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Informationen zum Dokument  BGer 6B_94/2012  Materielle Begründung
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BGer 6B_94/2012 vom 19.04.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6B_94/2012
 
Urteil vom 19. April 2012
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Mathys, Präsident,
 
Bundesrichter Schneider, Schöbi,
 
Gerichtsschreiberin Unseld.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Kübler,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Schützengasse 1, 9001 St. Gallen,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Strafzumessung, Anspruch auf rechtliches Gehör,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom 24. Oktober 2011.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
A.________ gewährte X.________ am 27. Mai 2008 zwei Darlehen über Fr. 7'000.-- und Fr. 13'000.--. Am 10. Juni 2008 und 1./2. Juli 2008 richtete A.________ X.________ weitere Darlehen über Fr. 25'000.-- bzw. Fr. 40'000.-- aus. Ein letztes Darlehen über Fr. 15'000.-- folgte am 4. Februar 2009. Die Anklage wirft X.________ vor, die Darlehen entgegen der mit A.________ getroffenen Vereinbarung nicht in das Lärmschutzprojekt investiert, sondern für private Zwecke verwendet zu haben.
 
B.
 
Das Kreisgericht Wil erklärte X.________ am 3. November 2010 bezüglich sämtlicher Darlehen der Veruntreuung schuldig. Es verurteilte ihn im Zusatz zum Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 1. September 2009 sowie unter Einbezug einer für vollziehbar erklärten Restgefängnisstrafe von 6 Monaten und 24 Tagen aus dem Urteil des Strafgerichts des Kantons Schwyz vom 23. September 2005 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten.
 
C.
 
Auf Berufung von X.________ sprach das Kantonsgericht St. Gallen diesen am 24. Oktober 2011 hinsichtlich des Darlehens vom 1./2. Juli 2008 über Fr. 40'000.-- vom Vorwurf der Veruntreuung frei. Bezüglich der Darlehen vom 27. Mai 2008, 10. Juni 2008 und 4. Februar 2009 bestätigte es den erstinstanzlichen Schuldspruch wegen mehrfacher Veruntreuung. Es verurteilte X.________ im Zusatz zum Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 1. September 2009 sowie unter Einbezug der Reststrafe gemäss Urteil des Strafgerichts des Kantons Schwyz vom 23. September 2005 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten.
 
D.
 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das Urteil vom 24. Oktober 2011 aufzuheben und das Verfahren zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei er unter Einbezug der Reststrafe gemäss Urteil des Strafgerichts des Kantons Schwyz vom 23. September 2005 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten zu verurteilen. Er ersucht um aufschiebende Wirkung.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Strafzumessung.
 
1.1 Das Gericht misst die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters (Art. 47 Abs. 1 StGB). Das Verschulden wird nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden (Art. 47 Abs. 2 StGB).
 
1.2 Der Strafrichter verfügt auf dem Gebiet der Strafzumessung über einen Ermessensspielraum. Das Bundesgericht greift auf Beschwerde in Strafsachen hin nur ein, wenn die Vorinstanz den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen ist oder wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen bzw. durch Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens falsch gewichtet hat (BGE 136 IV 55 E. 5.6; 135 IV 130 E. 5.3.1; 134 IV 17 E. 2.1). Alleine einer besseren Begründung wegen hebt das Bundesgericht das angefochtene Urteil nicht auf, solange die Strafzumessung im Ergebnis bundesrechtskonform ist (vgl. BGE 127 IV 101 E. 2c mit Hinweisen).
 
2.
 
2.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) sowie von Art. 47 und Art. 48 lit. d StGB. A.________ habe am 3. August 2010 sein Desinteresse an der Strafverfolgung ausgedrückt. Gleichzeitig habe er erklärt, dass sie sich "per saldo aller Ansprüche auseinandergesetzt sehen würden". Es sei somit davon auszugehen, dass er A.________ den Schaden ersetzt habe. Die Vorinstanz habe der Erklärung vom 3. August 2010 zu Unrecht keinerlei Bedeutung beigemessen.
 
2.2 Das Gericht mildert die Strafe, wenn der Täter aufrichtige Reue betätigt, namentlich den Schaden, soweit es ihm zuzumuten war, ersetzt hat (Art. 48 lit. d StGB). Nach der Rechtsprechung genügt nicht jede Wiedergutmachung des Schadens als Betätigung aufrichtiger Reue. Verlangt wird eine besondere Anstrengung seitens des Fehlbaren, die er freiwillig und uneigennützig weder nur vorübergehend noch allein unter dem Druck des drohenden oder hängigen Strafverfahrens erbringen muss. Der Täter muss Einschränkungen auf sich nehmen und alles daran setzen, das geschehene Unrecht wieder gut zu machen. Aufrichtige Reue setzt voraus, dass er die Schwere seiner Verfehlung einsieht und die Tat gesteht (BGE 107 IV 98; Urteile 6B_789/2011 vom 26. März 2012 E. 7.3.1; 6B_857/2010 vom 4. April 2011 E. 5.2.2.5).
 
2.3 Der Beschwerdeführer nahm in seiner Berufungsbegründung vom 14. April 2011 zwar auf die Desinteresseerklärung vom 3. August 2010 Bezug. Eine Wiedergutmachung des Schadens, der bei der Strafzumessung hätte Rechnung getragen werden müssen, macht er jedoch erstmals im bundesgerichtlichen Verfahren geltend. Der Beschwerdeführer ist mit der neuen Tatsachenbehauptung nicht zu hören, da er nicht darlegt und auch nicht ersichtlich ist, weshalb erst der angefochtene Entscheid dazu Anlass gegeben hätte (Art. 99 Abs. 1 BGG).
 
A.________ führte in seiner Zusatzerklärung zur Desinteresseerklärung aus (kant. Akten, Urk. Ge 12): "Des Weiteren haben Herr X.________ und ich teils schriftlich, teils mündlich vereinbart, den Rechtsweg im gegenseitigen Einvernehmen auszuschliessen. Daher sehen wir uns in persönlicher sowie auch in finanzieller Hinsicht per saldo aller Ansprüche auseinandergesetzt". Daraus ergibt sich weder, dass die veruntreuten Beträge zurückerstattet wurden, noch eine besondere Einsicht und Reue des Beschwerdeführers. Die Vorinstanz zog eine Strafmilderung gestützt auf Art. 48 lit. d StGB zu Recht nicht in Betracht. Eine blosse Einigung über die Zivilansprüche, welche nicht Ausdruck von Einsicht und Reue ist, führt nicht zwingend zu einer Strafminderung.
 
Eine Verletzung von Art. 47 und Art. 48 lit. d StGB oder des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt nicht vor.
 
3.
 
3.1 Der Beschwerdeführer beanstandet, die Vorinstanz habe ihn hinsichtlich des Darlehens vom 1./2. Juli 2008 vom Vorwurf der Veruntreuung freigesprochen. Dennoch habe sie das erstinstanzliche Strafmass bestätigt. Die Strafzumessung sei nicht nachvollziehbar und ungenügend begründet. So fehle die Einsatzstrafe, welche für die Würdigung der straferhöhenden und strafmindernden Zumessungskriterien als Basis hätte dienen können. Mit dem strafmindernden Kriterium der Opfermitverantwortung setze sich die Vorinstanz nicht auseinander. Die Deliktssumme von zusätzlich Fr. 40'000.-- (recte: Fr. 60'000.--) bei einem Geschädigten falle im Vergleich zur Deliktssumme von Fr. 600'000.-- bei sechs Geschädigten gemäss Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 1. September 2009 kaum ins Gewicht. Angemessen sei eine Zusatzfreiheitsstrafe von wenigen Tagen.
 
3.2
 
3.2.1 Hat der Täter durch eine oder mehrere Handlungen die Voraussetzungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt, so verurteilt ihn das Gericht zu der Strafe der schwersten Straftat und erhöht sie angemessen. Es darf jedoch das Höchstmass der angedrohten Strafe nicht um mehr als die Hälfte erhöhen (Art. 49 Abs. 1 StGB). Hat das Gericht eine Tat zu beurteilen, die der Täter begangen hat, bevor er wegen einer andern Tat verurteilt worden ist, so bestimmt es die Zusatzstrafe in der Weise, dass der Täter nicht schwerer bestraft wird, als wenn die strafbaren Handlungen gleichzeitig beurteilt worden wären (Art. 49 Abs. 2 StGB). Das Strafgesetz will im Wesentlichen das Asperationsprinzip auch bei retrospektiver Konkurrenz gewährleisten. Der Täter, der mehrere Freiheitsstrafen verwirkt hat, soll nach einem einheitlichen, für ihn relativ günstigen Prinzip der Strafschärfung beurteilt werden, unabhängig davon, ob die Verfahren getrennt durchgeführt werden oder nicht. Der Täter soll damit trotz Aufteilung der Strafverfolgung in mehrere Verfahren gegenüber jenem Täter, dessen Taten gleichzeitig beurteilt wurden, nicht benachteiligt und soweit als möglich auch nicht besser gestellt werden (BGE 132 IV 102 E. 8.2 mit Hinweisen).
 
Die Rechtsprechung stellt für die Frage, ob überhaupt und in welchem Umfang (d.h. ganz oder teilweise) das Gericht eine Zusatzstrafe aussprechen muss, auf das Datum der ersten Verurteilung im ersten Verfahren ab (sog. Ersturteil, bei welchem es sich oftmals, aber nicht zwingend um das erstinstanzliche Urteil handelt). Das Datum des Ersturteils ist auch massgeblich, wenn das Strafmass im Rechtsmittelverfahren erhöht oder herabgesetzt wurde (BGE 129 IV 113 E. 1.3 und 1.4; BGE 6B_180/2011 vom 5. April 2012 E. 3.4.2 und 3.4.3 m.w.H.).
 
3.3 Die Vorinstanz spricht zu Unrecht eine Zusatzstrafe zum Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 1. September 2009 aus (Urteil E. 3a und d). Das Kreisgericht Alttoggenburg-Wil verurteilte den Beschwerdeführer am 21. Februar 2008 (schriftliche Eröffnung des Rechtspruchs am 21. Februar 2008; Versand der Urteilsbegründung am 21. Mai 2008) wegen mehrfacher Veruntreuung im Zusatz zum Urteil des Strafgerichts des Kantons Schwyz vom 30. November 2006 zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten (kant. Akten, Urk. P15). Das Kantonsgericht St. Gallen bestätigte am 1. September 2009 den erstinstanzlichen Schuldspruch, reduzierte die Zusatzfreiheitsstrafe jedoch auf 12 Monate (kant. Akten, Urk. P16). Die Vorinstanz hätte eine selbstständige Strafe aussprechen müssen, da der Beschwerdeführer sämtliche vorliegend zu beurteilenden Veruntreuungshandlungen nach der erstinstanzlichen Verurteilung vom 21. Februar 2008 beging.
 
Nicht zu hören ist der Beschwerdeführer, soweit er geltend macht, die zusätzlich veruntreuten Gelder von Fr. 60'000.-- fielen im Vergleich zur Deliktssumme von Fr. 600'000.-- kaum ins Gewicht, da keine Zusatzstrafe auszusprechen war.
 
3.4 Der Beschwerdeführer wurde am 11. April 2008 bedingt aus dem Vollzug der Freiheitsstrafe gemäss Urteil des Strafgerichts des Kantons Schwyz vom 23. September 2005 bzw. 30. November 2006 (kant. Akten, Urk. P11 und P13) entlassen. Für die Restfreiheitsstrafe von 6 Monaten und 24 Tagen wurde ihm eine Probezeit von einem Jahr angesetzt (Urteil lit. c S. 8). Die Vorinstanz erklärt die Restfreiheitsstrafe angesichts der erneuten Straffälligkeit während der Probezeit für vollziehbar. Sie spricht für die widerrufene Reststrafe und die neue, unbedingte Freiheitsstrafe in Anwendung von Art. 89 Abs. 6 StGB eine Gesamtfreiheitsstrafe aus.
 
Die Strafe von 11 Monaten, welche sowohl der Restfreiheitsstrafe von 6 Monaten und 24 Tagen als auch der Strafe für die neuen Taten Rechnung trägt, ist nicht übermässig hart. Die Vorinstanz war nicht verpflichtet, die erstinstanzliche Strafe aufgrund des teilweisen Freispruchs zu reduzieren, da sie diese als milde erachtete (Urteil S. 7).
 
3.5 Das Gericht hat in der Begründung die für die Zumessung der Strafe erheblichen Umstände und deren Gewichtung festzuhalten (Art. 50 StGB). Der angefochtene Entscheid ist ausreichend begründet. Nicht erforderlich ist, dass der Sachrichter die Gewichtung der einzelnen Strafzumessungsfaktoren in Zahlen oder in Prozenten wiedergibt (BGE 136 IV 55 E. 5.6; 127 IV 101 E. 2c).
 
Die Vorinstanz musste bei der Strafzumessung nicht auf die "Opfermitverantwortung" Bezug nehmen. Entscheidend ist, dass sie den Tatumständen bei der Strafzumessung ausreichend Rechnung trägt.
 
4.
 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Das Gesuch um aufschiebende Wirkung wird mit dem Entscheid in der Sache gegenstandslos.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 19. April 2012
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Mathys
 
Die Gerichtsschreiberin: Unseld
 
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