VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 1P.135/2006  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 1P.135/2006 vom 14.08.2006
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1P.135/2006 /scd
 
Urteil vom 14. August 2006
 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Féraud, Präsident,
 
Bundesrichter Aemisegger, Aeschlimann,
 
Gerichtsschreiberin Schilling.
 
Parteien
 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Hans-Beat Keller,
 
gegen
 
Gemeinde Niederglatt, 8172 Niederglatt, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Bösch,
 
Baurekurskommission I des Kantons Zürich,
 
Selnaustrasse 32, Postfach, 8090 Zürich,
 
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer, Militärstrasse 36, Postfach, 8090 Zürich.
 
Gegenstand
 
Baubewilligung und Befehl,
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 1. Abteilung,
 
1. Kammer, vom 25. Januar 2006.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Am 15. März 2004 erteilte der Gemeinderat Niederglatt X.________ die Baubewilligung für den Umbau des Mehrfamilienhauses Alte Poststrasse 19/21 unter dem Vorbehalt, dass Revisionspläne nachgereicht würden. Mit Beschluss vom 10. Mai 2004 bewilligte der Gemeinderat die eingereichten Revisionspläne, die unter anderem eine Dachaufstockung vorsehen.
 
Anlässlich der Schlusskontrolle vom 17. Februar 2005 stellte das kommunale Kontrollorgan fest, dass die Kniestockhöhe (Höhe der senkrechten Aussenmauer des Dachgeschosses) gegenüber dem bewilligten Bauprojekt angehoben worden war und das maximale Mass um ca. 20 cm überschreite. Mit Beschluss vom 4. April 2005 verweigerte der Gemeinderat Niederglatt die baurechtliche Bewilligung für die nicht planmässigen Bauteile, weil diese das Dachgeschoss zu einem - ge-mäss der Zonenordnung unzulässigen - weiteren Vollgeschoss werden liessen. Gleichzeitig ordnete der Gemeinderat unter Androhung der Ersatzvornahme an, dass das Dach bis spätestens 30. September 2005 so zu ändern sei, dass die zulässige Kniestockhöhe von 90 cm nicht überschritten werde.
 
B.
 
X.________ erhob gegen den Gemeinderatsbeschluss Rekurs an die Baurekurskommission I. Diese hiess den Rekurs am 2. September 2005 im Sinne der Erwägungen teilweise gut. Die Baurekurskommission I erwog, dass der Befehl zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands zu Recht ergangen sei, aber nicht verlangt werden könne, dass der ganze Dachstock abgebrochen und vorschriftsgemäss wieder aufgebaut werde. Vielmehr genüge eine Aufdoppelung des Bodens oder des Dachs zur Wiederherstellung der zulässigen Höhe des Dachgeschosses.
 
Gegen den Rekursentscheid reichten sowohl X.________ als auch der Gemeinderat Niederglatt beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde ein. Dieses vereinigte die beiden Beschwerdeverfahren und wies mit Urteil vom 25. Januar 2006 die Beschwerde von X.________ ab. Dagegen hiess es die Beschwerde des Gemeinderates Niederglatt gut und stellte dessen Beschluss vom 4. April 2005 wieder her.
 
C.
 
X.________ hat gegen den Entscheid des Zürcher Verwaltungsgerichtes staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Willkürverbotes (Art. 9 BV), des Anspruchs auf rechtliches Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) und der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) erhoben. Er stellt den Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Ergänzung des Sachverhaltes und zu neuer Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen.
 
Der Gemeinderat Niederglatt und das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich beantragen Abweisung der Beschwerde, soweit auf diese einzutreten sei. Die Baurekurskommission I ersucht um Gutheissung der Beschwerde hinsichtlich der angeordneten Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes.
 
Im zweiten Schriftenwechsel haben die Parteien an ihren Standpunkten und Anträgen festgehalten.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid, mit dem die Wiederherstellungsverfügung der Gemeindebehörde bestätigt worden ist. Der Beschwerdeführer ist als Adressat der kommunalen Verfügung zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert (vgl. Art. 88 OG). Auf die form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten.
 
2.
 
Der Beschwerdeführer bestreitet vor Bundesgericht nicht mehr, dass die Kniestockhöhe des umgebauten vierten Geschosses der fraglichen Liegenschaft die bewilligte und für ein Dachgeschoss zulässige Höhe von 90 cm überschreitet. Er räumt ein, dass zur Bestimmung der Kniestockhöhe auf die konstruktiv wesentlichen Dachteile abzustellen ist und nicht auf allfällige Deckenverkleidungen, die eine andere Neigung als das Dach selbst aufweisen können. Dagegen wird in der staatsrechtlichen Beschwerde gerügt, dass der vom Verwaltungsgericht gutgeheissene Abbruch des Dachgeschosses unverhältnismässig sei und der Entscheid insofern auf einer offensichtlich unrichtigen tatsächlichen Annahme beruhe. Das Verwaltungsgericht habe die falsche Feststellung der Baurekurskommission I, wonach das Gebäude in Abweichung von den bewilligten Revisionsplänen neu eine Firsthöhe von 4,84 m gegenüber den ursprünglich bewilligten 4 m aufweise, unbesehen übernommen. Tatsächlich erreiche das dreigieblige Gebäude nach dem Umbau Firsthöhen von 4,85 m, wo 5 m bewilligt worden seien, und eine Firsthöhe von 3,84 m, wo 4 m bewilligt worden seien. Die Abweichung vom gesetzmässigen Zustand sei daher weit weniger schwer wiegend, als das Verwaltungsgericht aufgrund seiner willkürlichen Sachverhaltsfeststellung beim Wiederherstellungsentscheid angenommen habe.
 
2.1 Im angefochtenen Entscheid wird ausgeführt, ein Abbruchbefehl sei nach ständiger Rechtsprechung dann unverhältnismässig, wenn die Abweichung vom gesetzmässigen Zustand gering sei und die berührten allgemeinen Interessen den Schaden, der dem Eigentümer durch den Abbruch entstünde, nicht zu rechtfertigen vermöchten. Wie die Baurekurskommission im vorliegenden Fall zu Recht festgehalten habe, sei das erstellte Geschoss unter keinem Titel bewilligungsfähig. Die Abweichung vom gesetzmässigen Zustand sei schwer wiegend, da das Bauprojekt nun ein zusätzliches, unzulässiges Vollgeschoss aufweise. Die Abweichung vom Kniestockmass von 90 cm sei, insbesondere im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Firsthöhe, erheblich. Bei Erstellung der Baute gemäss den bewilligten Plänen, also mit einem gesetzesmässigen Kniestock von maximal 90 cm und einer Dachneigung von 45°, wäre der First rund 85 cm weniger hoch. Dass die Firsthöhe als solche die gemäss Bauordnung absolut zulässige Höhe nicht überschreite, könne nicht massgebend sein. Im Übrigen sei die vom Gemeinderat Niederglatt verlangte Änderung des Daches - was noch näher ausgeführt wird - auch aus Gründen der Rechtsgleichheit und der baurechtlichen Ordnung erforderlich.
 
In seiner im bundesgerichtlichen Verfahren eingereichten Vernehmlassung stellt das Verwaltungsgericht erneut fest, der Beschwerdeführer verkenne, dass sich eine Veränderung der Kniestockhöhe auf die Dachneigung und damit auch auf die Firsthöhe auswirke. Insoweit sei der beschwerdeführerische Einwand, das Verwaltungsgericht habe ausser Acht gelassen, dass die Abweichung der bewilligten Firsthöhe lediglich 4 cm und nicht 84 cm betrage, haltlos.
 
2.2 Es ist unklar, weshalb das Verwaltungsgericht zur Auffassung gelangt ist, eine Veränderung der Kniestockhöhe bzw. eine Erhöhung der Aussenmauern des Dachgeschosses müsse sich zwingend auf die Dachneigung auswirken. Eine solche Erhöhung der Mauern kann auch lediglich zu einer entsprechenden Anhebung des Daches bzw. des Firstes unter Beibehaltung der Dachneigung führen. Aus den vorliegenden Akten ergibt sich nichts, das dafür spräche, dass beim fraglichen Gebäude die bewilligte Dachneigung von 45° verändert worden wäre. Fest steht, dass die Deckeninnenverkleidung eine andere, steilere Neigung als das Dach aufweist, was sich - wie heute unbestritten ist - nicht auf die Messweise der Kniestockhöhe auswirken darf. Dagegen behauptet auch die Gemeinde Niederglatt nicht, dass die Dachneigung verändert worden wäre und die bewilligte Firsthöhe um 85 cm überschritten würde. Es trifft entgegen den Erwägungen des Verwaltungsgerichtes auch nicht zu, dass eine Firsthöhe von rund 4,85 m gerade nur die gemäss Bauordnung absolut zulässige Höhe einhalten würde. Der Gemeinderat Niederglatt hat seinerzeit in der Baubewilligung vom 15. März 2004 ausgeführt, dass die "zulässige Gebäudehöhe von 11.4 m sowie die maximale Firsthöhe von 7.0 m ... nach den Planeinträgen mit Werten von 10.5 resp. 5 m eingehalten" seien. Damit hat der Gemeinderat sinngemäss eine Firsthöhe von 5 m genehmigt. Aus der Bewilligung vom 10. Mai 2004 ergibt sich insoweit nichts anderes. Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass die Aussage des Verwaltungsgerichts, der First der fraglichen Baute sei 85 cm höher als bewilligt, offensichtlich unzutreffend ist.
 
Da das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit der kommunalen Wiederherstellungsverfügung der Firsthöhe des fraglichen Gebäudes entscheidendes Gewicht beigemessen hat, ist der angefochtene Entscheid, der auf einer klar unrichtigen Sachverhaltsfestellung beruht, in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben.
 
3.
 
Es ist nicht Sache des Bundesgerichts, anstelle des Verwaltungsgerichtes zu entscheiden, ob die Wiederherstellungsverfügung der Gemeinde Niederglatt auch dann verhältnismässig sei, wenn das äussere Erscheinungsbild der fraglichen Baute von den bewilligten Plänen nicht oder nur geringfügig abweicht. Das Verwaltungsgericht wird in dieser Sache neu zu befinden haben.
 
4.
 
Von der Erhebung bundesgerichtlicher Kosten ist im Hinblick auf Art. 156 Abs. 2 OG abzusehen. Dagegen ist die Gemeinde Niederglatt zu verpflichten, dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 3'500.-- auszurichten (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid des Verwaltungsgerichtes des Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer, vom 25. Januar 2006 aufgehoben.
 
2.
 
Es werden keine Kosten erhoben.
 
3.
 
Die Gemeinde Niederglatt wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 3'500.-- zu bezahlen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Gemeinde Niederglatt, der Baurekurskommission I und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 14. August 2006
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).