VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 2C_807/2011  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 2C_807/2011 vom 09.07.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
2C_807/2011
 
Urteil vom 9. Juli 2012
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichter Karlen, Seiler, Donzallaz,
 
nebenamtlicher Bundesrichter Locher,
 
Gerichtsschreiber Matter.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.X.________ und B.X.________,
 
vertreten durch Treuhand- und Revisionsgesellschaft Mattig-Suter und Partner,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Kantonales Steueramt St. Gallen
 
Davidstrasse 41, 9001 St. Gallen.
 
Gegenstand
 
Staats- und Gemeindesteuern (Nachsteuern 1997-2007),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 29. August 2011.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
A.X.________ wohnt in Y.________ SG und arbeitet in Z.________ SG. In seinen Steuererklärungen für die Perioden 1999 bis 2007 machte er Berufsauslagen für die Zurücklegung des Arbeitswegs mit dem Privatauto im Umfang von jeweils 11'500 km pro Jahr geltend und zog er von seinem steuerbaren Einkommen Fr. 6'210.-- (je für 1999 und 2000) bzw. Fr. 6'785.-- (je für 2001 bis 2007) ab. Seine Erklärungen erwuchsen unkorrigiert in Rechtskraft.
 
B.
 
Wie den Steuerbehörden des Kantons St. Gallen im Nachhinein bekannt wurde, gehörte A.X.________ in den hier massgeblichen Perioden einer Fahrgemeinschaft mit eigenem Bus an und beschränkten sich seine Transportkosten in Wirklichkeit auf eine Kostenbeteiligung von Fr. 100.-- pro Monat. Mit Nachsteuerverfügung vom 25. September 2009 wurde der jeweilige Differenzbetrag zu den in den Steuererklärungen angegebenen Pauschalfahrkosten bei der Staatssteuer 1997 bis 2007 nacherfasst. Diese Nachbesteuerung wurde auf Einsprache hin bestätigt, von der kantonalen Verwaltungsrekurskommission aufgehoben, aber vom Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen kantonal letztinstanzlich mit Urteil vom 29. August 2011 geschützt.
 
C.
 
Am 30. September 2011 haben die Eheleute A.X.________ und B.X.________ beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben. Sie beantragen im Wesentlichen, das verwaltungsgerichtliche Urteil aufzuheben, dasjenige der kantonalen Verwaltungsrekurskommission vom 9. Dezember 2010 zu bestätigen und die Wegkostenpauschale zu gewähren.
 
D.
 
Das kantonale Steueramt St. Gallen, das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen und die Eidgenössische Steuerverwaltung schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zulässig (vgl. Art. 82 ff. BGG in Verbindung mit Art. 73 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG; SR 642.14]).
 
1.2 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen oder eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen.
 
2.
 
2.1 Gemäss Art. 38 Abs. 1 des Steuergesetzes des Kantons St. Gallen vom 9. April 1998 (StG/SG, sGS 811.1) werden zur Ermittlung des Reineinkommens von den gesamten steuerbaren Einkünften u. a. die Aufwendungen abgezogen. Bei unselbständiger Erwerbstätigkeit sind nach Art. 39 Abs. 1 StG/SG die Berufskosten absetzbar. Dazu gehören insbesondere die notwendigen Kosten für Fahrten zwischen Wohn- und Arbeitsstätte (lit. a), die notwendigen Mehrkosten für Verpflegung ausserhalb der Wohnstätte bzw. bei Schichtarbeit (lit. b) und die übrigen für die Ausübung des Berufes erforderlichen Kosten (lit. c).
 
Diese Regelung stützt sich auf Art. 9 Abs. 1 StHG, wonach von den gesamten steuerbaren Einkünften die zu ihrer Erzielung notwendigen Aufwendungen und die allgemeinen Abzüge abgerechnet werden. Die kantonalen Bestimmungen stimmen zudem mit der gesetzlichen Ordnung gemäss dem Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG, SR 642.11) überein (vgl. Art. 25 und Art. 26 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 DBG). Da sich das kantonale Recht auf den durch das Harmonisierungsgesetz vorgegebenen Rahmen stützt, und sowohl das DBG wie auch das StG/SG dieselben Rechtsbegriffe verwenden und die gleichen Unterscheidungen treffen, drängt sich mit Blick auf die vertikale Steuerharmonisierung eine einheitliche Auslegung auf (vgl. ASA 80 617 E. 2.2; 75 253 E. 6-7; StE 2008 B 22.3 Nr. 96 E. 5; StR 61/2006 41 E. 2.1 u. 2.2; mit weiteren Hinweisen).
 
2.2 Berufskosten - als Gewinnungskosten - sind grundsätzlich nur abziehbar, soweit dem Steuerpflichtigen tatsächlich ein entsprechender Aufwand entstanden ist. Allerdings sind die Berufskosten Unselbständigerwerbender weitgehend pauschaliert. Diese Pauschalierung beruht auf dem Praktikabilitätsgrundsatz, der es dem Gesetzgeber erlaubt, in gewissen Teilbereichen auf differenzierte Einzelregelungen zu verzichten und stattdessen schematische(re), aber einfacher und wirksamer anwendbare Vorschriften zu erlassen (vgl. dazu u. a. das Urteil 2C_477/2009 vom 8. Januar 2010 E. 4; 2A.4/2006 vom 26. Juni 2006 E. 6; siehe auch PETER LOCHER, Praktikabilität im Steuerrecht - unter besonderer Berücksichtigung des materiellen Rechts der direkten Steuern, in: Festschrift zum 65. Geburtstag von Ernst Höhn, Bern 1995, S. 189 ff.). Ein solcher Schematismus führt wohl zwischen den Steuerpflichtigen zu gewissen Ungleichbehandlungen, welche aber durchaus in einem verfassungs- und gesetzeskonformen Rahmen bleiben (vgl. das Urteil 2A.4/2006 E. 7). Aufgrund der Pauschalierung verzichtet die Steuerbehörde auf die Überprüfung der konkreten Verhältnisse im Einzelfall (vgl. aber u. a. unten E. 2.5.1) und legt ihren Berechnungen einen typischen Durchschnittssachverhalt zu Grunde. Sinn ist es, sowohl seitens der Behörde als auch des Pflichtigen aufwendige Nachforschungen und Belegsammlungen zu vermeiden (vgl. ASA 80 617 E. 2.3).
 
2.3 Nach Art. 39 Abs. 2 StG/SG legt die Regierung für die Berufskosten gemäss Abs. 1 lit. a-c Pauschalansätze fest. Art. 18 Abs. 3 der Steuerverordnung des Kantons St. Gallen vom 20. Oktober 1998 (StV/SG; sGS 811.11) verweist für die Kosten des privaten Fahrzeugs auf die für die direkte Bundessteuer massgebenden Pauschalansätze. Dort wird Art. 26 Abs. 2 DBG namentlich durch Art. 5 der Verordnung des Eidgenössischen Finanzdepartementes vom 10. Februar 1993 über den Abzug von Berufskosten der unselbständigen Erwerbstätigkeit bei der direkten Bundessteuer (Berufskostenverordnung, SR 642.118.1; siehe u. a. auch RDAF 2008 II 528 E. 5.3) ergänzt:
 
2.3.1 Gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung sind als notwendige Fahrkosten bei Benützung privater Fahrzeuge die Auslagen abziehbar, die bei Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel anfallen würden (übereinstimmend: Art. 18 Abs. 2 StV/SG). Steht kein öffentliches Verkehrsmittel zur Verfügung oder ist dessen Benützung objektiv nicht zumutbar, so können die Kosten des privaten Fahrzeugs gemäss den vom Eidgenössischen Finanzdepartement festgesetzten Pauschalen abgezogen werden (Art. 5 Abs. 3 BKV). Die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels ist nach der Rechtsprechung insbesondere dann nicht zumutbar, wenn der Steuerpflichtige gebrechlich oder kränklich ist, die nächste Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels weit von der Wohn- oder Arbeitsstätte entfernt ist, Arbeitsbeginn und Arbeitsschluss zu nicht fahrplanmässigen Zeiten erfolgen oder der Pflichtige für seine Berufsausübung auf ein Motorfahrzeug angewiesen ist (vgl. RDAF 2008 II 528 E. 5.3; StE 2003 B 22.3 Nr. 76 E. 3.3; NStP 49/1995 81 E. 2).
 
2.3.2 Die Steuerbehörde kann eine Abstufung der Fahrkostenpauschale nach Art. 3 BKV im Verhältnis zur Fahrleistung anordnen (Art. 5 Abs. 4 Satz 1 BKV). Diese Pauschalansätze gibt das Eidgenössische Finanzdepartement für jedes Bemessungsjahr im Anhang zur BKV bekannt (z.B. für das Bemessungs- bzw. Steuerjahr 2007: AS 2006 3248). Danach kann für Autos ein Pauschalbetrag von Fr. -.65 pro Fahrkilometer beansprucht werden. 65 Rp./km entsprechen dem durchschnittlichen Aufwand für ein Fahrzeug mit 1'600 cm3 und einer Fahrleistung von 15'000 Kilometer/Jahr, wobei Versicherungs-, Amortisations-, Vignetten-, Park- und Verbrauchskosten eingerechnet werden. Vorbehalten ist allerdings die durch die Steuerbehörde allenfalls vorzunehmende Abstufung im Verhältnis zur Fahrleistung. Während beispielsweise der Kanton Wallis keine solche Abstufung vornimmt (vgl. Urteil 2C_477/2009 E. 3.3), wird sie nach der Wegleitung zur Steuererklärung des Kantons St. Gallen vorgenommen (vgl. HEINZ WEIDMANN/BENNO GROSSMANN/RAINER ZIGERLIG, Wegweiser durch das st. gallische Steuerrecht, 6. Aufl., Muri-Bern 1999, S. 42; siehe zum Ganzen auch RDAF 2006 II 430 E. 5.1; StE 2003 B 22.3 Nr. 76 E. 3.3; Urteil 2C_477/2009 E. 3.3).
 
2.4 Der Nachweis höherer berufsnotwendiger Kosten bleibt vorbehalten (vgl. Art. 39 Abs. 2 Satz 2 StG/SG; Art. 26 Abs. 2 Satz 2 DBG; Art. 4 BKV). Das ist schon deshalb notwendig, weil die Pauschalen Mittelwerte darstellen, gemessen an denen die tatsächlichen Kosten im konkreten Einzelfall tiefer oder höher sein können. Im letzteren Fall muss der Steuerpflichtige über die Möglichkeit verfügen, die Notwendigkeit bedeutenderer Kosten nach objektiven Kriterien zu begründen und die entsprechenden Mehrauslagen - als steueraufhebende oder -mindernde Tatsache - zu belegen (vgl. u. a. StE 2003 B 22.3 Nr. 76 E. 4.2 sowie das Urteil 2C_477/2009 E. 4). In der Rechtsprechung sind der Anerkennung höherer Fahrkosten jedoch Grenzen gesetzt worden:
 
2.4.1 Eine erste Grenze besteht darin, dass Fahrkosten unter Umständen selbst dann nicht zum Abzug zugelassen werden, wenn an sich unbestritten ist, dass sie vom Pflichtigen effektiv aufgewendet worden sind. Das gilt insbesondere dann, wenn er in unangebracht hohem Ausmass täglich oder zumindest mehrmals wöchentlich zwischen seinem Wohn- und seinem Arbeitsort hin- und wieder zurückfährt, z. B. wenn er täglich zweimal einen Arbeitsweg von 185 km mit dem Auto zurücklegt. Ein solcher Aufwand muss als den Umständen nicht angemessen bezeichnet werden. Die entsprechenden Kosten können nicht vollumfänglich als notwendige Berufskosten geltend gemacht werden, sondern nur die tieferen Kosten für eine Wohngelegenheit am Arbeitsort als Wochenaufenthalter, bei gleichzeitigem Abzug jeweils einer Hin- und Rückfahrt pro Woche (vgl. u. a. ASA 75 253 E. 8.2 u. 8.3; 67 551 E. 5-6; StE 2007 B 22.3 Nr. 93 E. 4, RDAF 2008 II 528 E. 5.3 u. 6.2, 2004 II 251 E. 4.3; siehe auch das Urteil 2C_477/2009 E. 3.4).
 
2.4.2 Eine zweite Grenze besteht darin, dass der Pflichtige grundsätzlich nicht gleichzeitig pauschale und effektive Aufwendungen für eine und dieselbe Kategorie von Gewinnungskosten geltend machen kann (vgl. Urteil 2C_477/2009 E. 4).
 
2.5 Von den pauschalen Kostenansätzen kann bzw. muss in anderen Fällen zuungunsten des Steuerpflichtigen abgewichen werden:
 
2.5.1 In einem kürzlich ergangenen Urteil (2C_343/2011 vom 25. Oktober 2011, publiziert in ASA 80 617, siehe dort insb. E. 3) hat das Bundesgericht für eine solche Abweichung zuungunsten des Steuerplfichtigen folgende Voraussetzungen festgehalten: Die dem Abzug der Fahrkosten im Normalfall zugrunde liegende Berechnung entspricht der Multiplikation dreier Elemente: Anzahl Arbeitstage x Anzahl Kilometer x Kilometeransatz. Einzig das dritte dieser Elemente ist explizit pauschaliert (z.B. 60 Rappen pro Fahrkilometer); die beiden anderen beruhen auf der doppelten natürlichen Vermutung, dass der Steuerpflichtige einerseits für seinen Arbeitsweg tatsächlich einen Privatwagen benutzt und dass er andererseits diesen Weg an jedem einzelnen Arbeitstag zurücklegt. Die Vermutung betrifft somit die Anzahl Arbeitstage wie auch die Anzahl gefahrener Kilometer (vgl. ASA 80 617 E. 3.2 u. 3.3).
 
Auf Verlangen der Veranlagungsbehörde hat der Pflichtige die Basis für diese doppelte Vermutung als steuermindernde Tatsache nachzuweisen, d. h. insbesondere die Anzahl der Arbeitstage und die Unzumutbarkeit der Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel (mittels Zeitvergleich). Ist dieser Nachweis aber erbracht und will die Veranlagungsbehörde trotzdem von den genannten Vermutungen abweichen, so braucht sie hiefür stichhaltige Gründe, wie etwa begründete Zweifel daran, dass die Arbeitstage nicht am Arbeitsort verbracht worden sind (beispielsweise bei Heimarbeit) oder dass der Arbeitsweg nicht täglich mit dem Privatfahrzeug zurückgelegt worden ist. Soweit die Veranlagungsbehörde solche Gründe geltend macht, kann sie vom Steuerpflichtigen - mit Blick auf dessen Mitwirkungspflicht - weitere Nachweise für den der Fahrkostenberechnung anfänglich bloss vermutungsweise zugrunde gelegten Sachverhalt verlangen. Werden indes von der Behörde keine solchen Gründe für ein Abweichen vom vermuteten Sachverhalt ins Feld geführt, bestehen für den Pflichtigen diesbezüglich keine weiteren beweisrechtlichen Obliegenheiten (vgl. ASA 80 617 E. 3.3).
 
2.5.2 Eine Abweichung von der pauschalen Fahrkostenberechnung zuungunsten des Steuerpfichtigen ist auch in einem Fall wie dem vorliegenden möglich:
 
Ein erster, hier aber nicht massgeblicher Grund der möglichen Kostenbegrenzung beruht auf der im Kanton St. Gallen vorgesehenen Abstufung der Kilometerpauschale nach der Fahrleistung (vgl. oben E. 2.3.2 in fine). Wesentlich ist aber die eben erwähnte doppelte Vermutung in Bezug auf die Anzahl der berechenbaren Arbeitstage sowie der gefahrenen Fahrkilometer. Für beide Aspekte wird davon ausgegangen, dass für alle Arbeitswege nicht nur ein privates Fahrzeug verwendet wird (im Gegensatz zu öffentlichen Verkehrsmitteln), sondern - darüber hinaus - dass dieses private Fahrzeug individuell genutzt wird bzw. die gesamten damit verbundenen Kosten auf dem Pflichtigen allein lasten, im Gegensatz zu einem (mehr oder weniger geringen) Kostenbeitrag an eine Fahrgemeinschaft. Auch diesbezüglich muss es der Veranlagungsbehörde bei Vorliegen stichhaltiger Gründe bzw. begründeter Zweifel möglich sein, vom Steuerpflichtigen zusätzliche Angaben oder sogar Belege einzufordern, aus denen hervorgeht, dass das verwendete private Fahrzeug auch tatsächlich individuell und nicht etwa kollektiv benutzt worden ist.
 
2.6 Hier ist aber ausserdem von Bedeutung, dass die Steuerbehörde nicht schon im ordentlichen Veranlagungsverfahren von der doppelten Vermutung abgewichen ist, welche der Pauschalberechnung der Fahrkosten zugrunde liegt, sondern erst im Rahmen einer Nachbesteuerung.
 
2.6.1 Art. 199 Abs. 1 StG/SG bestimmt: "Ergibt sich aufgrund von Tatsachen oder Beweismitteln, die der Steuerbehörde nicht bekannt waren, dass eine Veranlagung zu Unrecht unterblieben oder eine rechtskräftige Veranlagung unvollständig ist, oder ist eine unterbliebene oder unvollständige Veranlagung auf ein Verbrechen oder ein Vergehen gegen die Steuerbehörde zurückzuführen, so wird die nicht erhobene Steuer samt Zins als Nachsteuer eingefordert." (vgl. auch die gleich lautenden Bestimmungen von Art. 151 Abs. 1 DBG und Art. 53 Abs. 1 StHG; siehe auch oben E. 2.1 zur vertikalen Steuerharmonisierung). Für die Beantwortung der Frage, ob Tatsachen oder Beweismittel neu sind oder schon bei der Veranlagung vorgelegen haben, ist nach der Rechtsprechung der Aktenstand im Zeitpunkt der Veranlagung massgebend, unter Würdigung der Obliegenheiten, welche den Pflichtigen einer- und die Steuerverwaltung andererseits bei der Veranlagung treffen.
 
Nach Art. 176 Abs. 1 StG/SG prüft die Veranlagungsbehörde die Steuererklärung, nimmt die erforderlichen Untersuchungen vor und stellt die für eine vollständige und richtige Besteuerung massgebenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse fest. Praxisgemäss darf sich die Behörde jedoch grundsätzlich darauf verlassen, dass die Steuererklärung richtig und vollständig ist. Allerdings darf sie nicht im gleichen Masse unbesehen auf die in der Steuererklärung gemachten Angaben abstellen, wie sie dies bei einer Selbstveranlagungssteuer tun könnte. Dementsprechend liegen "neue Tatsachen", die ein Nachsteuerverfahren rechtfertigen, nach der Rechtsprechung dann nicht mehr vor, wenn die Steuerbehörde ihre Untersuchungspflicht im ordentlichen Veranlagungsverfahren verletzt hat (vgl. zum Ganzen ASA 78 308 E. 3; 73 482 E. 3.3; StR 64/2009 822 E. 2; 920 E. 2.4; 62/2007 369 E. 3.3; 61/2006 442 E. 2; StE 2010 B 24.4 Nr. 79 E. 2; 2009 B 92.3 Nr. 17 E. 5.2; 2007 B 97.41 Nr. 19 E. 3.2; RtiD 2009 I 498 E. 3.3).
 
2.6.2 Die Praxis nimmt eine Pflicht der Veranlagungsbehörde, ergänzende Abklärungen schon im ordentlichen Veranlagungsverfahren vorzunehmen, üblicherweise dann an, wenn die Steuererklärung Fehler enthält, die klar ersichtlich bzw. offensichtlich sind. Es braucht also eine in die Augen springende Falschdeklaration seitens der Pflichtigen, welche die Behörde bei gehöriger Sorgfalt schon im ordentlichen Veranlagungsverfahren zu zusätzlichen Abklärungen hätte veranlassen müssen. Dagegen wird die behördliche Untersuchungspflicht solange nicht verletzt, wenn eine Unstimmigkeit aus den Angaben des Pflichtigen in der Steuererklärung nicht ohne weiteres ersichtlich ist oder wenn die Behörde wohl hätte Verdacht schöpfen können, ohne dass das aber zwingend gewesen wäre (vgl. dazu die oben in E. 2.6.1 genannten Hinweise).
 
2.6.3 Diese übliche Fallgestaltung geht wesentlich von der klaren Erkennbarkeit der durch den Pflichtigen begangenen Fehldeklaration aus. Auf einem solchen geradezu augenfälligen Fehler, welchen die Steuerbehörde bei Aufbringung der gehörigen Sorgfalt nicht hätte übersehen dürfen, beruhen sowohl die Möglichkeit (bzw. die Berechtigung) als auch die Verpflichtung, zusätzliche Abklärungen schon im ordentlichen Veranlagungsverfahren vorzunehmen.
 
Der hier zu beurteilende Sachverhalt weicht von der üblichen Fallgestaltung ab: Zwar wurde im Nachhinein bekannt, dass die Steuererklärungen des Beschwerdeführers in Bezug auf die abgezogenen Fahrkosten jeweils Fehldeklarationen enthielten. Im ordentlichen Veranlagungsverfahren waren diese Fehldeklarationen bei blosser Betrachtung der jeweiligen Steuererklärungen indessen noch nicht erkennbar, geschweige denn offensichtlich oder augenfällig. Daraus ist aber noch nicht zwingend zu schliessen, dass "neue Tatsachen" im Sinne von Art. 176 Abs. 1 StG/SG mangels einer Verletzung der behördlichen Untersuchungspflicht ohne weiteres angenommen werden könnten. Im Bereich der Pauschalkostenabzüge sind nämlich sowohl die Möglichkeit (bzw. die Berechtigung) als auch die Verpflichtigung, im ordentlichen Veranlagungsverfahren zusätzliche Abklärungen vorzunehmen, so zu beurteilen, dass der Pauschalierungsgedanke bzw. der Praktikabilitätsgrundsatz als solcher (vgl. oben E. 2.2) wesentlich berücksichtigt wird:
 
Hinsichtlich der Berechtigung zu zusätzlichen Abklärungen ist auch hier daran festzuhalten, dass stichhaltige Gründe bzw. begründete Zweifel vorliegen müssen, damit von der doppelten Vermutung abgewichen werden kann, auf welcher die Pauschalberechnung der Fahrkosten beruht (vgl. oben E. 2.5.1 u. 2.5.2). Solche Gründe können in einem Fall wie demjenigen des Beschwerdeführers u. a. darin bestehen, dass die Steuerbehörde Kenntnis davon hat, dass zwischen der Wohngegend des Pflichtigen und dessen Arbeitsort (bzw. -umgebung) eine Fahrgemeinschaft besteht (ohne aber schon zu wissen, ob der Pflichtige dieser Gemeinschaft angehört). Genügend kann weiter das Wissen der Behörde sein, dass eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern eines Unternehmens in derselben näheren Umgebung wohnen. In solchen (oder noch anderen) Fällen ist die Veranlagungsbehörde durchaus berechtigt, weitere Angaben oder Belege einzufordern, bei Ungenügen zusätzliche Abklärungen vorzunehmen und auf deren Grundlage zuungunsten des Pflichtigen von den Pauschalberechnung abzuweichen.
 
Gegenüber dem Beschwerdeführer unterblieben solche Abklärungen jedoch und konnten sie auch nicht im Nachhinein vorgenommen werden. Denn die Verpflichtung, die allenfalls notwendigen Abklärungen schon im ordentlichen Veranlagungsverfahren vorzunehmen, beruht im hier massgeblichen Bereich ebenfalls direkt auf dem Pauschalierungsgedanken bzw. dem Praktikabilitätsgrundsatz. Auf dieser Grundlage scheint es von der Natur der Sache her nicht gerechtfertigt, dass es der Steuerbehörde möglich sein sollte, die im ordentlichen Veranlagungsverfahren noch gewährte Fahrkostenpauschale erst mittels einer Nachbesteuerung zuungunsten des Pflichtigen zu korrigieren.
 
Zwischen der Berechtigung und der Verpflichtung, zusätzliche Abklärungen vorzunehmen, besteht kein Widerspruch (z.B. in dem Sinne, dass die Behörde im ordentlichen Veranlagungsverfahren zu Abklärungen gezwungen werde, welche sie gar nicht vornehmen dürfe). Vielmehr gehen beide Aspekte kohärent auf den gleichen Grundgedanken zurück und auferlegen den behördlichen Abklärungen wohl Einschränkungen, ohne diese aber vollumfänglich auszuschliessen oder auch nur unangemessen zu behindern. In einem Fall wie dem hier massgeblichen hätten Abklärungsmöglichkeiten durchaus bestanden, wurden vorliegend aber nicht wahrgenommen und konnten nicht erst im Nachsteuerverfahren genutzt werden.
 
3.
 
Die hier erst im Nachhinein vorgenommene Überprüfung muss deshalb als verspätet abgelehnt werden. Die Zulässigkeit einer Korrektur der Fahrkostenpauschale erst im Nachsteuerverfahren ist somit entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts zu verneinen, wenn auch aus anderen als den von den Beschwerdeführern geltend gemachten Gründen (vgl. oben E. 1.2).
 
Dementsprechend ist die Beschwerde gutzuheissen, was die entsprechenden materiell- und verfahrensrechtlichen Folgen nach sich zieht, namentlich im Bereich der Gerichtskosten und der den Beschwerdeführern geschuldeten Parteientschädigung (vgl. Art. 65 f. u. 68 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten betreffend die Staats- und Gemeindesteuern (Nachsteuern 1997-2007) wird gutgeheissen und das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 29. August 2011 aufgehoben. Die Sache wird zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen im kantonalen Verfahren an das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen zurückgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Kanton St. Gallen auferlegt.
 
3.
 
Der Kanton St. Gallen hat den Beschwerdeführern für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- auszurichten.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Kantonalen Steueramt St. Gallen, dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 9. Juli 2012
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Der Gerichtsschreiber: Matter
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).