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Informationen zum Dokument  BGer U 491/2006  Materielle Begründung
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BGer U 491/2006 vom 20.08.2007
 
Tribunale federale
 
{T 7}
 
U 491/06
 
Urteil vom 20. August 2007
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
 
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Frésard,
 
Gerichtsschreiberin Fleischanderl.
 
Parteien
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
J.________, 1972, Beschwerdegegnerin,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Marija Novakovic,
 
Bielstrasse 8, 4502 Solothurn.
 
Gegenstand
 
Unfallversicherung,
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
 
vom 29. August 2006.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1972 geborene J.________, seit 1. April 2002 arbeitslos gemeldet und dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Unfällen versichert, erlitt gemäss Unfallmeldung (der Arbeitslosenkasse) vom 29. August 2003 am 15. August 2003 einen Auffahrunfall. Der am nächsten Tag konsultierte Dr. med. R.________, Innere Medizin FMH, diagnostizierte eine Thoraxkontusion (Notfallblatt vom 16. August 2003; vgl. auch dessen Bericht vom 19. September 2003). Ihr Hausarzt, Dr. med. E.________, Allgemeinmedizin FMH, welchen sie am 18. August 2003 aufsuchte, stellte die vorläufige Diagnose eines Distorionstraumas der Halswirbelsäule (HWS; "Dokumentationsbogen für Erstkonsultation nach kranio-zervikalem Beschleunigungstrauma" vom 20. August 2003). Zum Hergang des Vorfalles befragt, füllte die Versicherte am 12. September 2003 einen Fragebogen und am 23. September 2003 ein "Erhebungsblatt für die Abklärung von HWS-Fällen" aus; ferner liess sie sich am 26. September 2003 gegenüber der SUVA (gleichentags ergangenes Protokoll) sowie am 9. Oktober und 3. November 2003 gegenüber den Ärzten des Spitals X.________ (Bericht vom 5. November 2003) mündlich vernehmen. Gestützt darauf schloss der Unfallversicherer mit Verfügung vom 14. Mai 2004 das Vorliegen eines Unfalles im Rechtssinne aus, da selbst bei einem von J.________ geltend gemachten (leichten) Touchieren eines Radfahrers als Folge ihrer Vollbremsung die Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors zu verneinen sei. Daran wurde auf Einsprache hin festgehalten (Einspracheentscheid vom 28. Oktober 2004).
 
B.
 
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn in Bejahung des Unfallbegriffes teilweise gut, hob den angefochtenen Einspracheentscheid auf und wies die Sache an die SUVA zurück, damit sie im Sinne der Erwägungen erneut über den Anspruch der Versicherten auf Versicherungsleistungen befinde (Entscheid vom 29. August 2006).
 
C.
 
Die SUVA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren um Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides.
 
Während das kantonale Gericht und J.________ auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen (lassen), Letztere unter Beantragung der unentgeltlichen Verbeiständung, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Damit wurden das Eidgenössische Versicherungsgericht (EVG) und das Bundesgericht in Lausanne zu einem einheitlichen Bundesgericht (an zwei Standorten) zusammengefügt (Seiler/von Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, S. 10 Rz. 75) und wurde die Organisation und das Verfahren des obersten Gerichts umfassend neu geregelt. Dieses Gesetz ist auf die nach seinem Inkrafttreten eingeleiteten Verfahren des Bundesgerichts anwendbar, auf ein Beschwerdeverfahren jedoch nur dann, wenn auch der angefochtene Entscheid nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ergangen ist (Art. 132 Abs. 1 BGG). Da der kantonale Gerichtsentscheid am 29. August 2006 - und somit vor dem 1. Januar 2007 - erlassen wurde, richtet sich das Verfahren nach dem bis 31. Dezember 2006 in Kraft gestandenen Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) vom 16. Dezember 1943 (vgl. BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).
 
2.
 
Anfechtungs- und Streitgegenstand bildet die Frage, ob die Beschwerdegegnerin als Folge des Vorfalles vom 15. August 2003 Anspruch auf Versicherungsleistungen hat. Streitig und zu prüfen ist in diesem Zusammenhang zunächst, ob es sich beim besagten Ereignis um einen Unfall im Sinne von Art. 4 ATSG handelt. Die hierfür einschlägigen materiellen und prozessualen Rechtsgrundlagen, etwa die Rechtsprechung zum unfallbegrifflichen Merkmal des ungewöhnlichen äusseren Faktors (BGE 118 V 59 E. 2b [mit Hinweisen] S. 61, 283 E. 2a S. 283 f.; vgl. auch BGE 130 V 117 E. 2.1 [mit Hinweisen] S. 118, 129 V 402 E. 2.1 [mit Hinweisen] S. 404; RKUV 2000 Nr. U 368 S. 100 E. 2d, 1999 Nr. U 333 S. 198 ff. E. 3, 1996 Nr. U 253 S. 203 f. E. 4, je mit Hinweisen), zum Bedeutungsgehalt des für den Sozialversicherungsprozess typischen Untersuchungsgrundsatzes (BGE 115 V 133 E. 8a [mit Hinweis] S. 142; vgl. auch BGE 125 V 499 E. 1 S. 500) sowie zu dem im Sozialversicherungsrecht massgebenden Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 119 V 7 E. 3c/aa S. 9; vgl. auch BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181), hat das kantonale Gericht zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass sich durch das Inkrafttreten des ATSG auf den 1. Januar 2003 am Unfallbegriff nichts geändert hat, weshalb die bisherige Judikatur zu den einzelnen begriffscharakteristischen Merkmalen weiterhin ihre Gültigkeit behält (Urteil des EVG U 123/04 vom 5. Juli 2004, E. 1.2, publ. in: RKUV 2004 Nr. U 530 S. 576).
 
3.
 
Uneinig sind sich die Verfahrensbeteiligten zum einen bezüglich des Herganges des Vorfalles vom 15. August 2003. Während das kantonale Gericht auf Grund der Aussagen der Beschwerdegegnerin davon ausgeht, dass es nach der infolge eines abrupt von rechts die Strasse überquerenden Radfahrers vollzogenen Vollbremsung zu einer - wenn auch relativ leichten - Kollision gekommen ist, bezweifelt die Beschwerdeführerin diese Sachverhaltsversion und hält lediglich die Tatsache einer Vollbremsung (ohne Kollision) für erwiesen.
 
3.1 Die Akten vermitteln hinsichtlich des Ablaufs des Geschehnisses vom 15. August 2003 das folgende Bild: Dr. med. R.________ sprach in seinen Aufzeichnungen vom 16. August 2003 von einem Autounfall, welchen die Patientin am Vortag erlitten habe, respektive einem "abrupten Bremsen". Im am 20. August 2003 ausgefüllten "Dokumentationsbogen für Erstkonsultation nach kranio-zervikalem Beschleunigungstrauma" vermerkte Dr. med. E.________ auf der Grundlage der ihm von der Versicherten am 18. August 2003 geschilderten Angaben zum Unfallhergang eine Vollbremsung sowie eine Frontalkollision mit einem Velofahrer. In der Unfallmeldung vom 29. August 2003 wurde in der Rubrik "Unfallbeschreibung" "Auffahrunfall" angegeben. Gegenüber der SUVA führte die Versicherte in Beantwortung des Fragebogens vom 12. September 2003 auf die Frage nach dem Hergang des Unfalles aus, dass sie als Autolenkerin mit ca. 40 Stundenkilometern unterwegs gewesen sei, als sie infolge eines die Strasse plötzlich von rechts überquerenden Velofahrers stark habe abbremsen müssen. In der von der Versicherten auf der Rückseite des Fragebogens entworfenen Unfallskizze wurde die Stelle des angeblichen Zusammenstosses rot umkreist und mit "Kolisia" bezeichnet. Dem "Erhebungsblatt für die Abklärung von HWS-Fällen", von der Beschwerdegegnerin am 23. September 2003 vervollständigt, ist zur Frage nach dem Sachverhalt zu entnehmen, dass sie ihren Wagen mit einer Geschwindigkeit von etwa 40 Stundenkilometern gelenkt habe, als plötzlich ein Radfahrer von rechts auf die Strasse eingebogen sei. Sie habe abrupt gebremst und - ausrollend - den Velofahrer leicht touchiert. Eine ihr unbekannte Frau habe daraufhin den Motor an ihrem Fahrzeug abgestellt und sie anschliessend nach Hause gefahren. Der Radfahrer habe sich, das offenbar nicht mehr fahrtüchtige Velo tragend, von der Unfallstelle entfernt. An der Fahrzeugfront vorne rechts seien noch geringfügige Kratzspuren vorhanden. Am 26. September 2003 gab die Versicherte zu Protokoll, dass, da sich der Radfahrer das Fahrrad tragend von der Unfallstelle entfernt habe, eine Kollision mit Sachschaden stattgefunden habe müsse. Gegenüber den Ärzten des Spitals X.________ führte die Beschwerdegegnerin anlässlich ihrer Konsultationen vom 9. Oktober und 3. November 2003 schliesslich aus, sie habe innerorts bei ca. Tempo 40 km/h eine Vollbremsung vollzogen, als ein Velo von rechts auf die Strasse gefahren sei. Trotz der Vollbremsung habe sie das Fahrrad leicht touchiert, sodass dessen Lenker habe absteigen müssen. Sofort nach dem Ereignis sei der Velofahrer weitergefahren, ohne den Vorfall und sie weiter zu beachten (Bericht vom 5. November 2003).
 
3.2
 
3.2.1 Was die Glaubwürdigkeit der Sachverhaltsdarstellung der Versicherten anbelangt, wonach eine Vollbremsung samt (leichter) Kollision stattgefunden habe, gilt es zunächst festzuhalten, dass der Nachweis eines Unfalles grundsätzlich nicht daran scheitert, dass sich ein Ereignis unter Ausschluss von Zeugen abgespielt hat bzw. diese, wie im hier zu beurteilenden Fall, mangels Personalien nicht mehr auffindbar sind. Die Behauptungslast der versicherten Person bedeutet nicht, dass sie nicht durch eine Sachverhaltsdarstellung erfüllt werden könnte, für welche als Beweismittel nur ihre eigene Parteidisposition zur Verfügung steht. Die verunfallte Person genügt in diesen Fällen ihrer Behauptungslast, wenn sie eine plausible und widerspruchsfreie Schilderung des Unfallgeschehens gibt, die als möglichst genaue erscheint und zu keinen ernstlichen Zweifeln Anlass gibt (BGE 103 V 175 E. a S. 176; Urteil des EVG U 269/03 vom 16. August 2004, E. 4.2 mit Hinweisen). Die einzelnen Umstände des Unfallgeschehens sind vom Leistungsansprecher glaubhaft zu machen, ansonsten für den Unfallversicherer keine Leistungspflicht besteht (BGE 116 V 136 E. 4b [mit Hinweis] S. 140 f.; Urteil des EVG U 117/02 vom 9. Mai 2003, E. 1 mit Hinweisen). Der Untersuchungsmaxime entsprechend hat das Gericht demnach von Amtes wegen die notwendigen Beweise zu erheben und kann zu diesem Zwecke auch die Parteien heranziehen. Wird auf Grund dieser Massnahmen das Vorliegen eines Unfalles nicht wenigstens mit Wahrscheinlichkeit erstellt - die blosse Möglichkeit genügt nicht -, so hat diese als unbewiesen zu gelten, was sich zu Lasten der leistungsansprechenden Person auswirkt (Urteil des EVG U 117/02 vom 9. Mai 2003, E. 1).
 
3.2.2 In Anbetracht der geschilderten Aktenlage kann in den Aussagen der Beschwerdegegnerin zum Unfallhergang mit dem kantonalen Gericht - jedenfalls hinsichtlich der Frage der Kollision - kein Widerspruch gesehen werden. Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin hat die Versicherte nicht erstmals bei der Beantwortung der im "Erhebungsblatt für die Abklärung von HWS-Fällen" vom 23. September 2003 gestellten Fragen ein leichtes Touchieren des Fahrradfahrers erwähnt. Vielmehr wurde, wie sich aus dem von Dr. med. E.________ am 20. August 2003 ausgefüllten "Dokumentationsbogen für Erstkonsultation nach kranio-zervikalem Beschleunigungstrauma" ergibt, bereits drei Tage nach dem Vorfall, am 18. August 2003, gegenüber ihrem Hausarzt eine mit einer Vollbremsung verbundene Frontalkollision mit einem Velofahrer beschrieben. Diesen Vorgang bestätigte die Versicherte in der Folgezeit stets, sei dies mit der Bezeichnung "Auffahrunfall" (Unfallmeldung vom 29. August 2003), unter Bezugnahme auf eine Skizze (Fragebogen vom 12. September 2003) oder in wörtlicher Wiederholung ("Erhebungsblatt für die Abklärung von HWS-Fällen" vom 23. September 2003, Protokoll vom 26. September 2003, Bericht des Spitals X.________ vom 5. November 2003). Dass gegenüber dem erstbehandelnden Arzt Dr. med. R.________ gemäss dessen handschriftlicher Notiz vom 16. August 2003 lediglich von einem "Autounfall" und "abruptem Bremsen" die Rede war, vermag der Schlüssigkeit der Sachverhaltsdarstellung der Beschwerdeführerin vor diesem Hintergrund - in Verbindung mit dem offenbar unstreitigen Schadensbild am Fahrzeug des Versicherten (geringfügige Kratzspuren an der Fahrzeugfront rechts; vgl. "Erhebungsblatt für die Abklärung von HWS-Fällen" vom 23. September 2003 und Bericht des Spitals X.________ vom 5. November 2003 [S. 1 unten]) - keinen Abbruch zu tun. Nicht ganz stimmig erscheinen demgegenüber die Angaben der Versicherten zum Verhalten des Fahrradlenkers nach der Kollision: Während sie am 23. und 26. September 2003 anführte, dieser habe den Schauplatz das Velo tragend verlassen, erklärte sie wenige Wochen später den Ärzten des Spitals X.________ gegenüber, der Fahrradfahrer sei nach dem Zusammenstoss zwar abgestiegen, unmittelbar danach aber wieder weitergefahren. Wie es sich damit verhält, braucht indessen nicht näher untersucht zu werden, vermag auch eine diesbezüglich unklare Variante des Geschehnisses die Aussagen der Versicherten zur Kollision an sich nicht zu erschüttern.
 
Zusammenfassend ist demnach als mit dem erforderlichen Beweisgrad erwiesen anzusehen, dass es am 15. August 2003 zu einer - wenn auch relativ leichten - Kollision zwischen dem Personenwagen der Beschwerdegegnerin und dem Fahrradlenker gekommen ist.
 
4.
 
Zu beurteilen ist im Weiteren, ob es sich nach den Umständen des Geschehens um einen Unfall im Rechtssinne (Art. 4 ATSG) handelt.
 
4.1 Unfall ist die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen bzw. - in der seit 1. Januar 2004 in Kraft stehenden Fassung - körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit zur Folge hat (Art. 4 ATSG; bis 31. Dezember 2002: Art. 9 Abs. 1 UVV; BGE 122 V 230 E. 1 [mit Hinweisen] S. 232).
 
4.1.1 Nach der - weiterhin geltenden (vgl. E. 2.1 in fine hievor) - Definition des Unfalls bezieht sich das Begriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit nicht auf die Wirkung des äusseren Faktors, sondern nur auf diesen selber. Ohne Belang für die Prüfung der Ungewöhnlichkeit ist somit, dass der äussere Faktor allenfalls schwerwiegende, unerwartete Folgen nach sich zog. Der äussere Faktor ist ungewöhnlich, wenn er den Rahmen des im jeweiligen Lebensbereich Alltäglichen oder Üblichen überschreitet. Ob dies zutrifft, beurteilt sich im Einzelfall, wobei grundsätzlich nur die objektiven Verumständungen in Betracht fallen (BGE 122 V 230 E. 1 S. 233, 121 V 35 E. 1a S. 38, je mit Hinweisen).
 
4.1.2 Das Begriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit wurde entwickelt, um die "tausendfältigen kleinen und kleinsten Insulte des täglichen Lebens, die als solche gänzlich unkontrollierbar sind und deshalb nur beim Hinzutreten von etwas Besonderem Berücksichtigung finden", aus dem Unfallbegriff auszuscheiden (Alfred Bühler, Der Unfallbegriff, in: Alfred Koller [Hrsg.], Haftpflicht- und Versicherungsrechtstagung 1995, S. 234 mit Hinweisen).
 
4.1.3 Ein Unfall liegt nur vor, wenn ein äusserer Faktor auf den Körper wirkt. Das Ereignis muss sich in der Aussenwelt zutragen. Die Folgen davon können sich jedoch unter Umständen ausschliesslich im Körperinneren zeigen. Das kann bei einem Schlag ohne äusserliche Verletzung der Fall sein. Das Merkmal des ungewöhnlichen äusseren Faktors kann nach Lehre und Rechtsprechung auch in einer unkoordinierten Bewegung bestehen (BGE 130 V 117 E. 2.1 [mit Hinweisen] S. 118). Bei Körperbewegungen gilt der Grundsatz, dass das Erfordernis der äusseren Einwirkung lediglich dann erfüllt ist, wenn ein in der Aussenwelt begründeter Umstand den natürlichen Ablauf einer Körperbewegung gleichsam "programmwidrig" beeinflusst hat. Bei einer solchen unkoordinierten Bewegung ist der ungewöhnliche äussere Faktor zu bejahen; denn der äussere Faktor - Veränderung zwischen Körper und Aussenwelt - ist wegen der erwähnten Programmwidrigkeit zugleich ein ungewöhnlicher Faktor (BGE 130 V 117 E. 2.1 [mit Hinweisen] S. 118). Als mittelbare oder unmittelbare Unfallursachen fallen Bewegungen des Körpers mit den damit verbundenen Belastungen verschiedenster Art in Betracht (RKUV 1996 Nr. U 253 S. 204 E. 4c; zum Ganzen: Urteil des EVG U 131/03 vom 25. März 2004, E. 2.2-2.4 mit Hinweisen).
 
4.2 Entscheidend für die Beurteilung der Frage, ob ein äusserer Faktor als ungewöhnlich zu qualifizieren ist, ist mithin, ob zu einem Vorkommnis etwas Besonderes hinzugetreten ist, das den äusseren Faktor im Rahmen des im jeweiligen Lebensbereich Alltäglichen oder Üblichen überschreitet.
 
4.2.1 Die Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors in diesem Sinne wird etwa bejaht beim Zusammenstoss zweier Autos, auch wenn der Vorgang alltäglich ist und die Autofahrer/innen deshalb mit einem solchen Geschehen rechnen müssen (Urteil des EVG U 131/03 vom 25. März 2005, E. 3.3 und 3.4 mit Hinweisen; RKUV 1999 Nr. U 333 S. 198 f. E. 3c).
 
4.2.2 Verneint hat das EVG das Merkmal der Ungewöhnlichkeit - und damit den Unfallbegriff - demgegenüber mangels Programmwidrigkeit bei starkem und unerwartetem Abbremsen eines Autofahrers, ohne dass es zu einer Kollision mit einem anderen Verkehrsteilnehmer gekommen wäre (Urteile des EVG U 313/03 vom 25. März 2004, U 117/02 vom 9. Mai 2003 und U 349/99 vom 3. August 2000).
 
4.3 Die Beschwerdegegnerin hat, nachdem ein Velofahrer abrupt von rechts auf die Strasse eingebogen war, mittels einer Vollbremsung ihren Wagen zum Stillstand gebracht und dabei den Fahrradlenker leicht touchiert. Bei diesem Vorgang handelt es sich, entgegen der Betrachtungsweise des kantonalen Gerichts, nicht um einen Zusammenstoss zweier Verkehrsteilnehmer im Sinne der in E. 4.2.1 hievor genannten Beispiele. Diese Fälle zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass dem Fahrzeug durch die Kollision, wie etwa das Auffahren auf ein anderes Auto, erhebliche physikalische Kräfte entgegengesetzt werden, welche den Geschehensablauf programmwidrig stören bzw. zu stören vermögen. Dies gilt auch in Konstellationen, in denen ein Autolenker sein Fahrzeug zwar noch abzubremsen versucht, es aber dennoch zu einem Zusammenprall von einer gewissen Heftigkeit mit einem anderen Verkehrsteilnehmer kommt (so beispielsweise in einem Fall, in welchem ein Autofahrer trotz eingeleiteter Vollbremsung frontal mit einer Fussgängerin zusammengestossen ist, die auf die Kühlerhaube gehoben und nach einem Anprall an der Windschutzscheibe zu Boden geschleudert wurde, wo sie verletzt liegen blieb [Urteil des EVG U 180/04 vom 11. April 2005]). Auch dadurch wird von aussen in den Geschehensablauf, den der Lenker (objektiv) erwarten durfte, eingegriffen. Von einer Kollision in diesem Sinne kann hier indessen nicht gesprochen werden, fehlt es doch unbestrittenermassen an der Freisetzung von erheblichen Kräften, die auf das Fahrzeug der Versicherten eingewirkt und dadurch eine nicht programmgemäss verlaufende Bewegungskette verursacht hätten. Vielmehr hat die Beschwerdegegnerin, bevor sie zum Stillstand gekommen ist, mit ihrem Auto den Fahrradlenker zwar (leicht) touchiert, ein eigentlicher "Zusammenstoss" hat jedoch nicht stattgefunden, zumal bezüglich des Herganges des Vorfalles Unsicherheit darüber besteht, ob das Fahrrad überhaupt einen Schaden davon getragen hat (vgl. E. 3.2.2 hievor). Der für die Versicherte als PW-Insassin massgebliche Bewegungsablauf war, wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zutreffend ausgeführt wird, somit ausschliesslich durch das abrupte Abbremsen, nicht aber durch einen Aufprall geprägt. Eine derart leichte Berührung ist, was die Kräfteeinwirkung auf die Leistungsansprecherin anbelangt, einer - die Merkmale eines Unfalles nicht erfüllenden - Vollbremsung ohne nachfolgende Kollision gleichzusetzen und kann nicht als im alltäglichen motorisierten Strassenverkehr unüblich bezeichnet werden.
 
Entgegen der vorinstanzlichen Betrachtungsweise fehlte es dem fraglichen Ereignis demnach am Merkmal der Ungewöhnlichkeit und somit an einem notwendigen Teil des Unfallbegriffs. Da im Übrigen auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unfallähnlichen Körperschädigung gemäss Art. 6 Abs. 2 UVG in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 UVV (vgl. auch BGE 116 V 136 E. 4a S. 139 f., 145 E. 2b S. 147) bestehen, entfällt eine Leistungspflicht der Beschwerdeführerin.
 
5.
 
Im vorliegenden Verfahren geht es um die Bewilligung oder Verweigerung von Leistungen der Unfallversicherung, weshalb keine Gerichtskosten aufzuerlegen sind (Art. 134 Satz 1 OG [in der seit 1. Juli 2006 geltenden, hier massgeblichen Fassung]; vgl. E. 1 hievor). Dem Gesuch der anwaltlich vertretenen Beschwerdegegnerin um Verbeiständung kann stattgegeben werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371 E. 5b S. 372, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 29. August 2006 aufgehoben.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwältin Marija Novakovic, Solothurn, für das Verfahren vor dem Bundesgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.
 
4.
 
Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn wird über eine Neuverlegung der Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
 
5.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
 
Luzern, 20. August 2007
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
i.V.
 
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