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Informationen zum Dokument  BGer 8C_181/2012  Materielle Begründung
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BGer 8C_181/2012 vom 08.06.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
8C_181/2012
 
Urteil vom 8. Juni 2012
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Leuzinger, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichterin Niquille, Bundesrichter Maillard,
 
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
M.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Rechtsabteilung, Postfach 4358, 6002 Luzern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 4. Januar 2012.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
M.________, geboren 1956, war ab Mai 1998 bei der Y.________ Transporte GmbH als Chauffeur angestellt und in dieser Eigenschaft bei der Schweizerischen Unfallversicherungsgesellschaft (nachfolgend: SUVA) gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 1. Oktober 2007 verletzte er sich beim Aussteigen aus seinem Lastwagen, als er in einen Gitterschacht trat und stürzte. In der Folge wurde er im Spital Z.________ hospitalisiert, aber noch gleichentags in die Klinik für Chirurgie, Spital A.________, überführt. Das Spital Z.________ hielt in seinem Verlegungsbericht vom 4. Oktober 2007 als Diagnose eine Makrohämaturie nach Sturz auf den Rücken mit/bei bekannten multiplen Nierenzysten beidseits, chronischer Niereninsuffizienz (Kreatinin bei Eintritt 561 µmol/l) und eine BWS/LWS-Kontusion fest. Die Klinik für Chirurgie diagnostizierte in ihrem Austrittsbericht vom 11. Oktober 2007, anlässlich der Verlegung von M.________ am 9. Oktober 2007 in die Medizinische Klinik, Frakturen der Processus traversi rechts LWK 2 und 3, eine Fraktur der Spondylophyt Deckplatte LWK 4 und eingeblutete Nierenzysten links mit Makrohämaturie; als Nebendiagnosen wurden familiäre Zystennieren mit chronischer Niereninsuffizienz, Leberzysten, degenerative Veränderungen der LWS, der Status nach mechanischem Aortenklappenersatz und Sanierung eines Aneurysmas der Aorta ascendens 2004, normokardes Vorhofflimmern, arterielle Hypertonie sowie normochrome, normozytäre Anämie festgehalten. Am 25. Oktober 2007 musste sich M.________ einer Nephrektomie links unterziehen. Während der Operation kam es zu einer Verletzung der Milz sowie des Pankreasschwanzes, worauf splenektomiert und der Pankreasschwanz reseziert werden musste. Am 1. Dezember 2007 erfolgte eine Nephrektomie der rechten Niere. M.________ wurde am 2. Januar 2008 aus dem Spital A.________ entlassen und war vom 3. bis 29. Januar 2008 in einer stationären Rehabilitation. Mit Schreiben vom 8. April 2008 teilte die SUVA ihm mit, sie werde für die Behandlung der rechten Niere nicht aufkommen, da diese rein krankheitsbedingt geschädigt sei.
 
Am 27. Mai 2008 zog sich M.________ eine Verletzung der rechten Schulter zu, als er einen Sturz auf der Treppe verhindern wollte.
 
Mit Verfügung vom 6. Oktober 2009, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 3. August 2010, stellte die SUVA ihre Leistungen (Behandlungskosten) per 1. Dezember 2007 ein, da der Status quo sine im Zeitpunkt der krankheitsbedingten Nephrektomie rechts erreicht worden sei; bezüglich der Verletzung der LWS anerkannte die SUVA volle Arbeitsunfähigkeit bis 1. Oktober 2009 und stellte die Leistung von Unfalltaggeldern bei voller Arbeitsunfähigkeit infolge der Schulterbeschwerden (Unfall vom 27. Mai 2008) ab 1. Oktober 2009 in Aussicht.
 
B.
 
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 4. Januar 2012 ab.
 
C.
 
M.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, es seien der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die SUVA zu verpflichten, die Entfernung seiner rechten Niere als unfallkausal anzuerkennen und die gesetzlichen Leistungen auch nach dem 1. Dezember 2007 zu erbringen, einschliesslich der Kosten der Nephrektomie rechts.
 
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht eingetreten (Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).
 
Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
 
2.
 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den massgebenden Sachverhalt (BGE 121 V 362 E. 1b S. 366), die Leistungsvoraussetzungen des natürlichen (BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181 mit Hinweisen) und des adäquaten Kausalzusammenhangs (BGE 129 V 177 E. 3.2 S. 181 mit Hinweis) sowie die Voraussetzungen des Dahinfallens jeglicher kausaler Bedeutung von unfallbedingten Ursachen (SVR 2009 UV Nr. 3 S. 9 E. 2.2 [8C_354/2007]; RKUV 2000 Nr. U 363 S. 45 E. 2) zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für den Beweiswert von ärztlichen Berichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3 S. 352), die unzulässige Beweisregel "post hoc, ergo propter hoc" (BGE 119 V 335 E. 2b/bb S. 341; SVR 2008 UV Nr. 11 S. 34 E. 4.2.3 [U 290/06]) und die antizipierte Beweiswürdigung (BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236; 124 V 90 E. 4b S. 94; 122 V 157 E. 1d S. 162). Darauf wird verwiesen.
 
3.
 
Die Vorinstanz hat in ihrem Entscheid die Berichte des Dr. med. H.________, Leitender Arzt Nephrologie, Spital A.________, vom 30. März 2007, vom 15. Januar und 16. Juni 2009 sowie 13. April und 22. Juli 2010 und des Dr. med. G.________, Facharzt für Chirurgie, vom 7. Mai und 29. November 2010 ausführlich wiedergegeben. Dasselbe gilt für die Berichte des Kreisarztes vom 28. April 2008 und 24. September 2009. Darauf wird ebenfalls verwiesen. Umstritten ist die Frage, ob die Nephrektomie rechts auch als Folge des Unfalls vom 1. Oktober 2007 anzuerkennen ist; dabei kommen Dr. med. H.________ und Dr. med. G.________ zu gegensätzlichen Einschätzungen. Demnach stellt sich die Frage, welcher der beiden fachärztlichen Meinungen zu folgen oder ob die Einholung eines Obergutachtens angebracht ist. Auf die kreisärztlichen Berichte kann in dieser Frage hingegen nicht abgestellt werden, da sie vor jenen des Dr. med. G.________ ergingen und sich folglich mit dessen Einschätzung nicht auseinandersetzen.
 
4.
 
4.1 Der Versicherte macht primär geltend, es könne - entgegen der Vorinstanz - nicht auf die Berichte des Dr. med. H.________ abgestellt werden, da dieser wegen der gegen seinen Arbeitgeber erhobenen Ansprüche infolge Behandlungsfehler (durch unsauberes Arbeiten beim Katheterisieren/Spülen verursachte Sepsis; Verletzung der Milz und des Pankreasschwanzes anlässlich der Nephrektomie vom 25. Oktober 2007) ein direktes Interesse an der Beurteilung der Lage habe und deshalb befangen sei. Die SUVA führt diesbezüglich aus, der Vorwurf der Befangenheit des Dr. med. H.________ sei verspätet, weshalb darauf nicht weiter einzugehen sei. Zudem seien im Zeitpunkt der von Dr. med. H.________ verfassten ärztlichen Berichte noch keine Rechtsansprüche erhoben worden, so dass seine Äusserungen frei erfolgt seien.
 
4.2 Dem (früheren) Rechtsvertreter des Versicherten war der Sachverhalt, auf Grund dessen nun Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber des Dr. med. H.________ erhoben werden, in der Tat schon lange bekannt, ebenso die von Dr. med. H.________ verfassten Berichte. Zu prüfen bleibt jedoch im Rahmen der Beweiswürdigung, ob die Berichte des Dr. med. H.________ den (allgemeinen) Anforderungen an einen ärztlichen Bericht entsprechen und auf sie auch unter Berücksichtigung der übrigen Akten abgestellt werden kann.
 
5.
 
5.1 Die Vorinstanz folgt der Meinung des Dr. med. H.________ und begründet dies damit, dass dieser den Versicherten seit 1999 bezüglich der Nierenprobleme behandeln würde und deshalb am besten geeignet sei, zu beurteilen, ob dem Versicherten aus den Komplikationen anlässlich der ersten Nephrektomie gesundheitliche Nachteile erwachsen würden; bei Dr. med. G.________ handle es sich hingegen um einen Facharzt der Chirurgie und dieser habe seine Einschätzung auch nur gestützt auf die Akten, ohne Untersuchung des Versicherten, abgegeben. Deshalb vermöchten die Ausführungen des Dr. med. G.________ die Schlussfolgerungen des Dr. med. H.________ nicht in Zweifel zu ziehen.
 
5.2 Dieser Einschätzung kann nicht gefolgt werden. Einerseits kommt nach der Rechtsprechung auch reinen Aktengutachten voller Beweiswert zu, sofern ein lückenloser Befund vorliegt und es im Wesentlichen nur um die ärztliche Beurteilung eines an sich feststehenden medizinischen Sachverhalts geht (Urteil 8C_119/2012 vom 30. März 2012 E. 4 mit Hinweis). Ebenfalls rechtfertigt der Umstand allein, dass eine ärztliche Stellungnahme von einer Partei eingeholt wurde, keine Zweifel an ihrem Beweiswert (BGE 125 V 351 E. 3b/dd S. 353). Vor allem aber ist bei Berichten von behandelnden Spezialisten zu beachten, dass sich diese in erster Linie auf die Behandlung zu konzentrieren haben und - wie Hausärzte - in einem Vertrauensverhältnis zum Patienten stehen, so dass im Streitfall eine direkte Leistungszusprache einzig gestützt auf die Angaben der behandelnden Ärztinnen und Ärzte kaum je in Frage kommt (BGE 135 V 465 E. 4.5 S. 470). Dr. med. H.________ vermag denn auch in seinem Bericht vom 22. Juli 2010 - soweit er überhaupt darauf eingeht - die Gegenargumente des Dr. med. G.________ nicht zu entkräften: Nach Meinung des Dr. med. H.________ gibt es für ein "mögliche[s] Crush-Syndrom (Quetschung der Muskulatur grösseren Ausmasses)" keine konkreten Hinweise, er äussert sich aber nicht zu den aktenkundigen Frakturen der Processus traversi rechts LWK 2 und 3 sowie der Fraktur Spondylophyt Deckplatte LWK 4 (vgl. etwa den Austrittsbericht der Urologischen Klinik, Spital A.________, vom 11. Januar 2008), welche für Dr. med. G.________ ein starkes Indiz für die natürliche Kausalität darstellen. Ebenso wenig geht Dr. med. H.________ auf den Einwand des Dr. med. G.________ ein, nach der Nephrektomie vom 25. Oktober 2007 hätten wahrscheinlich keine stabilen Gerinnungsverhältnisse vorgelegen. In diesem Zusammenhang ist auffällig, dass bis anhin die damaligen Laborwerte nicht hinzugezogen wurden. Insbesondere aber vermag Dr. med. H.________ nicht überzeugend zu erklären, weshalb seine im Bericht vom 30. März 2007 abgegebene Prognose, wonach mit einer Dialysepflicht erst in etwa zwei Jahren zu rechnen sei, nur acht Monate später auch ohne den Unfall vom 1. Oktober 2007 nicht mehr zutreffend sein soll. Bei dieser Ausgangslage und in Anwendung der obgenannten Grundsätze hält die Begründung der Vorinstanz, weshalb sie der Ansicht des behandelnden Nierenspezialisten folgt und diese auch durch die Schlussfolgerungen des Dr. med. G.________ nicht in Zweifel gezogen sieht, vor Bundesrecht nicht stand. Vielmehr wäre das kantonale Gericht bei dieser Sach- und Rechtslage gehalten gewesen, ein neutrales Obergutachten einzuholen. Die Sache wird deshalb unter Aufhebung des kantonalen Entscheids an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie nach Einholung eines entsprechenden Gerichtsgutachtens über die Beschwerde des Versicherten erneut befinde.
 
6.
 
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die Gerichtskosten werden der SUVA auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Versicherte hat dem Ausgang des Verfahrens entsprechend Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 4. Januar 2012 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über die Beschwerde neu entscheide.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
 
3.
 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 8. Juni 2012
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Leuzinger
 
Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold
 
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