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Informationen zum Dokument  BGer 1C_275/2012  Materielle Begründung
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BGer 1C_275/2012 vom 21.09.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1C_275/2012
 
Urteil vom 21. September 2012
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Merkli, Chaix,
 
Gerichtsschreiber Mattle.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
1. A.________, c/o Bezirksrat Uster, Amtsstrasse 3, Postfach, 8610 Uster,
 
2. B.________, c/o Bezirksrat Uster, Amtsstrasse 3, Postfach, 8610 Uster,
 
3. C.________, c/o Bezirksrat Uster, Amtsstrasse 3, Postfach, 8610 Uster,
 
4. D.________, c/o Bezirksrat Uster, Amtsstrasse 3, Postfach, 8610 Uster,
 
5. E.________, c/o Bezirksrat Uster, Amtsstrasse 3, Postfach, 8610 Uster,
 
6. F.________, c/o Bezirksrat Uster, Amtsstrasse 3, Postfach, 8610 Uster,
 
Beschwerdegegner,
 
Staatsanwaltschaft See/Oberland, Weiherallee 15, Postfach, 8610 Uster.
 
Gegenstand
 
Ermächtigung zur Eröffnung einer Strafuntersuchung,
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 30. April 2012 des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der Bezirksrat Uster schrieb am 19. Mai 2011 eine von X.________ gegen einen Beschluss der Sozialbehörde Dübendorf erhobene Beschwerde als gegenstandslos geworden ab und auferlegte X.________ die Verfahrenskosten. Zwecks Eintreibung der Verfahrenskosten reichte der Bezirksrat seinen Beschluss vom 19. Mai 2011 im Rahmen eines Rechtsöffnungsverfahrens vor dem Bezirksgericht Bremgarten als Rechtsöffnungstitel im Sinne von Art. 80 SchKG ein. Daraufhin erstattete X.________ gegen den Bezirksrat Strafanzeige wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses.
 
B.
 
Die Staatsanwaltschaft See/Oberland des Kantons Zürich überwies die Sache ans Obergericht des Kantons Zürich zum Entscheid über die Erteilung bzw. Nichterteilung der Ermächtigung zur Durchführung einer Strafuntersuchung gegen die mit der Sache befassten Mitglieder bzw. Angestellten des Bezirksrats, nämlich die Beschwerdegegner 1-6. Mit Beschluss vom 30. April 2012 erteilte die III. Strafkammer des Obergerichts der Staatsanwaltschaft die Ermächtigung zum Entscheid über die Untersuchungseröffnung bzw. die Nichtanhandnahme des Verfahrens gegen die Beschwerdegegner 1-6 nicht.
 
C.
 
Gegen diesen Beschluss des Obergerichts hat X.________ am 21. Mai 2012 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht erhoben. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und der Staatsanwaltschaft die Ermächtigung zur Eröffnung einer Strafuntersuchung zu erteilen. Die Vorinstanz und die Beschwerdegegner 1-6 haben auf eine Stellungnahme verzichtet. Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid in einer öffentlich-rechtlichen Angelegenheit (BGE 137 IV 269 E. 1.3.1 S. 272), gegen den die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht nach Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 sowie Art. 90 BGG grundsätzlich zulässig ist. Eine Ausnahme von der Zulässigkeit der Beschwerde nach Art. 83 BGG besteht nicht, zumal Art. 83 lit. e BGG, wonach Entscheide über die Verweigerung der Ermächtigung zur Strafverfolgung von Behördenmitgliedern oder von Bundespersonal von der Beschwerdemöglichkeit ausgenommen sind, nur auf die obersten Vollziehungs- und Gerichtsbehörden anwendbar ist (BGE 137 IV 269 E. 1.3.2 S. 272 f. mit Hinweis).
 
1.2 Zur Beschwerde ist nach Art. 89 Abs. 1 BGG berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a), durch den angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders berührt ist (lit. b) und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat (lit. c). Im Hinblick auf Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG hat der Beschwerdeführer darzulegen, dass die gesetzlichen Legitimationsvoraussetzungen gegeben sind, soweit diese nicht ohne Weiteres ersichtlich sind (BGE 133 II 400 E. 2 S. 403 f. mit Hinweis).
 
Die Beschwerdeführerin hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen. Sie macht geltend, durch das Einreichen des Beschlusses vom 19. Mai 2011 durch den Bezirksrat beim Bezirksgericht Bremgarten habe sie einen Eingriff in ihren Anspruch auf Schutz der Privatsphäre (Art. 13 BV) bzw. in ihre Persönlichkeitsrechte (Art. 28 ZGB) erlitten, weil der Beschluss persönliche Daten enthalte.
 
Ob die Beschwerdeführerin an der Änderung des angefochtenen Entscheids bzw. der Erteilung der Ermächtigung für die Einleitung einer Strafuntersuchung gegen die Beschwerdegegner ein schutzwürdiges Interesse im Sinne von Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG hat, erscheint fraglich. Diese Frage kann aber offen bleiben, da die Beschwerde - wie nachfolgend aufzuzeigen ist - ohnehin abzuweisen ist.
 
2.
 
Nach Art. 105 BGG legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Abs. 1). Es kann diese Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Abs. 2). Von der beschwerdeführenden Person kann die Feststellung des Sachverhalts wiederum nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich (Art. 9 BV) ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Eine entsprechende Rüge ist substanziiert vorzubringen (Art. 42 Abs. 2 BGG i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG).
 
Die Beschwerdeführerin verweist auf Art. 97 Abs. 1 BGG und macht sinngemäss geltend, die Vorinstanz habe den Sachverhalt nicht richtig festgestellt. Auf diese Rüge ist nicht einzutreten, da die Beschwerdeführerin nicht darlegt, inwiefern die vorinstanzliche Sachverhaltsdarstellung offensichtlich unrichtig bzw. willkürlich sein sollte. In tatsächlicher Hinsicht ist somit auf die Feststellungen der Vorinstanz abzustellen.
 
3.
 
Gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO (SR 312.0) können die Kantone vorsehen, dass die Strafverfolgung der Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden wegen im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen von der Ermächtigung einer nicht richterlichen Behörde abhängt. Diese Bestimmung bietet den Kantonen die Möglichkeit, die Strafverfolgung sämtlicher Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden von einer Ermächtigung abhängig zu machen (BGE 137 IV 269 E. 2.1). Nach § 148 des Gesetzes vom 10. Mai 2010 über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (GOG; LS 211.1) setzt im Kanton Zürich die Eröffnung einer Strafuntersuchung gegen Beamte gemäss Art. 110 Abs. 3 StGB wegen im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen eine Ermächtigung des Obergerichts voraus. Vorbehalten bleibt § 38 Abs. 1 des Kantonsratsgesetzes vom 5. April 1981 (KRG; LS 171.1), wonach die Eröffnung einer Strafuntersuchung gegen Mitglieder des Regierungsrats, des Obergerichts, des Verwaltungsgerichts und des Sozialversicherungsgerichts für im Amt begangene Verbrechen oder Vergehen eine Ermächtigung des Kantonsrats voraussetzt. Mit diesen kantonalen Bestimmungen, die gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung den bundesrechtlichen Anforderungen (namentlich Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO) Rechnung tragen, sollen Staatsbedienstete vor mutwilliger Strafverfolgung geschützt werden (BGE 137 IV 269 E. 2.2 f. S. 275 ff.). In verfassungskonformer Auslegung von Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO dürfen in solchen Ermächtigungsverfahren - ausser bei obersten Vollziehungs- und Gerichtsbehörden - nur strafrechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden (BGE 137 IV 269 E. 2.4 S. 277 f.).
 
4.
 
Gemäss Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO eröffnet die Staatsanwaltschaft eine Strafuntersuchung, wenn ein hinreichender Tatverdacht besteht. Die Vorinstanz begründete die Verweigerung der Ermächtigung zur Eröffnung einer Strafuntersuchung mit dem Fehlen eines relevanten Tatverdachts. Die Übermittlung des Beschlusses vom 19. Mai 2011 an den Rechtsöffnungsrichter stelle keine strafbare Handlung dar. Die Beschwerdeführerin macht geltend, es liege zumindest ein hinreichender Verdacht vor, dass die Übermittlung des Beschlusses vom 19. Mai 2011 inklusive Begründung an den Rechtsöffnungsrichter eine Amtsgeheimnisverletzung darstelle. Damit rügt sie sinngemäss eine Verletzung von Art. 309 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO.
 
4.1 Nach Art. 320 Ziff. 1 StGB macht sich strafbar, wer ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut worden ist, oder das er in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung wahrgenommen hat. Ein Geheimnis offenbart, wer es einer dazu nicht ermächtigten Drittperson zur Kenntnis bringt oder dieser die Kenntnisnahme zumindest ermöglicht. Die Geheimhaltungspflicht ist grundsätzlich auch innerhalb der Verwaltung zu beachten. Soweit die Offenbarung allerdings gesetzlich vorgesehen oder dienstlich gerechtfertigt ist, entfällt die Verpflichtung zur amtsinternen Geheimniswahrung (BGE 114 IV 44 E. 3b S. 48). Keine Amtsgeheimnisverletzung gemäss Art. 320 Ziff. 1 StGB liegt vor, wenn die Offenbarung gegenüber einer ermächtigten Person erfolgt, zum Beispiel, wenn ein Urteil korrekt hinterlegt oder als Beweismittel zugelassen wurde (STEFAN TRECHSEL/HANS VEST, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch Praxiskommentar, 2008, N. 8 zu Art. 320).
 
4.2 Der Bezirksrat hat den Beschluss vom 19. Mai 2011 dem zuständigen Rechtsöffnungsrichter als Rechtsöffnungstitel im Sinne von Art. 80 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Ziff. 2 SchKG eingereicht. Wie die Vorinstanz zu Recht ausgeführt hat, war die Mitteilung des Beschlusses zwecks Durchsetzung der Forderung gegenüber der Beschwerdeführerin dienstlich gerechtfertigt. Mit Blick auf Art. 320 Ziff. 1 StGB nicht zu beanstanden ist, dass der Bezirksrat nicht nur das Dispositiv, sondern den gesamten Beschluss inklusive Begründung eingereicht hat, zumal die Begründung Bestandteil des Entscheids bildet (vgl. § 10 Abs. 1 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Zürich vom 24. Mai 1959 [VRG; LS 175.2]). Der mit der Einreichung des Beschlusses beim zuständigen Rechtsöffnungsrichter allenfalls verbundene Eingriff in die Privatsphäre der Beschwerdeführerin bzw. in ihre Persönlichkeitsrechte ist gesetzlich vorgesehen und strafrechtlich irrelevant.
 
4.3 Nach dem Gesagten besteht hinsichtlich des dem Bezirksrat bzw. den Beschwerdegegnern von der Beschwerdeführerin vorgeworfenen Verhaltens klarerweise kein hinreichender Verdacht auf eine strafbare Handlung. Die Vorinstanz hat weder Art. 309 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO noch sonst Bundesrecht verletzt, wenn sie zum Schluss gekommen ist, die Voraussetzungen für die Erteilung der Ermächtigung zum Entscheid über die Eröffnung einer Strafuntersuchung bzw. die Nichtanhandnahme des Verfahrens seien nicht erfüllt.
 
5.
 
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet. Sie ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin grundsätzlich kostenpflichtig (vgl. Art. 66 Abs. 1 BGG). Es rechtfertigt sich jedoch, umständehalber auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Damit wird das Gesuch der anwaltlich nicht vertretenen Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft See/Oberland und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 21. September 2012
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Der Gerichtsschreiber: Mattle
 
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