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Informationen zum Dokument  BGer I 157/2006  Materielle Begründung
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BGer I 157/2006 vom 23.05.2006
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess {T 7}
 
I 157/06
 
Urteil vom 23. Mai 2006
 
IV. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Ursprung, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiber Fessler
 
Parteien
 
G.________, 1958, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Wüthrich, Bruchstrasse 69, 6003 Luzern,
 
gegen
 
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern
 
(Entscheid vom 5. Januar 2006)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Verfügung vom 6. September 1999 lehnte die IV-Stelle Luzern ein zweites Gesuch des 1958 geborenen G.________ um eine Rente der Invalidenversicherung ab. Die hiegegen erhobene Beschwerde wies die Sozialversicherungsrechtliche Abteilung des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern mit Entscheid vom 30. Juni 2000 ab.
 
Anfang Juli 2002 meldete sich G.________ zum dritten Mal bei der Invalidenversicherung u.a. zum Bezug einer Rente an. Die IV-Stelle Luzern holte bei der Schmerzklinik des Zentrums X.________, wo der Versicherte vom 24. Januar bis 19. Juni 2002 ambulant behandelt worden war, einen Arztbericht vom 9. August 2002 ein. Im Weitern liess sie G.________ von Dr. med. T.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, begutachten (Expertise vom 24. Juni 2003). Mit Verfügung vom 29. August 2003 verneinte die IV-Stelle den Anspruch auf eine Rente. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 28. Mai 2004 fest.
 
B.
 
Mit Entscheid vom 5. Januar 2006 wies die Abgaberechtliche Abteilung des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern die Beschwerde des G.________, soweit es darauf eintrat, ab, ebenso das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung.
 
C.
 
G.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Rechtsbegehren, Gerichtsentscheid und Einspracheentscheid seien aufzuheben und die Angelegenheit sei zur Neubeurteilung an das kantonale Gericht, eventuell an die IV-Stelle zurückzuweisen; eventuell seien Wiedereingliederungsmassnahmen zu verfügen und anzuordnen, allenfalls eine ganze Invalidenrente zuzusprechen. Im Weitern wird um unentgeltliche Verbeiständung für das letztinstanzliche Verfahren, worüber vorab zu entscheiden sei, und auch für das kantonale Verfahren ersucht.
 
Kantonales Gericht und IV-Stelle beantragen je die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 Das Begehren in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde um Abklärungs- und Eingliederungsmassnahmen beruflicher Art ist unzulässig. Fragen der beruflichen Eingliederung sind nicht Prozessthema. Es fehlt diesbezüglich an einem Anfechtungsgegenstand und damit an einer Sachurteilsvoraussetzung (BGE 125 V 414 Erw. 1a).
 
1.2 Im Weitern sehen weder das Gesetz (OG) noch die Praxis vor, dass über ein Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung vorab zu entscheiden ist. Insbesondere, wenn wie hier das Verfahren kostenlos ist (Art. 134 OG) und die Recht suchende Person bereits durch einen Rechtsanwalt Verwaltungsgerichtsbeschwerde hat erheben lassen, wird darüber grundsätzlich im Endentscheid befunden. Es besteht vorliegend kein Anlass, von dieser Regel abzuweichen.
 
1.3 Unbegründet ist schliesslich die Rüge, die vorinstanzliche Vernehmlassung der IV-Stelle sei dem Rechtsvertreter des Versicherten erst auf mehrmaliges Nachfragen hin und über ein Jahr nach deren Einreichung zugestellt worden. Es wird nicht geltend gemacht und auch nicht dargelegt, dass und inwiefern dem Beschwerdeführer dadurch Rechtsnachteile erwachsen sind oder wären. Der Vorwurf einer unzulässigen Verfahrensverzögerung wäre im Übrigen ohnehin verspätet.
 
2.
 
Das kantonale Gericht ist in Würdigung der medizinischen Unterlagen zum Schluss gelangt, eine objektive Verschlechterung des Gesundheitszustandes seit seinem Entscheid vom 30. Juni 2000 bis zum Einspracheentscheid vom 28. Mai 2004 sei nicht nachgewiesen. Sinngemäss bestehe somit, wie damals rechtskräftig entschieden, kein Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung.
 
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird geltend gemacht, auf Grund der Akten könne die Frage der Verschlechterung des Gesundheitszustandes seit dem Entscheid der Vorinstanz vom 30. Juni 2000 nicht abschliessend beurteilt werden. Insbesondere könne ein psychisches Leiden mit Krankheitswert im Sinne von Art. 4 Abs. 1 IVG und Art. 8 ATSG, allenfalls eine somatoforme Schmerzstörung nicht rechtsgenüglich ausgeschlossen werden. Das von der IV-Stelle eingeholte psychiatrische Gutachten vom 24. Juni 2003, welches diese Frage verneine, sei nicht schlüssig. Darauf könne entgegen der Vorinstanz auch aus formellen Gründen nicht abgestellt werden. Die Ehefrau des Beschwerdeführers sei bei der Untersuchung anwesend gewesen. Dies habe den Versicherten in der gesamten persönlichen Situation in der freien Äusserung gehindert. Er habe beispielsweise nicht darlegen können, dass er auf Grund seiner schlimmen Schmerzen sehr verzweifelt sei, seine Freude am Leben verloren und entsprechende Ängste habe. Nach der Rechtsprechung (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 16. Januar 2004 [I 664+682/01]) dürfe der Ehegatte bei der psychiatrischen Untersuchung nicht anwesend sein. Die Expertise vom 24. Juni 2003 sei im Übrigen tendenziös und bestimmte Formulierungen zeugten vom Vorurteil des Gutachters, der Versicherte sei ein Simulant.
 
3.
 
Dem Beschwerdeführer ist darin zuzustimmen, dass die Anwesenheit seiner Ehefrau bei der Untersuchung durch Dr. med. T.________ nicht unproblematisch war. Bei Anwesenheit des Ehegatten oder sonstiger nahestehender Drittpersonen besteht immer die Gefahr einer allenfalls unbewussten Beeinflussung, weshalb eine psychiatrische Abklärung grundsätzlich ohne Anwesenheit solcher Personen zu erfolgen hat (Urteil N. vom 16. Januar 2004 [I 664+682/01] Erw. 6.1.2; vgl. auch Urteil K. vom 3. März 2005 [I 554/04] Erw. 2.2.1 und 2.2.2). Dies bedeutet indessen nach der zutreffenden Feststellung der Vorinstanz nicht, dass eine psychiatrische Begutachtung in jedem Fall zwingend allein mit der abzuklärenden Person stattfinden muss, um als taugliche und aussagekräftige Beweisgrundlage zu dienen. Dieser Schluss ergibt sich insbesondere nicht aus dem erwähnten Urteil N. vom 16. Januar 2004. Diesem Entscheid kommt im Übrigen auch deshalb keine präjudizielle Bedeutung zu, weil im hier zu beurteilenden Fall eine Drittperson als Dolmetscher fungierte. Die Ehefrau hatte somit keine Übersetzungshilfe zu leisten. Es finden sich in den gutachterlichen Ausführungen des Dr. med. T.________ keine Hinweise darauf, der Beschwerdeführer habe sich durch die Anwesenheit seiner Ehefrau gehemmt gefühlt. Es ist davon auszugehen, dass einem psychiatrisch geschulten Arzt diesbezügliche Anzeichen nicht entgangen wären und er solche im Bericht auch festgehalten hätte. Auf das Gutachten vom 24. Juni 2003 kann somit abgestellt werden, wenn die Feststellungen des Experten nachvollziehbar sind, seine Beschreibung der medizinischen Situation einleuchtet und die Schlussfolgerungen begründet sind (BGE 125 V 352 Erw. 3a; AHI 2004 S. 147 Erw. 4.2.1 in fine [Urteil J. vom 30. Dezember 2003, I 245/00]). Das kantonale Gericht hat dies zu Recht bejaht. An dieser Beurteilung vermögen die inhaltlichen Einwendungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Expertise nichts zu ändern. Es trifft zwar zu, dass die Ärzte der Schmerzklinik des Zentrums X.________ eine somatoforme Schmerzstörung im Sinne von ICD-10 F45.4 diagnostizierten. Im Bericht vom 9. August 2002 legten sie indessen nicht dar, worin die für die Stellung dieser Diagnose wesentlichen psychosozialen Probleme und emotionalen Konflikte (vgl. BGE 130 V 400 Erw. 6.1) bestehen. Schon deshalb entbehrt nach Dr. med. T.________ diese Diagnose jeglicher Grundlage. Es kommt dazu, dass es nach dem auch insoweit schlüssigen Gutachten vom 24. Juni 2003 an einer psychiatrisch ausgewiesenen Komorbidität von erheblicher Schwere, Intensität, Ausprägung und Dauer im Sinne eines selbständigen, vom psychogenen Schmerzsyndrom losgelösten Leidens fehlt. Dies spricht im Verbund mit den aktenmässig nicht ausgewiesenen psychosozialen Problemen und emotionalen Konflikten ebenfalls gegen eine (ausnahmsweise invalidisierende) somatoforme Schmerzstörung (vgl. BGE 131 V 50 Erw. 1.2, 130 V 354 unten).
 
Der angefochtene Entscheid ist somit rechtens.
 
4.
 
Nach dem Gesagten ist von Bundesrechts wegen nicht zu beanstanden, dass das kantonale Gericht die Beschwerde als aussichtslos bezeichnete und das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung mit dieser Begründung abwies (Art. 61 Abs. 1 lit. f ATSG; Urteil N. vom 17. März 2003 [I 692/02] Erw. 4). Nicht anders zu entscheiden ist für das letztinstanzliche Verfahren (Art. 152 OG).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Abgaberechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 23. Mai 2006
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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