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Informationen zum Dokument  BGer 5C_50/2007  Materielle Begründung
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BGer 5C_50/2007 vom 02.10.2007
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
5C.50/2007
 
Urteil vom 2. Oktober 2007
 
II. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Raselli, Präsident,
 
Bundesrichterin Escher, Bundesrichterin Hohl,
 
Bundesrichter Marazzi, Ersatzrichter Riemer,
 
Gerichtsschreiber Gysel.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beklagte und Berufungsklägerin,
 
vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Alexander Rabian,
 
gegen
 
Y.________,
 
Klägerin und Berufungsbeklagte,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Max Sidler.
 
Gegenstand
 
Versicherungsvertrag,
 
Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des
 
Kantons Nidwalden (Zivilabteilung Kleine Kammer)
 
vom 26. Oktober 2006.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Y.________ schloss gestützt auf ein Antragsformular vom 4. November 1996 mit der zur Gruppe der X.________ gehörenden Z.________ Lebensversicherungsgesellschaft per 1. November 1996 einen Lebensversicherungsvertrag ab, der ihr Leistungen im Falle einer Erwerbsunfähigkeit zusicherte. Am 13. April 1999 erlitt sie einen Verkehrsunfall, bei dem sie sich Verletzungen im Bereich des Nackens zuzog. Sie war in der Folge zu verschiedenen Graden arbeitsunfähig.
 
B.
 
Am 23. März 2001 reichte Y.________ beim Kantonsgericht Nidwalden gegen die X.________ Klage auf Leistungen für Erwerbsausfall ein. Die Beklagte erhob Widerklage.
 
Das Kantonsgericht erkannte am 28. Februar 2002, dass die Klage zur Zeit abgewiesen und die Widerklage gutgeheissen werde; es verpflichtete die Klägerin, der Beklagten Namen und Adressen der Krankenkassen bekannt zu geben, bei denen sie in den Jahren 1991 bis 1996 versichert war, und sie zu bevollmächtigen, bei diesen Kassen einen Auszug über die während dieser Zeit erbrachten medizinischen Leistungen zu verlangen und bei den betreffenden Ärzten Auskünfte einzuholen.
 
C.
 
Eine von der Klägerin eingereichte Appellation hiess das Obergericht des Kantons Nidwalden (Zivilabteilung, Kleine Kammer) mit Urteil vom 3. Oktober 2002 insofern teilweise gut, als es die Widerklage abwies.
 
Die II. Zivilabteilung des Bundesgerichts hiess am 12. Mai 2003 eine Berufung der Klägerin gut, hob das Urteil des Obergerichts vom 3. Oktober 2002 auf und wies die Sache zu neuer Entscheidung an die kantonale Instanz zurück. In seinem vom 31. Oktober 2003 datierten neuen Entscheid erkannte das Obergericht, das kantonsgerichtliche Urteil vom 28. Februar 2002 werde vollumfänglich aufgehoben, die Beklagte verpflichtet, der Klägerin für die Zeit vom 1. Juli 2000 bis zum 28. Februar 2002 Fr. 10'528.-- zuzüglich Zins zu zahlen und die Widerklage abgewiesen.
 
In Gutheissung einer von der Beklagten eingereichten staatsrechtlichen Beschwerde hob die II. Zivilabteilung des Bundesgerichts am 16. März 2004 auch das Urteil vom 31. Oktober 2003 auf. Das Obergericht erkannte mit Urteil vom 12. Mai 2005 im gleichen Sinne wie in seinem Entscheid vom 31. Oktober 2003.
 
Auch gegen das Urteil vom 12. Mai 2005 erhob die Beklagte staatsrechtliche Beschwerde. Die II. Zivilabteilung des Bundesgerichts hiess diese am 2. Juni 2006 gut. Das vom Obergericht hierauf am 26. Oktober 2006 neu gefällte Urteil lautet gleich wie die beiden vorangegangen.
 
D.
 
Die Beklagte hat sowohl staatsrechtliche Beschwerde als auch eidgenössische Berufung eingereicht. Mit der Berufung beantragt sie, das obergerichtliche Urteil vom 26. Oktober 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Allenfalls sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
Eine Berufungsantwort ist nicht eingeholt worden.
 
E.
 
Mit Urteil vom heutigen Tag hat die erkennende Abteilung die staatsrechtliche Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten war.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Der angefochtene Entscheid ist vorher ergangen, so dass noch die Bestimmungen des Bundesrechtspflegegesetzes (OG) anzuwenden sind (vgl. Art. 132 Abs. 1 BGG).
 
2.
 
Das von der Beklagten beanspruchte Recht auf Rücktritt vom Versicherungsvertrag bzw. auf Kündigung desselben wegen Anzeigepflichtverletzung (Verschweigen einer erheblichen Gefahrstatsache) durch den Versicherungsnehmer (Art. 6 Abs. 1 VVG) erlischt vier Wochen, nachdem der Versicherer von der Verletzung der Anzeigepflicht Kenntnis erhalten hat (Art. 6 Abs. 2 VVG). Es handelt sich um eine Verwirkungsfrist, die zu laufen beginnt, sobald der Versicherer zuverlässige Kunde von Tatsachen erhält, aus denen sich der sichere Schluss auf Verletzung der Anzeigepflicht ziehen lässt; blosse Vermutungen, die zu grösserer oder geringerer Wahrscheinlichkeit drängen, dass die Anzeigepflicht verletzt ist, genügen nicht (BGE 119 V 283 E. 5a S. 287 f. mit Hinweisen; Urs Ch. Nef, in: Basler Kommentar zum Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag, N. 22 zu Art. 6).
 
2.1 Das Obergericht, das die am 9. Oktober 2002 abgegebene Rücktrittserklärung für verspätet hält, räumt ein, dass aufgrund des bloss rudimentären Berichts, den Dr. med. A.________ am 28. Februar 2000 auf Verlangen der Beklagten im Rahmen der ursprünglichen Nachforschungen über eine mögliche Anzeigepflichtverletzung erstattet habe, sich wohl ein Verdacht, indessen keine sichere Kenntnis vom Vorliegen einer solchen Pflichtverletzung ergeben habe. Die strittige Frist sei durch die Kenntnisnahme vom Arztbericht deshalb nicht ausgelöst worden. Mit Schreiben vom 14. März 2000 habe die Beklagte von der Klägerin jedoch dann eine Vollmacht verlangt, damit sie von den (früheren) Krankenkassen, die die Klägerin ihr angeben möge, Auskünfte einholen könne. Die Klägerin habe weder auf dieses Schreiben noch auf die entsprechenden Mahnungen vom 14. April, 2. Mai, 16. Mai, 16. Juni und 12. Juli 2000 noch auf die an ihren Rechtsvertreter adressierten Aufforderungen vom 25. Juli und vom 25. September 2000 reagiert. Auch wenn die Klägerin nicht verpflichtet gewesen sei, der Beklagten die gewünschten Auskünfte zu erteilen, wäre von ihr doch zu erwarten gewesen, dass sie in irgendeiner Weise auf die Schreiben antworte. Das monatelange passive Verhalten habe angesichts des einen Verdacht begründenden Berichts von Dr. med. A.________ nur dahin verstanden werden können, dass die Klägerin sich eine Anzeigepflichtverletzung vorzuwerfen habe und diese durch ihre Untätigkeit vertuschen wolle. Spätestens Ende September 2000, nachdem die Klägerin sieben schriftliche Anfragen ignoriert gehabt habe, habe der Beklagten klar sein müssen, dass die Klägerin sich eine Anzeigepflichtverletzung habe zuschulden kommen lassen. Die Rücktrittsfrist nach Art. 6 (Abs. 2) VVG sei demgemäss Ende Oktober 2000 abgelaufen. Nach diesem Zeitpunkt habe sich die Beklagte nicht mehr auf ihr Rücktrittsrecht berufen können.
 
2.2 Nach dem die vorliegenden Parteien betreffenden Urteil des Bundesgerichts vom 12. Mai 2003 hat die Klägerin mit ihrem passiven Verhalten auf die Schreiben der Beklagten weder gegen eine gesetzliche noch gegen eine vertragliche Mitwirkungspflicht verstossen bzw. keine Auskunftspflicht verletzt (BGE 129 III 510 E. 4 S. 514). Das schliesst eine Auslösung der Rücktrittsfrist von Art. 6 Abs. 2 VVG indessen keineswegs aus. Für die Erkenntnis, dass der eine Versicherungsleistung Beanspruchende sich eine Verletzung der Anzeigepflicht hat zuschulden kommen lassen, bedarf es nicht unbedingt ausdrücklicher Erklärungen. Sie kann sich auch aus anderen Umständen ergeben. Kommt eine an sich anspruchsberechtigte Person, die von der Versicherung darum ersucht wird, die Namen ihrer früheren Krankenkassen anzugeben, damit Auskünfte im Hinblick auf die Abklärung des geltend gemachten Leistungsanspruchs eingeholt werden könnten, dieser Aufforderung trotz zahlreicher Mahnungen nicht nach, ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung anzunehmen, dass sie etwas zu verbergen hat und versucht, den Zugang zu für sie nachteiligen Tatsachen zu verhindern. Wenn das Obergericht aufgrund der von der Beklagten im Jahre 2000 an die Klägerin gerichteten schriftlichen Aufforderungen, die alle ohne Echo blieben, zum Schluss gelangt ist, der Beklagten habe schon rund zwei Jahre vor ihrer Rücktrittserklärung vom 9. Oktober 2002 klar sein müssen, dass die Klägerin ihre Anzeigepflicht verletzt habe, hat es Art. 6 Abs. 2 VVG nicht verkannt. Ob die Beklagte weniger als vier Wochen vor dem 9. Oktober 2002 noch von weiteren Tatsachen erfahren hat, die auf eine Anzeigepflichtverletzung schliessen liessen, ist unter diesen Umständen unerheblich. Was die Beklagte in diesem Zusammenhang vorbringt, stösst ebenso ins Leere wie ihre Ausführungen zu den Folgen einer mehrfachen Anzeigepflichtverletzung.
 
2.3 Die Beklagte sieht darin den Tatbestand des Rechtsmissbrauchs erfüllt, dass der Versicherte das ihm hinsichtlich einer Anzeigepflichtverletzung zustehende Schweigerecht dazu nutzen könne, dem Versicherer Rechtsnachteile zuzufügen, indem er willkürlich den Beginn der Rücktrittsfrist bestimmen könne. Es braucht nicht erörtert zu werden, wie es sich generell mit der Auslösung der Frist von Art. 6 Abs. 2 VVG im Falle eines passiven Verhaltens des Versicherten der vorliegenden Art verhält. Bemerkt sei immerhin, dass der Versicherer eine rasche Klärung der Verhältnisse herbeiführen kann, indem er eine Aufforderung an den Versicherten zur Mitwirkung mit der Androhung verknüpft, bei Nichtmitwirkung würde im Sinne von Art. 6 Abs. 1 VVG vom Vertrag zurückgetreten. Unter den Verhältnissen, wie sie hier festgestellt wurden, ist auf jeden Fall nicht ersichtlich, inwiefern die obergerichtliche Annahme, die Rücktrittserklärung der Beklagten vom 9. Oktober 2002 sei verspätet, vor dem Rechtsmissbrauchsverbot nicht standzuhalten vermöchte.
 
3.
 
Die Beklagte rügt ausserdem, dass das Obergericht Art. 9 VVG (wonach der Versicherungsvertrag grundsätzlich nichtig ist, wenn im Zeitpunkt des Abschlusses der Versicherung die Gefahr bereits weggefallen oder das befürchtete Ereignis schon eingetreten war) nicht angewendet habe, obschon sie in der Novenduplik vom 25. Oktober 2004 frist- und formgerecht vorgebracht habe, dass die Klägerin im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses an gleichen Beschwerden gelitten habe, wie sie der Klage zugrunde gelegt würden. Auf das zur geltend gemachten Nichtigkeit in tatsächlicher Hinsicht Vorgebrachte ist die Vorinstanz aus novenrechtlichen Gründen - und damit gestützt auf das kantonale Prozessrecht - nicht eingetreten. In diesem Punkt hätte die Beklagte den obergerichtlichen Entscheid mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 9 BV, d.h. wegen willkürlicher Anwendung kantonalen Rechts, anfechten müssen. Hier ist auf ihre Vorbringen deshalb nicht einzutreten.
 
Der Rüge der Missachtung von Art. 9 VVG ist die Grundlage nach dem Gesagten entzogen. Das Gleiche gilt für den Vorwurf der Beklagten, das Obergericht habe Art. 8 ZGB missachtet, weil es sie nicht zum Beweis der vorgebrachten Tatsachen zugelassen habe.
 
4.
 
In quantitativer Hinsicht ficht die Beklagte das obergerichtliche Urteil nicht an. Damit bleibt es auch insofern beim Entscheid der Vorinstanz.
 
5.
 
Nach dem Gesagten ist die Berufung abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang ist die Gerichtsgebühr der Beklagten aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Da keine Berufungsantwort eingeholt worden ist und der Klägerin somit keine Kosten erwachsen sind, entfällt die Zusprechung einer Parteientschädigung.
 
erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird der Beklagten auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht Nidwalden (Zivilabteilung Kleine Kammer) schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 2. Oktober 2007
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Raselli Gysel
 
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