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Informationen zum Dokument  BGer 1B_318/2011  Materielle Begründung
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BGer 1B_318/2011 vom 29.09.2011
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1B_318/2011
 
Urteil vom 29. September 2011
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Aemisegger, Reeb,
 
Gerichtsschreiber Haag.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Kriminalpolizei, Binningerstrasse 21, 4001 Basel,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
X.________, alias Doru Novacovici, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwältin Johanna Rausch.
 
Gegenstand
 
Einschränkung des rechtlichen Gehörs,
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 11. Mai 2011 des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, ausserordentlicher Appellationsgerichtspräsident.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt führte ein Strafverfahren wegen mehrfachen Diebstahls gegen X.________. Sein Verteidiger ersuchte mit Schreiben vom 16. Februar 2011 an die Staatsanwaltschaft unter anderem darum, zur Wahrnehmung der Verteidigungsrechte über Befragungen von allfälligen Mitbeschuldigten informiert zu werden. Mit Verfügung vom 17. Februar 2011, die mit "Einschränkung des rechtlichen Gehörs (Art. 108 StPO)" überschrieben ist, lehnte die Staatsanwaltschaft diesen Antrag auf Teilnahme an Einvernahmen von Mitbeschuldigten ab. Gegen diese Verfügung gelangte X.________ am 23. Februar 2011 mit Beschwerde an das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt. Er beantragte, die Einschränkung des rechtlichen Gehörs gemäss Art. 108 StPO sei aufzuheben und die Teilnahme seines Rechtsbeistands bei Beweiserhebungen der Mitbeschuldigten sei zu gestatten. Das Appellationsgericht hiess die Beschwerde mit Urteil vom 11. Mai 2011 gut und stellte fest, dass die Verweigerung der Teilnahme des Verteidigers des Beschwerdeführers an Einvernahmen von Mitbeschuldigten zu Unrecht erfolgt sei.
 
B.
 
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 17. Juni 2011 beantragt die Staatsanwaltschaft im Wesentlichen, das Urteil des Appellationsgerichts sei aufzuheben und die Beschwerde von X.________ vom 23. Februar 2011 an das Appellationsgericht sei abzuweisen. Eventualiter sei die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
Das Appellationsgericht sowie X.________ beantragen die Abweisung der Beschwerde. X.________ teilt in seiner Stellungnahme zur Beschwerde mit, er sei mit Urteil des Strafgerichts Basel-Stadt vom 21. Juni 2011 wegen mehrfachen Diebstahls und weiteren Delikten schuldig erklärt und zu einer Freiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt worden. Das Urteil sei in Rechtskraft erwachsen, weshalb es der Staatsanwaltschaft an einem aktuellen Rechtsschutzinteresse zur Anfechtung des vorliegenden Zwischenentscheids fehle.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen Entscheide in Strafsachen. Der angefochtene Entscheid ist kantonal letztinstanzlich (Art. 80 BGG).
 
1.2 Der angefochtene Entscheid betrifft einen Zwischenentscheid über das Recht des Strafverteidigers, an der Einvernahme eines Mitbeschuldigten teilzunehmen. Mit diesem Entscheid wird das Strafverfahren nicht abgeschlossen. Es liegt somit kein Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG, sondern ein Zwischenentscheid (Art. 93 BGG) vor.
 
1.2.1 Gegen selbstständig eröffnete Zwischenentscheide, die weder die Zuständigkeit noch den Ausstand betreffen, ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Zwischenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG). Die selbstständige Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden bildet aus prozessökonomischen Gründen eine Ausnahme vom Grundsatz, dass sich das Bundesgericht mit jeder Angelegenheit nur einmal befassen soll (BGE 135 I 261 E. 1.2; 134 III 188 E. 2.2; 133 III 629 E. 2.1). Die Ausnahme ist restriktiv zu handhaben, zumal die Parteien keine Rechte verlieren, wenn sie einen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG nicht selbstständig anfechten, können sie ihn doch mit dem Endentscheid anfechten, soweit er sich auf dessen Inhalt auswirkt (Art. 93 Abs. 3 BGG; BGE 133 IV 288 E. 3.2). Dementsprechend obliegt es dem Beschwerdeführer, detailliert darzutun, dass die Eintretensvoraussetzungen von Art. 93 BGG erfüllt sind, soweit deren Vorliegen nicht offensichtlich ist (vgl. dazu BGE 134 III 426 E. 1.2 in fine; 133 III 629 E. 2.3.1 und 2.4.2).
 
1.2.2 Die Staatsanwaltschaft setzt sich mit den Voraussetzungen von Art. 93 BGG nicht auseinander und zeigt nicht auf, inwiefern die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anfechtung des Zwischenentscheids unter den konkreten Umständen gegeben sind. Sie macht lediglich in allgemeiner Form geltend, dass eine frühzeitige Anwesenheit des Rechtsanwalts von Mitangeschuldigten bei Einvernahmen die Wahrheitsfindung erschwere und geeignet sei, der Kollusionsgefahr Vorschub zu leisten. Sie lässt dabei ausser Acht, dass der angefochtene Entscheid sie nicht daran hinderte, die Strafuntersuchung mit der Anklageschrift vom 27. April 2011 ordnungsgemäss abzuschliessen. Aufgrund dieser Anklage wurde der Beschuldigte nach den unbestrittenen Ausführungen in seiner Stellungnahme am 21. Juni 2011 rechtskräftig verurteilt. Es ist somit nicht ersichtlich, inwiefern der angefochtene Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirkt haben könnte. Auf die Beschwerde kann somit nicht eingetreten werden.
 
2.
 
Dem Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens entsprechend ist auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 4 BGG). Die unterliegende Beschwerdeführerin hat den privaten Beschwerdegegner angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Der Kanton Basel-Stadt hat dem privaten Beschwerdegegner eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, ausserordentlicher Appellationsgerichtspräsident, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 29. September 2011
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Der Gerichtsschreiber: Haag
 
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