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Informationen zum Dokument  BGer 8C_267/2012  Materielle Begründung
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BGer 8C_267/2012 vom 28.09.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
8C_267/2012
 
Urteil vom 28. September 2012
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
 
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Maillard,
 
Gerichtsschreiberin Polla.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________ AG,
 
vertreten durch Fürsprecher Patrick Raedersdorf,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
beco Berner Wirtschaft, Arbeitsvermittlung, Rechtsdienst, Lagerhausweg 10, 3018 Bern,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Arbeitslosenversicherung (Kurzarbeitsentschädigung),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 17. Februar 2012.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
A.a Die X.________ AG reichte am 21. April 2010 beim beco, Berner Wirtschaft (nachfolgend: beco) eine Voranmeldung von Kurzarbeit für die Zeit vom 1. Mai bis 30. September 2010 ein, nachdem das beco bereits für die Zeit vom 21. Mai bis 31. Oktober 2009 Kurzarbeitsentschädigung zugesprochen hatte (Einspracheentscheid vom 29. September 2009). Das beco erhob mit Verfügung vom 21. Mai 2010 Einspruch gegen die erneute Zusprechung von Kurzarbeitsentschädigung an die X.________ AG, da diese in der Zeit ab Mai 2010 keine ausserordentlichen, das normale Betriebsrisiko übersteigende Umstände geltend mache, die einen Arbeitsausfall zur Folge haben könnten, und auch kein ausserordentlicher Umsatzeinbruch vorliege. Daran hielt es mit Einspracheentscheid vom 23. August 2010 fest, wobei es ergänzend ausführte, dass Absatz- und Ertragsschwierigkeiten aufgrund eines starken Schweizerfrankens von den im Exportgeschäft tätigen Unternehmen als normales Betriebsrisiko getragen werden müssen. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 14. Februar 2011 insofern gut, als es die Sache zur Vornahme weiterer Abklärungen hinsichtlich der Anrechenbarkeit sowie der vorübergehenden Natur des Arbeitsausfalls und anschliessender neuen Verfügung an das beco zurückwies.
 
A.b Nachdem das beco weitere Informationen bei der X.________ AG eingeholt hatte, wies es die Einsprache vom 7. Juni 2010 erneut ab. Zur Begründung führte das Amt aus, Vorbereitungs- und Organisationszeiten sowie längere Zeit dauernde Zertifizierungsverfahren für neue Produkte in einem ausländischen Markt seien dem üblichen Betriebsrisiko zuzuordnen. Die Währungsschwankungen hätten lediglich einen Ertrags- nicht aber einen Arbeitsausfall bewirkt (Einspracheentscheid vom 7. September 2011).
 
B.
 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 17. Februar 2012 ab.
 
C.
 
Die X.________ AG lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und sinngemäss beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei ihr Kurzarbeitsentschädigung zuzusprechen.
 
Mit Verweis auf seine vorinstanzliche Beschwerdeantwort vom 8. Dezember 2011 verzichtet das beco ebenso auf eine Stellungnahme wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO).
 
Erwägungen:
 
1.
 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
 
2.
 
Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen und die Grundsätze über den Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung (Art. 31 Abs. 1 AVIG), über den anrechenbaren Arbeitsausfall (Art. 31 Abs. 1 lit. b und d, Art. 32 Abs. 1 lit. a AVIG), die Voraussetzungen, unter denen die Anrechenbarkeit eines Arbeitsausfalls zu verneinen ist (Art. 33 Abs. 1 lit. a und b AVIG; BGE 121 V 371 E. 2a S. 374), sowie das normale Betriebsrisiko (BGE 119 V 498 E. 1 S. 500; ARV 2008 S. 158, 8C_279/2007 E. 2.3 S. 159) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
 
3.
 
3.1 Die Rechtsprechung legt den Begriff der wirtschaftlichen Gründe in Berücksichtigung des präventiven Charakters der Kurzarbeitsentschädigung weit aus und versteht darunter sowohl strukturelle als auch konjunkturelle Gründe insgesamt und nicht nur den Rückgang der Nachfrage nach den normalerweise von einem Betrieb angebotenen Gütern und Dienstleistungen (BGE 128 V 305 E. 3a S. 307; ARV 2011 S. 67, 8C_291/2010; ARV 2004 S. 127, C 237/01 E. 1.3 mit Hinweisen; Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Bd. Soziale Sicherheit, 2. Aufl. 2007, S. 2321 Rz. 477).
 
3.2 Mit dem normalen Betriebsrisiko im Sinne von Art. 33 Abs. 1 lit. a zweiter Satzteil AVIG sind die "gewöhnlichen" Arbeitsausfälle gemeint, mithin jene Ausfälle, die erfahrungsgemäss regelmässig und wiederholt auftreten, demzufolge vorhersehbar und in verschiedener Weise kalkulatorisch erfassbar sind. Was in diesem Sinne noch als normal gelten soll, darf nach der Rechtsprechung nicht nach einem für alle Unternehmensarten allgemein gültigen Massstab bemessen werden, sondern ist in jedem Einzelfall aufgrund der mit der spezifischen Betriebstätigkeit verbundenen besonderen Verhältnisse zu bestimmen (BGE 119 V 498 E. 1 S. 500 mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Schrifttum). Dabei kommt dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit in aller Regel massgebende Bedeutung zu (BGE 119 V 498 E. 3 S. 501; Nussbaumer, a.a.O., S. 2323 Rz. 483).
 
3.3 Die Vorinstanz erwog, Währungsschwankungen gehörten zum normalen Betriebsrisiko eines exportorientierten Unternehmens. Die Ausführungen des SECO, wonach die anhaltende Stärke des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro und dem Dollar sowohl aufgrund der Tragweite, als auch der Dauer als eine ausserordentliche Situation zu betrachten sei, weshalb für die darauf zurückführenden Arbeitsausfälle ein Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung geltend gemacht werden könne, beträfen hingegen die Sachlage im Spätsommer 2011, als die Frankenstärke viel ausgeprägter gewesen sei als im Vorjahr. Die im hier interessierenden Zeitraum von anfangs Mai bis Ende September 2010 aufgetretenen Kursschwankungen in einem Bereich von rund 10 % gegenüber dem jahrelang üblichen Wechselkurs Euro/CHF. von ca. 1.50 seien noch dem normalen Betriebsrisiko zuzuordnen. Die X.________ AG habe aufgrund der Entwicklungen im schweizerischen Gesundheitswesen vielmehr mit strukturellen Absatzproblemen zu kämpfen. Überdies überzeuge der Hinweis der Firma nicht, dass im Anschluss an jeweils im Mai und Juni stattfindende Kongresse die Verkaufszahlen wieder steigen würden, da der geltend gemachte Umsatzeinbruch im Jahr 2010 weitgehend zeitgleich wie derjenige des Vorjahrs erfolgt sei, weshalb vielmehr saisonale Gründe für den Umsatzeinbruch zu bestehen scheinen.
 
3.4 Die X.________ AG stellt sich dagegen auf den Standpunkt, in der Zeit von Dezember 2009 bis September 2010 sei der Euro gegenüber dem Schweizer Franken um 15,602 % gefallen. Dieser massive Einbruch habe die Umsatzsituation noch mehr belastet bzw. verschärft, sodass ein Umsatzeinbruch von -28,810 % erfolgt sei. Wenn das SECO im September 2011 sodann einen Kursrückgang des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro von -16,376 % als Anlass genommen habe, Kurzarbeitslosenentschädigung für hierauf zurückführende Arbeitsausfälle im Jahr 2011 anzuerkennen, sei nicht ersichtlich, weshalb dies nicht auch bei einer Kursdifferenz von -15,602 % der Fall sein sollte. Der Umsatz im Ausland sei von 2007 bis 2010 - bei einem Umsatzrückgang von -36,884 % - massiv eingebrochen, was ausschliesslich auf die Entwicklung des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro zurückzuführen sei. Der gesamte Umsatzeinbruch resultiere aus der Exporttätigkeit und nicht aus Strukturproblemen im Inland; die diesbezüglichen Schlussfolgerungen der Vorinstanz seien sachverhaltswidrig und willkürlich.
 
3.5 Die X.________ AG hat den Handel, die Produktion und das Erbringen von Dienstleistungen im Medizinalbereich im In- und Ausland zum Zweck. Den Inlandumsatz erzielt sie dabei gemäss eigenen Angaben hauptsächlich durch den Zwischenhandel mit medizinischen Produkten mit Schwerpunkt im Bereich Gynäkologie und Urologie. Zudem wird ein selbst entwickeltes Produkt vertrieben, das zu 95 % im Ausland (EU-Raum) Käufer findet.
 
3.6 Mit Blick auf die Wechselkursproblematik hat die Vorinstanz zu Recht ihrem Entscheid die Zeitspanne zugrunde gelegt, für welche die Beschwerdeführerin Kurzarbeitsentschädigung beantragt hat (Mai bis September 2010). Die Sachlage, welche das SECO zur (am 6. September 2011 verschickten) Weisung hinsichtlich möglichem Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung bei anhaltender Frankenstärke und darauf zurückzuführende Umsatzrückgänge mit entsprechenden Arbeitsausfällen veranlasst hat, ist mit der vorliegenden Situation nicht zu vergleichen. Das kantonale Gericht hat zutreffenderweise darauf hingewiesen, dass die Frankenstärke gegenüber dem Euro im Spätsommer 2011 mit einem Kurs von Euro/CHF 1.1334 am 1. September 2011 viel ausgeprägter gewesen war als im Zeitraum Mai 2010 (1.4326) bis September 2010 (1.3404). Wenn das kantonale Gericht diese Kursschwankungen von rund 10 % gegenüber dem jahrelang üblichen Wechselkurs Euro/CHF von 1.50 noch dem normalen Betriebsrisiko zuordnete, verletzt dies Bundesrecht nicht, zumal auch das SECO mit durch Währungsdifferenzen begründete Auftragsrückgänge gemäss seiner Weisung vom 6. September 2011 erst seit dem 1. September 2011 als ausserordentliche Situation ansieht, welche Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung rechtfertigen kann.
 
3.7 Die Beschwerdeführerin begründet im letztinstanzlichen Verfahren den Umsatzrückgang einzig mit der für die Exporttätigkeit negativen Entwicklung des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro. Nach dem soeben Dargelegten greift diese Argumentation für den vorliegend zu beurteilenden Zeitraum hingegen nicht.
 
Wie erwähnt (E. 3.1) umfasst der Begriff der wirtschaftlichen Gründe konjunkturelle wie auch strukturelle Gründe. Nachdem die Beschwerdeführerin jedoch explizit das Bestehen von Strukturproblemen verneint, erübrigen sich Weiterungen hiezu. Andere, ausserhalb des normalen Betriebsrisikos liegende Gründe sind nicht ersichtlich. Vorinstanz und Verwaltung haben daher den Kurzarbeitsentschädigungsanspruch der Beschwerdeführerin in der Zeit vom 1. Mai bis 30. September 2010 zu Recht verneint.
 
4.
 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Als unterliegende Partei hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 28. September 2012
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Ursprung
 
Die Gerichtsschreiberin: Polla
 
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