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Informationen zum Dokument  BGer 8C_664/2011  Materielle Begründung
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BGer 8C_664/2011 vom 05.01.2012
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
8C_664/2011
 
Urteil vom 5. Januar 2012
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
 
Bundesrichterinnen Leuzinger, Niquille,
 
Gerichtsschreiber Hochuli.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
B.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans-Martin Allemann,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Gemeinde X.________,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Öffentliches Personalrecht (Beendigung),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 1. Februar 2011.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
B.________, geboren 1948, arbeitete seit 1971 als Real- und Sekundarschullehrerin mit einem 100%-Pensum an der Gemeindeschule in X.________. Zu Beginn des Jahres 2009 stellte Schulvizedirektor anlässlich von drei Schulbesuchen Mängel im Unterricht der Lehrerin fest. Im Sinne einer Zweitmeinung liess er vom zuständigen Schulinspektor eine Unterrichtsbeurteilung sowie eine Schülerbefragung durchführen. Im Rahmen der anschliessend vereinbarten Verbesserungsmassnahmen besuchte die Lehrerin unter anderem von Mai bis November 2009 ein Coaching. Trotz dieser Massnahmen zeigten sich anlässlich einer weiteren Unterrichtsbeurteilung und Schülerbefragung anhaltend Mängel im pädagogischen und didaktisch-methodischen Bereich des Unterrichts von B.________. Die Schuldirektion eröffnete ihr deshalb mit Schreiben vom 5. Februar 2010, dass eine Fortsetzung der Beschäftigung als Klassenlehrerin im Schulhaus Y.________ nicht mehr möglich sei und bot ihr drei alternative Lösungen an: erstens, bis zur gewünschten freiwilligen vorzeitigen Pensionierung per 31. Juli 2011 eine Weiterbeschäftigung für ein Schuljahr in einem anderen Schulhaus mit einem Teilpensum als Fachlehrerin (nicht mehr als Klassenlehrerin) sowie Mitarbeit im Förderzentrum; zweitens, termingerechte Kündigung von Seiten der Lehrerin auf Ende des laufenden Schuljahres (31. Juli 2010) mit formeller Verabschiedung aus dem Dienst als Lehrerin und anschliessender vorzeitiger Pensionierung; oder drittens, administrative Kündigung durch die Arbeitgeberin per 31. Juli 2010. In ihrer Stellungnahme vom 16. Februar 2010 beanstandete B.________ die Beurteilung ihres Unterrichts als unzutreffend, beantragte die Fortsetzung ihrer angestammten Beschäftigung als Klassenlehrerin bis zum Schulaustritt ihrer jetzigen Schulklasse im Sommer 2011 sowie ihre anschliessende vorzeitige Pensionierung, oder aber die vorzeitige Pensionierung per 31. Juli 2010, dies jedoch in Verbindung mit einem Schadensausgleich für die um ein Jahr verfrühte Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand. Am 22. Februar 2010 beschloss der Gemeinderat von X.________ die administrative Pensionierung von B.________ per 31. Juli 2010 ohne Schadensausgleich.
 
B.
 
Die hiegegen erhobene Beschwerde der B.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden mit Entscheid vom 1. Februar 2011 ab.
 
C.
 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt B.________ die Aufhebung des angefochtenen Gerichtsentscheids und der Verfügung der Gemeinde X.________ (nachfolgend auch Arbeitgeberin oder Beschwerdegegnerin genannt) vom 22. Februar 2010 beantragen. Eventualiter sei die Beschwerdegegnerin unter Aufhebung des angefochtenen Entscheids zu Schadensausgleichszahlungen an die Beschwerdeführerin zu verpflichten.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Der angefochtene Entscheid, ein Endentscheid einer letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d, Art. 90 BGG), betrifft die Abweisung des Begehrens um Aufhebung der per 31. Juli 2010 ausgesprochenen administrativen Pensionierung (Beendigungsgrund im Sinne von Art. 13 lit. e der Personalverordnung der Gemeinde X.________ vom 29. April 2004 [PVO]) im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnisses, d.h. eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit im Sinne von Art. 82 lit. a BGG. Es handelt sich um eine vermögensrechtliche Streitigkeit, da bei einer allfälligen Beschwerdegutheissung ein Anspruch auf Entschädigung besteht (vgl. Art. 16 PVO in Verbindung mit Art. 336a Abs. 2 OR sowie Art. 51 Abs. 1 lit. a BGG). Das Streitwerterfordernis von Fr. 15'000.- ist gegeben (Art. 85 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Art. 51 Abs. 1 lit. a BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt. Die Beschwerde ist damit grundsätzlich zulässig.
 
1.2 Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Ausserhalb des Anwendungsbereichs von Art. 95 lit. c-e BGG, welche Vorschriften hier nicht zum Tragen kommen, bleibt die Kognition des Bundesgerichts bezüglich des kantonalen Rechts unter dem Bundesgerichtsgesetz im Vergleich zum früheren Recht unverändert. Die Verletzung kantonaler Bestimmungen bildet nur dann einen zulässigen Beschwerdegrund, wenn eine derartige Rechtsverletzung einen Verstoss gegen Bundesrecht im Sinne von Art. 95 lit. a BGG oder gegen Völkerrecht im Sinne von Art. 95 lit. b BGG zur Folge hat (BGE 133 II 249 E. 1.2.1 S. 251 f.).
 
Dies gilt auch im Bereich der öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnisse, wenn das kantonale Personalrecht - wie im vorliegenden Fall - auf das Obligationenrecht verweist. Dies bewirkt, dass das Bundesprivatrecht als ergänzendes kantonales Recht zur Anwendung gelangt.
 
1.3 In Ergänzung zu den Rügen, die sich auf Art. 95 f. BGG stützen, sind unter den engen Voraussetzungen von Art. 97 Abs. 1 BGG auch Vorbringen gegen die Sachverhaltsfeststellung zulässig. Ein solcher Einwand kann nach der letztgenannten Bestimmung nur erhoben werden, wenn die Feststellung des Sachverhalts durch die Vorinstanz offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann. "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 133 II 249 E. 1.2.2 S. 252). Willkür liegt nach der Praxis nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung als die von der Vorinstanz gewählte ebenfalls vertretbar oder gar vorzuziehen wäre, sondern nur dann, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 134 II 124 E. 4.1 S. 133, mit Hinweisen).
 
1.4 In Art. 106 Abs. 1 BGG ist der Grundsatz verankert, dass das Bundesgericht das Recht von Amtes wegen anwendet. Dieser Grundsatz gilt nicht hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten und von kantonalem Recht; insofern statuiert Art. 106 Abs. 2 BGG eine qualifizierte Rügepflicht. In diesem Rahmen wird die Praxis zum Rügeprinzip gemäss Art. 90 Abs. 1 lit. b des früheren Bundesrechtspflegegesetzes vom 16. Dezember 1943 (OG) weitergeführt (BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254). Es obliegt der Beschwerdeführerin darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid gegen die gerügten Grundrechte verstossen soll. Das Bundesgericht prüft lediglich klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen. Auf ungenügend begründete Rügen und bloss allgemein gehaltene, appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein.
 
1.5 Soweit es um die Frage geht, ob der Sachverhalt willkürlich oder unter verfassungswidriger Verletzung einer kantonalen Verfahrensvorschrift ermittelt worden ist, gelten ebenfalls strenge Anforderungen an die Begründung der Beschwerde; diese sind mit der Rügepflicht nach Art. 106 Abs. 2 BGG vergleichbar (BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 255). Entsprechende Beanstandungen müssen präzise vorgebracht und begründet werden. Es genügt nicht, einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten. Vielmehr ist in der Beschwerdeschrift darzulegen, inwiefern die Feststellungen willkürlich bzw. unter Verletzung einer verfahrensrechtlichen Verfassungsvorschrift zustande gekommen sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 255).
 
2.
 
2.1 Zunächst beanstandet die Beschwerdeführerin an verschiedenen Stellen ihrer umfangreichen Beschwerdeschrift eine willkürliche bzw. offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung hinsichtlich einer von der Beschwerdegegnerin behaupteten, faktisch jedoch nicht erfolgten Mitarbeiterbeurteilung im Jahre 2008. Aus willkürlichen und sachfremden Gründen sei gegen sie ein Schulaufsichtsverfahren eingeleitet worden.
 
Das kantonale Gericht hat demgegenüber ausgeführt, dass in der Vergangenheit nicht jedes Jahr bei allen 350 städtischen Lehrpersonen eine Mitarbeiterbeurteilung habe durchgeführt werden können. Die Lehrpersonen des Schulhauses Y.________, in welchem B.________ unterrichtete, waren - unbestritten - 2008 zu einem Zeitpunkt zur Evaluation vorgesehen, als die Beschwerdeführerin in einem bewilligten Urlaub weilte, weshalb damals ihr Unterricht im Gegensatz zu demjenigen der übrigen Lehrpersonen nicht beurteilt werden konnte. Die Vorinstanz hat sodann überzeugend dargelegt, dass für die hier interessierende Frage nach der Rechtfertigung der durch administrative Pensionierung per 31. Juli 2010 einseitig angeordneten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht entscheidend sei, ob sich der Schulinspektor ursprünglich irrtümlich auf ein falsches Datum einer nicht 2008, sondern erst 2009 durchgeführten Evaluation berufen habe. Entgegen der wiederholt vorgetragenen Argumentation der Beschwerdeführerin hat das kantonale Gericht den Sachverhalt gestützt auf die Zeugenaussage des Schulinspektors richtiggestellt, so dass es in der Folge nicht davon ausging, 2008 habe eine Mitarbeiterbeurteilung stattgefunden.
 
2.2 Laut angefochtenem Entscheid hat die Beschwerdegegnerin die vorzeitige administrative Pensionierung per 31. Juli 2010 mit sachlich ausreichendem Grund im Sinne von Art. 11 der Ausführungsbestimmungen zur Personalverordnung der Gemeinde X.________ vom 7. Juni 2004 (AB PVO) verfügt. Die Vorinstanz hat ohne Bundesrechtsverletzung zutreffend festgestellt, dass von Seiten der Arbeitgeberin 2009 und 2010 zur Beurteilung des Unterrichts der Beschwerdeführerin nicht nur durch den Schulvizedirektor, sondern auch durch den Schulinspektor wiederholt eingehende Abklärungen vorgenommen wurden und Letzterer seine Einschätzungen für beide Jahre jeweils auch auf die Ergebnisse einer Befragung von je zwei verschiedenen Schulklassen abstützte. In beiden Jahren wurden die Leistungen der Lehrerin gesamthaft als ungenügend qualifiziert. Inwiefern diese eingehenden und umfassenden Beurteilungen in rechtsverletzender Weise nicht objektiv, sondern durch angebliche Voreingenommenheit der qualifizierenden Personen zustande gekommen sein sollen, ist nicht erkennbar und legt die Beschwerdeführerin nicht substantiiert dar. Soweit sie sich überhaupt sachbezüglich mit der Begründung des angefochtenen Entscheids auseinander setzt, vermag sie aus dem Angebot der Beschwerdegegnerin vom 5. Februar 2010 zur befristeten Weiterbeschäftigung als Fachlehrerin in einem anderen Schulhaus bis zur einvernehmlich angestrebten vorzeitigen Pensionierung per Ende Juli 2011 nichts zu ihren Gunsten abzuleiten. Durch dieses Angebot trug die Arbeitgeberin entgegenkommend dem Lebensalter und der langjährigen Dienstzeit der Lehrerin angemessen Rechnung, um ihr zu ermöglichen, aus ungekündigter Stellung altershalber auf ihren gewünschten Termin hin in den vorzeitigen Ruhestand übertreten zu können. Dabei wäre sie in zeitlicher und funktioneller Hinsicht von der bisherigen Verantwortung als Klassenlehrerin entlastet gewesen. Aus diesem, dem Verhältnismässigkeitsprinzip entsprechenden Vergleichsangebot der Beschwerdegegnerin zur Überbrückung der einjährigen Zeitspanne bis zum wunschgemässen Termin der vorzeitigen Pensionierung per Ende Juli 2011 folgt nicht, dass die Lehrerin entgegen der Qualifikationen von 2009 und 2010 doch zur Fortsetzung der angestammten Unterrichtstätigkeit geeignet und befähigt gewesen wäre. Unter den gegebenen Umständen hat das kantonale Gericht ohne Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes in zulässiger antizipierter Beweiswürdigung (BGE 131 I 153 E. 3 S. 157; 124 V 90 E. 4b S. 94; SVR 2007 IV Nr. 45 S. 149, I 9/07 E. 4) zu Recht auf weitere Beweismassnahmen - insbesondere die beantragte Begutachtung der beruflichen Eignung als Lehrperson - verzichtet, da hievon für die hier massgebenden Belange keine neue entscheidwesentliche Erkenntnisse zu erwarten waren. Von einer willkürlichen Feststellung der mangelhaften Leistungen in den Jahren 2009 und 2010 kann jedenfalls keine Rede sein.
 
2.3 Schliesslich rügt die Beschwerdeführerin, die Arbeitgeberin habe ihr in Verletzung des Willkürverbots keine Bewährungsfrist im Sinne von Art. 17 Abs. 1 PVO eingeräumt. Dieser Einwand ist unbegründet, soweit er überhaupt den Anforderungen an die qualifizierte Rügepflicht (E. 1.4 hievor) genügt. Art. 13 AB PVO regelt die Einzelheiten. Nach der ersten ungenügenden Leistungsqualifikation vom 30. April 2009 wurden Verbesserungsmassnahmen (Coaching und Weiterbildung) eingeleitet. Trotz dieser zwischenzeitlich durchgeführten Massnahmen ergab die zweite Mitarbeiterbeurteilung vom Januar 2010 wiederum eine ungenügende Gesamtqualifikation. Bevor die Beschwerdegegnerin am 22. Februar 2010 die hier strittige vorzeitige administrative Pensionierung per 31. Juli 2010 verfügte, gewährte sie der Beschwerdeführerin nach der zweiten ungenügenden Qualifikation das rechtliche Gehör, bot ihr eine vorübergehende alternative Beschäftigung bis zum gewünschten Termin der vorzeitigen Pensionierung an und räumte ihr eine Frist zur Stellungnahme bis zum 16. Februar 2010 ein. Letztere legt nicht dar, inwiefern die Arbeitgeberin durch ihr Verhalten in Verletzung von Bundesrecht Art. 17 PVO willkürlich angewendet habe.
 
2.4 Hat demnach das kantonale Gericht in nicht zu beanstandender Weise einen sachlich ausreichenden Grund gemäss Art. 11 AB PVO für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses von B.________ durch administrative Pensionierung per 31. Juli 2010 nach Art. 13 lit. e PVO bejaht, erübrigen sich Ausführungen zu den im Weiteren geltend gemachten Schadenersatzforderungen.
 
3.
 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 2000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 5. Januar 2012
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Ursprung
 
Der Gerichtsschreiber: Hochuli
 
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