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Informationen zum Dokument  BGer 9C_727/2011  Materielle Begründung
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BGer 9C_727/2011 vom 23.01.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
9C_727/2011
 
Urteil vom 23. Januar 2012
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
 
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Glanzmann,
 
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
M.________,
 
vertreten durch Advokat Nicolai Fullin,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
IV-Stelle Basel-Stadt,
 
Lange Gasse 7, 4052 Basel,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt
 
vom 29. August 2011.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
A.a M.________, geboren 1960, verfügt über eine Berufsausbildung als Schlosser. Zwischen 1. Januar 2004 und 30. Juni 2005 (letzter effektiver Arbeitstag: 30. Juni 2004) war er bei der A.________ GmbH als Monteur tätig. Am 22. April 2005 meldete er sich unter Hinweis auf ein chronisches pseudoradikuläres lumbovertebrales Schmerzsyndrom, eine Diskushernie L5/S1, muskuläre Dysbalance, Fehlhaltung und Verdacht auf chronische Periarthropathia humeroscapularis links, bestehend seit 17. September 2004, bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an (Berufsberatung, Umschulung auf eine neue Tätigkeit, Rente). Die IV-Stelle Basel-Stadt führte erwerbliche und medizinische Abklärungen durch. Am 28. Juli 2005 sprach sie M.________ Berufsberatung und Abklärung der beruflichen Eingliederungsmöglichkeiten zu und verfügte am 23. September 2005 eine Abklärung der beruflichen Eingliederungsmöglichkeiten (Gutachten des Spitals X.________, BEFAS Berufliche Abklärung, vom 12. Januar 2006). Nach Eingang weiterer ärztlicher Berichte und durchgeführtem Vorbescheidverfahren sprach die IV-Stelle M.________ eine ganze Rente ab 1. September 2005 sowie eine halbe Rente ab 1. Januar 2006 bis 31. Mai 2006 zu. Anschliessend betrage der Invaliditätsgrad weniger als 40 %, weshalb kein Rentenanspruch mehr bestehe (Verfügung vom 5. Juli 2007). In der Folge (Mitteilung vom 17. Juli 2007) gewährte sie M.________ Beratung und Unterstützung bei der Stellensuche und schloss die Arbeitsvermittlung mit Verfügung vom 6. März 2008 ab.
 
A.b Am 17. Oktober 2008 erlitt M.________ einen Myokardinfarkt. Ab 1. Dezember 2008 war er in der Firma B.________ angestellt. Am 26. Oktober 2009 erlitt er einen zweiten Myokardinfarkt. Mit Neuanmeldung vom 10. März 2010 ersuchte M.________ unter Hinweis auf "Krankheit", bestehend seit 1997, erneut um Leistungen der Invalidenversicherung. Die IV-Stelle holte einen Bericht ein der Frau Dr. med. R.________, FMH Physikalische Medizin, vom 15. Juni 2010, und stellte am 4. Oktober 2010 vorbescheidweise die Abweisung des Leistungsbegehrens in Aussicht. Am 13. Oktober 2010 erklärte M.________, er sei mit dem Vorbescheid nicht einverstanden und legte mehrere Arztberichte betreffend seine Herzproblematik ins Recht. Die IV-Stelle führte erneute erwerbliche Abklärungen durch und zog die Akten bei der Krankentaggeldversicherung bei. Vom 18. Oktober bis 5. November 2010 war M.________ in der Klinik Y.________ hospitalisiert (Austrittsbericht kardiale Rehabilitation vom 8. November 2010). Die IV-Stelle holte eine Stellungnahme des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) vom 7. Januar 2011 ein und verfügte am 12. Januar 2011 die Abweisung des Leistungsbegehrens (entsprechend dem Vorbescheid).
 
B.
 
Die hiegegen erhobene Beschwerde des M.________ wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 29. August 2011 ab.
 
C.
 
M.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides die Zusprechung einer Invalidenrente ab 1. März 2010 beantragen. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz respektive an die IV-Stelle zurückzuweisen zur weiteren Abklärung.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Diese gesetzliche Kognitionsbeschränkung in tatsächlicher Hinsicht gilt namentlich für die Einschätzung der gesundheitlichen und leistungsmässigen Verhältnisse (Art. 6 ATSG), wie sie sich im revisions- oder neuanmeldungsrechtlich massgeblichen Vergleichszeitraum (BGE 133 V 108) entwickelt haben (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 692/06 vom 19. Dezember 2006 E. 3.1).
 
1.2 Bei den vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit der versicherten Person handelt es sich grundsätzlich um Entscheidungen über eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.), welche das Bundesgericht seiner Urteilsfindung zugrunde zu legen hat (E. 1.1). Die konkrete Beweiswürdigung stellt ebenfalls eine Tatfrage dar. Dagegen ist die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteil I 865/06 vom 12. Oktober 2007 E. 4 mit Hinweisen), die das Bundesgericht im Rahmen der den Parteien obliegenden Begründungs- bzw. Rügepflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG und Art. 106 Abs. 2 BGG) frei überprüfen kann (Art. 106 Abs. 1 BGG).
 
2.
 
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 2 IVG) sowie zum Beweiswert und zur Beweiswürdigung ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen. Korrekt festgesetzt hat sie auch die bei einer Neuanmeldung massgeblichen Vergleichszeitpunkte (BGE 130 V 71 E. 3.2.3 S. 77; vgl. auch BGE 133 V 108 E. 5.4 S. 114).
 
3.
 
3.1 Streitig ist, ob sich der Gesundheitszustand des Versicherten zwischen den Verfügungen vom 5. Juli 2007 und 12. Januar 2011 in anspruchserheblichem Ausmass verändert hat.
 
3.2 Die Vorinstanz erwog, die Beschwerdegegnerin habe gestützt auf die Berichte der Frau Dr. med. R.________ vom 15. Juni 2010, der Frau Dr. med. K.________, Fachärztin FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 29. Juli und 10. Dezember 2010, des Spitals Z.________ (Kardiologie), vom 24. September 2010 sowie der Klinik Y.________ vom 8. November 2010, zu Recht eine erhebliche gesundheitliche Verschlechterung verneint. Somatisch fehle es an einer Diagnose, welche die Arbeitsfähigkeit in einer leichten Tätigkeit beeinträchtige; der abweichenden Einschätzung der behandelnden Frau Dr. med. R.________ vom 15. Juni 2010 könne nicht gefolgt werden. Aus psychiatrischen Gründen sei die Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten leichten Tätigkeit ebenfalls nicht eingeschränkt. Die von Frau Dr. med. K.________ erhobene Diagnose einer mittelschweren bis schweren Depression könne "nicht recht nachvollzogen" werden. Dagegen spreche zudem, dass der Beschwerdeführer einen Termin für ein psychiatrisches Konsilium in der Klinik Y.________ nicht wahrgenommen habe und sich nicht in der Nähe seines Wohnortes behandeln lasse.
 
4.
 
4.1 Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass die kardiologische Problematik ohne Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit in einer leichten Tätigkeit geblieben ist. Er macht hingegen namentlich geltend, die Vorinstanz habe in willkürlicher Beweiswürdigung den Beurteilungen der behandelnden Dres. med. R.________ und K.________ jeglichen Beweiswert abgesprochen, ohne sich mit den entsprechenden Berichten auseinanderzusetzen, und auf die Einschätzung des Regionalen Ärztlichen Dienstes abgestellt, obwohl sämtliche neueren Arztberichte eine erhebliche Arbeitsunfähigkeit auch in einer Verweisungstätigkeit bestätigten. Der Versicherte legt indes nicht dar, welche konkreten - fachärztlich schlüssig festgestellten - Diagnosen die Vorinstanz zu Unrecht ausser Acht gelassen hätte. Das Vorbringen, allen vorinstanzlich berücksichtigten Arztberichten sei eine erheblich eingeschränkte Arbeitsfähigkeit in Verweisungstätigkeiten zu entnehmen, ist sogar aktenwidrig. Während aus dem in der Beschwerde zitierten Bericht des Spitals Z.________ vom 24. September 2010 ausdrücklich hervorgeht, eine Bürotätigkeit wäre aus kardiologischer Sicht zumutbar, attestierten die Fachleute an der Klinik Y.________ eine vollumfängliche Arbeitsunfähigkeit nur zwischen 18. Oktober und 15. November 2010, danach habe eine Reevaluation "durch die nachbehandelnde Ärzteschaft" zu erfolgen.
 
4.2 Den Akten lassen sich mit Bezug auf den somatischen Gesundheitszustand (abgesehen von der iv-rechtlich nicht relevanten kardiologischen Problematik) keine seit der den Rentenanspruch ab Juni 2006 verneinenden Verfügung vom 5. Juli 2007 neu hinzugetretenen Diagnosen mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit, entnehmen. Die von Frau Dr. med. R.________ am 15. Juni 2010 geschilderten Lumbalgien mit Ausstrahlung in beide Beine, vor allem links, mit Dysästhesien am lateralen Ober- und Unterschenkel sowie brennende Dysästhesien am rechten Oberschenkel konnten in der Klinik Y.________ durch eine intravenöse Schmerztherapie positiv beeinflusst werden. Nach Einschätzung des Prof. Dr. med. S.________, leitender Arzt Kardiologie am Spital Z.________, stehen diese Beschwerden einer Bürotätigkeit auch nicht entgegen (Arztbrief vom 24. September 2010). Im Übrigen berücksichtigte die Vorinstanz zu Recht, dass Frau Dr. med. R.________ zwar am 4. Mai 2005 eine volle Arbeitsfähigkeit in einer adaptierten Tätigkeit attestiert, am 17. August 2006 indes unter ausdrücklichem Hinweis, der Gesundheitszustand habe sich "gegenüber 2005 nicht wesentlich verändert" ohne weitere Begründung nurmehr eine 50%ige Arbeitsunfähigkeit bescheinigt hatte. In der Beurteilung vom 15. Juni 2010 begründete Frau Dr. med. R.________ ebenfalls nicht, weshalb die Arbeitsfähigkeit nochmals um 10 % (auf 40 %) abgenommen habe. Wenn die Vorinstanz auf die Einschätzung der Frau Dr. med. R.________ nicht abstellte und berücksichtigte, dass die Beurteilungen behandelnder Ärztinnen und Ärzte besonders sorgfältig zu würdigen sind, hält diese Beweiswürdigung vor Bundesrecht stand.
 
4.3 Was den psychischen Gesundheitszustand angeht, ist unbestritten, dass der Versicherte nach den zwei Herzinfarkten und namentlich im Anschluss an den Eingriff vom 10. Februar 2010 (operative Revision einer Fistel), dessen Verlauf "suboptimal" kommuniziert wurde, "psychisch deutlich mitgenommen" war (Bericht des Prof. Dr. med. S.________ vom 22. September 2010). Die von der behandelnden Frau Dr. med. K.________ am 29. Juli 2010 diagnostizierte mittel bis schwere depressive Episode mit intermittierend auftretenden Suizidgedanken (ICD-10 F32.2) sowie die Panikstörung (ICD-10 F41.0) konnten aber insbesondere im Rahmen der Hospitalisation des Beschwerdeführers in der Klinik Y.________ vom 18. Oktober bis 5. November 2010 nicht bestätigt werden (Austrittsbericht vom 8. November 2011). Im Übrigen begründete auch Frau Dr. med. K.________ die von ihr attestierte Arbeitsfähigkeit ("der Patient [sollte] mit 2-3 Stunden am Tag arbeiten beginnen können") am 11. Dezember 2010 nurmehr mit einer reduzierten psychischen (wie auch physischen) Belastbarkeit, starken Versagensängsten, einem Schmerzsyndrom und Antriebsverminderung. Die am 29. Juli 2010 erhobenen Diagnosen finden sich in diesem Schreiben nicht mehr. Wenn die Vorinstanz auch in Würdigung der Stellungnahme der RAD-Ärztin Dr. med. P.________, Fachärztin für Innere Medizin FMH, vom 1. Dezember 2010, welche festhielt, die von Frau Dr. med. K.________ am 29. Juli 2010 prognostizierte Verbesserung unter medikamentöser Therapie möge mittlerweile eingetreten sein, in psychischer Hinsicht ebenfalls nicht von einer anspruchsbegründenden Verschlechterung ausging, verletzte sie kein Bundesrecht.
 
5.
 
Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die vorinstanzliche Beweiswürdigung weder offensichtlich unrichtig ist noch sonst auf einer Rechtsverletzung beruht. Von Willkür in der Sachverhaltsfeststellung (vgl. BGE 134 II 124 E. 4.1 S. 133; 133 I 149 E. 3.1 S. 153 mit Hinweisen) kann nicht die Rede sein. Eine Verschlechterung des Gesundheitsschadens ist nicht ausgewiesen und die Beschwerde damit abzuweisen.
 
6.
 
Die Kosten des Verfahrens trägt der unterliegende Beschwerdeführer (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 23. Januar 2012
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Meyer
 
Die Gerichtsschreiberin: Bollinger Hammerle
 
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