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Informationen zum Dokument  BGer 2C_536/2012  Materielle Begründung
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BGer 2C_536/2012 vom 18.09.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
2C_536/2012
 
Urteil vom 18. September 2012
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichterin Aubry Girardin,
 
Bundesrichter Kneubühler,
 
Gerichtsschreiber Zähndler.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Advokat Prof. Niklaus Ruckstuhl,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Bundesamt für Migration.
 
Gegenstand
 
Verweigerung der Zustimmung zur Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung (unentgeltliche Prozessführung),
 
Beschwerde gegen die Zwischenverfügung der Instruktionsrichterin des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung III, vom 23. Mai 2012.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der 1978 geborene jordanische Staatsangehörige X.________ reiste am 10. Oktober 2000 in die Schweiz ein und heiratete hier am gleichen Tag eine Schweizer Bürgerin, worauf er eine Aufenthaltsbewilligung erhielt. Aus der Ehe ging eine inzwischen zehn Jahre alte Tochter hervor. Am 21. Februar 2011 trennte sich X.________ von seiner Ehefrau.
 
Am 20. Mai 2011 ersuchte die zuständige Behörde des Kantons Aargau das Bundesamt für Migration (BFM) um Erteilung seiner Zustimmung zur Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung des Beschwerdeführers. Mit Verfügung vom 12. April 2012 verweigerte das BFM seine Zustimmung unter Hinweis auf zahlreiche strafrechtliche Verurteilungen von X.________ und dessen nicht erfolgreiche Integration.
 
B.
 
Hiergegen beschwerte sich X.________ mit Eingabe vom 10. Mai 2012 beim Bundesverwaltungsgericht. In der Sache selbst stellte er im Wesentlichen den Antrag, es sei die Verfügung des BFM vom 12. April 2012 aufzuheben und die Zustimmung zur Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. In prozessualer Hinsicht beantragte X.________, es sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren.
 
Mit Zwischenverfügung vom 23. Mai 2012 lehnte die Instruktionsrichterin des Bundesverwaltungsgerichts das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ab. Sie forderte X.________ auf, bis zum 20. Juni 2012 einen Kostenvorschuss in Höhe von Fr. 1'500.-- zu leisten, andernfalls auf die Beschwerde unter Kostenfolge nicht eingetreten werde. Zur Begründung verwies die Instruktionsrichterin darauf, dass die Beschwerde als aussichtslos erscheine.
 
C.
 
Gegen die Zwischenverfügung vom 23. Mai 2012 führt X.________ mit Eingabe vom 1. Juni 2012 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht. Er stellt den Antrag, es sei das Bundesverwaltungsgericht anzuweisen, ihm die unentgeltliche Prozessführung zu bewilligen.
 
Das BFM schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesverwaltungsgericht teilt in seiner Stellungnahme vom 5. Juli 2012 mit, es verzichte auf eine Vernehmlassung in der Sache und habe dem Beschwerdeführer die angesetzte Frist zur Bezahlung des Kostenvorschusses einstweilen abgenommen.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Die Verfügung über die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung stellt einen Zwischenentscheid dar. Als solcher kann sie selbständig angefochten werden, falls sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirkt (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Nach der Praxis ist dies der Fall, wenn - wie hier - im angefochtenen Entscheid nicht nur die unentgeltliche Rechtspflege verweigert, sondern zugleich die Anhandnahme des Rechtsmittels von der Bezahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht wird (Urteil 4A_100/2009 vom 15. September 2009 E. 1.3, nicht publ. in BGE 135 III 603; BGE 128 V 199 E. 2b S. 202 mit Hinweisen; 126 I 207 E. 2a S. 210). Auch die Verweigerung der unentgeltlichen Verbeiständung bewirkt einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil, da der Betroffene, der sich wegen seiner Bedürftigkeit keinen Anwalt leisten kann, bei der prozessualen Durchsetzung seiner Rechte benachteiligt ist (vgl. Urteil 2C_230/2009 vom 2. Juli 2009 E. 1.3).
 
1.2 Prozessuale Entscheide sind nach dem Grundsatz der Einheit des Verfahrens mit dem gleichen Rechtsmittel anzufechten wie der Entscheid in der Sache selber. Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide ausgeschlossen, welche Bewilligungen betreffen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Für das Eintreten genügt es, wenn die ausländische Person in vertretbarer Weise dartut, dass potenziell ein Anspruch auf die von ihr beantragte Bewilligung besteht; ob die jeweiligen Voraussetzungen tatsächlich gegeben sind, bildet praxisgemäss Gegenstand der materiellen Beurteilung (BGE 136 II 177 E. 1.1 S. 179 f.; 136 II 497 E. 3.3 S. 500 f.). Gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (Ausländergesetz, AuG; SR 142.20) besteht der Anspruch des Ehegatten auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung auch nach Auflösung der Ehe oder der Familiengemeinschaft weiter, wenn die Ehegemeinschaft mindestens drei Jahre bestanden hat und eine erfolgreiche Integration besteht. Auf diese Bestimmung beruft sich der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht und behauptet, dass die dort genannten Voraussetzungen, insbesondere auch die erfolgreiche Integration, gegeben seien. Da vorliegend unbestritten ist, dass die Ehe des Beschwerdeführers mit seiner schweizerischen Ehefrau mehr als drei Jahre gedauert hat, kann das Bestehen eines zumindest potenziellen Anspruchs im Rahmen der Überprüfung der Zulässigkeit des Rechtsmittels ohne Weiteres bejaht werden.
 
1.3 Als Verfügungsadressat ist der Beschwerdeführer gestützt auf Art. 89 Abs. 1 lit. a BGG zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten legitimiert; auf das frist- und formgerecht eingereichte Rechtsmittel (Art. 42 und Art. 100 Abs. 1 BGG) ist daher einzutreten.
 
2.
 
Nach Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand. Ein gleichlautender Anspruch besteht auch nach Art. 65 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG; SR 172.021). Als aussichtslos gelten Prozessbegehren, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer erscheinen als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Massgeblich ist, ob sich eine vernünftige, nicht mittellose Partei ebenfalls zur Beschwerde entschlossen hätte. Eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f. mit Hinweisen).
 
3.
 
3.1 Der Beschwerdeführer bestreitet die Aussichtslosigkeit seiner beim Bundesverwaltungsgericht eingereichten Beschwerde insbesondere mit dem Argument, das Zustimmungsverfahren vor dem BFM entbehre einer hinreichenden rechtlichen Grundlage: Art. 99 AuG ermächtige den Bundesrat zwar, festzulegen, in welchen Fällen eine Aufenthaltsbewilligung dem BFM zur Zustimmung zu unterbreiten sei. Der Bundesrat habe dann jedoch in Art. 85 der von ihm erlassenen Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE; SR 142.201) diese Fälle nicht selbst definiert, sondern lediglich festgehalten, das BFM könne eine Unterbreitung zur Zustimmung verlangen, wenn es dies entweder im konkreten Einzelfall oder für bestimmte Personen- oder Gesuchskategorien zur Koordination der Praxis im Rahmen des Gesetzesvollzuges als notwendig erachte. Dies stelle eine unzulässige Subdelegation von Kompetenzen dar, zumal es hierfür eine Regelung in einem formellen Gesetz bedurft hätte. Da das Zustimmungserfordernis somit nicht rechtens sei, müsse es bei der von den aargauischen Behörden beantragten Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung bleiben.
 
3.2 Mit diesem Argument des Beschwerdeführers hat sich die Vorinstanz in der angefochtenen Zwischenverfügung vom 23. Mai 2012 auseinandergesetzt und darauf hingewiesen, die in Art. 99 AuG sowie in Art. 85 VZAE statuierte Regelung des Zustimmungsverfahrens vor dem BFM entspreche materiell weitestgehend den bis zum 31. Dezember 2007 in Kraft gewesenen Bestimmungen von Art. 18 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; BS 1 121) und von Art. 1 der Verordnung vom 20. April 1983 über das Zustimmungsverfahren im Ausländerrecht. Die zur altrechtlichen Regelung entwickelte Praxis und Rechtsprechung gelte somit weiter, was bedeute, dass die vom Bundesrat an das BFM delegierten Zuständigkeiten nicht zu beanstanden seien und die im vorliegenden Fall verweigerte Zustimmung zur Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung des Beschwerdeführers eindeutig in der Kompetenz des BFM gelegen sei (E. 4.1 der angefochtenen Zwischenverfügung).
 
3.3 Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts greift zu kurz: Wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt, unterschied sich die altrechtliche Regelung von der heute geltenden namentlich insoweit, als Art. 18 Abs. 3 ANAG grundsätzlich die Zustimmungsbedürftigkeit aller Bewilligungserteilungen vorsah, sofern sie nicht von Art. 18 Abs. 2 ANAG erfasst und damit explizit ausgenommen waren. Mit anderen Worten bildete früher die Zustimmungsbedürftigkeit die formell-gesetzlich verankerte Regel und die Ausnahmen wurden enumerativ aufgeführt. Demgegenüber geht Art. 99 AuG heute vom umgekehrten Grundsatz aus, indem er den Bundesrat verpflichtet bzw. ermächtigt, jene Fälle zu benennen, welche die Zustimmung des BFM voraussetzen, ansonsten diese nicht erforderlich ist.
 
3.4 Der Beschwerdeführer macht nun geltend, der Bundesrat habe die zustimmungsbedürftigen Fälle entgegen der Vorschrift von Art. 99 AuG nicht bzw. nicht präzise genug auf Verordnungsstufe umschrieben, sondern dies weitgehend dem BFM überlassen. Diese Rüge verdient eine eingehendere Prüfung durch das Bundesverwaltungsgericht. Bei dieser Sachlage kann die bei der Vorinstanz eingereichte Beschwerde nicht von vornherein als aussichtslos bezeichnet werden und die anwaltliche Verbeiständung des Beschwerdeführers erscheint zur Wahrung seiner Rechte notwendig.
 
4.
 
Nach dem Ausgeführten erweist sich die Beschwerde als begründet. Die Zwischenverfügung der Instruktionsrichterin des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Mai 2012 ist aufzuheben und die Sache zur Prüfung der Bedürftigkeit des Beschwerdeführers und anschliessendem neuen Entscheid über die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend, sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und Abs. 4 BGG). Das Bundesverwaltungsgericht hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und Abs. 2 BGG). Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung im bundesgerichtlichen Verfahren wird somit gegenstandslos und ist folglich abzuschreiben.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, die Zwischenverfügung der Instruktionsrichterin des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Mai 2012 aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid über die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Das Bundesverwaltungsgericht hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung im bundesgerichtlichen Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben.
 
5.
 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten sowie dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung III, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 18. September 2012
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Der Gerichtsschreiber: Zähndler
 
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