VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 1B_198/2012  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 1B_198/2012 vom 14.08.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1B_198/2012
 
Urteil vom 14. August 2012
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Aemisegger, Merkli,
 
Gerichtsschreiber Forster.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Peter Stein,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren, Kontosperre,
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 23. Februar 2012 des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl führt eine Strafuntersuchung gegen X.________ wegen mutmasslichen Wirtschaftsdelikten (insbesondere betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage, Veruntreuung und Urkundenfälschung). Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, er habe zwischen 1. Januar 2007 und 5. Mai 2009 als Kundenberater einer Bank in Zürich namens und zu Lasten seiner skandinavischen Kunden diverse riskante Spekulationsgeschäfte vorgenommen, die klar dem vereinbarten Risikoprofil widersprochen hätten. Die mit den Spekulationen erlittenen Verluste habe er durch Umbuchungen zum Nachteil anderer ihm anvertrauter Kundenkonten ausgeglichen. Gewisse Kundenguthaben habe er unrechtmässig für eigene Bedürfnisse (Hausumbau usw.) verwendet.
 
B.
 
Am 12. Dezember 2011 verfügte die Staatsanwaltschaft bei einer anderen Bank die Sperrung eines auf den Namen des Beschuldigten lautenden Kontos. Eine von ihm dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, mit Beschluss vom 23. Februar 2012 ab.
 
C.
 
Gegen den Entscheid des Obergerichts vom 23. Februar 2012 gelangte X.________ mit Beschwerde vom 30. März 2012 an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung der Kontensperre.
 
Die Staatsanwaltschaft und das Obergericht haben am 21. bzw. 10. April 2012 je auf Vernehmlassungen ausdrücklich verzichtet.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Im vorliegenden Fall ist eine strafprozessuale Vermögens- bzw. Einziehungsbeschlagnahme streitig. Es droht damit ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (BGE 128 I 129 E. 1 S. 131 sowie ständige Praxis; vgl. auch Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4334). Auch die übrigen Sachurteilserfordernisse von Art. 78 ff. BGG sind erfüllt.
 
Die Kognitionsbeschränkung von Art. 98 BGG ist auf strafprozessuale Zwangsmassnahmen nicht anwendbar. Bei Beschwerden gegen schwerwiegende Eingriffe in individuelle Grundrechte durch Zwangsmassnahmen prüft das Bundesgericht die Auslegung und Anwendung des Bundesrechts frei (BGE 137 IV 122 E. 2 S. 125, 340 E. 2.4 S. 346 mit Hinweisen). Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 137 IV 122 E. 2 S. 125 f.; 135 I 71 E. 2.5 S. 73 f.).
 
2.
 
Das Strafgericht verfügt die Einziehung von Vermögenswerten, die durch eine Straftat erlangt worden sind, sofern sie nicht dem Verletzten zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes ausgehändigt werden (Art. 70 Abs. 1 StGB). Die strafprozessuale Einziehungsbeschlagnahme (Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO, Art. 71 Abs. 3 StGB) kann der Sicherung der Ausgleichseinziehung oder von entsprechenden Ersatzforderungen des Staates dienen (vgl. BGE 126 I 97 E. 3c S. 106 f., E. 3e S. 110 mit Hinweisen). Sie stellt (im Gegensatz zur endgültigen materiellrechtlichen Einziehung) lediglich eine von Bundesrechts wegen vorgesehene provisorische (konservatorische) prozessuale Massnahme dar zur vorläufigen Sicherstellung von allenfalls der Einziehung unterliegenden Vermögenswerten oder zur Durchsetzung einer möglichen staatlichen Ersatzforderung. Die Beschlagnahme greift dem Einziehungsentscheid nicht vor; und auch die zivilrechtlichen Eigentumsverhältnisse an den Vermögenswerten bleiben durch die strafprozessuale Beschlagnahme unberührt (BGE 135 I 257 E. 1.5 S. 260; 126 I 97 E. 1c S. 102; je mit Hinweisen). Der strafrechtlichen Einziehung unterliegen grundsätzlich alle wirtschaftlichen Vorteile, die sich rechnerisch ermitteln lassen und die direkt oder indirekt durch die strafbare Handlung erlangt worden sind (BGE 120 IV 365 E. 1d S. 367 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 125 IV 4 E. 2a/bb S. 7).
 
Über die Zulässigkeit und den Umfang einer allfälligen Vermögenseinziehung hat (unter Vorbehalt des selbstständigen Einziehungsverfahrens nach Art. 376-378 StPO) der dafür zuständige Sachrichter zu urteilen. Die hier streitige vorläufige Einziehungsbeschlagnahme setzt voraus, dass ein hinreichender, objektiv begründeter konkreter Tatverdacht besteht (Art. 197 Abs. 1 lit. d StPO). Die Zwangsmassnahme muss ausserdem vor dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz standhalten (Art. 197 Abs. 1 lit. c-d und Abs. 2 StPO). Einziehungsbeschlagnahmen sind auch aufzuheben, falls eine strafrechtliche Einziehung (oder Ersatzforderung zulasten) des betroffenen Vermögens aus materiellrechtlichen Gründen bereits als offensichtlich unzulässig erscheint (vgl. BGE 137 IV 145 E. 6.4 S. 151 f.; 124 IV 313 E. 4 S. 316; s. auch BGE 128 I 129 E. 3.1.3 S. 133 f.; 126 I 97 E. 3d/aa S. 107).
 
3.
 
Der Beschwerdeführer bestreitet den hinreichenden Tatverdacht von Wirtschaftsdelikten nicht. Diesbezüglich kann auf die Erwägungen des angefochtenen Entscheides (S. 8-12) verwiesen werden. Er macht jedoch geltend, es fehle an einem Sachzusammenhang zwischen den untersuchten Delikten und dem gesperrten Konto. Ausserdem führe die Beschlagnahme zu einem unzulässigen Eingriff in das Existenzminimum. Er rügt in diesem Zusammenhang offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellungen sowie die Verletzung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes und des rechtlichen Gehörs (bzw. von Art. 268 Abs. 3 StPO und Art. 71 Abs. 3 StGB).
 
3.1 Dem Beschwerdeführer wird unter anderem vorgeworfen, er habe Kundengelder unrechtmässig abgezweigt. Die kantonalen Instanzen legen dar, dass auf dem gesperrten Konto diverse ungeklärte Einzahlungen bzw. Kontenüberträge erfolgt seien (zum Beispiel zwischen März und Dezember 2010 in der Höhe von insgesamt ca. Fr. 51'000.--). Es bestehe der Verdacht, dass es sich teilweise um Bareinzahlungen und andere Vermögenstransfers aus Deliktserlös gehandelt haben könnte. Der Beschwerdeführer macht diesbezüglich Folgendes geltend: Das Konto sei erst knapp ein Jahr nach seinem Ausscheiden als Kundenberater bzw. nach dem angeblichen Deliktszeitraum eröffnet und primär als Gehaltskonto verwendet worden. Am 26. März 2010 sei zwar eine Bareinzahlung von Fr. 25'000.-- erfolgt. Dieses Geld habe er jedoch am gleichen Tag von einem Konto bei einer anderen Bank bezogen. Bei einem Kontenübertrag von Fr. 13'650.30 am 1. Dezember 2010 und weiteren analogen Kontenbewegungen habe es sich um bankinterne Transaktionen (sogenannte Devisen-Swaps) gehandelt.
 
3.2 Dass das gesperrte Konto im März 2010 eröffnet und unter anderem als Lohnkonto verwendet worden sei, lässt die Möglichkeit, dass deliktisch erzielter Profit darauf überwiesen worden sein könnte, nicht dahinfallen. Im Zusammenhang mit einer anderen Bankverbindung (über die auch der verdächtige Barbezug vom 26. März 2010 erfolgte) erwägt die Vorinstanz Folgendes: Im Dossier einer betroffenen schwedischen Bankkundin sei ein Saldierungsschreiben vom 21. Januar 2009 gefunden worden, laut dem ihre Vermögenswerte auf das Konto eines Dritten bei der fraglichen Bank zu transferieren seien. Am 23. April 2009, somit am Tage als dem Beschwerdeführer die Kündigung eröffnet worden sei, habe er das Restguthaben der Kundin von ca. Fr. 157'000.-- auf das genannte Konto überwiesen. Die Kundendaten bei der betroffenen ersten Bank habe er anschliessend vernichtet bzw. mitgenommen, sodass sie im Kundendossier nicht mehr auffindbar gewesen seien. Am 9. und 13. August 2010 habe die Kundin den inzwischen fristlos entlassenen Beschwerdeführer in Zürich besucht. Am 27. September 2010 habe er sich nach Schweden begeben und der Kundin zwei Dokumente zur Unterschrift vorgelegt, darunter ein Saldierungsschreiben an die erste Bank (seine frühere Arbeitgeberin), in welchem diese aufgefordert worden sei, die Vermögenswerte ihrer Kundin von Fr. 5,5 Mio. an die genannte zweite Bank zu transferieren.
 
3.3 Die kantonalen Instanzen weisen auch darauf hin, dass in dem vom Beschwerdeführer eingereichten Kontoauszug diverse Zahlungseingänge bzw. Kontenüberträge (etwa zwischen Juni und Dezember 2011 in der Höhe von ca. Fr. 124'000.--) nicht näher spezifiziert werden. Zwar macht der Beschwerdeführer geltend, es handle sich dabei um von ihm eingenommene Vermittlungsgebühren bzw. Erlöse aus eigenen Fondsgeschäften; diverse interne Überträge beruhten auf Devisen-Swaps, deren Mittel (in Euro) ebenfalls aus solchen Fondsgeschäften stammten. Auch die von ihm neu eingereichten Belege dokumentieren solche Geschäfte jedoch nicht lückenlos; teilweise beruhen sie auf handschriftlichen Vermerken des Beschwerdeführers. Es kann offen bleiben, ob es sich dabei um unzulässige Noven handelt (vgl. Art. 99 Abs. 1 BGG).
 
3.4 Offensichtlich unrichtige entscheiderhebliche Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanzen sind in diesem Zusammenhang nicht ersichtlich. Ebenso wenig liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) vor. Dem angefochtenen Entscheid können die wesentlichen Gründe für die Aufrechterhaltung der vorläufigen Einziehungsbeschlagnahme entnommen werden. Die Vorinstanz setzt sich auch mit den im kantonalen Verfahren vorgebrachten Einwänden des Beschwerdeführers in verfassungskonformer Weise auseinander. Im weiteren Verlauf der Untersuchung kann erwartet werden, dass die Staatsanwaltschaft (aufgrund der edierten Bankunterlagen) weiter abklären wird, welche Kontenvorgänge einen legalen Hintergrund haben. Allerdings wäre selbst bei einem rechtmässigen Erwerb die Aufrechterhaltung der Beschlagnahme des gesperrten Restguthabens von Fr. 31'589.-- im Rahmen einer Ersatzforderungs- (Art. 71 Abs. 3 StGB) oder Kostendeckungsbeschlagnahme (Art. 263 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 268 StPO) noch nicht ausgeschlossen.
 
3.5 Schliesslich bringt der Beschwerdeführer noch vor, das gesperrte Konto sei aus seinem Erwerbseinkommen (bzw. aus "unpfändbarem Lohn") alimentiert worden. Er benötige das beschlagnahmte Guthaben für den aktuellen Lebensunterhalt (von sich und seinen Angehörigen). Er rügt in diesem Zusammenhang eine Verletzung von Art. 268 Abs. 3 StPO bzw. des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes.
 
Im angefochtenen Entscheid wird erwogen, das gesperrte Kontenguthaben betrage noch Fr. 31'589.--. Vor der Sperrung seien zwischen dem 1. Januar und 13. Dezember 2011 Fr. 433'000.-- vom Konto bezogen worden. Der Beschwerdeführer legt nicht nachvollziehbar dar, weshalb er mit den erfolgten Bezügen und seinem ihm weiterhin zur Verfügung stehenden (rechtmässigen) Erwerbseinkommen nicht in der Lage wäre, für den Lebensunterhalt seiner Familie zu sorgen. Dies umso weniger, als die Vorinstanzen schon im kantonalen Beschwerdeverfahren ausdrücklich darauf hinwiesen, dass er sein laufendes Einkommen auf ein separates (nicht von der Kontensperre betroffenes) Gehaltskonto auszahlen lassen könnte. Nicht ausreichend dargelegt erscheint auch, inwiefern die hängige Strafuntersuchung legale Nebentätigkeiten zum Vornherein ausschliessen müsste. Es braucht nicht entschieden zu werden, inwieweit Art. 268 Abs. 3 StPO auf Einziehungsbeschlagnahmen überhaupt anwendbar wäre.
 
3.6 Nach dem Gesagten erweist sich die Aufrechterhaltung der streitigen Kontensperre im aktuellen Verfahrensstadium als bundesrechtskonform.
 
4.
 
Die Beschwerde ist als unbegründet abzuweisen.
 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend, sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 14. August 2012
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Der Gerichtsschreiber: Forster
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).