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Informationen zum Dokument  BGer U 117/2006  Materielle Begründung
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BGer U 117/2006 vom 02.08.2006
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess {T 7}
 
U 117/06
 
Urteil vom 2. August 2006
 
III. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Seiler; Gerichtsschreiberin Polla
 
Parteien
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
A.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecherin Esther Michel, Laupenstrasse 27, 3001 Bern
 
Vorinstanz
 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
 
(Entscheid vom 23. Januar 2006)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der 1948 geborene A.________ war ab 1967 in der Firma S.________ tätig und damit bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert. Mit Bagatell-Unfallmeldung vom 22. Oktober 2002 liess er einen Zeckenbiss melden. Gestützt auf die medizinischen Unterlagen, namentlich einen Bericht des Dr. med. U.________, Spezialarzt FMH für Innere Medizin, speziell Rheumaerkrankungen, vom 13. Dezember 2000 und ein Arztzeugnis der Frau Dr. med. M.________, Fachärztin für Allgemeinmedizin, F.________, vom 2. September 2004, sowie die Ärztliche Beurteilung des Dr. med. T.________, Spezialarzt FMH für Arbeitsmedizin, SUVA-Abteilung Arbeitsmedizin, vom 13. Januar 2005, lehnte die SUVA den Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung ab, da weder Folgen eines Unfalls noch eine unfallähnliche Körperschädigung vorlägen (Verfügung vom 18. Januar 2005). Daran hielt sie - insbesondere gestützt auf die nochmalige interne Beurteilung des Dr. med. T.________ vom 12. April 2005 - mit Einspracheentscheid vom 6. Juni 2005 fest und verneinte demnach einen natürlichen Kausalzusammenhang zwischen einem Zeckenbiss und der erlittenen Gesundheitsschädigung.
 
B.
 
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern gut; es hob den Einspracheentscheid vom 6. Juni 2005 auf und wies die Akten "zum weiteren Vorgehen im Sinne der Erwägungen" an die SUVA zurück (Entscheid vom 23. Januar 2006).
 
C.
 
Die SUVA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und der Einspracheentscheid vom 6. Juni 2005 zu bestätigen.
 
A.________ lässt vernehmlassungsweise die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen. Das Bundesamt für Gesundheit hat auf eine Stellungnahme verzichtet.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 Anfechtungsobjekt und - da beschwerdeweise mit dem Rechtsbegehren, er sei aufzuheben, weitergezogen - Streitgegenstand bildet der kantonale Rückweisungsentscheid (BGE 125 V 415 Erw. 2a). Umstritten ist dabei die formellrechtliche Frage, ob das kantonale Gericht - ausgehend vom Umstand, dass die SUVA dem Versicherten im Einspracheverfahren keine Gelegenheit einräumte, zur zweiten Ärztlichen Beurteilung des Dr. med. T.________ (vom 12. April 2005) Stellung zu beziehen und statt dessen sogleich den Einspracheentscheid erliess - zu Recht (und somit bundesrechtskonform; Art. 104 lit. a OG) eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 42 ATSG; Art. 29 Abs. 2 BV) durch die Anstalt angenommen hat, und zwar in einer Weise, dass eine "Heilung" der festgestellten Gehörsverletzung im nachfolgenden vorinstanzlichen Beschwerdeverfahren entfiel.
 
1.2 Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und die Rechtsprechung über Rechtsnatur und Teilgehalte des rechtlichen Gehörs (BGE 127 I 56 Erw. 2b, 127 III 578 Erw. 2c, 126 V 130 Erw. 2a; zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin geltende Rechtsprechung: BGE 126 I 16 Erw. 2a/aa, 124 V 181 Erw. 1a, 375 Erw. 3b, je mit Hinweisen), zur formellen Natur des Anspruchs (BGE 126 V 132 Erw. 2b) sowie über die den Parteien je nach Art der Beweiserhebung zustehenden Mitwirkungsrechte im Verwaltungsverfahren der Unfallversicherung (Art. 19 VwVG in Verbindung mit Art. 37, 39-41 und 43-61, insbesondere Art. 57 ff. BZP; BGE 123 V 332 f. Erw. 1b in fine; RKUV 2000 Nr. U 361 S. 39 f. Erw. 2) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
 
2.
 
Die SUVA beruft sich auf das Urteil G. vom 12. Mai 1998 (U 38/98: publiziert in RKUV 1998 Nr. U 309 S. 457). Darin hat das Eidgenössische Versicherungsgericht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs verneint in einem Fall, in welchem die SUVA - auf Antrag des Versicherten - eine anstaltsinterne Ärztliche Beurteilung einholte, welche die vorgängig geäusserte, aktenkundige Auffassung des SUVA-Kreisarztes bestätigte, ohne neue entscheidrelevante Gesichtspunkte zu enthalten; deshalb sah die Anstalt davon ab, die Beurteilung des SUVA-Arztes dem Versicherten vorgängig der Eröffnung des Einspracheentscheides zu unterbreiten, was das Eidgenössische Versicherungsgericht nicht beanstandete.
 
Ob dieses Urteil für die hier zu beurteilende Frage präjudiziell sei, wie die beschwerdeführende SUVA meint, ist fraglich. Immerhin erscheint die dreiseitige, fundierte, mit Literaturangaben versehene, zu den Auffassungen der Frau Dr. med. M.________ Punkt für Punkt Stellung beziehende Appréciation médicale vom 12. April 2005 des SUVA-Arbeitsmediziners gegenüber seiner ersten Medizinischen Beurteilung vom 13. Januar 2005 doch als substantieller und umfassender. Die gutachterlichen Darlegungen des Dr. med. T.________ vom 12. April 2005 bilden die direkte Entscheidungsgrundlage und integrierender Bestandteil des Einspracheentscheides. Sie waren daher für den Ausgang des Einspracheverfahrens direkt ausschlaggebend. Es ist deshalb unverständlich, warum die SUVA den Einsprecher zu diesem entscheidenden Beweismittel nicht zu Worte kommen liess. Die Frage nach der Gehörsverletzung und ihrer Folgen kann aber letztlich offen bleiben.
 
3.
 
Bei den gegebenen Umständen ist es aus prozessökonomischen Gründen vielmehr angezeigt, die materielle Seite des Streitfalles in die Beurteilung mit einzubeziehen (vgl. BGE 116 V 187 Erw. 3d). Diese zeichnet sich dadurch aus, dass die pathogenetischen Zusammenhänge, welche zum geklagten Beschwerdebild führen, seitens des SUVA-Spezialisten einerseits, der (früher) behandelnden Frau Dr. med. M.________ andererseits, welche sich auf Lyme-Borreliose-Fälle spezialisiert hat, kontrovers beurteilt werden. Es geht im Wesentlichen um die Interpretation von Laborwerten, welche die involvierten Ärzte unterschiedlich vornehmen, wobei sie sich ferner auch nicht einig darüber sind, welches die gegenwärtig massgeblichen internationalen Standards sind. Da der Beschwerdegegner unbestrittenerweise über längere Zeit hinweg Zecken exponiert war und es sich bei den Folgen eines allfällig erlittenen Bisses als eines versicherten Ereignisses (Art. 6 Abs. 1 UVG; BGE 122 V 230) um spezial-medizinische, unter den beteiligten Ärzten umstrittene Fragen handelt, die das Gericht mangels eigenen Fachwissens nicht durch freie Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c in fine ATSG) zu Gunsten der einen oder anderen fachlichen Betrachtungsweise entscheiden kann, rechtfertigt sich der Beizug eines externen Administrativgutachtens durch die SUVA. Damit hält der kantonale Rückweisungsentscheid im Ergebnis stand.
 
4.
 
Dieser letztinstanzliche Verfahrensausgang bietet keinen Anlass, das kantonale Gericht anzuhalten, die Parteikosten neu zu verlegen, hat der Versicherte doch auch nach dem Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts eine (materiell begründete) Rückweisung an die SUVA (zwecks Aktenergänzung) erreicht, was praxisgemäss als Obsiegen gilt (Art. 61 lit. g ATSG; BGE 110 V 57 Erw. 3a). Letztinstanzlich rechtfertigt sich, entgegen den geltend gemachten Ansprüchen in der Vernehmlassung, die Parteientschädigung (Art. 159 OG) mit Blick auf den nach den konkreten Umständen gebotenen und allein zur Vergütung berechtigenden Prozessaufwand ermessensweise auf Fr. 500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) festzusetzen.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
 
Luzern, 2. August 2006
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin:
 
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