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Informationen zum Dokument  BGer U 566/2006  Materielle Begründung
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BGer U 566/2006 vom 08.05.2007
 
Tribunale federale
 
{T 7}
 
U 566/06
 
Urteil vom 8. Mai 2007
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Schön, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Leuzinger,
 
Gerichtsschreiber Flückiger.
 
Parteien
 
A.________, 1959, Gesuchsteller,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Martin Sacher, Breiternstrasse 32, 5107 Schinznach Dorf,
 
gegen
 
Helsana Versicherungen AG, Schadenrecht, Zürichstrasse 130, 8600 Dübendorf, Gesuchsgegnerin.
 
Gegenstand
 
Unfallversicherung,
 
Revisionsgesuch gegen den Entscheid des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 19. September 2006.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der 1959 geborene A.________ rutschte am 17. August 1999 auf einer Treppe aus und schlug mit dem Rücken auf den Stufen auf. Die Helsana Versicherungen AG (Helsana) als obligatorischer Unfallversicherer richtete für die Folgen dieses Ereignisses Taggelder aus und kam für die Kosten der Heilbehandlung auf. Mit Verfügung vom 22. Dezember 2004, bestätigt durch Einspracheentscheid vom 21. April 2005, stellte sie jedoch ihre Leistungen rückwirkend per 31. Dezember 2002 ein. Zur Begründung wurde erklärt, die fortbestehenden Beschwerden stünden nicht mehr in einem kausalen Zusammenhang mit dem Unfallereignis.
 
B.
 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau am 25. April 2006 ab. Das Eidgenössische Versicherungsgericht bestätigte diesen Entscheid mit Urteil vom 19. September 2006, U 311/06, wobei es unter anderem erwog (E. 3.1), die Vorinstanz sei gestützt auf die Gutachten der Neurochirurgen Dr. Z.________, vom 13. Januar 2003 und Dr. W.________, vom 29. November 2004 zum zutreffenden Schluss gelangt, dass ein natürlicher Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Rückenbeschwerden des Beschwerdeführers lediglich bis zum 31. Dezember 1999 bestanden habe.
 
C.
 
Mit Revisionsgesuch vom 25. November 2006 lässt A.________ beantragen, das Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 19. September 2006 sowie der kantonale Entscheid und der Einspracheentscheid, soweit einen Leistungsanspruch und den natürlichen Kausalzusammenhang verneinend, seien aufzuheben. Die Sache sei zur Vornahme weiterer Abklärungen an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau zurückzuweisen.
 
Mit einer weiteren, als Ergänzung des bereits gestellten Revisionsgesuchs, eventuell neues Revisionsgesuch bezeichneten Eingabe vom 27. Dezember 2006 (Poststempel) lässt A.________ zur Stützung der erwähnten Rechtsbegehren zusätzliche Unterlagen einreichen und Argumente vorbringen.
 
Die Helsana schliesst auf Abweisung des Revisionsgesuchs (unter Einbezug der Rechtsschrift vom 27. Dezember 2006), während das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Es wurden nacheinander zwei unterschiedlich begründete Revisionsgesuche eingereicht. Diese können im gleichen Verfahren behandelt werden, da sie sich gegen dasselbe Urteil richten.
 
2.
 
Auf den 1. Januar 2007 wurden das Bundesgericht in Lausanne und das Eidgenössische Versicherungsgericht in Luzern zu einem einzigen Bundesgericht zusammengefügt. Gleichzeitig trat das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft (AS 2006 1205, 1243). Das BGG ist gemäss seinem Art. 132 Abs. 1 auf die nach seinem Inkrafttreten eingeleiteten Verfahren des Bundesgerichts anwendbar, auf ein Beschwerdeverfahren jedoch nur dann, wenn auch der angefochtene Entscheid nach dem Inkrafttreten des Gesetzes ergangen ist. Vorliegend wurde kein Beschwerde-, sondern ein Revisionsverfahren eingeleitet, weshalb intertemporalrechtlich nicht die Fällung des zu revidierenden Entscheids, sondern die Stellung des Gesuchs massgebend ist. Weil sowohl die Eingabe vom 25. November 2006 als auch jene vom 27. Dezember 2006 vor dem Inkrafttreten des BGG erfolgten, richtet sich das Verfahren noch nach dem bis Ende 2006 in Kraft gestandenen Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG).
 
3.
 
3.1 Die Revision eines Entscheides des Eidgenössischen Versicherungsgerichts ist unter anderem dann zulässig, wenn das Gericht in den Akten liegende erhebliche Tatsachen aus Versehen nicht berücksichtigt hat (Art. 136 lit. d in Verbindung mit Art. 135 OG). Der Gesuchsteller lässt diesbezüglich vorbringen (Revisionsgesuch vom 25. November 2006), das Eidgenössische Versicherungsgericht habe den im seinerzeitigen Verfahren geltend gemachten wirbelsäulen-orthopädischen Erfahrungssatz unberücksichtigt gelassen, wonach selbst blosse Kontusionsfolgen bei degenerativem Vorzustand im Zeitraum von sechs bis neun Monaten plausibel unfallbezogen erklärbar seien. Die Gültigkeit dieses Erfahrungssatzes sei im Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 12. Februar 2004 (U 185/03), E. 3.2, anerkannt worden.
 
3.2 Der Revisionsgrund des Art. 136 lit. d OG verlangt die versehentliche Nichtberücksichtigung erheblicher Tatsachen durch das Gericht. Er ist nicht gegeben, wenn der Gesuchsteller die Beurteilung von Rechtsfragen beanstandet. Folgerungen, welche aus der allgemeinen Lebenserfahrung gezogen werden, sind dem Bereich der Rechtsfragen zuzuordnen. Dies gilt auch dann, wenn sie sich auf die medizinische Empirie stützen (BGE 132 V 393 E. 3.2 am Ende und 3.3, S. 398 f.). Der mit dem Revisionsgesuch vom 25. November 2006 geltend gemachte Erfahrungssatz - als eine verallgemeinernde medizinische Schlussfolgerung aus Feststellungen in Einzelfällen - beschlägt somit keine Tatsache im Sinne von Art. 136 lit. d OG. Er ist deshalb nicht geeignet, eine Revision des Urteils des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 19. September 2006 zu begründen. Damit erübrigt sich eine Prüfung der weiteren Revisionsvoraussetzungen.
 
4.
 
4.1 Nach Art. 137 lit. b in Verbindung mit Art. 135 OG ist die Revision eines Urteils des Eidgenössischen Versicherungsgerichts auch dann zulässig, wenn der Gesuchsteller nachträglich neue erhebliche Tatsachen erfährt oder entscheidende Beweismittel auffindet, die er im früheren Verfahren nicht beibringen konnte. Als "neu" gelten Tatsachen, welche sich bis zum Zeitpunkt, da im Hauptverfahren noch tatsächliche Vorbringen prozessual zulässig waren, verwirklicht haben, jedoch der um Revision ersuchenden Person trotz hinreichender Sorgfalt nicht bekannt waren. Die neuen Tatsachen müssen ferner erheblich sein, d.h. sie müssen geeignet sein, die tatbeständliche Grundlage des angefochtenen Urteils zu verändern und bei zutreffender rechtlicher Würdigung zu einer anderen Entscheidung zu führen. Beweismittel haben entweder dem Beweis der die Revision begründenden neuen erheblichen Tatsachen oder dem Beweis von Tatsachen zu dienen, die zwar im früheren Verfahren bekannt gewesen, aber zum Nachteil der gesuchstellenden Person unbewiesen geblieben sind. Sollen bereits vorgebrachte Tatsachen mit den neuen Mitteln bewiesen werden, so hat die Person auch darzutun, dass sie die Beweismittel im früheren Verfahren nicht beibringen konnte. Entscheidend ist ein Beweismittel, wenn angenommen werden muss, es hätte zu einem anderen Urteil geführt, falls das Gericht im Hauptverfahren hievon Kenntnis gehabt hätte. Ausschlaggebend ist, dass das Beweismittel nicht bloss der Sachverhaltswürdigung, sondern der Sachverhaltsermittlung dient. Es genügt daher beispielsweise nicht, dass ein neues Gutachten den Sachverhalt anders bewertet; vielmehr bedarf es neuer Elemente tatsächlicher Natur, welche die Entscheidungsgrundlagen als objektiv mangelhaft erscheinen lassen. Für die Revision eines Entscheides reicht es nicht aus, dass eine Gutachterin oder ein Gutachter aus den im Zeitpunkt des Haupturteils bekannten Tatsachen nachträglich andere Schlussfolgerungen zieht als das Gericht. Auch ist ein Revisionsgrund nicht schon gegeben, wenn das Gericht bereits im Hauptverfahren bekannte Tatsachen möglicherweise unrichtig gewürdigt hat. Notwendig ist vielmehr, dass die unrichtige Würdigung erfolgte, weil für den Entscheid wesentliche Tatsachen nicht bekannt waren oder unbewiesen blieben (BGE 127 V 353 E. 5b S. 358 mit Hinweisen; Urteil U 395/04 vom 12. September 2006, E. 1).
 
4.2 Mit dem Gesuch vom 27. Dezember 2006 wurde ein Artikel aus der Zeitschrift X.________ eingereicht. Laut diesem Artikel ist der Zürcher Neurochirurg W., der für Versicherungen Unfallopfer begutachtet, vorbestraft (drei Monate Gefängnis wegen Urkundenfälschung und Missbrauchs einer Fernmeldeanlage), weil er ein Laborblatt gefälscht hat, um einen Chefarzt als Aids-Infizierten zu verleumden, und unter dem Namen eines anderen Arztes beleidigende E-Mails verschickt hat. Weiter wird ausgeführt, der Vorstand der Zürcher Neurologen-Gesellschaft wolle der Generalversammlung den Ausschluss des Arztes beantragen, nachdem diesem ohne Erfolg der Austritt nahegelegt worden sei. Im Juni 2004 sei über den Arzt der Konkurs eröffnet worden, angeblich wegen Schulden von über Fr. 2'000'000.-. Der Gesuchsteller macht geltend, es lägen massgebliche Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei der geschilderten Person um den Neurochirurgen Dr. med. W.________ handle, auf dessen Gutachten vom 29. November 2004 das Eidgenössische Versicherungsgericht in Erw. 3.1 seines Urteils vom 19. September 2006 entscheidend abgestellt habe. Der Gutachter werde deshalb - auf Grund der genannten, nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen - im Sinne von Art. 44 ATSG abgelehnt.
 
4.3
 
4.3.1 Gemäss Art. 44 Satz 2 ATSG kann eine Partei einen Gutachter aus triftigen Gründen ablehnen. Als triftige Gründe gelten einerseits Umstände, welche geeignet sind, die Unparteilichkeit des Gutachters in Frage zu stellen (vgl. Art. 10 VwVG und Art. 36 Abs. 1 ATSG). In der Lehre wird ausserdem die Ansicht vertreten, eine Ablehnung könne gestützt auf Art. 44 ATSG auch dann verlangt werden, wenn es dem Gutachter an der im konkreten Fall erforderlichen Kompetenz fehle oder er aus persönlichen Gründen nicht als geeignet erscheine (Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, Zürich 2003, S. 447, Art. 44 N 11; Jürg Maeschi, Kommentar zum Bundesgesetz über die Militärversicherung, Bern 2000, S. 588, Rz. 12 zu Art. 93 MVG, erwähnt als Beispiel für persönliche Gründe insbesondere solche gesundheitlicher Natur).
 
4.3.2 Die mit dem zweiten Revisionsgesuch vorgebrachten Umstände sind, selbst wenn sie den Gutachter Dr. med. W.________ betreffen sollten, nicht geeignet, dessen Unparteilichkeit oder die fachliche Qualität der von ihm verfassten Expertise in Frage zu stellen (auch wenn sie den Versicherer allenfalls bewogen hätten, dem Arzt keine Gutachtensaufträge mehr anzuvertrauen). Der Arzt steht weder in einer besonderen Beziehung zu einer der Parteien noch hat er ein persönliches Interesse am Ausgang des Verfahrens. Die im zitierten Artikel erwähnten Vorkommnisse weisen keinen (direkten oder indirekten) Bezug zu seiner Tätigkeit als Gutachter im vorliegenden Fall auf, und aus prekären finanziellen Verhältnissen lässt sich nicht ohne weiteres ableiten, der Betroffene sei als Experte generell ungeeignet. Daher sind die diesbezüglich gestellten Beweisanträge abzuweisen. Die im Revisionsverfahren aufgelegten Unterlagen vermögen die unter anderem auf das Gutachten von Dr. med. W.________ gestützte Beurteilung des natürlichen Kausalzusammenhangs im Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 19. September 2006 nicht in Frage zu stellen. Den vorgebrachten neuen Tatsachen fehlt es somit an der Eignung, die tatbeständliche Grundlage des angefochtenen Urteils zu verändern und bei zutreffender rechtlicher Würdigung zu einer anderen Entscheidung zu führen. Sie weisen deshalb die für den Revisionsgrund nach Art. 137 lit. b OG vorausgesetzte Erheblichkeit nicht auf.
 
5.
 
Ein Revisionsverfahren betrifft nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen. Deshalb ist es kostenpflichtig (Umkehrschluss aus Art. 134 Satz 1 OG in der vom 1. Juli bis 31. Dezember 2006 in Kraft gestandenen Fassung). Als unterliegende Partei hat der Gesuchsteller die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Revisionsgesuche werden abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Gesuchsteller auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
 
Luzern, 8. Mai 2007
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:
 
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