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Informationen zum Dokument  BGer 8C_238/2012  Materielle Begründung
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BGer 8C_238/2012 vom 23.05.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
8C_238/2012
 
Urteil vom 23. Mai 2012
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Leuzinger, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichterin Niquille, Bundesrichter Maillard,
 
Gerichtsschreiber Lanz.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
S.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Andreas Burren,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Aargau,
 
Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung
 
(vorinstanzliches Verfahren; Prozessvoraussetzung),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
 
vom 17. Januar 2012.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
S.________ reichte am 22. September 2011 beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau Beschwerde ein gegen eine Verfügung der IV-Stelle des Kantons Aargau betreffend berufliche Massnahmen der Invalidenversicherung. Sie ersuchte das Versicherungsgericht, einen allfälligen Kostenvorschuss in monatlichen Raten à Fr. 200.- bezahlen zu können. Das Versicherungsgericht verlangte mit Verfügung vom 10. Oktober 2011 von S.________ die Bezahlung eines Kostenvorschusses von Fr. 800.-, zahlbar in monatlichen Raten à Fr. 200.-.
 
Mit Entscheid vom 17. Januar 2012 trat das Versicherungsgericht auf die Beschwerde nicht ein, da die dritte, per 31. Dezember 2011 fällig gewordene Rate erst am 6. Januar 2012 und damit verspätet bezahlt worden sei.
 
Mit Eingabe vom 22. Februar 2012 ersuchte S.________ das Versicherungsgericht unter Hinweis auf Art. 41 ATSG, auf seinen Entscheid zurückzukommen resp. die Frist wiederherzustellen.
 
B.
 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 16. März 2012 lässt S.________ beantragen, der Entscheid des Versicherungsgerichts vom 17. Januar 2012 sei aufzuheben und dieses sei zu verpflichten, auf die Beschwerde vom 3. Juli 2011 (recte: 22. September 2011) einzutreten.
 
Die vorinstanzlichen Akten wurden eingeholt. Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.
 
C.
 
Mit Entscheid vom 17. April 2012 weist das Versicherungsgericht das Wiederherstellungsgesuch vom 16. März 2012 ab.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).
 
2.
 
Die Beschwerde richtete sich gegen den vorinstanzlichen Entscheid vom 17. Januar 2012. Dabei anerkennt die Beschwerdeführerin ausdrücklich, dass sie die dritte Rate des von ihr verlangten Kostenvorschusses nach dem 31. Dezember 2011 und damit zu spät bezahlt hat. Sie wendet aber ein, sie sei Ende 2011 krank und daher erst am 6. Januar 2012 wieder in der Lage gewesen, Einzahlungen vorzunehmen. Dabei sei ihr nicht bewusst gewesen, dass sie zugleich in Anwendung von Art. 41 ATSG auch um Wiederherstellung der Zahlungsfrist hätte ersuchen müssen. Da die Zahlungen nicht über ihren Rechtsvertreter gegangen seien, habe dieser keine Kenntnis von der verzögerten Zahlung erhalten. Die Beschwerdeführerin und ihr Rechtsvertreter hätten daher erst mit der Zustellung des vorinstanzlichen Entscheides vom 17. Januar 2012 Kenntnis von der verzögerten Zahlung resp. von der Notwendigkeit der Wiederherstellung der Frist erhalten. Im Zeitpunkt des Erhalts dieses Entscheides am 15. Februar 2012 sei die 30tägige Frist für die Einreichung eines Wiederherstellungsgesuchs gemäss Art. 41 ATSG bereits abgelaufen gewesen. Es käme nun einem überspitzten Formalismus gleich und verstosse gegen Art. 9 BV, wenn unter den gegebenen Umständen die Einhaltung dieser Frist gefordert werde, nachdem die Vorinstanz der Beschwerdeführerin gar nicht mehr die Zeit eingeräumt habe, um innert Frist ein Wiederherstellungsgesuch zu stellen. Es müsse ausreichen, dass nach Kenntnisnahme dieses Entscheides (gemeint ist offenbar der vorinstanzliche Entscheid vom 17. Januar 2012) "innert 30 Tagen (Beschwerdefrist)" das entsprechende Begehren gestellt werde. Aus diesem Grund sei der Entscheid vom 17. Januar 2012 aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, die Beschwerde gemäss Eingabe vom 3. Juli 2011 (recte: 22. September 2011) an die Hand zu nehmen.
 
3.
 
Der von der Beschwerdeführerin angerufene Art. 41 ATSG betrifft die Wiederherstellung von Fristen im Sozialversicherungsverfahren und ist kraft Art. 60 Abs. 2 ATSG gleichermassen auf die Frist für die Einreichung der Beschwerde beim kantonalen Sozialversicherungsgericht anwendbar. Es fragt sich, ob Art. 41 ATSG auch die Wiederherstellung einer vom kantonalen Gericht angesetzten Frist zur Leistung eines Kostenvorschusses beschlägt. Die Vorinstanz ist im - hier nicht streitgegenständlichen - Entscheid vom 17. April 2012 davon ausgegangen, die Wiederherstellung einer solchen Frist richte sich nach Art. 41 ATSG in Verbindung mit Art. 24 VwVG. Diskutieren liesse sich gestützt auf Art. 61 ATSG auch die Anwendung von kantonalem Recht. Die Frage der Anwendbarkeit des Art. 41 ATSG kann aber - wie in den Urteilen SVR 2009 UV Nr. 25 S. 90, 8C_767/2008 E. 4.3 und 8C_953/2009 vom 23. Februar 2010 E. 6.3.2 - offenbleiben, wie nachfolgend dargelegt wird.
 
Voraussetzung für die Gewährung einer Fristwiederherstellung ist das Vorliegen entschuldbarer Gründe oder eines unverschuldeten Hindernisses, d.h. die Unmöglichkeit rechtzeitigen Handelns (vgl. erwähntes Urteil 8C_953/2009 E. 6.4.2 mit Hinweis). Es erscheint im vorliegenden Fall mehr als fraglich, ob ein entschuldbarer Grund oder ein unverschuldetes Hindernis dafür vorlag, dass fristgerecht kein Wiederherstellungsgesuch eingereicht wurde, und ob die Vorinstanz gehalten gewesen wäre, auf die Möglichkeit eines Wiederherstellungsgesuchs hinzuweisen resp. eine Frist hiefür einzuräumen. Dies muss aber nicht abschliessend beurteilt werden. Denn es kann ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass auch einem fristgerechten Wiederherstellungsgesuch kein Erfolg beschieden gewesen wäre. Das zeigen die folgenden Erwägungen:
 
Die Versicherte macht geltend, sie habe die am 31. Dezember 2011 abgelaufene Zahlungsfrist für die dritte Rate nicht einhalten können, da sie Ende 2011 krank und deswegen erst am 6. Januar 2012 wieder in der Lage gewesen sei, Zahlungen vorzunehmen. Sie legt zum Beweis ein Zeugnis ihres Hausarztes vom 27. Februar 2012 auf. Darin wird bestätigt, dass die Beschwerdeführerin vom 1. Dezember 2011 bis 6. Januar 2012 aus medizinischen Gründen nicht in der Lage gewesen sei, die Rechnung des Gerichts per Ende Dezember 2011 zu begleichen. Aus dem angefochtenen Entscheid und den Akten geht indessen hervor, dass die Versicherte am 9. Dezember 2011 die erste und zweite Rate des Kostenvorschusses bezahlt hat. Das steht in diametralem Widerspruch zu der Aussage ihres Hausarztes, wonach solche Zahlungen ab 1. Dezember 2011 gar nicht möglich gewesen sein sollen. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Beschwerdeführerin im gleichen Zeitraum der geltend gemachten krankheitsbedingten Unfähigkeit zwar die ersten beiden Raten, nicht aber die dritte Rate hätte bezahlen können. Das lässt ohne Weiteres den Schluss zu, dass ein entschuldbarer Grund oder ein unverschuldetes Hindernis für die fristgerechte Zahlung der dritten Rate nicht nachgewiesen ist und daher auch keine Fristwiederherstellung gerechtfertigt werden könnte.
 
4.
 
Die offensichtlich unbegründete Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a und Abs. 3 BGG abzuweisen.
 
5.
 
Die Kosten des Verfahrens sind von der unterliegenden Beschwerdeführerin zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 23. Mai 2012
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Leuzinger
 
Der Gerichtsschreiber: Lanz
 
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