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Informationen zum Dokument  BGer U 269/2002  Materielle Begründung
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BGer U 269/2002 vom 04.11.2003
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
U 269/02
 
Urteil vom 4. November 2003
 
II. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiberin Bollinger
 
Parteien
 
V.________, 1944, Beschwerdeführer, vertreten durch den Procap, Schweizerischer Invaliden-Verband, Froburgstrasse 4, 4600 Olten,
 
gegen
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
 
(Entscheid vom 25. Juni 2002)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der 1944 geborene V.________ arbeitete seit August 1993 als Hauswart bei der Liegenschaftsverwaltung X.________ und war damit bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert. Am 11. Dezember 1998 stürzte er während der Arbeit infolge Schwindels aufgrund einer bekannten Herzproblematik vom Eingangsdach des Staatsarchivs und zog sich eine lumbale Contusio spinalis zu. Bis zum 18. Dezember 1998 wurde er im Spital Y.________ stationär behandelt. Nach anfänglich problemlosem Heilungsverlauf stellte sich ab 4. Januar 1999 eine massive Befundverschlechterung mit Ausstrahlung der Schmerzen in beide Beine ein. Vom 1. bis 3. März 1999 war er zur myelografischen Abklärung erneut im Spital Y.________ hospitalisiert, wo ein Lumbovertebralsyndrom mit/bei traumatischer Auslösung nach Sturz, eine Verkürzung der Mm. piriformis, Mm. glutaei und der Ischiocrural-Muskulatur beidseits, verminderter Rumpfmuskulatur ventral und dorsal, Hypästhesie/-algesie am lateralen Oberschenkel links und Adipositas sowie ein Nävus lumbal diagnostiziert wurden. Am 4. Mai 1999 nahm V.________ seine Arbeit zu 50 % wieder auf, konnte jedoch keine körperlich belastenden Arbeiten ausführen. Vom 16. August bis 10. September 1999 hielt sich der Versicherte in der Klinik S.________ zur stationären Physiotherapie auf. Nachdem eine vertrauensärztliche Untersuchung am 27. Oktober 1999 ergeben hatte, dass eine Wiederaufnahme der Tätigkeit als Hauswart unwahrscheinlich sei, wurde ihm die Arbeitsstelle auf den 31. Dezember 1999 gekündigt. Die SUVA holte Berichte des Hausarztes Dr. med. M.________, Innere Medizin FMH, vom 26. Januar und 9. Juni 1999 ein und liess den Versicherten am 21. April, 12. Juli und 30. Dezember 1999 kreisärztlich untersuchen. Nach erwerblichen Abklärungen verfügte sie am 2. Februar 2000 die Ausrichtung einer Invalidenrente ausgehend von einer Erwerbsunfähigkeit von 40 %.
 
Auf Einsprache des Versicherten hin bestätigte die SUVA mit Entscheid vom 4. Juli 2000 ihren Standpunkt.
 
B.
 
Beschwerdeweise liess V.________ die Ausrichtung der gesetzlichen Versicherungsleistungen unter Aufhebung des Einspracheentscheides beantragen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern zog die Akten der Invalidenversicherung bei, gab den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme und wies die Beschwerde mit Entscheid vom 25. Juni 2002 ab.
 
C.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt V.________ die Ausrichtung einer höheren Invalidenrente sowie einer Integritätsentschädigung, eventualiter die Rückweisung der Angelegenheit zur weiteren Abklärungen an die Vorinstanz beantragen.
 
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Invalidenrente der Unfallversicherung (Art. 18 Abs. 1 und 2 UVG) sowie die Rechtsprechung zum Einkommensvergleich auf Grund der Tabellenlöhne gemäss der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE; BGE 126 V 75, 124 V 323 Erw. 3b) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheids (hier: 4. Juli 2000) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).
 
2.
 
Streitig und zu prüfen ist der Invaliditätsgrad.
 
2.1 Auf Grund der insoweit übereinstimmenden medizinischen Akten kann der Beschwerdeführer seine vor dem Unfall ausgeübte Tätigkeit als Hauswart sowie andere körperlich schwere Arbeiten nicht mehr verrichten. Umstritten ist hingegen die ihm verbliebene Arbeitsfähigkeit in einem zumutbaren Verweisungsberuf.
 
2.2 Dem auf umfassenden Abklärungen beruhenden Austrittsbericht der Klinik S.________ vom 16. September 1999 ist zu entnehmen, dass dem Versicherten aus unfallkausaler Sicht eine allmähliche Steigerung der Arbeitsfähigkeit für leichte und wechselbelastende Tätigkeiten auf 100 % zumutbar wäre. Nichts Gegenteiliges lässt sich aus den Untersuchungen des Kreisarztes vom 21. April, 12. Juli und 30. Dezember 1999 sowie aus den Einschätzungen des damaligen Hausarztes Dr. med. M.________ vom 26. Januar und 9. Juni 1999 ableiten. Hingegen erachteten die Ärzte der Klinik und Poliklinik für Orthopädische Chirurgie am Spital A.________, die zuhanden der IV-Stelle Luzern ein Gutachten vom 16. Mai 2001 erstellten, und Frau Dr. med. R.________, Innere Medizin FMH, die den Versicherten seit dem 14. Februar 2000 als Hausärztin betreut, die Arbeitsfähigkeit des Versicherten als deutlich vermindert. Die Ärzte am Spital A.________ kamen in ihrem Gutachten zum Schluss, dem Versicherten sei eine Tätigkeit im Rahmen von drei bis vier Stunden täglich, ohne körperliche Belastungen und mit wechselnden Positionen (Sitzen, Stehen, Gehen) zumutbar. Sie führten weiter aus, die Arbeitsunfähigkeit des Versicherten werde einerseits durch die Wirbelsäulenproblematik mit tieflumbalen Schmerzen bei degenerativen Veränderungen sowie Sensibilitätsstörung im Bereich des linken Oberschenkels, aber auch durch internistische Ursachen mit Cardiomyopathie und konsekutiven hypertensiven Krisen bewirkt. Daneben würden auch rezidivierende Schmerzen in beiden Handgelenken auftreten. In ihrem Bericht vom 18. April 2000 kam Frau Dr. med. R.________ zum Schluss, die Arbeitsfähigkeit sei auch in einer behinderungsangepassten Tätigkeit erheblich eingeschränkt. Der Beschwerdeführer könne aktuell maximal zwei Stunden an einer Tätigkeit verweilen, müsse schmerzbedingt alle 20 Minuten kurze Pausen einlegen und sich nach maximal zwei Stunden eine halbe Stunde hinlegen; Autofahrten müssten alle 30 bis 45 Minuten unterbrochen werden, Treppensteigen löse Schmerzen im Rücken mit Ausstrahlung in die linke Gesässseite aus, Besteigen einer Leiter sei bei verminderter Kraft im linken Bein nicht mehr möglich und das Heben von Lasten über fünf Kilogramm bewirke heftige Rückenschmerzen. In einem zu Handen der IV-Stelle abgefassten Bericht vom 15. November 2000 führte Frau Dr. med. R.________ aus, in Anbetracht des bisherigen Verlaufs nach dem Unfall vom Dezember 1998 und den frustrierenden Therapieresultaten bezüglich Schmerzproblematik scheine ein Wiedererlangen einer auch nur geringen Arbeitsfähigkeit unwahrscheinlich. Dieser Einschätzung lagen die Diagnosen invalidisierender Rückenschmerzen nach lumbaler Contusio spinalis und vorbestehenden degenerativen lumbovertebralen Veränderungen sowie wiederholter hypertensiver Krisen mit Synkopen bei seit ca. 1990 bekannter essentieller arterieller Hypertonie, Steifigkeitsgefühl und Schmerzen beider Hände seit Juli 2000 sowie Adipositas seit Jahren zu Grunde.
 
2.3 Die im Gutachten des Inselspitals Bern bescheinigte deutlich verminderte Arbeitsfähigkeit beruht - worauf im vorinstanzlichen Entscheid zu Recht hingewiesen wird - wesentlich auf unfallfremden Ursachen, zu denen nebst den vorbestehenden degenerativen Veränderungen auch die mehrfach diagnostizierte arterielle Hypertonie zu rechnen ist. Wenn die Vorinstanz erwägt, dass bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit auf dieses Gutachten nicht abgestellt werden kann, soweit es Beschwerden mitberücksichtigt, die nicht unfallkausal sind, erweist sich dies als zutreffend. Hinsichtlich der Berichte von Frau Dr. med. R.________ ist zu beachten, dass die Hausärztin gegenüber den kreisärztlichen Untersuchungen keine neuen Befunde erhob und sich weitgehend auf die subjektiven Angaben des Beschwerdeführers abstützte, so dass ihre Ausführungen nicht geeignet sind, die umfassenden und begründeten Einschätzung des Kreisarztes sowie die Beurteilungen von Dr. med. M.________ und der Klinik S.________ in Zweifel zu ziehen. Darüber hinaus berücksichtigt auch sie die bereits vor dem Unfall vorhandenen Beschwerden (degenerative Veränderungen, Hypertonie, Adipositas) und die Probleme an beiden Händen. Verwaltung und Vorinstanz haben somit zu Recht auf die Beurteilungen des Kreisarztes, der Klinik S.________ sowie des damaligen Hausarztes Dr. med. M.________ abgestellt. Soweit unfallfremde Faktoren für die Arbeitsunfähigkeit verantwortlich sind, hat dafür einzig die Invalidenversicherung einzustehen. Dass die IV-Stelle im März 2002 die Ausrichtung einer ganzen Rente verfügte, ist im vorliegenden Verfahren nicht relevant, weil die Invalidenversicherung - wegen ihrer Ausgestaltung als finale Versicherung (vgl. BGE 124 V 178 Erw. 3b mit Hinweisen) - das Risiko der Invalidität unabhängig davon deckt, ob das versicherte Ereignis in einer Krankheit oder einem Unfall besteht. Angesichts der ausführlichen medizinischen Dokumentation besteht zu weiteren Abklärungen kein Anlass, da davon keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (antizipierte Beweiswürdigung; SVR 2001 IV Nr. 10 S. 28 Erw. 4b; BGE 124 V 94 Erw. 4b, 122 V 162 Erw. 1d, mit Hinweisen).
 
3.
 
Die Vorinstanz hat den für die Invaliditätsbemessung massgebenden Einkommensvergleich (Art. 18 Abs. 2 UVG) gestützt auf die LSE vorgenommen, was nicht zu beanstanden ist. Hinsichtlich des Valideneinkommens übernahm das kantonale Gericht den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Betrag von jährlich Fr. 84'000.-, so dass dieses - entgegen den Ausführungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde - als unbestritten anzusehen ist. Streitig ist indessen das hypothetische Invalideneinkommen und dabei insbesondere die Höhe des prozentualen Abzugs vom Tabellenlohn, mit welchem einer behinderungsbedingten Verdiensteinbusse Rechnung getragen werden soll (BGE 126 V 80 Erw. 5b mit Hinweisen). Abzustellen ist dabei auf die Gegebenheiten im Zeitpunkt des Beginns des Rentenanspruchs (BGE 128 V 174), somit auf die Verhältnisse im Jahre 2000, in welchem die SUVA dem Beschwerdeführer erstmals eine Rente ausgerichtet hat.
 
3.1 Gemäss LSE 2000 (Tabelle TA1) betrug der Durchschnittslohn für Männer in einfachen Tätigkeiten im Jahre 2000 Fr. 4437.- monatlich (inkl. 13. Monatslohn) x 12 Monate, also jährlich Fr. 53'244.-. Aufgerechnet auf die damals betriebsübliche durchschnittliche Arbeitszeit von 41,8 Stunden (Die Volkswirtschaft 3/2003, Tabelle B9.2, S. 90) ergibt sich ein Jahreseinkommen von Fr. 55'640.-. Angesichts der Umstände des Falles, insbesondere der Tatsache, dass nur noch leichte, wechselbelastende Tätigkeiten zumutbar sind - wobei der Arbeitseinsatz jedoch ganztags möglich ist - und unter Berücksichtigung, dass lediglich unfallbedingte Beeinträchtigungen eine Rolle spielen, lässt sich der vorinstanzlich vorgenommene Abzug vom Tabellenlohn in Höhe von 10 % im Rahmen der Ermessensprüfung (Art. 132 lit. a OG; BGE 126 V 81 Erw. 6, 123 V 152 Erw. 2 mit Hinweisen) nicht beanstanden. Ausgehend von einem Valideneinkommen von Fr. 84'000.- und einem Invalideneinkommen von Fr. 50'076.- (Fr. 53'244.- ./. 10 %) erweist sich der vorinstanzlich auf 40 % festgesetzte Invaliditätsgrad im Ergebnis als korrekt.
 
4.
 
Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich nur Rechtsverhältnisse zu überprüfen bzw. zu beurteilen, zu denen die zuständige Verwaltungsbehörde vorgängig verbindlich - in Form einer Verfügung - Stellung genommen hat. Insoweit bestimmt die Verfügung den beschwerdeweise weiterziehbaren Anfechtungsgegenstand. Umgekehrt fehlt es an einem Anfechtungsgegenstand und somit an einer Sachurteilsvoraussetzung, wenn und insoweit keine Verfügung ergangen ist (BGE 125 V 414 Erw. 1a, 119 Ib 36 Erw. 1b, je mit Hinweisen).
 
Anfechtungsobjekt des Verfahrens vor Vorinstanz war der Einspracheentscheid vom 4. Juli 2000 (BGE 119 V 350 Erw. 1b). Das im Einspracheentscheid festgelegte Rechtsverhältnis bildete somit im kantonalen Verfahren den Anfechtungsgegenstand; dieser wurde in dem Umfang zum Streitgegenstand, als das durch den Einspracheentscheid festgelegte Rechtsverhältnis mit der Beschwerde beanstandet wurde (BGE 125 V 414 mit Hinweisen). Der Einspracheentscheid hatte einzig den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Anspruch auf eine Invalidenrente, nicht aber die Frage einer allfälligen Integritätsentschädigung zum Gegenstand. Einen Anspruch auf eine Integritätsentschädigung erhob der Beschwerdeführer erst in der im vorinstanzlichen Verfahren eingereichten Replik. Demzufolge bildet einzig das Mass der Invalidenrente den Streitgegenstand des letztinstanzlichen Verfahrens. Auf den Antrag, wonach die SUVA zu verpflichten sei, dem Beschwerdeführer eine Integritätsentschädigung zuzusprechen, ist daher nicht einzutreten.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 4. November 2003
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der II. Kammer: Die Gerichtsschreiberin:
 
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