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Informationen zum Dokument  BGer 6B_324/2012  Materielle Begründung
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BGer 6B_324/2012 vom 27.09.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6B_324/2012
 
Urteil vom 27. September 2012
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Schneider, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
 
Bundesrichter Schöbi,
 
Gerichtsschreiber Keller.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt André Kuhn,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Fahrlässige grobe Verletzung der Verkehrsregeln; Willkür, Grundsatz in dubio pro reo (Beweiswürdigungsregel),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
 
des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 12. März 2012.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________ fuhr am 22. September 2010 um ca. 18.45 Uhr mit seinem Personenwagen auf der Lielistrasse in Birmensdorf auf die Einmündung Lielistrasse/Autobahn N3 zu, wobei er beabsichtigte, nach links auf die Autobahn in Fahrtrichtung Chur aufzufahren. Er hielt sein Fahrzeug zunächst vor dem Lichtsignal, das ROT zeigte, an. Die Anklage wirft X.________ vor, nach einigen Sekunden Wartezeit über das seit 23,5 Sekunden ROT zeigende Lichtsignal gefahren und nach links abgebogen zu sein. Im Einmündungsbereich kam es in der Folge zur Kollision mit dem korrekt geradeaus fahrenden Fahrzeuglenker Y.________. An beiden Fahrzeugen entstand hoher Sachschaden.
 
Die Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis verurteilte X.________ am 9. Februar 2011 mittels Strafbefehls wegen fahrlässiger grober Verletzung der Verkehrsregeln zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu Fr. 130.-- und zu einer Busse von Fr. 500.--. Den Vollzug der Geldstrafe schob sie bei einer Probezeit von zwei Jahren auf. Gegen den Strafbefehl erhob X.________ Einsprache. Das Bezirksgericht Dietikon verurteilte X.________ am 7. Juni 2011 wegen fahrlässiger einfacher Verkehrsregelverletzung zu einer Busse von Fr. 500.--.
 
B.
 
Die von der Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis erhobene Berufung hiess das Obergericht des Kantons Zürich am 12. März 2012 gut. Es verurteilte X.________ wegen fahrlässiger grober Verletzung der Verkehrsregeln zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu Fr. 130.-- und zu einer Busse von Fr. 300.--. Den Vollzug der Geldstrafe schob das Obergericht bei einer Probezeit von zwei Jahren auf.
 
C.
 
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 12. März 2012 sei aufzuheben, und er sei freizusprechen.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe den Anklagegrundsatz (Art. 9 StPO) verletzt. Massgebend sei, dass er genau wisse, was ihm vorgeworfen werde. Die Staatsanwaltschaft umschreibe ein Verhalten, das lediglich eine einfache Verkehrsregelverletzung darstelle. Es werde ihm vorgeworfen, das Rotlicht fahrlässig missachtet und dadurch einen Unfall verursacht zu haben. Dies stelle nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht in jedem Fall eine schwere Verkehrsregelverletzung dar. Die Anklage äussere sich nicht darüber, welche Elemente die objektiven und subjektiven Komponenten der groben Verkehrsregelverletzung darstellten. Er habe sich daher nicht genügend verteidigen können (Beschwerde, S. 4 ff.).
 
Der Beschwerdeführer rügt ausserdem, gemäss Anklage habe er überhaupt nicht auf die Lichtsignalanlage geachtet. Die Begrenzungsfunktion des Anklagegrundsatzes verbiete es der Vorinstanz, ihrem Urteil eine andere als die eingeklagte pflichtwidrige Unvorsichtigkeit zugrunde zu legen. Sie hätte nicht prüfen dürfen, ob er ungenügend auf die Lichtsignalanlage geachtet habe. Die Vorinstanz verletze das Anklageprinzip, indem sie ihn wegen dieser angeblichen Pflichtwidrigkeit verurteilt habe.
 
1.2 Die Vorinstanz erwägt, der Strafbefehl bzw. die Anklage umschreibe genügend klar, was dem Beschwerdeführer vorgeworfen werde. Die Kollision wäre durch pflichtgemässe Aufmerksamkeit vermeidbar gewesen, wenn er das Rotlicht beachtet und gewartet hätte, bis das Lichtsignal auf GRÜN geschaltet hätte. Damit werde hinreichend deutlich gemacht, dass er ungenügend auf die Lichtsignalanlage geachtet habe. Diese Unachtsamkeit bestehe unabhängig davon, ob er sich allenfalls an einer anderen Ampel orientiert habe und einem Irrtum erlegen sei (Urteil, S. 6 f.).
 
1.3 Nach dem Anklagegrundsatz gemäss Art. 9 StPO kann eine Straftat nur gerichtlich beurteilt werden, wenn die Staatsanwaltschaft gegen eine bestimmte Person wegen eines genau umschriebenen Sachverhalts beim zuständigen Gericht Anklage erhoben hat. Das Bundesgericht hat bereits vor Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung in langjähriger Rechtsprechung aus Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV sowie aus Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. a und b EMRK Inhalt und Tragweite des Anklagegrundsatzes abgeleitet. Diese Grundsätze behalten auch unter Art. 9 StPO Gültigkeit. Demnach bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind. Es muss aus ihr erkennbar sein, inwiefern die inkriminierte Handlung den objektiven und subjektiven Tatbestand des angerufenen Straftatbestandes erfüllt. Das Gericht ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden, nicht aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde. Das Anklageprinzip bezweckt zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte der angeschuldigten Person und dient dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion; BGE 133 IV 235 E. 6.2 f. mit Hinweisen).
 
1.4 Der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verstoss gegen das Anklageprinzip ist unbegründet. Die Anklage umschreibt hinreichend deutlich, weshalb der Beschwerdeführer gegen die strassenverkehrsrechtlichen Vorschriften verstossen hat. Die von ihm geltend gemachte Unterscheidung zwischen einer ungenügenden bzw. vollständig fehlenden Beachtung der Lichtsignalanlage ist ohne Belang. Die Anklage wirft ihm zudem beide Unterlassungen vor. Sie begründet die mangelnde pflichtgemässe Aufmerksamkeit damit, dass der Beschwerdeführer weder auf die Ampel geachtet noch gewartet hat, bis diese auf GRÜN geschaltet hatte. Die Begrenzungsfunktion des Anklagegrundsatzes verbietet es der Vorinstanz nicht, sowohl die ungenügende als auch die vollständig fehlende Beachtung der Lichtsignalanlage zu prüfen.
 
2.
 
2.1 Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, aus dem Polizeirapport ergebe sich eindeutig, dass die Sonne tief gestanden sei. Zudem stehe aufgrund von aktenkundigen Berechnungen fest, dass die Sonne in seinem Rücken gestanden habe. Der Gegenverkehr sei stark geblendet worden. Es sei in dubio pro reo von dieser Sachverhaltsfeststellung auszugehen. Die Vorinstanz verletzte diesen Grundsatz, indem sie einen Einfluss der tief stehenden Sonne auf die Wahrnehmungsfähigkeit des Lichtsignals nicht ausschliesse, diesem Umstand jedoch keine Rechnung trage. Die Vorinstanz erwähne überdies zu Unrecht, dass er den Gegenverkehr hätte beobachten müssen. An anderer Stelle attestiere sie ihm, er sei der Überzeugung gewesen, dass seine Ampel GRÜN gezeigt habe (Beschwerde, S. 8 ff.).
 
2.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Die Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 136 II 304 E. 2.4 mit Hinweis; vgl. zum Begriff der Willkür BGE 137 I 1 E. 2.4 mit Hinweisen). Auf ungenügend begründete Rügen und bloss allgemein gehaltene appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 134 II 244 E. 2.2 mit Hinweis).
 
2.3 Insoweit der Beschwerdeführer die Sachverhaltsfeststellungen in Frage stellt, vermag er keine Willkür an den vorinstanzlichen Erwägungen darzutun. Die Vorinstanz verneint ein vorsätzliches Abbiegemanöver. Sie lässt dessen Ursache offen und hält fest, das Linksabbiegen an der Unfallstelle im abendlichen Berufsverkehr erfordere ein erhöhtes Mass an Aufmerksamkeit. Ob der Beschwerdeführer geblendet worden oder einem Sachverhaltsirrtum erlegen sei, spiele für die Beurteilung einer Sorgfaltspflichtverletzung keine Rolle (Urteil, S. 12). Dies ist nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführer hätte erst abbiegen dürfen, nachdem er sich zweifelsfrei versicherte, dass das für seine Fahrspur geltende Lichtsignal GRÜN zeigte. Die Ursache seiner Fehleinschätzung ist ohne Bedeutung. Die Vorinstanz verletzt den Grundsatz in dubio pro reo nicht, da der Beschwerdeführer aus dem Umstand der tief stehenden Sonne, welche die Lichtsignalanlage stark beleuchtet hatte, nichts zu seinen Gunsten ableiten kann. Erschwerte Lichtverhältnisse zwingen ihn im Gegenteil, die möglicherweise schlecht sichtbaren Signallampen noch sorgfältiger zu beachten.
 
3.
 
3.1 Der Beschwerdeführer stellt eine schwere Verkehrsregelverletzung in Abrede, da er mit Blick auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung keine grobe Pflichtwidrigkeit begangen habe. Es habe sich um eine übersichtliche Kreuzung ohne Fussgängerstreifen gehandelt, hinter ihm hätten sich keine Fahrzeuge befunden, und er sei vor der vermeintlichen Grünphase bereits 23,5 Sekunden vor dem Rotlicht gestanden (Beschwerde, S. 10 ff.).
 
3.2 Die Vorinstanz stuft das inkriminierte Verhalten des Beschwerdeführers als grobe Verkehrsregelverletzung ein. Er habe in objektiver Hinsicht eine wichtige Verkehrsvorschrift in schwerwiegender Weise missachtet und die Sicherheit anderer ernstlich gefährdet. Subjektiv sei er unaufmerksam gewesen, obwohl die konkrete Kreuzungs- und Verkehrssituation von ihm eine erhöhte Aufmerksamkeit verlangt hätten. An der Unfallstelle führten in beiden Richtungen jeweils zwei Fahrspuren (eine Spur geradeaus und eine zum Autobahn-Zubringer) und mündeten je eine Abzweigespur von der Autobahn in beide Fahrtrichtungen der Lielistrasse. Im Zeitpunkt der Kollision habe Feierabendverkehr geherrscht. Der Beschwerdeführer hätte bei nur geringstem Zweifel an der Grünstellung der Lichtsignalanlage nicht zufahren dürfen, sondern hätte den Gegenverkehr beobachten müssen. Dadurch hätte er eine Kollision ohne weiteres verhindern können. Sein Verhalten sei als grobfahrlässig einzustufen (Urteil, S. 7 ff.).
 
3.3 Gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt (vgl. auch Art. 16c Abs. 1 lit. a SVG). Der Tatbestand ist nach der Rechtsprechung objektiv erfüllt, wenn der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerwiegender Weise missachtet und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. Eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer ist bereits bei einer erhöhten abstrakten Gefährdung gegeben. Diese setzt die naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung oder Verletzung voraus (BGE 131 IV 133 E. 3.2 mit Hinweisen).
 
Subjektiv erfordert der Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrswidriges Verhalten, das heisst ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit. Diese ist zu bejahen, wenn der Täter sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner verkehrswidrigen Fahrweise bewusst ist. Grobe Fahrlässigkeit kann aber auch vorliegen, wenn der Täter die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht zieht, mithin unbewusst fahrlässig handelt. In solchen Fällen ist grobe Fahrlässigkeit zu bejahen, wenn das Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auf Rücksichtslosigkeit beruht und daher besonders vorwerfbar ist (BGE 131 IV 133 E. 3.2 S. 136 mit Hinweisen).
 
3.4 Es ist aufgrund der gesamten Umstände zu ermitteln, ob das Übersehen eines Signals auf Rücksichtslosigkeit beruht. Je schwerer die Verkehrsregelverletzung objektiv wiegt, desto eher ist das inkriminierte Verhalten als rücksichtslos einzustufen. Die Hinweise des Beschwerdeführers auf frühere Fälle des Bundesgerichts, in denen es das Überfahren eines Rotlichts als einfache Verkehrsregelverletzung gewertet hat, sind ungeeignet, eine Verletzung von Bundesrecht durch die Vorinstanz darzutun. Neben der unbestrittenen objektiv schwerwiegenden Verletzung einer wichtigen Verkehrsvorschrift war der Beschwerdeführer subjektiv unaufmerksam. Die durch eine Lichtsignalanlage geregelte Kreuzung, die schwierigen Lichtverhältnisse und der dichte Feierabendverkehr hätten jedoch eine deutlich erhöhte Aufmerksamkeit verlangt. Mit der gebotenen Aufmerksamkeit hätte sich auch eine allfällige Verwechslung der Ampeln für die zwei Fahrspuren verhindern lassen. Gegen sich anzurechnen hat der Beschwerdeführer zudem die Tatsache, dass er die Kollision in einfacher Weise hätte verhindern können, indem er vor dem Wegfahren den Gegenverkehr beobachtet hätte und nicht unbesehen losgefahren wäre. Die Vorinstanz stuft sein Verhalten zu Recht als grobfahrlässig ein. Die Verurteilung wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln verletzt kein Bundesrecht.
 
4.
 
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 27. September 2012
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Schneider
 
Der Gerichtsschreiber: Keller
 
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