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Informationen zum Dokument  BGer 5A_595/2007  Materielle Begründung
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BGer 5A_595/2007 vom 26.11.2007
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
5A_595/2007
 
Urteil vom 26. November 2007
 
II. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Raselli, Präsident,
 
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
 
Gerichtsschreiber Zbinden.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführerin,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Josef Flury,
 
gegen
 
Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer,
 
Postfach, 6002 Luzern
 
Gegenstand
 
Unentgeltliche Rechtspflege im Verfahren der fürsorgerischen Freiheitsentziehung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern, II. Kammer, vom 29. August 2007.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die alkoholkranke Beschwerdeführerin wurde mit Entscheid vom 4. Juli 2007 des Regierungsstatthalters des Amtes Luzern im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung auf unbestimmte Dauer in die Psychiatrische Klinik des Kantonsspitals Luzern eingewiesen. Mit Entscheid vom 27. Juli 2007 wies die delegierte Richterin des Amtsgerichtspräsidenten II von Luzern-Stadt die Beschwerde der nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin ab und überband die Kosten des Verfahrens dem Staat.
 
B.
 
Die Beschwerdeführerin beauftragte danach einen Anwalt mit der Wahrung ihrer Interessen, welcher in ihrem Namen gegen den Entscheid der ersten Instanz beim Obergericht des Kantons Luzern Verwaltungsgerichtsbeschwerde führte und überdies um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für dieses Verfahren ersuchte. Mit Urteil vom 29. August 2007 hob das Obergericht den Entscheid des Amtsgerichtspräsidenten auf (Ziff. 1) und ordnete die sofortige Entlassung der Beschwerdeführerin aus der Psychiatrischen Klinik an (Ziff. 2), wies aber das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab (Ziff. 4).
 
C.
 
Die Beschwerdeführerin gelangt mit Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht mit dem Begehren, Ziffer 4 des obergerichtlichen Urteils teilweise aufzuheben und die Vorinstanz zu verpflichten, die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und den beauftragten Anwalt zu entschädigen. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht sie ebenso um unentgeltliche Rechtspflege. Das Obergericht beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Angefochten ist ein letztinstanzlicher Entscheid (Art. 75 Abs. 1 BGG), mit dem die unentgeltliche Verbeiständung im zweitinstanzlichen Verfahren der fürsorgerischen Freiheitsentziehung verweigert worden ist. Dabei handelt es sich um einen Zwischenentscheid, der einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 129 I 129 E. 1.1), dessen ungeachtet, ob er während des Hauptverfahrens, zusammen mit dessen Endentscheid oder nach diesem ergangen ist (Urteil 5A_108/2007 vom 11. Mai 2007, E. 1.2).
 
1.2 Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg jenem der Hauptsache. Diese betrifft einen kantonalen Entscheid über die fürsorgerische Freiheitsentziehung (Art. 397a ZGB), gegen den die Beschwerde in Zivilsachen gegeben ist (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG). Damit ist sie auch gegen den vorliegenden Zwischenentscheid gegeben. Mit der Beschwerde in Zivilsachen kann eine Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), zu dem laut der Begriffsbestimmung des BGG auch das Verfassungsrecht gehört. Gerügt werden kann ferner eine Verletzung des Völkerrechts (Art. 95 lit. b BGG).
 
2.
 
2.1 Das Obergericht hat der Beschwerdeführerin die unentgeltliche Verbeiständung für das Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde verweigert und zur Begründung ausgeführt, auch wenn die fürsorgerische Freiheitsentziehung stark in die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin eingreife, gelte es zu berücksichtigen, dass das entsprechende Verfahren von der Offizialmaxime (recte: Untersuchungsmaxime) beherrscht werde, die den Richter verpflichte, den Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen. Die rechtserheblichen Beweise seien bereits im Verfahren vor Amtsgericht eingeholt worden und die Beschwerdeführerin sei grundsätzlich in der Lage, für ihre Anliegen selbst einzustehen und dem Verfahren zu folgen, nachdem sie nach einem längeren Klinikaufenthalt keinen Zugang zum Alkohol gehabt habe; der von der Beschwerdeführerin beauftragte Anwalt habe keine wesentlichen Standpunkte einbringen können, die nicht bereits von der Beschwerdeführerin persönlich dargelegt oder aufgrund der Untersuchungsmaxime berücksichtigt worden seien.
 
2.2 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin trifft zwar zu, dass sie ihren Standpunkt vor erster Instanz hat vorbringen können. Sie sei indes von der Richterin nicht gehört worden, und die erste Instanz habe das Gesuch um Entlassung entgegen der Praxis des Bundesgerichts abgewiesen. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde habe dargelegt werden müssen, dass dieser Entscheid verfassungsmässige Rechte verletze und gegen die Praxis des Bundesgerichts verstosse, wozu sie ohne Anwalt nicht in der Lage gewesen sei, da ihr das nötige Wissen gefehlt habe.
 
3.
 
3.1 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 3 BV hat die bedürftige Partei Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung, wenn ihre Interessen in schwerwiegender Weise betroffen sind und der Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, die den Beizug eines Rechtsvertreters erforderlich machen. Dabei fallen neben der Komplexität der Rechtsfragen und der Unübersichtlichkeit des Sachverhalts auch in der Person des Betroffenen liegende Gründe in Betracht, wie etwa seine Fähigkeit, sich im Verfahren zurecht zu finden (BGE 128 I 225 E. 2.5.2 S. 232; 122 I 49 E. 2c/bb S. 51, 275 E. 3a S. 276; 120 Ia 43 E. 2a S. 44 f. mit Hinweisen). Dass das entsprechende Verfahren von der Untersuchungsmaxime beherrscht wird, schliesst die unentgeltliche Verbeiständung nicht aus (BGE 122 II 8; 125 V 32 E. 4b S. 36). Ein geistiges Gebrechen der betroffenen Person lässt für sich allein noch nicht auf deren Unfähigkeit schliessen, sich im Verfahren zurecht zu finden. In den Verfahren betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung leiden die Betroffenen in der Regel an derartigen gesundheitlichen Störungen, wobei sich aber immer wieder zeigt, dass sie dennoch ihre Rechte im Zusammenhang mit der Anstaltseinweisung ausreichend wahrnehmen können (Spirig, Zürcher Kommentar, N. 63 zu Art. 397d ZGB). In Fällen, wo das Verfahren besonders stark in die Rechtsstellung der betroffenen Person eingreift, muss die unentgeltliche Verbeiständung grundsätzlich geboten sein (BGE 119 Ia 264 E. 3b S. 265). Nichts anderes ergibt sich aus Art. 397f Abs. 2 ZGB, wonach das Gericht dem Betroffenen "wenn nötig" einen Beistand zu bestellen hat. Ob sich ein unentgeltlicher Rechtsbeistand aufdrängt, beurteilt sich folglich auch im vorliegenden Zusammenhang nach den Umständen des konkreten Einzelfalles (Auer/Malinverni/Hottelier, Droit constitutionnel suisse, Volume II, 2. Aufl. 2006, S. 707 Rz. 1591). Auch wenn nach dem Gesagten eine rechtskundige Verbeiständung im Verfahren betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung nicht generell geboten ist, muss angesichts der Schwere des Eingriffs bei Grenz- und Zweifelsfällen eher zu Gunsten der betroffenen Person entschieden werden.
 
3.2
 
3.2.1 Nach Art. 397d ZGB setzt die gerichtliche Beurteilung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung einzig ein schriftliches Begehren voraus; eine Begründung ist selbst bei anwaltlicher Vertretung nicht erforderlich (BGE 133 III 353 E. 2). Diese Regelung betrifft indes das erstinstanzliche gerichtliche Verfahren (BGE 133 III 353 E. 2.3 in fine), welches aufgrund der Bestimmung von Art. 397f Abs. 2 ZGB mündlich durchgeführt werden muss. Im vorliegenden Fall steht indes das zweitinstanzliche gerichtliche Verfahren zur Diskussion, welches die Beschwerdeführerin mit ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Amtsgerichts eingeleitet hat. Zwar trifft zu, dass das Verfahren der fürsorgerischen Freiheitsentziehung von der Untersuchungsmaxime beherrscht wird. Diese schliesst indes die unentgeltliche Rechtspflege nicht schlechthin aus. Auch in den von diesem Grundsatz getragenen Verfahren trifft die Parteien eine Mitwirkungspflicht (BGE 128 III 411 E. 3.2.1; 125 III 231 E. 4a S. 238 f.). In diesem Sinn sieht das kantonale Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde denn auch eine Rüge- und Begründungspflicht vor (siehe dazu: Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 31. August 1994, E. 1c; Urteil des Verwaltungsgerichts vom 7. Januar 2004, E. 5b).
 
3.2.2 Auch wenn der Anwalt mit relativ wenig Aufwand zum Ziel gekommen ist, darf die Schwierigkeit der Abfassung einer formell korrekten materiell wirksamen Beschwerde nicht unterschätzt werden. Dem Amtsgericht genügten für die Aufrechterhaltung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung die Alkoholabhängigkeit und die Gefahr eines Rückfalls, zumal eine längere stationäre Behandlung nicht von vornherein als aussichtslos betrachtet wurde. Das Amtsgericht hielt es daher für gerechtfertigt, über eine blosse Krisenintervention hinauszugehen. Dabei stützte es sich auf widersprüchliche Grundlagen, hatte doch der beigezogene Facharzt sich für eine Entlassung der Beschwerdeführerin ausgesprochen, während der Klinikarzt für eine Zurückbehaltung plädierte. Bei dieser Ausgangslage war es nicht von vornherein einfach, die Aufrechterhaltung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung wirksam anzufechten.
 
4.
 
Damit ist die Beschwerde gutzuheissen. Antragsgemäss ist daher Ziffer 4 des Urteils des Obergerichts aufzuheben. Im vorliegenden Fall ist das Hauptverfahren nunmehr abgeschlossen. Nebst der nachträglichen Ernennung des amtlichen Rechtsbeistands gilt es, diesen nach kantonalem Recht zu entschädigen, weshalb es vorliegend mit der Aufhebung der strittigen Dispositiv-Ziffer sein Bewenden hat. Das Obergericht wird nunmehr den von der Beschwerdeführerin beauftragten Anwalt als amtlichen Rechtsbeistand zu ernennen und diesen zu entschädigen haben, zumal die Prozessarmut offensichtlich ist.
 
5.
 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Luzern hat indes die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen.
 
6.
 
Mit der vorliegenden Kosten- und Entschädigungsregelung wird das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren gegenstandslos.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und Ziffer 4 des Urteils des Obergerichts des Kantons Luzern, II. Kammer, vom 29. August 2007 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuem Entscheid im Sinn der Erwägungen an das Obergericht zurückgewiesen.
 
2.
 
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben.
 
3.
 
Es werden keine Kosten erhoben.
 
4.
 
Der Kanton Luzern hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.
 
5.
 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 26. November 2007
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Raselli Zbinden
 
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