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Informationen zum Dokument  BGer 6P.193/2006  Materielle Begründung
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BGer 6P.193/2006 vom 01.03.2007
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6P.193/2006 /hum
 
Urteil vom 1. März 2007
 
Kassationshof
 
Besetzung
 
Bundesrichter Schneider, Präsident,
 
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd,
 
Gerichtsschreiber Stohner.
 
Parteien
 
Q.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
 
Dr. Hans Ulrich Ziswiler,
 
gegen
 
1. A.________,
 
2. B.________,
 
3. C.________,
 
4. D.________
 
5. F.________,
 
Beschwerdegegnerinnen,
 
alle vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Ragaz,
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
 
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
 
Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht,
 
1. Kammer, Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren; willkürliche Feststellung des Sachverhalts und willkürliche Beweiswürdigung (Art. 9 BV),
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht,
 
1. Kammer, vom 29. Juni 2006.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Q.________ soll gemeinsam mit X.________, R.________ und S.________ am 25. Dezember 2001, gegen 01.30 Uhr, F.________ auf dem Vorplatz des von diesem betriebenen China-Restaurants O.________ in Aarau in dessen Auto zu berauben versucht und durch eine Vielzahl von Messerstichen getötet haben.
 
B.
 
Das Obergericht des Kantons Aargau sprach Q.________ am 29. Juni 2006 in weitgehender Bestätigung des Urteils des Bezirksgerichts Aarau vom 6. Juli 2005 des Mordes (Art. 112 StGB), des versuchten Raubs (Art. 21 i.V.m. Art. 140 StGB) sowie der Widerhandlung gegen das Waffengesetz schuldig und verurteilte ihn zu 16 Jahren Zuchthaus unter Anrechnung der erstandenen Untersuchungshaft von 1'506 Tagen.
 
C.
 
Q.________ führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 29. Juni 2006 sei aufzuheben. Zudem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung.
 
D.
 
Das Obergericht des Kantons Aargau hat auf Gegenbemerkungen, die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Beschwerdegegnerinnen haben sich innert Frist nicht vernehmen lassen.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Das angefochtene Urteil ist vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) am 1. Januar 2007 ergangen. Auf das Rechtsmittel dagegen ist noch das bisherige Verfahrensrecht anwendbar (Art. 132 Abs. 1 BGG, e contrario), hier somit dasjenige der staatsrechtlichen Beschwerde (Art. 84 ff. OG).
 
2.
 
Der Verurteilung wegen Mordes liegt zusammengefasst folgender Sachverhalt zugrunde:
 
X.________, R.________, S.________ und der Beschwerdeführer besuchten als Hotelfachschüler die L.________-Schulen in Luzern. Dem Beschwerdeführer gelang es im September/Oktober 2001, seine drei Mitschüler von seinem Vorhaben, eine vorerst nicht näher bestimmte Person zu berauben, zu überzeugen und als Mittäter zu gewinnen. Zur Durchführung der Tat erwarben die vier in der Folge verschiedene Tatwerkzeuge und -utensilien, insbesondere ein Messer, ein Samurai-Kurzschwert, eine Pistolenattrappe, vier Gesichtsmasken sowie Handschuhe, Klebeband und Seilschnur.
 
Im Dezember 2001 nahm der Beschwerdeführer seine praktische Tätigkeit im China-Restaurant von F.________ in Aarau auf. Dieser wurde in der Folge von ihm zum Opfer des geplanten Raubs bestimmt. Zunächst war geplant, F.________ unter Bedrohung zu nötigen, an seinen Wohnort zu fahren. Dort sollten seine Frau und seine vier Kinder überwältigt, gefesselt und bewacht werden, während F.________ durch den Beschwerdeführer zu einem Geldautomaten begleitet und dort gezwungen werden sollte, mittels seiner Bankkarten Geldbezüge zu tätigen.
 
Da diese Vorgehensweise als zu kompliziert erschien, einigten sich X.________, S.________ und der Beschwerdeführer am Abend des 23. Dezember 2001 schliesslich, sich darauf zu beschränken, F.________ auf dem Hinterhof seines Gastgewerbebetriebs der Tageseinnahmen zu berauben. R.________ war bei der Diskussion nicht zugegen und erfuhr nichts von dieser Planänderung.
 
Am Abend des 24. Dezember 2001 erkannte der Beschwerdeführer, welcher seiner Arbeit im China-Restaurant von F.________ nachging, dass das Geschäft florierte und grosse Einnahmen zu erwarten waren. In der Folge reisten die vom Beschwerdeführer benachrichtigten X.________, S.________ und R.________ unter Mitnahme der Tatwerkzeuge mit dem Zug von Luzern nach Aarau und trafen sich mit dem Beschwerdeführer in einem Raum im Untergeschoss des China-Restaurants. Hier erteilte der Beschwerdeführer X.________ und S.________ den Auftrag, F.________ nicht nur zu berauben, sondern zu töten. R.________ befand sich zu diesem Zeitpunkt nicht im Raum.
 
Als F.________ schliesslich am 25. Dezember 2001 gegen 01.30 Uhr das Lokal verliess und in sein Auto einsteigen wollte, traten X.________ und S.________ - unmaskiert - aus ihrem Versteck. Die beiden drängten F.________ in dessen Auto. Dort kam es zum Kampf zwischen F.________ und X.________, in dessen Verlauf letzterer mit der Pistolenattrappe auf F.________ einschlug. Nunmehr verliess auch S.________, ebenfalls unmaskiert, sein Versteck, begab sich mit dem Messer in der Hand zum Fahrzeug und stieg durch die von X.________ geöffnete Fahrertüre ein. Der Beschwerdeführer verfolgte das Geschehen von einem Fenster des China-Restaurants aus und erteilte mit Gesten Anweisungen. Im Auto übergab S.________ zwischenzeitlich das Messer an X.________, welcher hiermit auf F.________ einstach. Anschliessend übernahm S.________ das Messer wieder von X.________, wobei ihn dieser in der Folge aufforderte, auf F.________ einzustechen bzw. diesen zu töten. S.________ fügte F.________ mit dem Messer diverse Stichverletzungen zu und schnitt ihm schliesslich die Kehle durch. F.________ verstarb noch am Tatort durch Verbluten.
 
Während S.________ von der eintreffenden Polizei festgenommen werden konnte, gelang den anderen drei Beteiligten, ohne Beute, die Flucht.
 
3.
 
3.1 Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und eine willkürliche Beweiswürdigung durch das Obergericht.
 
Dieses sei in Willkür verfallen, weil es gestützt auf die Aussagen von S.________ gefolgert habe, der Beschwerdeführer habe diesem und X.________ bei ihrem letzten Treffen vor der Tat in Abänderung des bisherigen Deliktsplans, wonach das Opfer "nur" beraubt werden sollte, mitgeteilt, das Opfer müsse auch getötet werden.
 
3.2 Willkür in der Beweiswürdigung liegt vor, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen, auf einem offenkundigen Fehler beruhen oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufen. Dabei genügt es nicht, wenn der angefochtene Entscheid sich nur in der Begründung als unhaltbar erweist; eine Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn er auch im Ergebnis verfassungswidrig ist (BGE 127 I 38 E. 2 und 4 mit Hinweisen).
 
3.3 Das Obergericht hat sich eingehend mit den Aussagen der Beteiligten, insbesondere mit jenen des Mittäters S.________, auseinander gesetzt. Es hat erwogen, S.________ habe mehrmals übereinstimmend und nachvollziehbar ausgesagt, der Beschwerdeführer habe X.________ und ihm zu Verstehen gegeben, das Opfer müsse umgebracht werden, insbesondere weil der Raub sonst sofort aufgeklärt werden könnte (angefochtenes Urteil S. 17 mit Hinweis auf die vorinstanzlichen Akten act. 1973, 1974, 2006, 2025, 2047). Dass der Beschwerdeführer dabei gemäss den Schilderungen von S.________ nicht ausdrücklich präzisiert hat, wie genau und durch welchen der beiden Mittäter das Opfer getötet werden soll (vorinstanzliche Akten act. 1973 f.), ändert hieran nichts. Ebenso wenig kann entscheidend sein, dass S.________ gemäss eigenen Angaben im Auto zusätzlich auch durch X.________ zur Tötung des Opfers aufgefordert worden ist.
 
Das Obergericht durfte diesen Aussagen von S.________ kurz nach dessen Festnahme aufgrund der zeitlichen Nähe zur Tat ohne Willkür einen erhöhten Beweiswert beimessen, zumal S.________ seine Aussagen auch nachträglich nicht dementiert, sondern bloss - namentlich unter dem Druck der Konfrontation mit dem Beschwerdeführer - relativiert hat. Der Schluss des Obergerichts, die späteren Aussagen von S.________, wonach der Beschwerdeführer die Anweisung zur Tötung des Opfers nicht seriös gemeint bzw. bloss zum Spass gemacht habe (angefochtenes Urteil S. 17 mit Hinweis auf die vorinstanzlichen Akten act. 2036 ff. und 4149 ff.), seien wenig überzeugend, da an einer solchen Tötungsaufforderung nichts Lustiges zu finden sei (angefochtenes Urteil S. 18), hält der bundesgerichtlichen Willkürprüfung stand.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde ist demnach abzuweisen.
 
4.
 
Der Beschwerdeführer ersucht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Da das Rechtsmittel von vornherein aussichtslos war, kann dem Gesuch nicht entsprochen werden (Art. 152 Abs. 1 OG).
 
Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Bei der Festsetzung der Gerichtsgebühr ist seinen finanziellen Verhältnissen Rechnung zu tragen (Art. 153a Abs. 1 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 1. März 2007
 
Im Namen des Kassationshofes
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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