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Informationen zum Dokument  BGer I 775/2002  Materielle Begründung
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BGer I 775/2002 vom 21.10.2003
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
I 775/02
 
Urteil vom 21. Oktober 2003
 
III. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Borella, Bundesrichter Lustenberger und nebenamtlicher Richter Bühler; Gerichtsschreiberin Durizzo
 
Parteien
 
W.________, 1945, Beschwerdeführerin, vertreten
 
durch Rechtsanwältin Heidi Koch-Amberg, Stauffacherstrasse 1, 6020 Emmenbrücke,
 
gegen
 
IV-Stelle Schwyz, Rubiswilstrasse 8, 6438 Ibach, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, Schwyz
 
(Entscheid vom 11. September 2002)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
W.________, geboren 1945, ist diplomierte Kinderkrankenschwester und arbeitete zuletzt bis 31. Mai 2001 im Alters- und Pflegeheim Q.________. Am 4. April 2000 meldete sie sich unter Hinweis auf Rückenbeschwerden bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Schwyz holte Berichte des Dr. med. G.________, Orthopädische Chirurgie FMH, vom 15. Mai 2000, des Dr. med. F.________, Geburtshilfe und Frauenkrankheiten FMH, vom 22. September 2000 sowie des Dr. med. B.________, Allgemeinmedizin FMH, vom 14. Dezember 2000 ein, liess die Versicherte durch die Medizinische Abklärungsstelle (MEDAS) untersuchen (Gutachten vom 19. November 2001) und klärte die erwerbliche Situation ab. Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens sprach sie W.________ mit Wirkung ab 1. Juli 2001 eine halbe Invalidenrente zu (Verfügung vom 7. Februar 2002).
 
B.
 
Die hiegegen erhobene Beschwerde mit den Anträgen auf Zusprechung einer ganzen Invalidenrente sowie Durchführung einer umfassenden medizinischen sowie einer beruflichen Abklärung wies das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz mit Entscheid vom 11. September 2002 ab.
 
C.
 
W.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen. Sie beantragt im Wesentlichen erneut eine medizinische, insbesondere psychiatrische Abklärung und die Zusprechung einer ganzen Invalidenrente sowie die unentgeltliche Verbeiständung. Des Weiteren legt sie Berichte des Dr. med. G.________ vom 13. Juni 2001 sowie des Dr. med. A.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 6. November 2002 ins Recht.
 
Mit Eingabe vom 26. März 2003 reicht sie zudem einen Bericht des Dr. med. T.________, Innere Medizin FMH, Psychosomatische und Psychosoziale Medizin APPM und Manuelle Medizin SAMM, vom 18. März 2003 ein.
 
Die IV-Stelle Schwyz und die Vorinstanz beantragen die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde; das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze zum Begriff der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG; BGE 116 V 249 Erw. 1b), zu den Voraussetzungen und zum Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG), zur Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG; vgl. auch BGE 104 V 136 Erw. 2a und b), zur Aufgabe des Arztes im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 105 V 158 f. Erw. 1; vgl. auch BGE 115 V 134 Erw. 2, 125 V 261 Erw. 4, je mit Hinweisen) sowie zur richterlichen Beweiswürdigung von Arztberichten (BGE 125 V 352 Erw. 3a und b mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 7. Februar 2002) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).
 
2.
 
2.1 Verwaltung und Vorinstanz haben sich bezüglich der Arbeitsfähigkeit auf das von der IV-Stelle in Auftrag gegebene Gutachten der MEDAS abgestützt, deren Ärzte eine leidensangepasste Tätigkeit im Umfang eines 60 %-Pensums als zumutbar erachten. Demgegenüber beruft sich die Beschwerdeführerin in ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf eine Verminderung ihrer Leistungsfähigkeit um 70 %, die wesentlich auch auf psychische Beschwerden zurückzuführen sei; in ihrer Eingabe vom 26. März 2003 macht sie vollständige Arbeitsunfähigkeit geltend.
 
2.2 Die Zusprechung einer Invalidenrente setzt zunächst Arbeitsunfähigkeit voraus. Wer nicht mindestens teilweise arbeitsunfähig ist, kann auch nicht invalid und erwerbsunfähig im Sinne von Art. 4 Abs. 1 IVG sein (BGE 115 V 133 Erw. 2, 105 V 141 Erw. 1b; ZAK 1985 S. 224 Erw. 2b mit Hinweisen).
 
Geistige Gesundheitsschäden vermögen in gleicher Weise wie die körperlichen eine Invalidität im Sinne von Art. 4 Abs. 1 IVG zu bewirken. Dazu gehören neben den eigentlichen Geisteskrankheiten auch seelische Abwegigkeiten mit Krankheitswert. Nicht als Auswirkungen einer krankhaften seelischen Verfassung und damit invalidenversicherungsrechtlich nicht als relevant gelten Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit, welche die versicherte Person bei Aufbietung allen guten Willens, Arbeit in ausreichendem Masse zu verrichten, zu vermeiden vermöchte, wobei das Mass des Forderbaren weitgehend objektiv bestimmt werden muss. Es ist somit festzustellen, ob und in welchem Masse eine versicherte Person infolge ihres geistigen Gesundheitsschadens auf dem ihr nach ihren Fähigkeiten offen stehenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein kann. Dabei kommt es darauf an, welche Tätigkeit ihr zugemutet werden darf. Zur Annahme einer durch einen geistigen Gesundheitsschaden verursachten Erwerbsunfähigkeit genügt es also nicht, dass die versicherte Person nicht hinreichend erwerbstätig ist; entscheidend ist vielmehr, ob anzunehmen ist, die Verwertung der Arbeitsfähigkeit sei ihr sozial-praktisch nicht mehr zumutbar oder - als alternative Voraussetzung - sogar für die Gesellschaft untragbar (BGE 102 V 165; AHI 2001 S. 228 Erw. 2b mit Hinweisen; vgl. auch BGE 127 V 298 Erw. 4c in fine).
 
2.3 Gestützt auf den Grundsatz der freien Beweiswürdigung ist auch den vom Versicherungsträger im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten externer Spezialärzte, welche aufgrund eingehender Beobachtungen und Untersuchungen sowie nach Einsicht in die Akten Bericht erstatten und bei der Erörterung der Befunde zu schlüssigen Ergebnissen gelangen, im Rahmen der Beweiswürdigung volle Beweiskraft zuzuerkennen, so lange nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit eines Gutachtens sprechen (BGE 125 V 353 Erw. 3b/bb, AHI 2001 S. 114 Erw. 3b/bb, je mit Hinweisen). Dies gilt auch für Gutachten der Medizinischen Abklärungsstellen der Invalidenversicherung, da deren Spezialärzte unabhängig sind und in ihrer Gutachtertätigkeit keinerlei Einflussnahme oder Weisungen seitens der Durchführungs- und Aufsichtsorgane der Invalidenversicherung unterstehen. Die MEDAS-Ärzte erfüllen daher die nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK vorausgesetzte Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von Sachverständigen (BGE 123 V 178 f. Erw. 4b; vgl. auch BGE 120 V 364 f. Erw. 3a).
 
Demgegenüber darf und soll der Richter bei der Beweiswürdigung von Hausarztberichten der Erfahrungstatsache Rechnung tragen, dass Hausärzte mitunter wegen ihrer auftragsrechtlichen Vertrauensstellung in Zweifelsfällen eher zu Gunsten ihrer Patienten aussagen (BGE 125 V 353 Erw. 3b/cc; AHI 2001 S. 114 f. Erw. 3b/cc, je mit Hinweisen).
 
2.4 Es ist demgemäss beweisrechtlich nicht zu beanstanden, dass sich Verwaltung und Vorinstanz für die Frage der noch zumutbaren Arbeitsfähigkeit auf das von der IV-Stelle in Auftrag gegebene Gutachten der MEDAS abgestützt haben. Nach Einschätzung von deren Ärzten ist die Versicherte unter Berücksichtigung ihrer somatischen und psychischen Gesundheitsstörungen in einer körperlich leichten, rückenadaptierten Tätigkeit ohne Stressbelastungen zu 60 % arbeitsfähig.
 
2.5 Zufolge der umfassenden Kognition, welche dem Eidgenössischen Versicherungsgericht in Leistungsstreitigkeiten zusteht, ist auch der erstmals mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereichte Bericht des Dr. med. A.________ vom 6. November 2002 zu berücksichtigen (BGE 127 V 353). Der Psychiater, bei welchem die Beschwerdeführerin ab 15. August 2002 in Behandlung stand, attestierte ihr aus psychiatrischer Sicht eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit um 70 %. Dieser Arztbericht lässt jedoch keine Rückschlüsse auf den massgeblichen Zeitpunkt des Verfügungserlasses zu (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b). Zudem enthält er keinerlei Angaben darüber, welche Tätigkeiten noch zumutbar sind, und nimmt auch nicht Stellung zu der bei psychischen Gesundheitsstörungen ausschlaggebenden Frage, weshalb der Versicherten die Verwertung ihrer Arbeitsfähigkeit in so hohem Masse aus sozial-praktischen Gründen nicht mehr zumutbar oder für die Gesellschaft nicht mehr tragbar sei (Erw. 2.2). Der Bericht des Dr. med. A.________ ist deshalb nicht geeignet, die Schlussfolgerungen der MEDAS-Gutachter hinsichtlich der Restarbeitsfähigkeit der Versicherten in Zweifel zu ziehen, zumal sie auch damals psychiatrisch begutachtet worden ist.
 
2.6 Unter Verweis auf den von ihr im vorinstanzlichen Verfahren beigebrachten Bericht der Frau Dr. med. U.________, Spezialärztin für Akupunktur, vom 15. Januar 2002 rügt die Beschwerdeführerin des Weiteren verschiedene Mängel des MEDAS-Gutachtens, namentlich des psychiatrischen Teilgutachtens des Dr. med. K.________ vom 19. Oktober 2001.
 
Das kantonale Gericht hat im Einzelnen dargelegt, welche Vorbehalte gegenüber den bis zum vorinstanzlichen Entscheid vorliegenden ärztlichen Berichten mit abweichender Einschätzung der Arbeitsfähigkeit bestehen. Es hat im Weiteren eingehend begründet, weshalb die Beweiskraft des MEDAS-Gutachtens in der im Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht allein noch streitigen Frage der zumutbaren Restarbeitsfähigkeit höher einzustufen ist als die auf unterschiedlichen medizinischen Grundlagen beruhenden und überwiegend nur in medizinisch-theoretischem Sinne vorgenommenen Einschätzungen der übrigen Ärzte, von denen sich die Beschwerdeführerin seit ihrer Anmeldung bei der Invalidenversicherung im Frühjahr 2000 behandeln liess. Die diesbezüglichen Darlegungen der Vorinstanz erfüllen die Anforderungen an eine sorgfältige Würdigung von Arztberichten und auf ihre Erwägungen kann vollumfänglich verwiesen werden. Mit dem, was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, wird keines der vom kantonalen Gericht angeführten Beweiswürdigungselemente widerlegt.
 
3.
 
Zu prüfen bleibt die erwerbliche Seite. Was das hypothetische Einkommen im Gesundheitsfall (Valideneinkommen) betrifft, hätte die Beschwerdeführerin gemäss Angaben des vormaligen Arbeitgebers im Jahr 2001 ein Einkommen von Fr. 58'922.- erzielen können. Was das trotz Gesundheitsschädigung zumutbarerweise noch realisierbare Einkommen (Invalideneinkommen) betrifft, können nach der Rechtsprechung Tabellenlöhne beigezogen werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Versicherte - wie hier - nach Eintritt des Gesund heitsschadens keine neue Erwerbstätigkeit aufgenommen hat (BGE 126 V 76 f. Erw. 3b/bb). Gemäss der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Lohnstrukturerhebung 2000 belief sich der Zentralwert für die mit einfachen und repetitiven Tätigkeiten (Anforderungsniveau 4) beschäftigten Frauen im privaten Sektor auf Fr. 3658.- (bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden). Umgerechnet auf die betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit von 41,7 Stunden (Die Volkswirtschaft, 2003 Heft 6, S. 98, Tabelle B 9.2) und angepasst an die Nominallohnentwicklung bei Frauenlöhnen von 2,5 % (Bundesamt für Statistik, Lohnentwicklung 2001, S. 33, Tabelle T1.2.93; vgl. das zur Publikation in Band 129 V der Amtlichen Sammlung bestimmte Urteil S. vom 30. Mai 2003, U 401/01, Erw. 3.1.2) ergibt sich zu dem für den Einkommensvergleich massgebenden Zeitpunkt des Rentenbeginns (BGE 128 V 184, 129 V 222) im Jahr 2001 ein Einkommen von Fr. 46'905.-, beziehungsweise Fr. 28'143.- für ein 60 %-Pensum. Der von der Vorinstanz vorgenommene Abzug von 15 % ist im Rahmen der Angemessenheitskontrolle und mit Blick auf vergleichbare Fälle nicht zu beanstanden (Art. 132 lit. a OG; BGE 126 V 81 Erw. 5 und 6 mit Hinweisen). Das Invalideneinkommen beläuft sich damit auf Fr. 23'922.-. Verglichen mit dem Valideneinkommen von Fr. 58'922.- resultiert ein Invaliditätsgrad von 59,41 %. Das Begehren auf Zusprechung einer ganzen Invalidenrente ist daher unbegründet.
 
4.
 
Die unentgeltliche Verbeiständung kann gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde angesichts der vorstehenden Erwägungen nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwältin Heidi Koch für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, der Ausgleichskasse Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 21. Oktober 2003
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin:
 
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