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Informationen zum Dokument  BGer 4A_653/2011  Materielle Begründung
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BGer 4A_653/2011 vom 16.04.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
4A_653/2011
 
Urteil vom 16. April 2012
 
I. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
 
Bundesrichter Corboz,
 
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
 
Gerichtsschreiber Gelzer.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Stiftung X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Luzius Schmid,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Y.________ AG,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Dominik Infanger,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Anfechtung des Anfangsmietzinses,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, II. Zivilkammer, vom 22. September 2011.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Vertrag vom 20. März 2009 mietete die Stiftung X.________ (Mieterin) von der Y.________ AG (Vermieterin) die sogenannte Liegenschaft Z.________ in Q.________. Der vertragliche Jahresmietzins betrug zunächst Fr. 1'000'000.-- und ab dem zweiten Jahr Fr. 1'380'000.--.
 
B.
 
B.a Mit Eingabe vom 12. Juni 2009 gelangte die Mieterin an die Schlichtungsbehörde für Mietverhältnisse des Bezirks Prättigau/Davos, um den Anfangsmietzins im Sinne von Art. 270 OR anzufechten. Am 16. September 2009 wurden die Parteien zur Schlichtungsverhandlung auf den 16. Oktober 2009 eingeladen und auf die damals geltenden einschlägigen kantonalen Verfahrensbestimmungen (Vollziehungsverordnung zum Schweizerischen Obligationenrecht [Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen] vom 30. November 1994 [VVzOR; BR 219.800]) hingewiesen, namentlich darauf, dass das Gesuch nach Art. 23 Abs. 1 VVzOR als zurückgezogen gelte, wenn der Gesuchsteller ohne genügende Entschuldigung nicht persönlich zur Verhandlung erscheint. An der Schlichtungsverhandlung nahm seitens der Mieterin R.________, Kaufmännischer Direktor und Mitglied der Klinikleitung, und seitens der Vermieterin ihr Verwaltungsratspräsident und ihr Rechtsanwalt teil.
 
Mit Entscheid vom 16. Oktober 2009 schrieb die Schlichtungsstelle das von der Mieterin eingeleitete Schlichtungsverfahren "aufgrund des Rückzugs des Begehrens durch Nichterscheinen der Gesuchstellerin zur Verhandlung" ab. Zur Begründung führte die Schlichtungsbehörde aus, als Vertreter der Mieterin sei R.________ allein zur Schlichtungsverhandlung erschienen, obwohl er lediglich berechtigt sei, die Mieterin durch Kollektivunterschrift zu zweien zu vertreten. Ein Gesuch um Dispens für die Verhandlung gemäss Art. 22 Abs. 3 VVzOR sei nicht eingereicht und der Schlichtungsbehörde auch keine Vollmacht vorgelegt worden. Die Mieterin gelte daher als unentschuldigt nicht erschienen und ihr Gesuch als zurückgezogen.
 
B.b Mit Prozesseingabe vom 13. November 2009 klagte die Mieterin beim Bezirksgericht Prättigau/Davos gegen die Vermieterin mit dem Begehren:
 
"Der Jahresmietzins gemäss Mietvertrag vom 20. März 2009 betreffend Liegenschaft Z.________ sei auf Fr. 605'000.-- herabzusetzen, gemäss Mietvertrag indexiert.
 
Vorbehalten wird die Erhöhung dieses Betrages aufgrund der Unterlagen, die die Beklagte noch beizubringen hat (Art. 274d Abs. 3 OR) und die die Klägerin im Schlichtungsverfahren nicht einsehen konnte."
 
Das Bezirksgericht trat - nach einem Zwischenverfahren wegen Eröffnung des Konkurses über die Mieterin - am 18. März 2010 auf die Klage nicht ein, im Wesentlichen mit der Begründung, der Abschreibungsbeschluss der Mietschlichtungsbehörde sei unangefochten geblieben und damit in Rechtskraft erwachsen.
 
B.c Beide Parteien haben gegen den Entscheid des Bezirksgerichts Beschwerde beim Kantonsgericht von Graubünden eingelegt. Dieses vereinigte die Beschwerdeverfahren, wies mit Urteil vom 22. September 2011 die Beschwerde der Klägerin ab, soweit es darauf eintrat, und sprach der Beklagten in teilweiser Gutheissung ihrer Beschwerde für das erstinstanzliche Verfahren eine auf Fr. 17'000.-- erhöhte Prozessentschädigung zu.
 
C.
 
Die Mieterin (Beschwerdeführerin) beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des Kantonsgerichts vom 22. September 2011 aufzuheben und die Klage gutzuheissen. Eventuell sei die Sache an das Bezirksgericht Prättigau/Davos zur Beurteilung in der Sache zurückzuweisen. Die Vermieterin (Beschwerdegegnerin) und das Kantonsgericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden kann.
 
Mit Präsidialverfügung vom 19. Januar 2012 wurde dem Sicherstellungsbegehren der Beschwerdegegnerin grundsätzlich stattgegeben und die Beschwerdeführerin verpflichtet, eine allfällige Parteientschädigung mit Fr. 7'000.-- sicherzustellen. Die Sicherstellung wurde fristgerecht geleistet.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Da das kantonale Beschwerdeverfahren vor Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung rechtshängig war, ging die Vorinstanz zutreffend davon aus, in diesem Verfahren finde gestützt auf Art. 404 Abs. 1 ZPO weiterhin die Zivilprozessordnung des Kantons Graubünden vom 1. Dezember 1985 (ZPO/GR) Anwendung.
 
2.
 
2.1 Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Beschwerdeschrift in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Soweit das Bundesgericht das Recht von Amtes wegen anwendet (Art. 106 BGG), ist eine ausdrückliche Nennung bestimmter Gesetzesartikel nicht erforderlich, falls aus den Vorbringen hervorgeht, gegen welche Regeln des Bundesrechts die Vorinstanz verstossen haben soll (BGE 134 V 53 E. 3.3 S. 60; 133 IV 286 E. 1.4; vgl. BGE 121 III 397 E. 2a S. 400; 116 II 745 E. 3 S. 748 f.).
 
2.2 Beruht ein Entscheid auf mehreren selbstständigen alternativen Begründungen, ist für jede einzelne darzutun, weshalb sie Recht verletzt (BGE 133 IV 119 E. 6.3 S. 120 f.; vgl. auch BGE 132 III 555 E. 3.2 S. 560; je mit Hinweisen). Soweit nicht beanstandete Begründungen das angefochtene Urteil zu tragen vermögen, fehlt das Rechtsschutzinteresse an der Beurteilung der gehörig begründeten Rügen (Urteil 4A_178/2011 vom 28. Juni 2011 E. 1.2.1, nicht publ. in: BGE 137 III 324).
 
3.
 
3.1 Im kantonalen Verfahren vertrat die Beschwerdeführerin die Meinung, das Resultat der Schlichtungsverhandlung vom 16. Oktober 2006 sei als Nichtzustandekommen einer Einigung zu lesen, was der Partei, welche auf ihren Begehren beharre, nach Art. 274f Abs. 1 aOR innert 30 Tagen den Rechtsweg an das Gericht eröffne.
 
3.2 Die Vorinstanz hat diese Rechtsauffassung verworfen. Zur Begründung führte sie namentlich an, der Abschreibungsbeschluss der Schlichtungsbehörde sei in Rechtskraft erwachen, weil die Beschwerdeführerin von der Möglichkeit, ihn gemäss Art. 232 ff. ZPO/GR innert 20 Tagen beim Kantonsgerichtsausschuss anzufechten, keinen Gebrauch gemacht habe und auch die Klage an das Bezirksgericht keine Anfechtung enthalte.
 
Darüber hinaus hätte das Bezirksgericht ohnehin nicht auf die Klage eintreten dürfen, weil ihm kein Schlichtungsprotokoll betreffend das Nichtzustandekommen der Einigung im Sinne eines Leitscheins vorgelegen habe (Art. 12 Abs. 2 VVzOR in Verbindung mit Art. 71, 73 und 82 ZPO/GR), was die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin hätte erkennen müssen.
 
3.3 Auf die letztgenannte Erwägung geht die Beschwerdeführerin nicht ausdrücklich ein. Sie führt jedoch aus, zu Beginn der am 16. Oktober 2009 angesetzten Schlichtungsverhandlung habe die Gegenseite den Einwand der ungenügenden Vertretung erhoben. Die Schlichtungsbehörde habe diesen Einwand akzeptiert und die Verhandlung nach 5-10 Minuten geschlossen. Wäre die Schlichtungsbehörde pflichtgemäss vorgegangen, hätte sie trotz des Einwands die Sitzung nicht abbrechen, sondern nach wie vor auf eine Einigung hinwirken sollen. Es sei überspitzt formalistisch gewesen, R.________ von vornherein das Recht zu nehmen, seinen Antrag an der Schlichtungsverhandlung zu begründen. Jedenfalls hätte die alleinige Anwesenheit von R.________ nicht als Rückzug des Gesuchs aufgefasst werden dürfen. Da die Parteien sich nicht hätten einigen können, hätte die Schlichtungsbehörde festhalten sollen, eine Einigung sei nicht zustande gekommen.
 
3.4 Die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat aus Art. 274a ff. aOR abgeleitet, dass in allen Streitigkeiten aus der Miete von Wohn- oder Geschäftsräumen von Bundesrechts wegen grundsätzlich ein Schlichtungsverfahren durchzuführen ist. Seine Durchführung bildet daher Voraussetzung eines nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens. Der Richter tritt auf eine Klage nur ein, wenn vorgängig die Schlichtungsbehörde nach Art. 274e Abs. 2 aOR das Misslingen einer Einigung festgestellt oder im Rahmen ihrer Kompetenzen einen Sachentscheid gefällt hat (BGE 133 III 645 E. 5.1 S. 651 mit Hinweisen).
 
3.5 Im vorliegenden Fall hat am 16. Oktober 2006 in der Sache keine Schlichtungsverhandlung stattgefunden, weil diese vor ihrem eigentlichen Beginn aus formalen Gründen abgebrochen wurde. Dass sich die Beschwerdeführerin danach darum bemüht hätte, die Durchführung einer Schlichtungsverhandlung zu erwirken, ist nicht festgestellt und macht sie nicht geltend. Unter diesen Umständen hat die Vorinstanz im Ergebnis kein Bundesrecht verletzt, wenn sie dafür hielt, das Bezirksgericht hätte bereits mangels einer durchgeführten Schlichtungsverhandlung ohnehin nicht auf die Klage eintreten dürfen.
 
3.6 Nach dem Gesagten kommt den Erwägungen der Vorinstanz über die Anfechtungsmöglichkeiten des Abschreibungsbeschlusses der Schlichtungsbehörde keine entscheiderhebliche Bedeutung zu, weshalb auf die dagegen gerichtete Kritik der Beschwerdeführerin mangels Rechtsschutzinteresses nicht einzutreten ist.
 
4.
 
Aus den dargelegten Gründen erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens wird die Beschwerdeführerin dafür kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 6'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 7'000.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden, II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 16. April 2012
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Klett
 
Der Gerichtsschreiber: Gelzer
 
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