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Informationen zum Dokument  BGer 8C_438/2011  Materielle Begründung
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BGer 8C_438/2011 vom 31.07.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
8C_438/2011 {T 0/2}
 
Urteil vom 31. Juli 2012
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
 
Bundesrichterin Niquille,
 
nebenamtlicher Bundesrichter Andreas Brunner,
 
Gerichtsschreiber Jancar.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
S.________, vertreten durch Rechtsanwalt Rémy Wyssmann,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Aargau,
 
Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung
 
(Massnahme beruflicher Art, Invalidenrente),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
 
vom 20. April 2011.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
A.a Die 1970 geborene S.________ erlitt am 14. November 2002 einen Auffahrunfall. Im Spital M.________, in welchem sie vom 14. bis 20. November 2002 hospitalisiert war, wurden eine commotio spinalis und ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule (HWS) sowie eine mediane und links paramediane Diskushernie L4/5 diagnostiziert. Wegen starker Rückenschmerzen begab sie sich am 16. Januar 2003 in die Sprechstunde des Spitals X.________, wo die Diagnose eines schweren lumbovertebralen Syndroms neben einem Schleudertrauma der HWS sowie einer lumbalen Diskushernie L4/5 links ohne radikuläre Symptomatik gestellt wurde. Die Untersuchung durch den Kreisarzt der SUVA vom 18. März 2003 zeigte eine Patientin mit starken Schmerzen lumbal, überhaupt im Bereich der ganzen Wirbelsäule wie auch mit Nacken- und Hinterkopfschmerzen; der Kreisarzt empfahl eine stationäre Behandlung in der Klinik Y.________ und stellte eine volle Arbeitsunfähigkeit fest. Während des nachfolgenden Aufenthaltes in dieser Klinik vom 30. April bis 4. Juni 2003 wurde die Versicherte psychosomatisch, neurologisch, neuropsychologisch sowie radiologisch abgeklärt; diagnostiziert wurde einerseits ein panvertebrales Schmerzsyndrom mit Schmerzausstrahlung ins rechte Bein sowie andererseits eine Anpassungsstörung mit somatoformer Komponente und ein maladaptiver Umgang mit der Schmerzproblematik; bei Klinikaustritt wurde "global" eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit festgestellt, wobei allein aus psychischen Gründen eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit von ca. 50 % angenommen wurde (Austrittsbericht der Klinik Y.________ vom 5. Juni 2003). Mit Verfügung vom 31. Juli 2003 stellte die SUVA ihre Leistungen per 17. August 2003 mangels adäquater Unfallkausalität der gesundheitlichen Beschwerden ein. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 30. April 2004 fest. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden am 14. September 2005 vom Versicherungsgericht des Kantons Aargau und letztinstanzlich am 7. Juni 2006 vom Eidgenössischen Versicherungsgericht (seit 1. Januar 2007 Bundesgericht) abgewiesen (Urteil U 414/05).
 
A.b Die Versicherte meldete sich am 10. November 2003 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an, wobei sie Umschulung und eine Rente beantragte. Die IV-Stelle des Kantons Aargau tätigte eine berufliche Abklärung bei der Stiftung Z.________ vom 26. November 2007 bis 29. Februar 2008, welche wegen krankheitsbedingter Absenzen der Versicherten per 4. Februar 2008 vorzeitig abgebrochen werden musste (Bericht über die Arbeitsabklärung vom 6. Februar 2008); in der Folge wurden die beruflichen Massnahmen eingestellt (Verfügung vom 28. Mai 2008). Die IV-Stelle holte bei der MEDAS, Medizinische Abklärungsstation, Spital B.________, ein polydisziplinäres Gutachten vom 16. Juli 2008 (im Folgenden: MEDAS-Gutachten) ein; hierin wurden eine mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom (CD-10 F32.11) sowie eine somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.4; mit psychischer Komorbidität) diagnostiziert und eine 70%ige Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit seit dem 14. Mai 2003 attestiert. Mit Verfügung vom 1. August 2008 lehnte die IV-Stelle das Rentenbegehren ab.
 
B.
 
Die hiegegen von S.________ beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau erhobene Beschwerde wies dieses mit Entscheid vom 20. April 2011 ab.
 
C.
 
Die Versicherte lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit den Rechtsbegehren, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides seien ihr ab wann rechtens die gesetzlichen Leistungen (inkl. berufliche Massnahmen) nach Massgabe einer Erwerbsunfähigkeit von mindestens 40 % zuzüglich 5 % Verzugszins auszurichten. Eventualiter sei die Sache zur Erstellung eines neuen interdisziplinären Gutachtens mit bildgebend aktualisierter Untersuchung zur weiteren Abklärung und zum Neuentscheid an die Invalidenversicherung zurückzuweisen, wobei ihr während der Abklärungszeit die gesetzlichen Leistungen auszurichten seien. Zudem wird um unentgeltliche Rechtspflege ersucht.
 
IV-Stelle und kantonales Gericht beantragen Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Es wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG) und ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden (BGE 134 V 250 E. 1.2 S. 252 mit Hinweisen). Unter Berücksichtigung der Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) prüft es indessen nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind, und ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr aufgegriffen werden (BGE 134 I 313 E. 2 S. 315, 65 E. 1.3 S. 67 f., je mit Hinweisen). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 135 V 194 E. 3 S. 196 ff.). Neue Begehren sind unzulässig (Art. 99 Abs. 2 BGG).
 
1.2 Die Feststellung des Gesundheitsschadens, d.h. die Befunderhebung, die gestützt darauf gestellte Diagnose, die ärztliche Stellungnahme zu dem noch vorhandenen Leistungsvermögen oder (bei psychischen Gesundheitsschäden) zur Verfügbarkeit von Ressourcen der versicherten Person sowie die aufgrund der medizinischen Untersuchungen gerichtlich festgestellte Arbeits(un)fähigkeit betreffen Tatfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 398), welche sich nach der dargelegten Regelung der Kognition einer Überprüfung durch das Bundesgericht weitgehend entziehen. Hingegen stellt die Feststellung der beiden hypothetischen Vergleichseinkommen (Einkommen, welches die versicherte Person ohne Gesundheitsschädigung hätte erzielen können [Valideneinkommen]; Einkommen, welches sie trotz Gesundheitsschädigung zumutbarerweise noch zu erzielen vermöchte [Invalideneinkommen]) eine Rechtsfrage dar, soweit sich der Entscheid nach der allgemeinen Lebenserfahrung richtet. Letzteres betrifft etwa die Frage, ob auf herangezogenen Tabellenlöhnen ein (behinderungsbedingt oder anderweitig begründeter) Leidensabzug vorzunehmen sei (BGE 134 V 322 E. 5.2 S. 327 f.; 132 V 393 E. 3.3 S. 399; Urteil 8C_384/2010 vom 12. Dezember 2011 E. 2.2.2).
 
2.
 
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze zur Invalidität (Art. 8 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG), zum Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 IVG), zur Aufgabe des Arztes im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 132 V 93 E. 4 S. 99; 125 V 256 E. 4 S. 261 f.; vgl. auch AHI 2002 S. 62, I 82/01 E. 4b/cc), zum Beweiswert von Arztberichten und medizinischen Gutachten (BGE 135 V 465 E. 4.3 S. 468 ff.; 125 V 351 E. 3 S. 352 ff.) sowie zum Verhältnis zwischen Berufsberatung und medizinischen Beurteilungen (BGE 107 V 17 E. 2b S. 20; Urteil 9C_833/2007 vom 4. Juli 2008 E. 3.3.2) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
 
3.
 
Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe in mehrfacher Hinsicht gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör verstossen:
 
3.1 Einerseits habe es die Beschwerdegegnerin unterlassen, bei der Berechnung des Invaliditätsgrades einen Einkommensvergleich vorzunehmen. Der genaue Invaliditätsgrad sei damit nicht klar; die IV-Stelle habe lediglich die Behauptung aufgestellt, der Invaliditätsgrad betrage weniger als 40 %. Die nicht geklärte Höhe des Invaliditätsgrades habe Auswirkungen auf den Anspruch auf berufliche Massnahmen, allenfalls aber auch auf ausserobligatorische BVG-Leistungen und Haftpflichtansprüche. Die Beschwerdeführerin habe deshalb ein rechtlich geschütztes Interesse an der genauen Festlegung des Invaliditätsgrades.
 
Das kantonale Gericht ist demgegenüber der Auffassung, die Verfügung der IV-Stelle vom 1. August 2008 sei insgesamt genügend begründet. Es sei der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin anhand der Akten möglich, selber eine Berechnung des IV-Grades vorzunehmen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs sei deshalb nicht gegeben; selbst wenn man aber eine solche annehmen wolle, sei der Mangel als leicht zu qualifizieren und könne angesichts der vollen Kognition des Versicherungsgerichts geheilt werden.
 
Dem kantonalen Gericht ist im Ergebnis beizupflichten, auch wenn der Hinweis auf die eigene Berechnungsmöglichkeit der Versicherten etwas fragwürdig erscheint. In der Verfügung vom 1. August 2008, mit welcher der Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Rente abgelehnt wurde, findet sich zwar tatsächlich einzig die Aussage, weil der Invaliditätsgrad weniger als 40 % betrage, bestehe kein Rentenanspruch. Anzumerken ist dazu vorab, dass aufgrund der Einwendungen gegen den Vorbescheid primär der medizinische Sachverhalt zur Diskussion stand. Wesentlich erscheint aber vor allem, dass in der gegebenen Konstellation - 70%ige Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit, Teilpensum bei einer weiblichen Arbeitskraft, bei welcher sich ein Abzug vom Tabellenlohn nicht rechtfertigt (vgl. Urteil 8C_477/2011 vom 23. Dezember 2011 E. 5.3 mit weiteren Hinweisen) - bereits aufgrund dieser Parameter ohne Durchführung eines Einkommensvergleichs festgestellt werden kann, dass der Invaliditätsgrad weniger als 40 % beträgt (Urteil 8C_249/2010 vom 1. Juni 2010 E. 7.2). Weil es im vorliegenden Verfahren ausschliesslich um den Rentenanspruch und nicht (mehr) um den Anspruch auf berufliche Massnahmen geht (vgl. unten E. 4.3), besteht auch insofern kein rechtlich geschütztes Interesse der Beschwerdeführerin an der genauen Ermittlung des in jedem Fall weniger als 40 % betragenden IV-Grades. Ein Anspruch auf genaue Festlegung des eindeutig unter 30 % liegenden IV-Grades besteht auch nicht mit Blick auf allfällige überobligatorische BVG-Ansprüche oder Haftpflichtansprüche; fehlt es an der Festlegung des IV-Grades muss die Vorsorgeeinrichtung diesen selber bestimmen, während der haftpflichtrechtliche Schadensausgleich ohnehin anderen Regeln folgt.
 
3.2 Eine andere Verletzung des rechtlichen Gehörs sieht die Beschwerdeführerin darin, dass ihr entgegen Art. 44 ATSG die Namen der am MEDAS-Gutachten beteiligten Sachverständigen nicht bzw. nicht richtig bekannt gemacht worden seien. Zwischen den vorangekündigten Gutachtern und den Gutachtern, welche das Gutachten der MEDAS tatsächlich erstellt haben, habe es insofern Abweichungen ergeben, als neben den vorangekündigten Dres. med. T._________, Facharzt für Orthopädie, A.________, Gutachtenarzt, und N.________ Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, auch Prof. Dr. med. U.________, Klinikdirektor und Chefarzt, massgeblich am Gutachten mitgewirkt habe und Dr. med. N.________ beim psychiatrischen Gutachten - neben Dr. med. A.________ - beteiligt gewesen sei. Die Beschwerdeführerin habe somit keine Gelegenheit gehabt, gegen diese beiden Ärzte bzw. deren Funktion Einwände zu erheben. Durch die Begutachtung durch einen vorher nicht bekannten Gutachter sei das Recht auf Selbstbestimmung, welche Teil der persönlichen Freiheit bilde, deutlich eingeschränkt worden, was als schwere Verletzung des rechtlichen Gehörs zu qualifizieren sei.
 
Das kantonale Gericht wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Bekanntgabe der Namen dem Zweck diene, zu verhindern, dass das Gutachten nachträglich wegen gesetzlicher Ausstands- und Ablehnungsgründe in der Person des Gutachters als beweisuntauglich erklärt werde. Im vorliegenden Fall habe die Beschwerdeführerin zwar auf die mangelhafte Ankündigung hingewiesen, Ausstands- oder Ablehnungsgründe gegen die mittlerweile bekannten Gutachter aber keine vorgebracht, weshalb die erhobene Rüge ins Leere gehe. Anzufügen ist dazu, dass die Beschwerdeführerin auch im bundesgerichtlichen Verfahren keine Ausstands- oder Ablehnungsgründe geltend macht, was allerdings ohnehin unzulässig wäre (BGE 132 V 93 E. 7.4.2 S. 112; Urteil 8C_183/2012 vom 5. Juni 2012 E. 6.3). Dem kantonalen Gericht ist somit beizupflichten, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs oder der persönlichen Freiheit nicht auszumachen ist. Mit Blick auf die neueste bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGE 137 V 210 ff. E 3.4.2 S. 251 ff.), welche die Anordnung eines Gutachtens - sofern sich die Parteien nicht einigen können - in Form einer Verfügung verlangt und materielle Einwände im kantonalen Beschwerdeverfahren zulässt, ist zudem zu ergänzen, dass die Beschwerdeführerin auch keine materiellen Einwände gegenüber den beiden nicht oder nicht präzis genannten Gutachtern erhoben hat. Es ist denn auch schwer vorstellbar, inwiefern die Unterschrift des Klinikdirektors und Chefarztes Prof. Dr. med. U.________ unter das polydisziplinäre Hauptgutachten der Beschwerdeführerin irgendwie zum Nachteil gereichen könnte; im Gegenteil dient eine solche Kontrolle der Qualitätssicherung. Ähnliches gilt für das von Dr. med. N.________ ebenfalls unterzeichnete psychiatrische Zusatzgutachten: Wenn dieser Arzt nicht nur über einen Facharzttitel für Neurologie, sondern auch für Psychiatrie und Psychotherapie verfügt und ohnehin - mit Vorankündigung - als (neurologischer) Gutachter eingesetzt war, ist es der Qualität der Begutachtung nur förderlich, wenn dieser Arzt auch das psychiatrische Zusatzgutachten mitverfasst und durch die Unterschrift dafür auch Mitverantwortung übernimmt.
 
4.
 
4.1 Soweit die Beschwerdeführerin im Weiteren rügt, die vorinstanzliche Beurteilung beruhe auf einer Missachtung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 61 lit. c ATSG), kann dem ebenfalls nicht beigepflichtet werden. Das kantonale Gericht hat die rechtserhebliche medizinische Aktenlage vollständig und korrekt dargelegt und sich einlässlich und sachlich mit den formellen und materiellen Einwendungen der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt. In Nachachtung seiner Pflicht zu umfassender, sorgfältiger, objektiver und inhaltsbezogener Beweiswürdigung (BGE 132 V 393 E. 4.1 S. 400) hat es willkürfrei dargelegt, weshalb das MEDAS-Gutachten vom 16. Juli 2008, welches als Diagnosen mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit von einer mittelgradigen depressiven Episode mit somatischem Syndrom (ICD-10 F32.11) und einer somatoformen Schmerzstörung (ICD-10 F45.4; mit psychiatrischer Komorbidität) ausgeht, als voll beweiskräftig einzustufen ist. Es hat insbesondere nachvollziehbar dargelegt, dass sich aus somatischer Hinsicht, vor allem aus den Befunden des orthopädischen und des neurologischen Gutachtens, keine Diagnosen mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit ergeben. Bei der orthopädischen Abklärung sei ein insgesamt bizarres Gangbild mit Unsicherheit und allgemeiner Verlangsamung aufgefallen; eine verwertbare orthopädische Funktionsuntersuchung der Wirbelsäule und des Rumpfes sei wegen des intensiv mitgeteilten Ganzkörperschmerzempfindens zwar nicht möglich gewesen; die orthopädischen Befunde würden aber keine Minderung der Arbeitsfähigkeit rechtfertigen. Die neurologische Abklärung habe ergeben, dass der angegebene Ganzkörperschmerz mit Hemihypästhesie der gesamten rechten Körperhälfte ohne neurologisches Substrat sei; weder die HWS-Distorsion mit möglicher Rückenprellung vom 14. November 2002 noch die bildgebend gesicherte Diskushernie L4/5 links medio-lateral habe neurologische Defizite zur Folge gehabt. Mit letzterer Feststellung ist auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin widerlegt, die Gutachter hätten sich mit der genannten Diskushernie nicht auseinandergesetzt. Weder der Bericht des behandelnden Hausarztes Dr. med. W.________, Arzt für allg. Medizin FMH, vom 11. Februar 2004, in welchem die Versicherte aus subjektiven Gründen als nicht mehr arbeitsfähig bezeichnet wird, noch der Austrittsbericht der Klinik Y.________ vom 5. Juni 2003, welcher sich an der Selbstlimitierung der Versicherten orientierende Angaben zur Arbeitsfähigkeit enthält, sind geeignet, zu Zweifeln an den Schlussfolgerungen des MEDAS-Gutachtens Anlass zu geben.
 
4.2 Soweit die Beschwerdeführerin insbesondere auch wegen der nicht erfolgten aktualisierten bildgebenden Abklärungen hinsichtlich der Diskushernie L4/5 eine Verletzung der Untersuchungsmaxime und des Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt, ist darauf hinzuweisen, dass im Verzicht auf die Abnahme weiterer Beweise keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt, wenn die im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes von Amtes wegen vorzunehmenden Abklärungen den Versicherungsträger oder das Gericht bei umfassender, sorgfältiger, objektiver und inhaltsbezogener Würdigung (BGE 132 V 393 E. 4.1 S. 400) zur Überzeugung führen, ein bestimmter Sachverhalt sei als überwiegend wahrscheinlich (BGE 126 V 353 E. 5b S. 360; 125 V 193 E. 2 S. 195, je mit Hinweisen) zu betrachten und es könnten weitere Beweismassnahmen an diesem feststehenden Ergebnis nichts mehr ändern (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236; 134 I 140 E. 5.3 S. 148; 124 V 90 E. 4b S. 94). Es lässt sich demgemäss nicht beanstanden, dass das kantonale Gericht nach umfassender Würdigung der ärztlichen Unterlagen davon ausgegangen ist, der rechtserhebliche Sachverhalt sei genügend abgeklärt worden. Aufgrund der im MEDAS-Gutachten erhobenen Befunde war erstellt, dass sich die Diskushernie L4/5, von deren Bestehen die Gutachter ausgingen, nicht auf die Arbeitsfähigkeit auswirkt; weitere Abklärungen erübrigten sich somit.
 
4.3 Die im Zusammenhang mit dem Verzicht auf berufliche Massnahmen erhobenen Vorwürfe der ungenügenden Sachverhaltsabklärung wie auch der Verletzung des Grundsatzes "Eingliederung vor Rente" erweisen sich ebenfalls als unbegründet. Die Verwaltung führte berufliche Abklärungen durch, welche zeigten, dass die Versicherte weder in den primären noch in den sekundären Arbeitsmarkt einzugliedern ist (vgl. Bericht über die Arbeitsabklärung der Stiftung Z.________ vom 6. Februar 2008). In der Folge wurde der Abbruch der beruflichen Massnahmen verfügt (vgl. Verfügung der IV-Stelle vom 28. Mai 2008). Unter diesen Umständen hatte die Beschwerdegegnerin den Rentenanspruch zu beurteilen, ohne dass noch Abklärungen getroffen werden mussten, ob und wie die medizinisch ausgewiesene Arbeitsfähigkeit erwerblich umgesetzt werden kann. Über den Rentenanspruch kann befunden werden, wenn er - wie hier - unabhängig von einer allfälligen Eingliederungsberechtigung mangels eines rentenbegründenden Invaliditätsgrades abzulehnen ist (Urteil 8C_308/2012 vom 29. Mai 2012 E. 2).
 
Nicht stichhaltig ist die Rüge, der Rentenentscheid sei zu früh erfolgt, weil der medizinische Endzustand noch nicht erreicht worden sei. Im Gegensatz zum Recht der Unfallversicherung, bei welchem gemäss Art. 19 UVG ein Rentenanspruch erst entsteht, wenn von der ärztlichen Behandlung keine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes mehr erwartet werden kann, ist im Invalidenversicherungsbereich das Erreichen des "medizinischen Endzustandes" keineswegs verlangt, vielmehr ist der Ablauf des Wartejahres und eine andauernde 40%ige Invalidität bei fehlender Eingliederungsfähigkeit massgeblich. Schliesslich geht auch der Vorwurf fehl, bei der Bestimmung des IV-Grades seien die Ergebnisse der beruflichen Abklärung zu wenig gewürdigt worden. Das kantonale Gericht hat überzeugend und für das Bundesgericht verbindlich dargelegt, dass die Annahme einer niedrigen Arbeitsleistung durch die Stiftung Z._________ wesentlich durch die vielen krankheitsbedingten Absenzen und das ausgeprägte Schmerzempfinden bestimmt war, so dass die Differenz zur medizinisch-theoretischen Arbeitsfähigkeit genügend und nachvollziehbar erklärt ist. Mit dieser Würdigung hat es der Rechtsprechung Rechnung getragen, wonach beruflichen Abklärungen bei der Beurteilung der Restarbeitsfähigkeit nicht jede Aussagekraft abzusprechen ist (Urteil 9C_833/2007 E. 3.3.2). Die Ausführungen in der Beschwerdeschrift sind also nicht geeignet, die Sachverhaltsfeststellung des kantonalen Gerichts als offensichtlich unrichtig oder unvollständig erscheinen zu lassen.
 
5.
 
Die Verfügung der IV-Stelle vom 1. August 2008 beruht auf der Annahme, der Invaliditätsgrad liege unter 40 %, weshalb kein Rentenanspruch bestehe. Die Vorinstanz verneint den Rentenanspruch mit der Feststellung, nur zwischen dem Unfallzeitpunkt am 14. November 2002 bis zum 14. Mai 2003, ab welchem Zeitpunkt das MEDAS-Gutachten eine 30%ige Arbeitsunfähigkeit attestiert habe, mithin während sechs Monaten, habe eine Arbeitsunfähigkeit von über 40 % bestanden, weshalb das Wartejahr nicht erfüllt sei. Wie es sich mit der Erfüllung des Wartejahres verhält, kann letztlich allerdings offen bleiben. Im Zeitpunkt des frühestmöglichen Rentenbeginns, am 1. November 2003, und danach bestand durchgehend ein Invaliditätsgrad von weniger als 40 %. Voraussetzung für einen Rentenanspruch war aber schon unter den bis Ende 2007 in Kraft stehenden Art. 28 f. aIVG, dass die versicherte Person nach Ablauf des Wartejahres im Umfang von mindestens 40 % erwerbsunfähig ist. Dass diese Voraussetzung im Falle der Versicherten nicht gegeben war, wurde bereits dargelegt (vgl. oben E. 3.1). IV-Stelle und kantonales Gericht haben deshalb zu Recht einen Rentenanspruch verneint.
 
6.
 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin grundsätzlich die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ihrem Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung kann jedoch entsprochen werden (Art. 64 BGG; BGE 125 V 201 E. 4a S. 202), da die Voraussetzungen hiefür gegeben sind. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG hingewiesen, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn sie später dazu in der Lage ist.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.
 
3.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.
 
4.
 
Rechtsanwalt Rémy Wyssmann wird als unentgeltlicher Anwalt der Beschwerdeführerin bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.
 
5.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 31. Juli 2012
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Ursprung
 
Der Gerichtsschreiber: Jancar
 
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