VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer I 928/2005  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer I 928/2005 vom 04.12.2006
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess {T 7}
 
I 928/05
 
Urteil vom 4. Dezember 2006
 
IV. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Ursprung, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiber Grünvogel
 
Parteien
 
F.________, 1961, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Dr. Charles Wick, Schwanengasse 8, 3011 Bern,
 
gegen
 
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
 
(Entscheid vom 11. November 2005)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Verfügung vom 7. Februar 2005 lehnte die IV-Stelle Bern ein von F.________, geboren 1961, am 14. August 2002 gestelltes Rentenbegehren ab. Zuvor hatte sie F.________ vom 18. Februar bis 16. Mai 2003 in der Institution X.________ beruflich abklären und ihn sowohl davor als auch danach von spezialisierten Medizinern untersuchen lassen. Mit Einspracheentscheid vom 6. Juli 2005 hielt die IV-Stelle an ihrer Auffassung fest.
 
B.
 
Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 11. November 2005 ab.
 
C.
 
F.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, ihm sei in Aufhebung des Einsprache- und des vorinstanzlichen Entscheids mit Wirkung ab September 2002 eine ganze Invalidenrente zuzusprechen; eventuell sei die Angelegenheit für weitere Abklärungen an die IV-Stelle zurückzuweisen. Gleichzeitig ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege in Einspracheverfahren und Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht.
 
Während die IV-Stelle Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Stellungnahme.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Nach Art. 132. Abs. 1 OG in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG (in Kraft seit 1. Juli 2006) kann das Eidgenössische Versicherungsgericht in Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen in Abweichung von den Art. 104 und 105 OG auch die Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung beurteilen und ist an die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts nicht gebunden. Gemäss Art. 132 Abs. 2 OG gelten diese Abweichungen jedoch nicht, wenn der angefochtene Entscheid Leistungen der Invalidenversicherung betrifft. Nach Ziff. II lit. c des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 gilt indessen bisheriges Recht für die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängigen Beschwerden. Da die hier zu beurteilende Beschwerde am 1. Juli 2006 beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängig war, richtet sich dessen Kognition noch nach Art. 132 Abs. 1 OG.
 
2.
 
Die Vorinstanz hat die Anspruchvoraussetzungen an eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 IVG sowohl in der bis Ende 2003 als auch aktuell gültigen Fassung) und den dazugehörgen Invaliditätsbegriff zutreffend umschrieben (Art. 7 und Art. 8 ATSG). Richtig sind auch die Ausführungen zu den beweismässigen Anforderungen an ärztliche Berichte und an berufliche Abklärungen (BGE 130 V 63 Erw. 6.2, 125 V 352 Erw. 3a; RKUV 2003 Nr. U 487 S. 345 Erw. 5.1 [Urteil B. vom 5. Juni 2003, U 38/01]; AHI 2003 S. 219 Erw. 2.3.2 [Urteil S. vom 30. Dezember 2002, I 90/02]). Gleiches gilt für die Hinweise zur Bedeutung der psychosozialen und soziokulturellen Faktoren für die Invalidität (BGE 127 V 299 Erw. 5a mit Hinweisen). Korrekt ist im Weiteren die Darstellung der Praxis zu der hier für die Invaliditätsbemessung anwendbaren Methode des Einkommensvergleichs (BGE 129 V 475 Erw. 4.2.1, 126 V 76 Erw. 3b/bb). Darauf wird verwiesen.
 
3.
 
In Würdigung des neurochirurgischen Gutachtens von Frau Dr. med. L.________ vom 30. Dezember 2003, deren nachträglicher Stellungnahme vom 28. April 2004 zum Erfahrungsbericht der Institution X.________ vom 23. Juni 2003 über die durchgeführten beruflichen Massnahmen sowie der psychiatrischen Einschätzung von Dr. med. H.________ vom 28. Januar 2005 ist das kantonale Gericht bezüglich der gesundheitlich verbliebenen Restarbeitsfähigkeit zu folgendem Schluss gelangt: Dem Versicherten sei eine leichte, leidensangepasste Tätigkeit uneingeschränkt zuzumuten, wobei wegen der notwendigen Eingewöhnung zu Beginn der Arbeitsaufnahme während maximal drei Monaten von einer Leistungsreduktion von 20 - 25 % auszugehen sei.
 
Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, überzeugt nicht. Die Frage nach den dem Versicherten noch zumutbaren Tätigkeiten und Arbeitsleistungen ist nach Massgabe der objektiv feststellbaren Gesundheitsschädigung durch die Ärzte und nicht durch die Eingliederungsfachleute auf der Grundlage der von ihnen erhobenen, subjektiven Arbeitsleistung zu beantworten (BGE 107 V 20 Erw. 2b). Wie bereits vom kantonalen Gericht dargelegt, haben die Dres. med. L.________ und H.________ ihre Einschätzungen in Kenntnis des Abklärungsberichts der Institution X.________ abgegeben, konnten indessen für die dort festgestellte geringe Leistungsfähigkeit keine medizinische Begründung finden. Wenn der Psychiater Dr. med. H.________ bei den Diagnosen ausführt, die festgestellten Schwierigkeiten bei der kulturellen Eingewöhnung, die lange Phase von Arbeitsuntätigkeit wie auch die belastende familiäre Situation seien ohne Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit, um in der Schlusszusammenfassung diese Auffälligkeiten als invaliditätsfremde Faktoren zu bezeichnen, welche die Erwerbsfähigkeit einschränken würden, mag dies auf den ersten Blick tatsächlich widersprüchlich sein; der Psychiater will mit letzterem Hinweis indessen offenkundig lediglich die Diskrepanz zwischen der medizinisch-theoretischen, dem Versicherten objektiv zuzumutenden Arbeitsfähigkeit einerseits und jener, wie sie der Versicherte selbst definiert und anlässlich der (gescheiterten) beruflichen Massnahmen in der Institution X.________ umgesetzt hat, andererseits, erklären. Auch darauf hat die Vorinstanz bereits verwiesen. Zweifel an der Verlässlichkeit des Gutachters und seiner Einschätzung der Restarbeitsfähigkeit sind dadurch nicht begründet. Das kantonale Gericht durfte auf weitere Abklärungen verzichten, wozu letztinstanzlich ebenso wenig Veranlassung besteht.
 
4.
 
In einem nächsten Schritt hat die Vorinstanz den hypothetischen Verdienst ermittelt, den der Versicherte auf der Grundlage der oben umschriebenen Arbeitsfähigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage als Invalider erzielen könnte. Dafür hat sie die vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Lohnstrukturerhebungen herangezogen und von dem dergestalt ermittelten Verdienst den von der Rechtsprechung für maximal zulässig bezeichneten leidensbedingten Abzug von 25 % gewährt (BGE 126 V 80 Erw. 5b/cc), was zu einem Betrag von Fr. 43'007.25 geführt hat. Das Valideneinkommen hat sie ausgehend vom zuletzt als Gesunder erzielten Lohn auf Fr. 69'027.30 festgelegt. Durch das Gegenüberstellen dieser beiden Beträge ergab sich ein Invaliditätsgrad von gerundet 38 % (zur Rundung BGE 130 V 123 Erw. 3.2), der keinen Anspruch auf eine Invalidenrente begründet.
 
Es besteht kein Anlass, diese im angefochtenen Entscheid näher begründeten Ausführungen in Frage zu stellen, zumal der Beschwerdeführer dagegen nichts vorbringt.
 
5.
 
5.1 Was die von Vorinstanz und Verwaltung verweigerte unentgeltliche Verbeiständung im Einspracheverfahren anbelangt, so hat das kantonale Gericht zutreffend erwogen, dass der Gesuch stellenden Person ein unentgeltlicher Rechtsbeistand im Verwaltungsverfahren gemäss Art. 37 Abs. 4 ATSG nur bewilligt wird, wo die Verhältnisse es erfordern, im kantonalen Prozess dagegen bereits, wo die Verhältnisse es rechtfertigen (Art. 61 lit. f Satz 2 ATSG). Richtig ist auch, dass die Offizialmaxime rechtfertigt, an die Voraussetzungen, unter denen eine anwaltliche Verbeiständung sachlich geboten ist, einen strengen Massstab anzulegen (BGE 125 V 36 Erw. 4b, 114 V 235 Erw. 5b); die anwaltliche Vertretung im Verwaltungsverfahren drängt sich nur in Ausnahmefällen auf (BGE 132 V 201 Erw. 4.1, 117 V 408 f. Erw. 5a, 114 V 238 Erw. 6). Verlangt werden qualifizierende, besondere Umstände. Dagegen kann nicht bereits aus dem Umstand, dass eine Recht suchende Person während des Verwaltungsverfahrens von einer Fürsorgebehörde betreut wurde, auf die fehlende Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung im Einspracheverfahren geschlossen werden. Insoweit greift die Begründung der Vorinstanz zum ablehnenden Entscheid zu kurz.
 
5.2 Umgekehrt kann aber auch nicht bereits aufgrund der Tatsache, dass eine Rente - mithin eine finanzielle Leistung von in der Regel erheblicher Bedeutung - zur Diskussion steht, automatisch von einer notwendigen Verbeiständung ausgegangen werden. Wollte man bereits in diesem Umstand einen besonders schweren Eingriff in die Rechtsstellung des Versicherten erblicken, der regelmässig eine unentgeltliche Verbeiständung zur Folge hat, würde dies darauf hinauslaufen, dass eine solche in praktisch allen oder den meisten IV-Fällen zu gewähren wäre, was der gesetzlichen Regelung widerspräche (Urteil R. vom 8. November 2006, I 746/06). Es sind vielmehr die konkreten Umstände zu beurteilen.
 
5.3 Vorliegend hat die IV-Stelle ihre Leistungsverweigerung in einer ersten Verfügung vom 9. Januar 2004 zunächst damit begründet, dass die im Arztbericht von Frau Dr. med. L.________ vom 30. Dezember 2003 gestellte Diagnose weiterhin eine körperlich nicht belastende Tätigkeit ganztägig ermögliche, was nach wie vor ein rentenausschliessendes Einkommen zulasse. Auf anwaltliche Einsprache hin holte sie den zum Abklärungsbericht der Institution X.________ vom 23. Juni 2003 abgefassten Zusatzbericht von Frau Dr. med. L.________ vom 28. April 2004 ein, worin eine psychiatrische Begutachtung empfohlen wurde, und hob die Verfügung deswegen auf (Einspracheentscheid vom 21. Juli 2004). Nach Eingang des psychiatrischen Berichtes von Dr. med. H.________ vom 28. Januar 2005, worin auf das Fehlen eines psychischen oder psychosomatischen Gesundheitsschadens geschlossen wurde, erneuerte die Verwaltung ihre ablehnende Haltung mit Verfügung vom 7. Februar 2005. Aus medizinischer Sicht wies der Fall demnach weder nach Erlass der ersten noch der zweiten Verfügung besondere Schwierigkeiten auf. Auch sonst sind keine qualifizierten Umstände auszumachen. Es galt lediglich, die offenkundige Diskrepanz zwischen den medizinischen Berichten und jenem der Institution X.________ zu erkennen und aufzugreifen, wozu die den Beschwerdeführer während des Verwaltungsverfahrens begleitende Fürsorgebehörde ohne weiteres in der Lage gewesen wäre. Der vorinstanzliche Entscheid, mit welchem die Notwendigkeit einer anwaltlichen Verbeiständung im Einspracheverfahren verneint wurde, ist somit im Ergebnis zu bestätigen.
 
6.
 
Da es im vorliegenden Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG (in der bis 30. Juni 2006 gültig gewesenen, hier anwendbaren [vgl. Erw. 1] Fassung) keine Gerichtskosten zu erheben. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten erweist sich daher als gegenstandslos.
 
Mit Bezug auf die unentgeltliche Verbeiständung im letztinstanzlichen Verfahren ist das Gesuch insoweit gutzuheissen, als sich die Streitigkeit um die unentgeltliche Verbeiständung im Einspracheverfahren dreht. Die von der Rechtsprechung geforderten Anspruchsvoraussetzungen sind diesbezüglich erfüllt (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Dagegen werden die Aufwendungen, welche allein mit der Beschwerdeführung gegen den negativen Rentenentscheid zusammenhängen, wegen Aussichtslosigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht aus der Gerichtskasse vergütet (BGE 129 I 135 Erw. 2.3.1, 128 I 236 Erw. 2.5.3 mit Hinweis).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Zufolge teilweiser Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Fürsprecher Charles Wick, Bern, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet. Im Übrigen wird das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung abgewiesen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
 
Luzern, 4. Dezember 2006
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).