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Informationen zum Dokument  BGer 1P.634/2006  Materielle Begründung
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BGer 1P.634/2006 vom 22.02.2007
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1P.634/2006 /fun
 
Urteil vom 22. Februar 2007
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter Aeschlimann, Fonjallaz,
 
Gerichtsschreiber Kessler Coendet.
 
Parteien
 
X.________ AG, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Hans Suppiger,
 
gegen
 
1. A.________,
 
2. B.________,
 
Beschwerdegegner,
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Zentralstrasse 28, 6002 Luzern,
 
Obergericht des Kantons Luzern, Kriminal- und Anklagekommission, Hirschengraben 16, 6002 Luzern.
 
Gegenstand
 
Art. 8, 9, 29 BV (Einstellung der Strafuntersuchung),
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern, Kriminal- und Anklagekommission, vom 9. August 2006.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die X.________ AG reichte am 19. April 2005, vertreten durch C.________, beim Amtsstatthalteramt Luzern Strafklage gegen A.________ und B.________ wegen Vermögensdelikten ein. Dabei ging es im Wesentlichen um folgende Vorwürfe: A.________ habe zum Schaden der Privatklägerin einen Inhaberschuldbrief, der auf dem Grundstück eines Dritten lastet, zurückgehalten; in der Folge hätten die Beschuldigten das Wertpapier widerrechtlich veräussert. Am 2. Mai 2005 stellte die X.________ AG einen zusätzlichen Strafantrag gegen A.________ wegen Drohung und Nötigung. Der Amtsstatthalter wies das Verfahren am 4. Mai 2005 von der Hand.
 
Die Privatklägerin rekurrierte gegen diesen Entscheid, soweit er den Vorwurf von Vermögensdelikten betraf, an die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. Letztere hiess das Rechtsmittel mit Entscheid vom 25. August 2005 gut. Sie verlangte vom Amtsstatthalteramt, eine Strafuntersuchung mit Blick auf den Vorwurf der Veruntreuung aufzunehmen. Hingegen hatte es somit sein Bewenden bezüglich der zur Anzeige gebrachten angeblichen Drohung und Nötigung.
 
B.
 
Das Amtsstatthalteramt stellte die Strafuntersuchung bezüglich des Verdachts der Veruntreuung am 10. Januar 2006 ein. Dieser Entscheid wurde von der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern am 14. Februar 2006 visiert. Gegen die Verfahrenseinstellung erhob die X.________ AG Rekurs, den das Obergericht des Kantons Luzern, Kriminal- und Anklagekommission, mit Entscheid vom 9. August 2006 abwies.
 
C.
 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 25. September 2006 beantragt die X.________ AG die Aufhebung des obergerichtlichen Entscheids. Sie rügt eine Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots (Art. 8 BV), des Willkürverbots (Art. 9 BV) und der in Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 BV verankerten Verfahrensgarantien.
 
Staatsanwaltschaft und Obergericht ersuchen um Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. A.________ und B.________ sprechen sich für die Bestätigung des angefochtenen Entscheids aus. Ihrer Vernehmlassung haben sie ein Zivilurteil des Bezirksgerichts Küssnacht vom 25. September 2006 zwischen A.________ und der X.________ AG beigelegt; darin werden unter anderem Ansprüche im Zusammenhang mit dem erwähnten Schuldbrief beurteilt. Mit Eingabe vom 5. Dezember 2006 weist die X.________ AG darauf hin, dass sie gegen das Zivilurteil Berufung erklärt habe.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten. Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren in Anwendung von Art. 132 BGG noch nach dem Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 (OG).
 
1.1 Nach der Praxis des Bundesgerichts zu Art. 88 OG ist der durch eine angeblich strafbare Handlung Geschädigte grundsätzlich nicht legitimiert, gegen die Einstellung des Strafverfahrens oder gegen das den Angeschuldigten freisprechende Urteil staatsrechtliche Beschwerde zu erheben (BGE 131 I 455 E. 1.2.1 S. 458; 128 I 218 E. 1.1 S. 219). Unbekümmert um die fehlende Legitimation in der Sache selbst ist der Geschädigte aber befugt, mit diesem Rechtsmittel die Verletzung von Verfahrensrechten geltend zu machen, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Das nach Art. 88 OG erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich diesfalls nicht aus einer Berechtigung in der Sache, sondern aus der Berechtigung, am Verfahren teilzunehmen. Ist der Beschwerdeführer in diesem Sinne nach kantonalem Recht Partei, kann er die Verletzung jener Parteirechte rügen, die ihm nach dem kantonalen Verfahrensrecht oder unmittelbar aufgrund der Bundesverfassung zustehen (BGE 131 I 455 E. 1.2.1 S. 459; 128 I 218 E. 1.1 S. 220). Zur Beschwerde in der Sache legitimiert ist der Geschädigte unter gewissen Voraussetzungen allerdings dann, wenn er Opfer im Sinne von Art. 2 OHG (SR 312.5) ist (BGE 131 I 455 E. 1.2.1 S. 459; 128 I 218 E. 1.1 S. 220). Das ist bei der Beschwerdeführerin nicht der Fall.
 
1.2 Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, so dass auf die Beschwerde im dargelegten Umfang eingetreten werden kann.
 
2.
 
Die Beschwerdeführerin macht keine Missachtung kantonaler Verfahrensbestimmungen geltend, sondern rügt direkt eine Verletzung von Art. 29 Abs. 1 und 2 BV. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist Teil der allgemeinen Verfahrensgarantien von Art. 29 BV. Der in Art. 29 Abs. 1 BV verankerte Anspruch der Verfahrenspartei auf gleiche und gerechte Behandlung besitzt hier keine darüber hinausgehende Bedeutung.
 
2.1 Nach der Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 2 BV steht dem Betroffenen das persönlichkeitsbezogene Mitwirkungsrecht zu, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheides zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern. Dem Mitwirkungsrecht entspricht die Pflicht der Behörden, die Argumente und Verfahrensanträge der Partei entgegenzunehmen und zu prüfen sowie die ihr rechtzeitig und formrichtig angebotenen Beweismittel abzunehmen (vgl. BGE 127 I 54 E. 2b S. 56; 126 I 97 E. 2b S. 102, je mit Hinweisen).
 
Hingegen geht es nicht an, dem Verfassungsrichter - auf dem Umweg über die Rüge der Verletzung von Verfahrensvorschriften - materielle Fragen zur Prüfung vorzulegen. Ein in der Sache nicht legitimierter Beschwerdeführer kann deshalb weder die Beweiswürdigung kritisieren, noch geltend machen, die Begründung sei materiell unzutreffend, noch die Tatsache rügen, dass seine Anträge wegen Unerheblichkeit oder aufgrund antizipierter Beweiswürdigung abgelehnt wurden. Die Beurteilung dieser Fragen kann von der Prüfung der materiellen Sache nicht getrennt werden. Auf eine solche hat der in der Sache selbst nicht Legitimierte keinen Anspruch (BGE 120 Ia 157 E. 2a/bb S. 160; 118 Ia 232 E. 1a S. 234 f.).
 
2.2 Das Amtsstatthalteramt gelangte im Einstellungsentscheid zur Auffassung, die Zurückbehaltung und spätere Veräusserung des fraglichen Schuldbriefs durch die Beschwerdegegner erfülle weder den Tatbestand der unrechtmässigen Aneignung (Art. 137 StGB) noch der Veruntreuung (Art. 138 StGB). Hierbei stützte sich die Behörde auf die nach der Rückweisung beigezogenen Akten, insbesondere die bereits zuvor eingestellte Strafuntersuchung gegen C.________ im Zusammenhang mit seiner Weitergabe des Schuldbriefs an den Beschwerdegegner 1.
 
Die Abklärungen in der vorliegenden Strafuntersuchung erachtet die Beschwerdeführerin als ungenügend. Die Beschwerdegegner seien nie persönlich zur Sache einvernommen worden. Ausserdem sei die Echtheit eines Schreibens des Beschwerdegegners 1 vom 20. Oktober 2001 nicht abgeklärt worden. Darin steht, dieser halte den fraglichen, ihm übergebenen Schuldbrief unbeschwert zugunsten der Beschwerdeführerin zur Verfügung, wenn ihr Engagement für seine Aufwendungen in dieser Sache bereinigt sei. Die Beschwerdegegner hatten im Rekursverfahren die Echtheit des Schreibens bestritten.
 
2.3 Das Obergericht hat den Verzicht auf eine Befragung der angeschuldigten Beschwerdegegner zur Sache damit gerechtfertigt, dass die beigezogenen Vorakten genügt hätten. Darüber hinaus hätten sich die Beschuldigten im Rekursverfahren schriftlich zur Sache geäussert; die Beschwerdeführerin habe daraufhin ihrerseits zu diesen Vorbringen Stellung genommen. Zum Schreiben vom 20. Oktober 2001 stellte es folgende Überlegungen an. Die Frage seiner Echtheit könne dahingestellt bleiben. Die Veräusserung des Schuldbriefs durch den Beschwerdegegner 1 sei selbst dann strafrechtlich unbedenklich, wenn er das Wertpapier nur als Faustpfand erhalten haben sollte. Der Einwand der Beschwerdeführerin, wonach zwischen ihr und dem Beschwerdegegner 1 kein Schuldverhältnis erstellt sei, lasse sich aktenmässig widerlegen. Ausserdem gelte es, eine schriftliche Erklärung vom 15. Juni 2000 von C.________ und der X.________ AG zu berücksichtigen. In dieser Erklärung steht, der Schuldbrief hafte für sämtliche Verbindlichkeiten und könne auch zweckbedingt weitergegeben werden.
 
2.4 Die Beschwerdeführerin geht fehl, wenn sie als Privatklägerin aus ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör ableiten will, dass die Angeschuldigten stets zu den erhobenen Strafvorwürfen persönlich befragt werden müssten. Das rechtliche Gehör eines Privatklägers bleibt gewahrt, wenn sich der von ihm erhobene Deliktsvorwurf anderweitig hinreichend klären lässt. Demgegenüber kommt der persönlichen Befragung des Beschuldigten mit Blick auf dessen eigenen Gehörsanspruch eine andere Bedeutung zu (vgl. BGE 119 Ib 311 E. 7a S. 331; Robert Hauser/Erhard Schweri/Karl Hartmann, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Auflage, Basel 2005, § 61 Rz. 1 ff.); darum geht es hier jedoch nicht.
 
2.5 Was den vorliegenden Fall betrifft, äussert sich die Beschwerdeschrift nicht konkret zu dem bei E. 2.3 erwähnten Schriftstück vom 15. Juni 2000. Die Beschwerdeführerin stellt auch nicht in Frage, dass diese Erklärung ihr zuzurechnen ist. Es ist deswegen nicht zu beanstanden, wenn im angefochtenen Entscheid massgeblich darauf abgestellt worden ist. Da die Verfahrenseinstellung im angefochtenen Entscheid unabhängig von der Frage der Echtheit des Schreibens vom 20. Oktober 2001 geschützt wird, verletzt das Fehlen weiterer Abklärungen in diesem Punkt das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin nicht. Es vermag auch nichts zu ändern, wenn die Beschwerdeführerin vorbringt, bei diesem Ergebnis müsse sie den in den Raum gesetzten Verdacht auf Urkundenfälschung und Prozessbetrug ungeprüft hinnehmen. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin und ihre Organe im vorliegenden Verfahren eine andere Stellung als die einer Privatklägerin einnehmen.
 
3.
 
Wie bereits angesprochen (vgl. E. 2.3), hat das Obergericht erwogen, der Beschwerdegegner 1 habe sich auch im Falle der Echtheit seines Schreibens vom 20. Oktober 2001 für berechtigt halten dürfen, den Schuldbrief zu veräussern. Diese Auffassung bemängelt die Beschwerdeführerin als aktenwidrig und rechtlich unhaltbar. Die Beurteilung der Willkürrüge kann von der materiellen Prüfung des Sachverhalts nicht getrennt werden; darauf ist nicht einzutreten (vgl. E. 2.1).
 
4.
 
Den Vorwurf, das Rechtsgleichheitsgebot sei verletzt worden, begründet die Beschwerdeführerin wie folgt: Angesichts der von ihr vorgebrachten Verdachtsgründe lasse sich hier nicht sagen, dass ein Freispruch mit grosser Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei. Damit seien die von der kantonalen Praxis aufgestellten Anforderungen an eine Verfahrenseinstellung nicht gegeben; der angefochtene Entscheid bedeute eine ungerechtfertigte Privilegierung der Beschwerdegegner zulasten der Beschwerdeführerin. Soweit sich diese Vorbringen gegen die Würdigung der Beweislage im angefochtenen Entscheid wenden, kann darauf wiederum nicht eingetreten werden (vgl. E. 2.1). Im Übrigen kommt der Verfassungsrüge keine weitergehende Bedeutung zu als dem bereits behandelten Vorwurf der Gehörsverletzung; die Beschwerdeführerin will auch mit dem Argument der Rechtsgleichheit letztlich die Vornahme von Abklärungen im Zusammenhang mit dem erwähnten Schreiben vom 20. Oktober 2001 erreichen (vgl. dazu E. 2.5).
 
5.
 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Verfahrensausgang trägt die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten (Art. 156 Abs. 1 OG). Den Beschwerdegegnern ist trotz ihres Obsiegens praxisgemäss keine Parteientschädigung zuzusprechen, weil sie nicht anwaltlich vertreten gewesen sind und ihnen kein ausserordentlicher Aufwand entstanden ist (BGE 113 Ib 353 E. 6b S. 357 mit Hinweisen).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Luzern, Kriminal- und Anklagekommission, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 22. Februar 2007
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:
 
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