VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 8C_689/2011  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 8C_689/2011 vom 21.10.2011
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
8C_689/2011
 
Urteil vom 21. Oktober 2011
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
 
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Maillard,
 
Gerichtsschreiberin Durizzo.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Helsana Versicherungen AG,
 
Recht, Postfach, 8081 Zürich
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft, Hohlstrasse 552, Postfach, 8048 Zürich,
 
Beschwerdegegnerin,
 
B.________.
 
Gegenstand
 
Unfallversicherung (Unfallbegriff),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 27. Juni 2011.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
B.________, geboren 1966, arbeitete als Verkaufsleiter bei der P.________ AG. Am 10. August 2009 liess er bei der Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Allianz), bei welcher er obligatorisch versichert war, einen Unfall melden und gab an, dass er sich am 1. August 2009 an der Fusssohle verletzt und sich eine Blutvergiftung zugezogen habe. Gemäss Bericht des Spitals X.________ vom 10. August 2009 handelte es sich um ein Malum perforans an der rechten kleinen Zehe (Metatarsale V-Köpfchen) mit lokal nekrotisierendem Weichteilinfekt lateral bei Diabetes mellitus Typ 2, welches operiert werden musste. Wegen schlechter Wundheilung folgten weitere operative Eingriffe am 9. September 2009, am 20. Oktober 2009, am 4. sowie am 25. November 2009. Mit Verfügung vom 10. Juni 2010 und Einspracheentscheid vom 31. August 2010 lehnte die Allianz ihre Leistungspflicht ab mit der Begründung, es sei nicht ausgewiesen, dass sich ein Unfall im Rechtssinne ereignet habe.
 
B.
 
Die Helsana Versicherungen AG (nachfolgend: Helsana) erhob dagegen als Krankenversicherer Beschwerde, welche das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 27. Juni 2011 abwies.
 
C.
 
Die Helsana führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei der Unfallversicherer zur Erbringung der gesetzlichen Leistungen zu verpflichten.
 
Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht eingetreten (Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).
 
1.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
 
2.
 
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze zum Unfallbegriff nach Art. 4 ATSG und insbesondere zum Begriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit (BGE 134 V 72 E. 4 S. 76 ff.; 129 V 402 E. 2.1 S. 404; bei Zahnschäden: RKUV 2004 Nr. U 515 S. 418, U 64/02) sowie zur Rechtsprechung, wonach die einzelnen Umstände des leistungsbegründenden Geschehens vom Ansprecher glaubhaft zu machen sind (BGE 116 V 136 E. 4b S. 140), zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
 
3.
 
Streitig und zu prüfen ist, ob der Versicherte einen Unfall im Rechtssinne erlitten hat beziehungsweise ob ein solcher mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt ist.
 
4.
 
Gemäss Unfallmeldung vom 10. August 2009 war der Versicherte am 1. August 2009 um ca. 14 Uhr "in ein Rost Nagel gestanden". Aus den Akten ergibt sich, dass der Versicherte am 3. August 2009 notfallmässig seinen Hausarzt Dr. med. K.________, Innere Medizin FMH, aufsuchte, welcher ihn wegen einer fortgeschrittenen Entzündung und einem relativ grossen Defekt am rechten Fuss ins Spital X.________ überwies. Dort musste zunächst ein ausgiebiges Debridement, am 9. September 2009 dann eine transmetatarsale Amputation vorgenommen werden. Zur Behandlung der Wundheilungsstörung mussten in der Folge antibiotische Therapien und weitere operative Eingriffe durchgeführt werden. Der Versicherte gab anlässlich der notfallmässigen Konsultation an, dass er sich etwa vier Wochen zuvor eine kleine Verletzung am Fuss zugezogen und sich in der Folge eine schlecht heilende Wunde gebildet habe. Gegenüber dem Unfallversicherer präzisierte er am 4. Mai 2010, dass er seit dem 1. August unter einer Blutvergiftung gelitten, das Schadenereignis jedoch anfangs Juli stattgefunden habe. Im Einspracheverfahren sprach der Versicherte am 5. Juli 2010 persönlich beim Unfallversicherer vor und gab auf Rückfrage an, er sei in eine Scherbe oder einen Nagel getreten. Er habe in der Wohnung am Boden Blutspuren gesehen und dann einen Schnitt bemerkt, erst dann auch realisiert, dass er in einen Fremdkörper getreten sei. Er habe nicht gesehen, um was für einen Gegenstand es sich gehandelt habe. Am 6. Juli 2010 wurde seine mündlich begründete Einsprache protokolliert und festgehalten, dass er am 11. Juli 2009 bei einem Kollegen im Rahmen eines Gartenfestes in einen spitzigen oder scharfen Gegenstand getreten sei; es könnte ein Nagel, eine Scherbe oder sonst ein spitzer Gegenstand gewesen sein. Zu Hause habe er festgestellt, dass er an der Fusssohle geblutet habe.
 
5.
 
Das kantonale Gericht hat erwogen, dass die Umstände des fraglichen Ereignisses nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt seien. Die Angaben des Versicherten liessen gesamthaft nicht mit Bestimmtheit darauf schliessen, dass er an einem Gartenfest Anfang Juli 2009 in einen rostigen Nagel getreten sei, nachdem es sich seinen Angaben zufolge auch um eine Glasscherbe oder einen anderen spitzigen Gegenstand gehandelt haben könnte. In diesem Sinne seien auch seine eher unbestimmten Angaben gegenüber den behandelnden Ärzten im Spital X.________ zu würdigen.
 
6.
 
Die Beschwerdeführerin macht sinngemäss im Wesentlichen geltend, der Versicherte habe stets, auch gegenüber den Ärzten, angegeben, eine Verletzung durch einen Fremdkörper erlitten zu haben, wobei weder das Datum des Vorfalls noch die Beschaffenheit des Fremdkörpers von Belang sei; es genüge, dass er glaubhaft darlege, sich die Wunde durch einen spitzen Gegenstand zugezogen zu haben, sei doch sowohl ein Nagel, eine Scherbe wie auch ein anderer scharfkantiger Gegenstand geeignet, eine Verletzung der Fusssohle zu verursachen. Der Unfallversicherer habe es unterlassen, den genauen Hergang bereits im August 2009 zu klären, weshalb auf die echtzeitlichen Angaben in den Arztberichten abzustellen sei. Schliesslich sei der Fall nicht mit einem Zahnschaden beim Essen vergleichbar.
 
7.
 
7.1 Entscheidwesentlich ist, dass der Versicherte nicht anzugeben vermochte, wodurch er sich verletzt hatte, und es sich auch nur um eine Vermutung handelt, dass die Wunde, die er zunächst während mehreren Wochen ohne ärztliche Konsultation zu Hause versorgte, durch einen Fremdkörper verursacht worden sei.
 
So trifft es zwar zu, dass der Versicherte selber von einer Verletzung durch einen Fremdkörper berichtet hat, was auch aus den ärztlichen Berichten hervorgeht. Indessen steht, insoweit unbestritten, fest, dass er eine blutende Wunde entdeckt hat, indessen nicht bemerkt hatte, dass und womit er sich verletzt hätte. Auch den Arztberichten ist nicht zu entnehmen, wodurch sich der Versicherte verletzt habe; es wird erwähnt, dass er von einer "kleinen Verletzung" berichtet habe und dass er auf etwas getreten sei, möglicherweise ein Stück Metall (Berichte des Spital X.________ vom 10. August und vom 17. September 2009). Die Beschwerdeführerin beruft sich darauf, dass gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen von einer "traumatischen Läsion mit konsekutivem Wundinfekt" (Spital X.________, Zusammenfassung der Krankengeschichte vom 20. Dezember 2009) beziehungsweise von einem "posttraumatisch aufgetretenen Infekt" (Hausarzt Dr. med. K.________, 10. Februar 2010) berichtet werde. Dabei handelte es sich indessen nicht um entsprechende Diagnosen, sondern um anamnestische Angaben. Die histologische Untersuchung anlässlich der Hospitalisierung vom 3. bis zum 10. August 2009 zeigte eine ulcerierende Entzündung, wobei der Befund vereinbar sei mit einem chronisch rezidivierenden Infekt (Bericht des Spital X.________ vom 10. August 2009). Im Übrigen deckt sich der medizinische Begriff des Traumas nicht mit dem Unfallbegriff (in BGE 130 V 380 nicht publizierte E. 1 des Urteils U 199/03 vom 10. Mai 2004).
 
Zu berücksichtigen ist dabei, dass gemäss Stellungnahme des beratenden Arztes des Unfallversicherers, Dr. med. Z.________, vom 25. August 2010 die Wunde beim Versicherten, welcher unter Diabetes leidet, allein krankheitsbedingt entstehen konnte, was auch die Beschwerdeführerin einräumt. Dr. med. Z.________ führt aus, dass es sich beim Malum perforans, wie im Spital X.________ diagnostiziert, um eine typische Komplikation bei Diabetes mellitus handle. Wegen den Nerven- und Gefässschäden verändere sich die Fussstatik, das Schmerzempfinden sei vermindert und es könne bei Druckstellen, typischerweise Metatarsaleköpfchen, auch ohne Verletzungen zu Ulcera kommen.
 
Unter diesen Umständen könnte der Unfallbegriff nur dann als erfüllt gelten, wenn sich die Gesundheitsschädigung ihrer Natur nach zweifelsfrei einem äusseren Faktor zuordnen liesse (vgl. BGE 134 V 72 E. 4.1 S. 76 f., E. 4.3.1 u. 4.3.2 S. 79 ff.). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, nachdem feststeht, dass der Versicherte nicht weiss, sondern lediglich vermutet, auf einen spitzen Gegenstand getreten zu sein und sich dabei eine entsprechende Wunde zugezogen zu haben. Daran hätte auch eine frühere eingehende Befragung durch den Unfallversicherer nichts zu ändern vermögen, weshalb auf den diesbezüglichen Einwand der Beschwerdeführerin nicht weiter einzugehen ist.
 
7.2 Es wird schliesslich geltend gemacht, dass der vorliegende Fall mit einer Zahnverletzung nicht vergleichbar sei, denn Zahnbruchstücke könnten auch ohne traumatische äussere Fremdeinwirkung (durch den blossen Kauvorgang) abgesprengt werden, weshalb es relevant sei, das "corpus delicti" zur Hand zu haben. Wie dargelegt, ist hier unbestrittenerweise davon auszugehen, dass die Wunde auch allein krankheitsbedingt durch den Diabetes entstehen konnte, weshalb der Nachweis einer Verursachung durch einen äusseren Faktor unerlässlich ist. Der äussere Faktor ist zentrales Begriffscharakteristikum eines jeden Unfallereignisses, Gegenstück zur - den Krankheitsbegriff konstituierenden - inneren Ursache und gerade dort von Relevanz, wo der Gesundheitsschaden seiner Natur nach auch andere Ursachen als eine plötzliche schädigende Einwirkung haben kann (BGE 134 V 72 E. 4.1 S. 76 f., E. 4.3.2.1 S. 80). Dass der Versicherte zufolge seiner Krankheit nur über ein vermindertes Schmerzempfinden verfüge, vermag zu keiner anderen Beurteilung zu führen, zumal nicht von vornherein gesagt werden kann, dass er den Hergang der Verletzung gar nicht habe verspüren können, umgekehrt indessen gemäss ärztlicher Stellungnahme aus dem gleichen Grund auch eine blosse Druckstelle zu einer Wundbildung führen konnte.
 
7.3 Dem Versicherten und dem Beschwerde führenden Krankenversicherer ist es damit nicht gelungen, ein Unfallgeschehen glaubhaft zu machen. Es liegt Beweislosigkeit vor, weshalb keine Leistungspflicht des Unfallversicherers besteht (BGE 117 V 261 E. 3b S. 264).
 
8.
 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem Prozessausgang entsprechend dem Beschwerde führenden Krankenversicherer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, B.________, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 21. Oktober 2011
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Ursprung
 
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).