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Informationen zum Dokument  BGer 6S.125/2006  Materielle Begründung
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BGer 6S.125/2006 vom 30.05.2006
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6S.125/2006 /Rom
 
Urteil vom 30. Mai 2006
 
Kassationshof
 
Besetzung
 
Bundesrichter Schneider, Präsident,
 
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd,
 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Generalprokurator des Kantons Bern, Postfach 7475, 3001 Bern.
 
Gegenstand
 
Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt,
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 2. Strafkammer, vom 13. September 2005.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Das Kreisgericht X Thun sprach den 1983 geborenen X.________ am 4. März 2005 schuldig der unvollendet versuchten vorsätzlichen Tötung im Sinne von Art. 111 in Verbindung mit Art. 21 StGB, des Diebstahls im Sinne von Art. 139 Ziff. 1 StGB und des Raubs im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 StGB. Von der Einweisung X.________s in eine Arbeitserziehungsanstalt gemäss Art. 100bis Ziff. 1 StGB sah das Gericht ab. Es setzte die Strafe auf sieben Jahre und sechs Monate Zuchthaus fest.
 
Dagegen erhob X.________ die Appellation, mit welcher er einzig beantragte, er sei in eine Arbeitserziehungsanstalt einzuweisen. Das Obergericht des Kantons Bern wies die Appellation am 13. September 2005 ab.
 
B.
 
X.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, um ihn anstelle der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe in eine Arbeitserziehungsanstalt einzuweisen.
 
C.
 
Das Obergericht des Kantons Bern verzichtet auf Gegenbemerkungen zur Beschwerde. Weitere Stellungnahmen wurden nicht eingeholt.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen ist kassatorischer Natur (Art. 277ter Abs. 1 BStP). Soweit der Beschwerdeführer mehr als die Aufhebung des angefochtenen Entscheids verlangt, ist auf sein Rechtsmittel nicht einzutreten (BGE 129 IV 276 E. 1.2; 125 IV 298 E. 1).
 
2.
 
2.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, anstelle der Ausfällung einer Freiheitsstrafe hätte gestützt auf Art. 100bis Ziff. 1 StGB seine Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt angeordnet werden müssen. Er bringt dabei namentlich vor, die Massnahme der Arbeitserziehung biete in seinem Falle die besseren Resozialisierungschancen als eine Strafe. Die Vorinstanz stütze sich hauptsächlich auf das Argument, dass eine Arbeitserziehung bei einem minderbegabten, allenfalls gefährlichen Täter wie ihm wenig Sinn mache. Demgegenüber berücksichtige sie nicht, dass auch eine Strafe unter denselben Voraussetzungen kaum spezialpräventiv und resozialisierend wirke.
 
2.2 Für junge Erwachsene (achtzehn- bis fünfundzwanzigjährige Täter) gilt das ordentliche Sanktionensystem des Erwachsenenstrafrechts, es sei denn, sie erfüllen die Voraussetzungen für eine Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt (Art. 100 Abs. 1 StGB). Voraussetzungen und Zielsetzung (Art. 100bis Ziff. 1 und 3 StGB) lassen die Einweisung als eine Massnahme erscheinen, mit der eine erheblich gestörte oder gefährdete Entwicklung mit erzieherischen Mitteln noch behoben werden soll (BGE 125 IV 237 E. 6b). Angestrebt wird eine zweckgerichtete und individualisierte sozialpädagogische Betreuung, die der charakterlichen und sozialen Festigung der verurteilten jungen Erwachsenen dienen soll und damit künftigen Straftaten vorbeugen will (BGE 123 IV 113 E. 4c S. 122; Urteil 1P. 334/2003 vom 17. Juli 2003, E. 8.1, je mit Hinweisen). Der Gesetzgeber liess sich vom Gedanken leiten, dass sich der junge Erwachsene in seiner Entwicklung zumeist noch wesentlich beeinflussen lässt, dass er also noch gebessert und seine gesamte Persönlichkeit entwickelt werden kann (BGE 123 IV 113 E. 4c S. 122). Die Einweisung wird daher umso weniger in Betracht kommen, je weniger der Betroffene beeinflussbar erscheint. Damit zusammenhängend sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je länger die Strafe gegen einen jungen Erwachsenen zu bemessen wäre (BGE 125 IV 237 E. 6b; 118 IV 351 E. 2d). Wesentliche Beurteilungskriterien für die Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt bilden Fehlentwicklung, Erziehbarkeit, Delinquenzverhütung und Ungefährlichkeit (BGE 125 IV 237 E. 6b).
 
2.3 Nach dem Dafürhalten der Vorinstanz liegen die Voraussetzungen für eine Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt gemäss Art. 100bis Ziff. 1 StGB nicht vor. Sie erwägt dabei nach Auseinandersetzung mit dem psychiatrischen Gutachten vom 26. August 2004, dass der Beschwerdeführer an keiner Fehlentwicklung im Sinne von Art. 100bis StGB leide, sondern bloss eine leichte Intelligenzminderung aufweise, die auch im Rahmen einer Arbeitserziehung nicht zu beheben sei. Dass er seine Erwerbstätigkeit im Rahmen eines geschützten Arbeitsplatzes bei der Band-Genossenschaft Bern nach Zusprechung der Invalidenrente am 12. Februar 2002 aufgegeben habe, bilde für sich allein keine Fehlentwicklung im Sinne des Gesetzes. Auch der Gutachter spreche in diesem Zusammenhang bloss von einer Bequemlichkeit und Trägheit des Beschwerdeführers, welcher der Gewöhnung an eine kontinuierliche Beschäftigung bedürfe. Ebenso wenig bestehe nach den Ausführungen des Gutachters ein Zusammenhang zwischen seinem Zustand, d.h. der intellektuellen Minderbegabung bzw. dem zuletzt geübten Müssiggang, und den verübten Taten. Was schliesslich die Erfolgsaussichten einer solchen Massnahme angehe, sei festzuhalten, dass gemäss Gutachten eine hohe Rückfallgefahr gerade auch im Bereich der Gewaltkriminalität bestehe, die Minderbegabung nicht behebbar sei und durch sozialpädagogische Massnahmen höchstens eine Verminderung der Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten zu erwarten sei. Hinzu komme, dass es dem Beschwerdeführer an jeglicher Reue und Einsicht bzw. an Schuldgefühlen fehle, was ernsthafte Zweifel daran begründe, ob er durch eine Nacherziehung in einer Arbeitserziehungsanstalt überhaupt gebessert werden könnte. Zudem sei der Beschwerdeführer seitens der IV betreffend eine Integration in das Berufsleben bereits soweit als möglich ausbildungsmässig und sozialpädagogisch gefördert worden. Mehr könne auch in einer Arbeitserziehungsanstalt nicht erreicht werden, wobei in dieser Hinsicht darauf hinzuweisen sei, dass er mittlerweilen auch im Strafvollzug erkannt habe, einer Beschäftigung nachgehen zu wollen bzw. zu müssen. Ausserdem werde er, um im Arbeitsleben brauchbare Leistungen zu erbringen, zeitlebens auf einen gefestigten sozialen Rahmen und eine straffe Führung angewiesen sein. Auch der Gutachter halte in dieser Hinsicht fest, dass selbst im Erwachsenenalter soziale und berufliche Selbständigkeit nur teilweise und unter besonders günstigen sozialen Bedingungen zu erreichen sei. Das Defizit des Beschwerdeführers sei demnach durch die Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt nicht zu beheben bzw. weitere Delinquenz liesse sich dadurch nicht verhüten. Ausserdem zähle der Beschwerdeführer - namentlich aufgrund der bisher verübten Taten, der Art und Weise der Tatausführung, der vom Gutachter festgestellten Einsichtslosigkeit sowie der hohen Rückfallgefahr auch im Bereich von Gewalttaten - zur Kategorie der gefährlichen Täter, die selbst bei Vorliegen der Einweisungsvoraussetzungen nicht in eine Arbeitserziehungsanstalt gehörten. Dass der Gutachter die Einweisung des Beschwerdeführers in eine solche Anstalt aus psychiatrischer Sicht offenbar für angezeigt erachte, ändere an der klaren Nichterfüllung der Voraussetzungen von Art. 100bis StGB nichts.
 
2.4 Der Vorinstanz ist darin zuzustimmen, dass die Voraussetzungen von Art. 100bis StGB nicht erfüllt sind. Der Beschwerdeführer weist keine Fehlentwicklung auf, die gemäss Art. 100bis Ziff. 1 StGB für die Anordnung einer Arbeitserziehung vorausgesetzt ist. Ebenfalls fehlt es am Zusammenhang zwischen einem solchen Zustand und den verübten Taten. Schliesslich ist auch nicht ersichtlich, aus welchen Gründen der Beschwerdeführer alleine durch eine Arbeitserziehung von der Begehung weiterer Delikte abgehalten würde. Es kann in dieser Hinsicht auf die nachvollziehbare und schlüssige Begründung im angefochtenen Entscheid verwiesen werden, wobei sich aus den vorinstanzlichen Erwägungen zur Erziehbarkeit und Delinquenzverhütung entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ohne weiteres ergibt, weshalb vorliegend in Bezug auf die Gefahr künftiger Deliktsbegehung von der Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt kein besserer Erfolg als von der Strafe zu erwarten ist. Unter diesen Umständen erweist sich der Beschwerdeführer weder als massnahmefähig noch als massnahmebedürftig im Sinne von Art. 100bis StGB. Zudem bejaht die Vorinstanz angesichts der Schwere der verübten Straftaten und ihrer Begehungsweise namentlich in Bezug auf das versuchte Tötungsdelikt auch zu Recht die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers. So versuchte dieser das für ihn erkennbar psychisch angeschlagene Opfer zunächst zu ersticken, stach danach unmittelbar mit einem Brot- bzw. Küchenmesser aus unerklärlichen Hass- und Wutgefühlen und plötzlicher Aggression mehrfach unkontrolliert auf dieses ein und terrorisierte es anschliessend mit Todesdrohungen während ungefähr zweier Stunden, bevor er endgültig von ihm abliess. Gefährliche Täter gehören aber nicht in eine Arbeitserziehungsanstalt (BGE 125 IV 237 E. 6b). Der angefochtene Entscheid verletzt mithin kein Bundesrecht. Die Nichtigkeitsbeschwerde erweist sich als unbegründet und ist deshalb abzuweisen.
 
3.
 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 278 Abs. 1 BStP). Da sein Rechtsbegehren von Anfang an aussichtslos war, ist sein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung (Verzicht auf die Erhebung von Gerichtskosten) abzuweisen (Art. 152 Abs. 1 OG). Hingegen ist seiner finanziellen Lage bei der Bemessung der Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen (Art. 153a Abs. 1 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung wird abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 500.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Generalprokurator des Kantons Bern und dem Obergericht des Kantons Bern, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 30. Mai 2006
 
Im Namen des Kassationshofes
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
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