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Informationen zum Dokument  BGer 1P_69/2007  Materielle Begründung
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BGer 1P_69/2007 vom 12.04.2007
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1P.69/2007 /ggs
 
Urteil vom 12. April 2007
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Féraud, Präsident,
 
Bundesrichter Aeschlimann, Reeb,
 
Gerichtsschreiber Kessler Coendet.
 
Parteien
 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Fingerhuth,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland, Hermann Götz-Strasse 24, Postfach, 8401 Winterthur,
 
Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, Hirschengraben 13, Postfach, 8023 Zürich.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren; Berufung,
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss
 
des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 6. Dezember 2006.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Das Bezirksgericht Bülach, I. Abteilung, verurteilte X.________ am 5. April 2006 wegen gewerbs- und bandenmässigen Diebstahls, teilweise als Versuch, sowie wegen mehrfacher Sachbeschädigung und mehrfachen Hausfriedensbruchs zur 3 3/4 Jahren Zuchthaus unter Anrechnung der erstandenen Haft. Die Gerichtsgebühr wurde auf Fr. 1'500.-- festgesetzt; die Kosten wurden dem Angeklagten auferlegt.
 
B.
 
Der amtlich verteidigte Angeklagte meldete am 18. April 2006 rechtzeitig die Berufung an. Mit Eingabe vom 8. September 2006 liess er die Berufungsanträge stellen und die Beanstandungen benennen. Die Anträge lauteten sinngemäss wie folgt: Die Schuldsprüche und der Entscheid über die Zivilforderungen gemäss dem erstinstanzlichen Urteil seien zu bestätigen. Die Strafe sei hingegen auf 2 1/2 Jahre Gefängnis herabzusetzen. Mit der Auferlegung der Verfahrens- und Verteidigungskosten erklärte sich der Berufungskläger einverstanden, verlangte jedoch die sofortige und definitive Abschreibung. Als Beanstandung wurde ausgeführt, die Berufung richte sich hauptsächlich gegen die Strafzumessung; die Strafe sei zu hoch ausgefallen.
 
Das Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, setzte dem Angeklagten mit Präsidialverfügung vom 8. November 2006 Frist an, um seine Beanstandungen zu ergänzen. Es verband die Aufforderung mit der Androhung, dass bei Säumnis auf die Berufung nicht eingetreten würde. In der gleichen Verfügung setzte es auch eine parallele Frist für die Einreichung begründeter Beweisanträge fest. Daraufhin wiederholte der Verteidiger mit Eingabe vom 23. November 2006 die gestellten Berufungsanträge und äusserte als Beanstandung neu Folgendes:
 
"Zur Begründung darf ich darauf hinweisen, dass nur die Strafzumessung beanstandet wird, und der Angeklagte der Auffassung ist, dass die Strafe zu hoch ist."
 
Mit Beschluss vom 6. Dezember 2006 trat die II. Strafkammer des Obergerichts auf die Berufung des Angeklagten nicht ein.
 
C.
 
Gegen den Beschluss des Obergerichts führt X.________ staatsrechtliche Beschwerde und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Er rügt eine Verletzung von verfassungsmässigen Individualrechten. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung im bundesgerichtlichen Verfahren.
 
Das Bezirksgericht Bülach und das Obergericht wie auch die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland verzichten auf eine Vernehmlassung.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG) in Kraft getreten. Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren in Anwendung von Art. 132 Abs. 1 BGG noch nach dem Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 (OG).
 
1.2 Gegen den angefochtenen, kantonal letztinstanzlichen Endentscheid steht kein anderes Rechtsmittel als die staatsrechtliche Beschwerde offen. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Entscheid persönlich betroffen und zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, kann auf die Beschwerde - unter dem Vorbehalt rechtsgenüglicher Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; vgl. dazu BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261 f.; 129 I 113 E. 2.1 S. 120) - eingetreten werden.
 
2.
 
2.1 Nach § 414 Abs. 4 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich (StPO/ZH; LS 321) in der Fassung vom 27. Januar 2003 hat der Berufungskläger fristgerecht schriftlich seine Beanstandungen zu benennen. Geht aus der Berufungserklärung nicht genügend deutlich hervor, welche Beanstandungen vorgebracht werden, so setzt der Präsident des Berufungsgerichts eine Frist zur Ergänzung an (§ 419 Abs. 3 StPO/ZH). Das Obergericht versteht die Beanstandungspflicht als ein Gültigkeitserfordernis für alle Berufungserklärungen, d.h. auch in Fällen, in denen die Berufung im Sinne von § 413 Abs. 1 StPO/ZH auf einzelne Punkte beschränkt wird; das Bundesgericht hat diese Sichtweise bestätigt (Urteile 1P.850/2005 vom 8. Mai 2006, E. 5 und 1P.195/2006 vom 27. Juni 2006, E. 1.4). Gleichzeitig ist geklärt worden, dass die Beanstandungspflicht die Begründungsebene betrifft und vom Berufungskläger eine Aussage fordert, die einer Kurzbegründung ähnlich ist (Urteil 1P.850/2005, E. 5.2 und E. 6.4).
 
2.2 Nicht entscheiden musste das Bundesgericht in den beiden genannten Urteilen, wann eine Beanstandung hinreichend ist; in beiden Fällen fehlten Beanstandungen gänzlich. Immerhin erwog das Bundesgericht im Urteil vom 8. Mai 2006 im Rahmen eines obiter dictums, in dieser Perspektive könne es wohl mit der Angabe der kritisierten Urteilspunkte im Sinne von § 413 Abs. 1 StPO allein nicht sein Bewenden haben. Im Unterschied zur Beschränkung der Berufung auf einzelne Urteilspunkte hätten die von § 414 Abs. 4 StPO/ZH geforderten Beanstandungen die Rechtsmittelerklärung als solche zu verdeutlichen. Die Beanstandungen hätten eine Informationsfunktion für das Berufungsgericht. Es solle in die Lage versetzt werden, das eigentliche Berufungsverfahren sachgerecht anzugehen; namentlich müsse es über die einzuschlagende Verfahrensart entscheiden können. Mit den Beanstandungen sei die Stossrichtung der Kritik am angefochtenen Entscheid zu umschreiben. Bei diesen Überlegungen bezog sich das Bundesgericht auf die Materialien, und zwar auf die regierungsrätliche Weisung vom 4. April 2001 zu § 414 Abs. 4 StPO. Letztere führt drei Beispiele für genügende Beanstandungen auf: "Ich bin unschuldig und verlange deshalb einen Freispruch" (Beispiel 1); "ich kann das Urteil nicht annehmen, weil ich mich nicht richtig verteidigen konnte" (Beispiel 2); "ich finde die Strafe zu streng" (Beispiel 3; vgl. Urteil 1P.850/2005, E. 5.2 und E. 5.5).
 
2.3 Vorliegend stellt sich die Frage, ob eine Angabe in der Art des soeben erwähnten dritten Beispiels als Beanstandung genügt. Dabei spielt es keine Rolle, dass der Beschwerdeführer bei seiner Formulierung die Strafe als zu hoch und nicht wie gemäss Beispiel als zu streng bezeichnet hat. Nach Auffassung des Obergerichts ist eine derartige Erklärung als Beanstandung zu wenig deutlich. Es gab dem Beschwerdeführer am 8. November 2006 Gelegenheit zur Ergänzung der Beanstandungen. Dabei erläuterte es, was es unter einer hinreichenden Beanstandung versteht. Es verlangte, dass in diesem Rahmen Bezug auf die Begründung des vorinstanzlichen Entscheids zu nehmen sei. Im vorliegenden Fall sei somit wenigstens kurz aufzuzeigen, weshalb die vom Bezirksgericht ausgesprochene Strafe zu hoch sei, d.h. in welchen Punkten die Strafzumessung beanstandet werde. Im angefochtenen Entscheid trat das Obergericht auf die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Punkt der Strafzumessung im erstinstanzlichen Urteil nicht ein, weil die diesbezügliche Beanstandung in der Eingabe vom 23. November 2006 wiederum mangelhaft ausgefallen sei. Den hiergegen gerichteten Verfassungsrügen ist im Folgenden nachzugehen (vgl. E. 3, hiernach).
 
2.4 Neben der Strafzumessung lag vor dem Obergericht - nach den Berufungsanträgen des Beschwerdeführers zu schliessen - zusätzlich die Kostenregelung des erstinstanzlichen Urteils im Streit. Allerdings äusserte der Beschwerdeführer weder in der Eingabe vom 8. September 2006 noch in derjenigen vom 23. November 2006 eine Beanstandung, die sich auf seinen Antrag bezüglich Abschreibung der Verfahrenskosten bezogen hätte. Die Verfügung vom 8. November 2006 enthielt ebenfalls keine Ausführungen zu diesem Punkt. Im angefochtenen Entscheid hielt das Obergericht fest, der Beschwerdeführer habe zum Antrag der Kostenabschreibung überhaupt keine Beanstandungen benannt; auch insoweit sei ein Nichteintretensentscheid gerechtfertigt.
 
Der Beschwerdeführer ersucht im bundesgerichtlichen Verfahren pauschal um Aufhebung des angefochtenen Entscheids. In der Begründung wendet er sich jedoch mit keinem Wort gegen die obergerichtliche Feststellung, dass er im Kostenpunkt keine Beanstandung vorgebracht hat. Er legt auch nicht dar, inwiefern es verfassungswidrig sein soll, von ihm je eine Beanstandung zu den beiden fraglichen erstinstanzlichen Urteilspunkten zu verlangen. Folglich kann davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer den angefochtenen Entscheid bezüglich des erstinstanzlichen Kostenpunkts nicht mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechten will. Im Übrigen würde es insofern an einer rechtsgenüglichen Beschwerdebegründung fehlen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG, vgl. E. 1.2, hiervor). Darauf kann nicht eingetreten werden.
 
3.
 
3.1 In einem ersten Rügenkomplex führt der Beschwerdeführer das Verbot des überspitzten Formalismus (Art. 29 Abs. 1 BV) und das Willkürverbot (Art. 9 BV) ins Feld. Diese verfassungsmässigen Rechte missachte das Obergericht, wenn es die von ihm vorgetragene Beanstandung zur Strafzumessung als ungültig werte. Bei der Behandlung dieser Verfassungsrügen überprüft das Bundesgericht zunächst die Handhabung des kantonalen Verfahrensrechts unter dem Blickwinkel der Willkür. Erst anschliessend ist, sofern nötig, zu untersuchen, ob die als vertretbar erkannte Auslegung des kantonalen Prozessrechts mit der Garantie von Art. 29 Abs. 1 BV vereinbar ist.
 
3.2 Die bei E. 2.2 dargelegten Überlegungen zeigen auf, dass das kantonale Recht nicht ausdrücklich regelt, wann eine Beanstandung genügend deutlich ist. In dieser Situation hat der Richter die massgeblichen Bestimmungen nach dem ihnen zugrunde liegenden Sinn und Zweck auszulegen. Die ratio legis hat der Richter allerdings nicht nach seinen eigenen, subjektiven Wertvorstellungen, sondern nach den Vorgaben des Gesetzgebers zu ermitteln. Damit ist die Gesetzesauslegung zwar nicht entscheidend historisch zu orientieren; der Richter hat sich aber im Grundsatz dennoch von der Regelungsabsicht des Gesetzgebers und den damit erkennbar getroffenen Wertentscheidungen leiten zu lassen. Das Gesetzesbindungspostulat schliesst für sich allein richterliche Entscheidungsspielräume nicht grundsätzlich aus, sondern markiert bloss deren gesetzliche Grenzen (BGE 128 I 34 E. 3b S. 40 f.).
 
3.3 Es ist unbestritten, dass der kantonale Gesetzgeber mit der Beanstandungspflicht ein gemässigtes Rügeprinzip einführen wollte. Daraus leitet das Obergericht die von ihm aufgestellten Anforderungen ab. Es führt aus, andernfalls würde sich die Rechtslage praktisch gleich wie vor der Gesetzesrevision präsentieren. Damals habe die Berufungserklärung lediglich den Willen zum Ausdruck bringen müssen, dass das Urteil durch Berufung angefochten werde.
 
3.4 Um die Wertvorstellungen des Gesetzgebers beim Erlass der umstrittenen Gesetzesbestimmungen näher zu bestimmen, sind neben den bereits angesprochenen Materialien (vgl. E. 2.2, hiervor) das Protokoll der parlamentarischen Beratung im Zürcher Kantonsrat und der Beleuchtende Bericht zuhanden der Volksabstimmung vom 30. November 2003 beizuziehen.
 
Im Kantonsrat wurde die Revision des Berufungsverfahrens in der Detailberatung diskussionslos genehmigt. Vorgängig hatte der Sprecher der vorberatenden Kommission insofern die regierungsrätliche Vorlage gelobt. Weiter stellte er den Umstand, dass neu die Beschränkung der Überprüfung des erstinstanzlichen Verfahrens zugelassen werde, in den Mittelpunkt seiner Erläuterungen. Die Arbeit des Obergerichts als Berufungsinstanz könne sich so auf die umstrittenen Punkte konzentrieren und ein Beweisverfahren lasse sich ohne unnötige Wiederholungen durchführen (Protokoll des Zürcher Kantonsrates vom 2. Dezember 2002, S. 14517 f., vgl. auch Protokoll der 2. Lesung vom 27. Januar 2003, S. 15373).
 
Im Beleuchtenden Bericht wird die Reform der Rechtsmittel als ein Schwerpunkt der Gesetzesrevision vorgestellt. Dabei stand allerdings die Verkürzung des Rechtsmittelzuges und die Verwirklichung des Grundsatzes der zwei Instanzen im kantonalen Strafprozess im Vordergrund (vgl. Amtsblatt des Kantons Zürich [ABl] 2003 S. 2103 ff.). Was die Neuregelung des Berufungsverfahrens betrifft, beschränkt sich der Beleuchtende Bericht auf allgemeine Hinweise. Dabei wird wiederum die Einführung der Möglichkeit zur Beschränkung der Berufung erwähnt. Ausserdem wird ausgeführt, das Obergericht habe den Fall als Berufungsinstanz weiterhin im Rahmen der Rechtsmittelerklärung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht mit voller Kognition zu prüfen (ABl 2003 S. 2107 f.). Auf das gemässigte Rügeprinzip wird insofern eingegangen, als dieses zu einer Arbeitseinsparung für das Obergericht führe (ABl 2003 S. 2112).
 
3.5 Die regierungsrätlichen Vorstellungen über das gemässigte Rügeprinzip im Berufungsverfahren haben sich im Gesetzgebungsprozess durchgesetzt. Die drei bei E. 2.2 aufgeführten Beispiele aus der regierungsrätlichen Weisung vermitteln daher wesentliche Anhaltspunkte zur Ermittlung von Sinn und Zweck des gemässigten Rügeprinzips. Aus dem Gehalt der Beanstandungsbeispiele kann geschlossen werden, dass die Beanstandungspflicht und das Institut der Berufungsbeschränkung verwandten Zielen dienen. Mit beiden Elementen wollte der Gesetzgeber den Streitgegenstand, der an sich das ganze erstinstanzliche Strafurteil umfasst, in einem frühen Stadium grob eingrenzen lassen; eine eigentliche Begründung war nicht verlangt (vgl. dazu die Weisung, ABl 2001 S. 570). Dadurch sollte das Obergericht in die Lage versetzt werden, das Berufungsverfahren sachgerecht anzugehen und namentlich über die Wahl der Verfahrensart zu entscheiden (vgl. E. 2.2).
 
Der Gesetzgeber hatte dabei den Regelfall vor Augen, dass eine Berufung nicht beschränkt wird. Dort kommt den Beanstandungen schwergewichtig die ihnen zugedachte Informationsfunktion zu. Was dies konkret bedeutet, wenn mehrere erstinstanzliche Urteilspunkte bzw. das ganze Strafurteil angefochten sind, kann hier offen bleiben; es steht nur die Beanstandung bezüglich eines einzigen Urteilspunkts - der Strafzumessung - zur Diskussion (vgl. E. 2.4, hiervor). Zwar gilt auch hier die Beanstandungspflicht, d.h. es muss neben dem Berufungsantrag eine Erklärung auf der Begründungsebene erfolgen (vgl. E. 2.1, hiervor). Es ist aber zu berücksichtigen, dass im Unterschied zu den Beanstandungsbeispielen 1 und 2 bereits die Beschränkung auf die Strafzumessung eine erhebliche Eingrenzung des Streitgegenstands der Berufung bewirkt. In dieser Optik macht es deshalb Sinn, wenn sich der Berufungskläger in einem solchen Fall - gemäss Beispiel 3 - im Rahmen der Beanstandungen nicht weiter festlegen muss als auf der Antragsebene.
 
3.6 Demgegenüber verlangt das Obergericht im Rahmen von Beanstandungen die Angabe der einzelnen Gesichtspunkte für die Strafzumessung, die nach Meinung des Berufungsklägers falsch gewichtet bzw. nicht berücksichtigt worden sein sollen. Mit anderen Worten fordert es eine Aussage in der Art einer Liste von Strafmilderungsgründen. Das Gebot einer derartigen argumentativen Festlegung kommt einem strengen Rügeprinzip nahe. Dies erweist sich als etwas grundlegend anderes als der vom Gesetzgeber angestrebte Grobraster pauschaler Rügen. Das Obergericht bringt zum Ausdruck, die Gesetzesrevision erziele keine prozessökonomischen Auswirkungen, sofern es sich mit einer Aussage in der Art von Beispiel 3 begnügen müsste. Es trifft zu, dass die Arbeitsentlastung des Obergerichts ein gesetzgeberisches Anliegen war; immerhin sollte eine solche nur in einem beschränkten Umfang eintreten. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber eine Pflicht zur Begründung bzw. Kurzbegründung der Berufungserklärung eingeführt hätte, wenn er das Anliegen des Obergerichts hätte umsetzen wollen; dafür bestehen jedoch keine Anhaltspunkte. Das Obergericht überschreitet seinen Entscheidungsspielraum, wenn es der Beanstandungspflicht einen eigenen, ungleich strengeren Massstab zugrunde legt, als vom Gesetzgeber vorgegeben wurde. Somit hält es nicht vor dem Willkürverbot stand, eine Aussage in der Art von Beispiel 3 als mangelhaft bzw. ungültig einzustufen.
 
3.7 Der angefochtene Entscheid erweist sich im Übrigen auch aus einem weiteren Grund als unhaltbar. Im konkreten Fall hatte die Verfahrensleitung, parallel zur Nachfrist für die Ergänzung der Beanstandungen, Frist für die Einreichung begründeter Beweisanträge angesetzt. Nach § 420 Abs. 1 StPO/ZH muss die Verfahrensleitung die Frist für die Beweisanträge erst festsetzen, wenn geklärt ist, dass die Berufung zulässig bzw. die Berufungserklärung gültig ist. Indessen steht nichts entgegen, die Anordnungen nach § 419 Abs. 3 StPO/ZH und § 420 Abs. 1 StPO/ZH - wie im vorliegenden Fall - miteinander zu verbinden. Mit § 420 Abs. 1 StPO/ZH verfügt die Berufungsinstanz über ein wirksames prozessuales Instrument, um einen Berufungskläger - über die Beanstandungen hinaus - in einem frühen Stadium des Berufungsverfahrens zur einlässlichen Begründung in sachverhaltlicher Hinsicht zu verpflichten. Nach Ablauf der gestützt auf § 420 Abs. 1 StPO/ZH festgelegten Frist war davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren keine Beweisanträge mehr stellen konnte (vgl. dazu die regierungsrätliche Weisung, ABl 2001 S. 638). Zu Recht macht er geltend, das Obergericht sei unter diesen Umständen erst recht in die Lage versetzt worden, das Berufungsverfahren sachgerecht anzugehen. Demzufolge war der gesetzgeberisch angestrebten Informationsfunktion zugunsten der Berufungsinstanz vorliegend im Ergebnis vollauf Genüge getan.
 
3.8 Da die Willkürrüge durchdringt, erübrigt es sich, auf die weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen.
 
4.
 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben, soweit damit auf den Berufungsantrag bezüglich der Strafzumessung nicht eingetreten wurde. Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Hingegen hat der Kanton Zürich dem obsiegenden Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung zu zahlen (Art. 159 Abs. 2 OG). Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung im bundesgerichtlichen Verfahren wird folglich gegenstandslos.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der Beschluss des Obergerichts vom 6. Dezember 2006 wird aufgehoben, soweit damit auf den Berufungsantrag des Beschwerdeführers bezüglich der Strafzumessung im Urteil des Bezirksgerichts Bülach, I. Abteilung, vom 5. April 2006 nicht eingetreten worden ist.
 
2.
 
Es werden keine Kosten erhoben.
 
3.
 
Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'500.-- zu bezahlen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland, und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 12. April 2007
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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