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Informationen zum Dokument  BGer 2P.40/2006  Materielle Begründung
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BGer 2P.40/2006 vom 20.04.2006
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
q2P.40/2006 /vje
 
Urteil vom 20. April 2006
 
II. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Merkli, Präsident,
 
Bundesrichter Betschart, Müller,
 
Gerichtsschreiber Küng.
 
Parteien
 
X.________, vertreten durch ihren Vater Y.________,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Gemeinde A.________, Gemeindekanzlei.
 
Gegenstand
 
Art. 29 Abs. 3 BV (unentgeltliche Rechtspflege),
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss der Gemeinde A.________ vom 1. September 2005.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________ (geb. 1990) besuchte im Schuljahr 2003/2004 die 1. Klasse der Sekundarschule (integriertes Modell) A.________/AR. Gegen ihr Semesterzeugnis vom 23. Januar 2004 und die Bewertung ihres Arbeits-, Lern- und Sozialverhaltens beschwerte sie sich (handelnd durch ihren Vater Y.________) am 15. April 2004 bei der Schulkommission A.________, die in ihrem Entscheid vom 18. März 2005 dem Begehren, zwei Fächer (Naturlehre, Geschichte/ Geographie) nicht in Niveauklassen-Noten sondern in Stammklassen-Noten zu bewerten, nachkam. Abgelehnt wurde indessen der Antrag auf bessere Benotung dieser Fächer und bessere Beurteilung des Arbeits-, Lern- und Sozialverhaltens. Dagegen gelangte X.________ am 30. März 2005 an den Gemeinderat A.________. Am 12. April 2005 ersuchte sie für dieses Rekursverfahren um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Das Gesuch wurde mit Beschluss vom 17. August/1. September 2005 abgewiesen. Entsprechend der Rechtsmittelbelehrung richtete X.________ ihren gegen diesen Beschluss gerichteten Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Appenzell A.Rh., welcher mit Beschluss vom 17. Januar 2006 darauf nicht eintrat.
 
B.
 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 31. Januar 2006 beantragt X.________ (handelnd durch ihren Vater Y.________) dem Bundesgericht, den Beschluss des Gemeinderates vom 1. September 2005 aufzuheben.
 
Der Gemeinderat A.________ beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit sie zulässig sei.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 Über Beurteilungen der Schüler und deren schulische Folgen entscheidet in den Schulen der Gemeinden - wie hier der Sekundarschule A.________ - der Gemeinderat abschliessend (Art. 54 Abs. 3 des Ausserrhodischen Gesetzes vom 24. September 2000 über Schule und Bildung [Schulgesetz]). Nach dem Grundsatz der Einheit des Verfahrens kann damit auch sein Zwischenentscheid, mit dem er das Gesuch der Beschwerdeführerin um Erlass des Kostenvorschusses für das Rekursverfahren abgewiesen hat, im Kanton nicht (mehr) angefochten werden (vgl. Ulrich Zimmerli/Walter Kälin/Regina Kiener, Grundlagen des öffentlichen Verfahrensrechts, Bern 2004, S. 40 f.; Alfred Kölz/Isabelle Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich 1998, N 518; René Rhinow/Heinrich Koller/Christina Kiss, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, 1996, N 981 f. und N 1472; Fritz Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 143).
 
1.2 Gegen diesen kantonal letztinstanzlichen Zwischenentscheid, der das kantonale Rekursverfahren nicht abschliesst, ist nach Art. 87 Abs. 2 OG die staatsrechtliche Beschwerde zulässig, sofern er einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken kann. Zwischenentscheide, mit denen die unentgeltliche Rechtspflege verweigert wird, haben in der Regel einen solchen Nachteil zur Folge (BGE 129 I 129 E. 1.1, mit Hinweisen). Dies trifft auch auf den hier in Frage stehenden Beschluss zu. Die Anhandnahme des Rekurses der Beschwerdeführerin wird im angefochtenen Beschluss von der Bezahlung des Kostenvorschusses abhängig gemacht. Wird der Vorschuss nicht rechtzeitig bezahlt, wird auf den Rekurs nicht eingetreten. Damit kann der angefochtene Beschluss für die Beschwerdeführerin, handelnd durch ihren unbestrittenermassen bedürftigen Vater, einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken. Der Beschluss des Gemeinderates ist daher mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbar.
 
1.3 Die Beschwerdefrist von dreissig Tagen (Art. 89 Abs. 1 OG) ist längst abgelaufen. Die Beschwerdeführerin wandte sich auf Grund der unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung (oben E. 1.1) zunächst an den Regierungsrat, der zu Recht auf den Rekurs nicht eintrat. Da die nicht durch einen Rechtsanwalt vertretene Beschwerdeführerin diesen Mangel nicht ohne weiteres hätte erkennen müssen, darf ihr daraus jedoch kein Nachteil entstehen (vgl. BGE 129 II 125 E. 3.3 S. 134).
 
1.4 Die Beschwerdeführerin besucht seit Sommer 2005 das Gymnasium (3. Klasse) in B.________ und bewährt sich dort nach ihren eigenen Angaben "bestens". Unter diesen Umständen fehlt es ihr in der Hauptsache grundsätzlich an einem aktuellen Interesse, die Zeugnisnoten der Gemeindeschule, die einem Übertritt ins Gymnasium offensichtlich nicht entgegenstanden, nun nachträglich noch überprüfen zu lassen. Es kommt hinzu, dass ein Zeugnis und erst recht einzelne Zeugnisnoten, die für den Übertritt in eine höhere Schule nicht ausschlaggebend sind, keine anfechtbaren Verfügungen sind, da sie die Rechtsstellung des Schülers nicht unmittelbar beeinflussen (vgl. Urteil 2P.21/1996 vom 21. November 1996 E. 2a mit Hinweis). Es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern die in Frage stehende Bewertung für eine spätere Weiterbildung massgebend wäre. Die Frage muss indessen nicht entschieden werden, da sich die Beschwerde ohnehin als unbegründet erweist.
 
1.5 Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss eine staatsrechtliche Beschwerde die wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde prüft das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene Rügen. Auf ungenügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (BGE 125 I 492, E. 1b). Diesen Anforderungen vermag die vorliegende Beschwerde kaum zu genügen. Die Frage, ob schon deshalb auf die Beschwerde nicht einzutreten sei, kann aber offen gelassen werden, da sie ohnehin unbegründet ist. Soweit die Beschwerdeführerin "zur Beweisführung" ohne genaue Bezeichnung einzelner Aktenstücke lediglich "auf die Verfahrensakten" verweist, ist darauf nicht einzutreten, da die Begründung in der Beschwerdeschrift selber enthalten sein muss (vgl. BGE 115 Ia 27 E. 4a).
 
2.
 
2.1 Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihres Anspruches auf unentgeltliche Rechtspflege. Sie nennt indessen keine Bestimmung des kantonalen Rechts, welche ihr einen solchen einräumt. Es ist daher einzig zu prüfen, ob der sich aus Art. 29 BV ergebende Minimalanspruch verletzt ist. Nach Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand (BGE 130 I 180 E. 2.2). Dieses Recht gewährleistet der bedürftigen Person - abgesehen von der hier nicht in Frage stehenden und auch nicht verlangten unentgeltlichen Verbeiständung-, dass die angerufene Gerichts- oder Verwaltungsinstanz ohne vorherige Hinterlegung oder Sicherstellung von Kosten tätig wird. Die Voraussetzungen dieses durch die Bundesverfassung garantierten Anspruchs untersucht das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht frei, tatsächliche Feststellungen der kantonalen Instanzen prüft es dagegen nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür (BGE 130 I 180 E. 2.1).
 
2.2 Parteistandpunkte sind dann als aussichtslos anzusehen, wenn die Aussichten des prozessualen Obsiegens beträchtlich geringer sind als die des Unterliegens. Wenn sich Gewinn- und Verlustchancen ungefähr die Waage halten oder wenn das Obsiegen nur wenig unwahrscheinlicher erscheint, liegt keine Aussichtslosigkeit vor. Massgeblich ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zum Prozess entschliessen würde. Ein Rechtsuchender soll einen Prozess, den er auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er ihn nichts kostet. Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich nach den Verhältnissen zur Zeit, in der das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt wurde (BGE 128 I 225 E. 2.5.3 S. 236, mit Hinweisen).
 
2.3 Der Gemeinderat hat im angefochtenen Beschluss darauf abgestellt, dass die bemängelte Benotung im Fach Naturlehre (hier hatte die Beschwerdeführerin bei einer Prüfung nur eine Seite des Prüfungsblattes gelöst) durch ihren Lehrer von der Schulkommission als korrekt bezeichnet wurde; diese lehnte auch eine Nachbesserung von einzelnen Schülern ab, weil während einer Prüfung alle Schüler gleich zu behandeln seien. Festgestellt wurde zudem bei der Prüfung "Kraft", dass eine Zeichnung fehle, was der Lehrer ebenfalls korrekt beurteilt habe. In Bezug auf das Beurteilungsgespräch stützte sich die Schulkommission auf eine entsprechende Weisung, die vorsieht, dass dieses zwischen dem zuständigen Lehrer, dem Schüler und den Erziehungsberechtigten stattzufinden habe; der Gemeinderat schliesst sich daher der Meinung der Schulkommission an, ein Gespräch ohne die Schülerin, wie es der Vater gewünscht habe, mache keinen Sinn, weshalb der Lehrer auch hier (mit der Verweigerung eines solchen Gespräches) korrekt gehandelt habe. Auch die Einwände bezüglich der Beurteilung des Arbeits-, Lern- und Sozialverhaltens seien unhaltbar.
 
In diesem Zusammenhang ist vorweg zu beachten, dass Bewertungen von Schul- und Examensleistungen kaum überprüfbar sind, insbesondere wenn Notengebungen zu beurteilen sind, die sich nicht ausschliesslich auf schriftliche, sondern auch auf mündliche Prüfungen beziehen, oder wenn bei der Bewertung zu berücksichtigen ist, wie sich ein Schüler während einer längeren Zeitspanne am Unterricht beteiligt. Insoweit ist eine freie Überprüfung der schulischen Leistungen, bei deren Bewertung dem Lehrer ohnehin naturgemäss ein grosser Beurteilungsspielraum zusteht, schon aus diesem Grund ausgeschlossen. Was die Beschwerdeführerin in ihrem Rekurs an den Gemeinderat vorbrachte, ist nicht geeignet, die Beurteilung der Aussichtslosigkeit der Eingabe durch diesen als unzutreffend erscheinen zu lassen. Wie sich aus den Akten ergibt, fehlt auf dem Prüfungsblatt unter "b) Hook'sches Gesetz zeichnung" unter dem Untertitel "Zeichnung" eine solche (kant. act. 231). Die Vorbringen der Beschwerdeführerin in Bezug auf das Arbeits-, Lern- und Sozialverhalten erschöpften sich zudem in einem blossen Verweis auf die entsprechende Bewertung durch die frühere Lehrerin vom April 2003; konkrete Anhaltspunkte, aus welchen sich ergeben würde, dass die vorgenommene Bewertung unzutreffend sei, hat sie nicht vorgetragen. Der Gemeinderat hat deshalb Art. 29 Abs. 3 BV nicht verletzt, wenn er den Rekurs der Beschwerdeführerin als von vornherein aussichtslos betrachtet und die unentgeltliche Rechtspflege deshalb nicht gewährt hat.
 
3.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Da sich das Rechtsbegehren der Beschwerdeführerin auch im vorliegenden Verfahren als von vornherein aussichtslos erwies, kann ihr die unentgeltliche Rechtspflege nicht gewährt werden (Art. 159 Abs. 1 OG). Bei diesem Ausgang hat sie die Kosten des Verfahrens vor Bundesgericht zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und der Gemeinde A.________ schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 20. April 2006
 
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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