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Informationen zum Dokument  BGer C 14/2004  Materielle Begründung
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BGer C 14/2004 vom 31.05.2006
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess {T 7}
 
C 14/04
 
Urteil vom 31. Mai 2006
 
II. Kammer
 
Besetzung
 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Borella und Kernen; Gerichtsschreiber Scartazzini
 
Parteien
 
R.________, 1946, Beschwerdeführerin, vertreten
 
durch X.________, Berater für Sozialversicherungsrecht,
 
gegen
 
Unia Arbeitslosenkasse, Bahnhofstrasse 88,
 
3400 Burgdorf, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
 
(Entscheid vom 5. Dezember 2003)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Am 4. März 2003 meldete sich die 1946 geborene R.________ bei der Arbeitslosenversicherung zur Arbeitsvermittlung und zum Taggeldbezug an, da ihr Ehegatte aus gesundheitlichen Gründen kein Einkommen mehr erzielen konnte. In ihrem Antrag auf Arbeitslosenentschädigung gab sie an, dass ihr letztes Arbeitsverhältnis eine selbstständige Erwerbstätigkeit im Ausland gewesen sei. Wegen am 25. Februar 2002 akut gewordener Rückenbeschwerden infolge Erkrankung an einer Diskushernie war der Ehemann am 17. März 2002 in die Schweiz gereist, um sich einer Rückenoperation zu unterziehen. R.________, welche seit September 1993 mit ihrem Ehegatte in Spanien gelebt hatte, zog am 12. Juni 2002 auf Grund des Gesundheitszustandes ihres Ehemannes endgültig in die Schweiz zurück.
 
Mit Verfügung vom 2. April 2003 lehnte die Arbeitslosenkasse SMUV (heute: Unia Arbeitslosenkasse) den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab, da R.________ in der Schweiz kein beitragspflichtiges Arbeitsverhältnis gehabt hatte. Die dagegen erhobene Einsprache, womit geltend gemacht wurde, das Ereignis der Invalidität liege weniger als ein Jahr seit der Anmeldung bei der Arbeitslosenkasse zurück, da der Ehemann den Antrag auf eine Invalidenrente per 21. November 2002 gestellt habe, wies die Kasse mit Einspracheentscheid vom 23. Juni 2003 ab. Sie befand, massgebend sei der Umstand, dass die gesundheitliche Einschränkung des Ehegatten mehr als ein Jahr zurückliege, weshalb die Voraussetzungen zur Beitragsbefreiung nicht erfüllt seien. Ob R.________ als Selbstständigerwerbende oder als Nichterwerbstätige in Spanien geweilt habe, spiele für die Beurteilung des Anspruchs keine Rolle, weshalb auf diesen Punkt nicht weiter einzugehen sei.
 
B.
 
In der dagegen erhobenen Beschwerde liess R.________ geltend machen, es sei für den massgebenden Zeitpunkt auf den Eintritt der Invalidität ihres Ehemannes im Sinne der Invalidenversicherung abzustellen. Die Anmeldung bei der Arbeitslosenversicherung vom 4. März 2003 sei somit fristgemäss erfolgt.
 
Mit Entscheid vom 5. Dezember 2003 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Beschwerde ab.
 
C.
 
R.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei sie von der Beitragspflicht zu befreien und es seien ihr Taggelder der Arbeitslosenversicherung zuzusprechen.
 
Die Arbeitslosenkasse SMUV schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Staatssekretariat für Wirt-schaft auf eine Vernehmlassung verzichtet.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Nach Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG hat Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, wer die Beitragszeit erfüllt hat oder von der Erfüllung der Beitragszeit befreit ist. Die Beitragszeit hat laut Art. 13 Abs. 1 AVIG (in der hier massgebenden bis 30. Juni 2003 geltenden Fassung) erfüllt, wer innerhalb der dafür vorgesehenen Rahmenfrist für die Beitragszeit (zwei Jahre vor dem ersten Tag, für den sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind; Art. 9 Abs. 2 und 3 AVIG) während mindestens sechs Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat. Von der Erfüllung der Beitragszeit befreit sind Personen, die wegen Trennung oder Scheidung ihrer Ehe, wegen Invalidität oder Todes des Ehegatten oder aus ähnlichen Gründen oder wegen Wegfalls einer Invalidenrente gezwungen sind, eine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder zu erweitern. Diese Regel gilt nur dann, wenn das betreffende Ereignis nicht mehr als ein Jahr zurückliegt und die betroffene Person beim Eintritt dieses Ereignisses ihren Wohnsitz in der Schweiz hatte (Art. 14 Abs. 2 AVIG). Zudem ist nach der Rechtsprechung eine Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit nur möglich, wenn zwischen dem geltend gemachten Grund und der Notwendigkeit der Aufnahme einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit ein Kausalzusammenhang gegeben ist (BGE 125 V 125 Erw. 2a, 121 V 344 Erw. 5c/bb; ARV 2002 S. 176 Erw. 2).
 
2.
 
Kasse und Vorinstanz haben geprüft, ob die Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 14 Abs. 2 AVIG von der Erfüllung der Beitragszeit befreit ist. Dabei hat sich das kantonale Gericht zunächst die Frage gestellt, ob das geltend gemachte Ereignis der Invalidität des Ehegatten nicht mehr als ein Jahr zurückliegt. Während die Beschwerdeführerin den Invaliditätsbegriff in Art. 14 Abs. 2 AVIG im Sinne des Beginns der Rentenleistung der Invalidenversicherung auslegt, versteht die Arbeitslosenkasse demgegenüber unter Invalidität im Sinne von Art. 14 Abs. 2 AVIG den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, die den anderen Ehepartner zur Aufnahme einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit zwingt. Wie sich nachfolgend ergibt, können diese Fragen offen gelassen werden.
 
3.
 
3.1 Die Beschwerdeführerin hat in ihrem Antrag auf Arbeitslosenentschädigung angegeben, dass ihr letztes Arbeitsverhältnis eine selbstständige Erwerbstätigkeit im Ausland gewesen sei. In der erst- und zweitinstanzlichen Beschwerde wurde zudem ausgeführt, die selbstständige Erwerbstätigkeit in Spanien sei auch im Lichte der nach Rückkehr in die Schweiz geplanten Erwerbstätigkeit des Ehepaares zu bejahen. Dieses Szenario sei als im Einklang mit dem vorgelebten flexiblen Lebensentwurf der Eheleute zu bezeichnen. Aus dem gegebenen Tatbestand ergibt sich somit, dass die Beschwerdeführerin nicht wieder oder erstmals ins Erwerbsleben eintreten, sondern von einer - nicht versicherten - selbstständigen Erwerbstätigkeit (Art. 2 Abs. 1 lit. a AVIG e contrario) in eine unselbstständige wechseln will.
 
3.2 Bei Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit besteht kein Versicherungsschutz, es sei denn, aus einer früheren Arbeitnehmertätigkeit werde die Beitragszeit in der Rahmenfrist noch erfüllt (Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Bd. Soziale Sicherheit, Rz 39). Die Arbeitnehmereigenschaft, welche Grundvoraussetzung dafür ist, dass eine Person Versicherungsschutz geniesst, kann nicht dadurch hergestellt werden, dass im Nachhinein eine Person für diejenige Zeit, während welcher eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt wurde, als von der Erfüllung der Beitragszeit befreit erklärt wird. Die Befreiungstatbestände können die fehlende Versicherteneigenschaft nicht schaffen. Sie übernehmen vielmehr die Funktion der Beitragszeit als Anspruchsvoraussetzung (vgl. Nussbaumer, a.a.O., Rz 194). Die fehlende Versicherteneigenschaft infolge Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit in der Zeit vor Anrufung eines Befreiungsgrundes nach Art. 14 AVIG schliesst nach dem Gesagten im vorliegenden Fall die Berufung auf diese Ausnahmeregelung aus (vgl. auch nicht publizierte Erw. 6d des Urteils BGE 124 V 400). Die veränderten Umstände nach dem Eintritt der Invalidität des Ehegatten der Beschwerdeführerin sind demnach für den Ausgang dieses Verfahrens ohne Belang (BGE 125 V 125 f. Erw. 2c; nicht veröffentlichtes Urteil M. vom 31. August 1999, C 147/98 Erw. 2c und 3).
 
3.3 Die Beschwerdeführerin kann nicht in den Genuss der Beitragsbefreiung gelangen, nachdem sie in Spanien bereits einer Erwerbstätigkeit nachgegangen war und von einer selbstständigen zu einer unselbstständigen Tätigkeit wechseln bzw. weiterhin eine selbstständige Tätigkeit ausüben will. Damit nimmt sie weder eine solche erstmals oder wieder auf, noch dehnt sie diese aus. Da die Beschwerdeführerin selbstständigerwerbend war, stellt sich die Frage der Beitragsbefreiung für eine Arbeitslosigkeit somit nicht. In Berücksichtigung dieser Begründung ist der kantonale Entscheid daher zu bestätigen, wobei Arbeitslosenkasse und kantonales Gericht den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung zu Recht verneint haben.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, dem beco, Berner Wirtschaft, Abteilung Arbeitsvermittlung, Rechtsdienst, und dem Staats-sekretariat für Wirtschaft zugestellt.
 
Luzern, 31. Mai 2006
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Die Präsidentin der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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