anwendung, wenn der Täter nicht an Ort und Stelle angehalten werden könne und seine Identität deshalb zuerst ermittelt werden müsse. Aus diesem Grund hätte A.________ als fälschlicherweise Beschuldigter Anspruch auf die Durchführung dieses Verfahrens gehabt. Der Umstand, dass er (der Beschwerdeführer) jenen anlässlich der polizeilichen Einvernahme vom 18. Dezember 2004 als angeblichen Täter genannt habe, führe nicht zur Aufhebung dessen Anonymität. Die Nennung des A.________ als Täter in einem Ordnungsbussenverfahren erfülle den Tatbestand von Art. 303 StGB nicht. Damit sei auch der Schluss der Vorinstanz, er habe zumindest eventualvorsätzlich ein Strafverfahren gegen jenen in Gang setzen wollen, willkürlich. Denn er habe nicht eine Rechtsfolge in Kauf nehmen können, die aufgrund der Rechtslage gar nicht habe eintreten können (Beschwerde S. 4 ff.).
 
2.
 
2.1 Gemäss Art. 303 Ziff. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft, wer einen Nichtschuldigen wider besseres Wissen bei der Behörde eines Verbrechens oder Vergehens beschuldigt, in der Absicht, eine Strafverfolgung gegen ihn herbeizuführen. Betrifft die falsche Anschuldigung eine Übertretung, wird der Täter milder bestraft. Der Tatbestand der falschen Anschuldigung schützt in erster Linie die Zuverlässigkeit der Rechtspflege. Die Tathandlung führt zu einem unnützen Einsatz öffentlicher Mittel. Darüber hinaus schützt die Bestimmung auch die Persönlichkeitsrechte zu Unrecht Angeschuldigter mit Bezug auf deren Ehre, Freiheit, Privatsphäre, Vermögen usw. (BGE 136 IV 170 E. 2.1; 132 IV 20 E. 4.1 mit Hinweisen).
 
2.2 Übertretungen der Strassenverkehrsvorschriften des Bundes können nach dem Ordnungsbussengesetz vom 24. Juni 1970 (OBG; SR 741.03) in einem vereinfachten Verfahren mit Ordnungsbussen bis Fr. 300.-- geahndet werden (Art. 1 Abs. 1 und 2 OBG). Der Täter kann die Busse sofort oder innert 30 Tagen bezahlen (Art. 6 Abs. 1 OBG). Bei sofortiger Bezahlung wird eine Quittung ausgestellt, die den Namen des Täters nicht nennt (Art. 6 Abs. 2 OBG). Bezahlt der Täter die Busse nicht sofort, so erhält er ein Bedenkfristformular. Zahlt er innert Frist, so wird das Formular vernichtet. Andernfalls leitet die Polizei das ordentliche Verfahren ein (Art. 6 Abs. 3 OBG). Die Möglichkeit von Fristerstreckungen oder Ratenzahlungen besteht nicht (BGE 135 IV 221 E. 2.2). Mit der Bezahlung wird die Busse in der Regel rechtskräftig (vgl. Art. 8 OBG).
 
Nach der Rechtsprechung ist das Ordnungsbussenverfahren, wenn seine Voraussetzungen gegeben sind, zwingend anzuwenden (BGE 121 IV 375 E. 1a S. 377; 105 IV 136 E. 1-3). Eine Ordnungsbusse kann auch im ordentlichen Strafverfahren ausgefällt werden (Art. 11 Abs. 1 OBG).
 
Das abgekürzte Verfahren ist u.a. ausgeschlossen bei Widerhandlungen, die nicht von einem ermächtigten Polizeiorgan selber beobachtet wurden. Davon ausgenommen sind Geschwindigkeitskontrollen und Feststellung von Übertretungen durch automatische Überwachungsanlagen nach den Weisungen des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Art. 2 lit. b OBG), sofern die Überschreitung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit innerorts nicht mehr als 15 km/h, ausserorts nicht mehr als 20 km/h und auf Autobahnen nicht mehr als 25 km/h beträgt (vgl. Art. 3 OBG; Art. 1 der Ordnungsbussenverordnung vom 4. März 1996 [OBV; SR 741.031] und Ziff. 303.1. lit. c. Ziff. 303.2. lit d und Ziff. 303.3 lit. e Anhang 1 OBV).
 
2.3 Das angefochtene Urteil verletzt kein Bundesrecht.
 
Das Ordnungsbussenverfahren ist ein formalisiertes und rasches Verfahren, das schematisch für die gleichen Verstösse für alle schuldhaft handelnden Täter die gleichen Bussen und Vollzugsmodalitäten vorsieht (BGE 135 IV 221 E. 2.2, S. 223). Es dient der raschen und definitiven Erledigung der im Strassenverkehr massenhaft vorkommenden Übertretungen mit Bagatellcharakter mit möglichst geringem Verwaltungsaufwand (BGE 135 IV 221 E. 2.2, S. 223; 126 IV 97 E. 2b). Auch das nach dem Ordnungsbussengesetz abgewickelte Sonderverfahren für die in der Bussenliste abschliessend umschriebenen Verkehrsübertretungen bleibt aber ein Strafverfahren. Mit Inkrafttreten des Ordnungsbussengesetzes und der dazu gehörenden Verordnung wurden die Behörden lediglich davon befreit, bei jeder Parkzeitüberschreitung und anderen geringfügigen Übertretungen ein ordentliches Strafverfahren einzuleiten (vgl. RENÉ SCHAFFHAUSER, zur Entwicklung des Ordnungsbussenrechts im Strassenverkehr, AJP 1996, S. 1215). An der Natur des Verfahrens hat sich daran nichts geändert. Ordnungsbussen sind denn auch trotz ihrer Abhängigkeit von der Zustimmung des Täters echte Strafen und es gelten, abgesehen davon, dass Vorleben und persönliche Verhältnisse nicht berücksichtigt werden, die Grundsätze des Strafrechts (BGE 115 IV 137 E. 2b; vgl. auch Botschaft zum Entwurf eines Bundesgesetzes über Ordnungsbussen vom 14.5.1969, BBl 1969 I.2, S. 1093).
 
Was der Beschwerdeführer einwendet, dringt nicht durch. Insbesondere bildet die Frage, ob der fälschlicherweise Beschuldigte seinerseits Anspruch auf Durchführung des Ordnungsbussenverfahrens gehabt hätte, nicht Gegenstand des Verfahrens. Zu beurteilen ist das Verhalten des Beschwerdeführers bei der Befragung durch die Polizei, nicht das von ihm wahrheitswidrig A.________ zugeschriebene Verhalten im Strassenverkehr. Insofern ist ohne Bedeutung, ob die Nennung einer falschen Person als Täter dessen Anonymität durchbricht. Die Anonymität bezieht sich ausschliesslich auf die Bezahlung der Busse gemäss Art. 6 OBG und betrifft lediglich die Frage, ob und unter welchen Umständen die Auferlegung einer Ordnungsbusse Spuren hinterlässt. Daraus folgt nicht das Recht, bei der polizeilichen Befragung nach einer Geschwindigkeitskontrolle durch eine automatische Überwachungsanlage wahrheitswidrig eine andere Person als Fahrer anzugeben.
 
Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz hat der Beschwerdeführer die Busse nicht fristgerecht bezahlt und auf die ihm zugestellte Übertretungsanzeige nicht reagiert, so dass es zu einer polizeilichen Befragung kam (Urteil S. 9). Daraus ergibt sich, dass die Behörde ein ordentliches Verfahren eingeleitet hatte. Dies entspricht der Rechtsprechung, nach welcher bei unklarer Täterschaft der Sachverhalt im ordentlichen Verfahren ermittelt werden muss, da in einem solchen Fall nicht mehr ein problemlos zurechenbares Verschulden vorliegt (BGE 115 IV 137 E. 2c).
 
Dass der Beschwerdeführer bei der polizeilichen Befragung wider besseres Wissen einen Nichtschuldigen der Geschwindigkeitsüberschreitung beschuldigt und in Kauf genommen hat, dass gegen diesen die Strafverfolgung herbeigeführt wird, steht ausser Frage und bedarf keiner weiterer Erörterungen.
 
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet.
 
3.
 
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang trägt der Beschwerdeführer die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 1. Oktober 2012
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Schneider
 
Der Gerichtsschreiber: Boog
 
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