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Informationen zum Dokument  BGer C 153/2003  Materielle Begründung
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BGer C 153/2003 vom 22.09.2003
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
C 153/03
 
Urteil vom 22. September 2003
 
II. Kammer
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiber Flückiger
 
Parteien
 
I.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Philippe Zogg, Henric Petri-Strasse 19, 4051 Basel,
 
gegen
 
Arbeitslosenkasse der Gewerkschaft Bau & Industrie GBI, Zentralverwaltung, Werdstrasse 62, 8004 Zürich, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel
 
(Entscheid vom 25. Februar 2003)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
I.________, österreichischer Staatsangehöriger mit Niederlassungsbewilligung, bezog während einer ab 1. Juli 2000 laufenden Rahmenfrist für den Leistungsbezug Taggelder der Arbeitslosenversicherung.
 
Mit Verfügung vom 10. Mai 2002 forderte die Arbeitslosenkasse GBI (nachfolgend: Kasse) für den Zeitraum vom 4. März bis 6. Mai 2001 sowie ab 1. Juli 2001 ausgerichtete Taggelder in der Gesamthöhe von Fr. 20'477.15 zurück mit der Begründung, der Versicherte habe während dieses Zeitraums nicht in der Schweiz gewohnt.
 
B.
 
In teilweiser Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde hob das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt die Verfügung vom 10. Mai 2002 auf und wies die Sache zur Neufeststellung des Rückforderungsbetrages im Sinne der Erwägungen und zum Erlass einer neuen Verfügung an die Kasse zurück (Entscheid vom 25. Februar 2003). In den Erwägungen hielt das Gericht fest, der Beschwerdeführer habe ab Juli 2001 keinen Wohnsitz in der Schweiz mehr gehabt und die Rückforderung sei insoweit gerechtfertigt, im Übrigen dagegen zu Unrecht erfolgt.
 
C.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt I.________ die Aufhebung des kantonalen Entscheids und der Verwaltungsverfügung vom 10. Mai 2002 sowie die Rückweisung der Sache an die Verwaltung zur Ausrichtung der ordentlichen Taggelder bis 30. Juni 2002 beantragen.
 
Die Kasse und das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichten auf eine Vernehmlassung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Mit dem kantonalen Entscheid vom 25. Februar 2003, welcher den Anfechtungsgegenstand der Verwaltungsgerichtsbeschwerde bestimmt, wurde einzig über die Verwaltungsverfügung vom 10. Mai 2002 entschieden, welche ihrerseits allein die Rückforderung zu Unrecht ausgerichteter Arbeitslosenentschädigung beschlägt. Nur diese Frage ist daher einer letztinstanzlichen Überprüfung im vorliegenden Verfahren zugänglich (vgl. BGE 125 V 414 Erw. 1a). Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus die Ausrichtung weiterer Taggelder für den Zeitraum von Januar bis Juni 2002 verlangt, kann auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht eingetreten werden.
 
2.
 
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff des Wohnens in der Schweiz als Voraussetzung des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung (Art. 8 Abs. 1 lit. c AVIG; BGE 125 V 466 f. Erw. 2a, 115 V 448 f.), die Rückforderung erbrachter Versicherungsleistungen, auf die der Empfänger keinen Anspruch hatte, durch die Arbeitslosenkasse (Art. 95 Abs. 1 AVIG in der bis Ende 2002 gültig gewesenen Fassung; BGE 126 V 399 Erw. 1 mit Hinweis) sowie das Zurückkommen auf eine formell rechtskräftige Verfügung, welcher die zufolge Zeitablaufs rechtsbeständig gewordene formlose Ausrichtung von Leistungen gleichzustellen ist (BGE 129 V 112 Erw. 1.2.3), unter dem Titel der Wiedererwägung oder der prozessualen Revision (BGE 127 V 469 Erw. 2c mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Richtig ist auch, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) nach den von der Rechtsprechung entwickelten intertemporalrechtlichen Grundsätzen (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b) auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar ist.
 
3.
 
Streitig und zu prüfen ist die Rückforderung der von Juli bis Dezember 2001 ausgerichteten Arbeitslosenentschädigung und in diesem Rahmen insbesondere die Frage, ob auf die seinerzeitige Leistungszusprechung bzw. -ausrichtung zurückzukommen ist, weil der Beschwerdeführer während dieses Zeitraums nicht in der Schweiz gewohnt hat.
 
3.1 Die Vorinstanz hat erwogen, im Juli 2001 seien beim Beschwerdeführer, der bis dahin in der Stadt X.________ wohnhaft gewesen sei, in persönlicher und beruflicher Hinsicht Veränderungen eingetreten: Zum einen sei seine Lebensgefährtin aus beruflichen Gründen von der Stadt X.________ nach Y.________ umgezogen. Andererseits habe der Beschwerdeführer nach einem Gastvertrag einen einjährigen Dienstvertrag (ab 1. Juli 2001, befristet bis 30. Juni 2002) am Theater A.________ antreten können und zu diesem Zweck in der Stadt Y.________ eine Wohnung gemietet. Diese Umstände liessen auf eine Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts nach der Stadt Y.________ ab Juli 2001 schliessen. Da der Umzug der Lebensgefährtin nach der Stadt Y.________ erst im Rechtsmittelverfahren bekannt geworden sei, seien die Voraussetzungen einer prozessualen Revision (BGE 127 V 469 Erw. 2c mit Hinweisen) erfüllt.
 
3.2 Es bestehen erhebliche Zweifel, ob der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz im Sinn von Art. 8 Abs. 1 lit. c AVIG (BGE125 V 466 f. Erw. 2a, 115 V 448 f.) tatsächlich per 1. Juli 2001 nach der Stadt Y.________ verlegt hat. Mehrere Indizien sprechen dafür, dass die Wohnsitzverlegung erst zu einem späteren Zeitpunkt stattgefunden hat.
 
3.2.1 Der Versicherte wohnte bis zum genannten Zeitpunkt während 16 Jahren an derselben Adresse in der Stadt X.________. Die Stadt X.________ war sein persönliches und berufliches Umfeld. Es ist nicht anzunehmen, dass er diesen Lebensmittelpunkt ohne weiteres aufgeben wollte. Er hat denn auch die Wohnung in der Stadt X.________ erst Ende Juni 2002 aufgegeben.
 
3.2.2 Gemäss dem für das Engagement an der Oper in A.________ geltenden Dienstvertrag bestand für den Beschwerdeführer keine Residenzpflicht. Es stand ihm demnach frei, seinen Wohnsitz und Lebensmittelpunkt in der Schweiz zu behalten. Der in diesem Vertrag vorgesehene monatliche Bruttolohn von DM 2500.- reichte zur Bestreitung der Lebensunterhaltskosten keinesfalls aus. Der Beschwerdeführer war demnach genötigt, zusätzliche andere Engagements einzugehen. Da er den eher seltenen Beruf des Bühnenbildners ausübt und zum fraglichen Zeitpunkt bereits 60jährig war, musste er sich weiträumig bewerben und bereit sein, im deutschsprachigen Raum eine zweite Arbeitsstelle anzunehmen. Es kann daher nicht angenommen werden, er habe wegen seines Engagements in A.________ seinen Wohnsitz definitiv verlegt.
 
3.2.3 Aus den Akten geht hervor, dass der Beschwerdeführer von Januar bis März 2002 ein Engagement als Bühnenbildner für das Ballett U.________ eingehen konnte. Es steht somit fest, dass er sich zumindest während dieser Zeit wieder in der Stadt X.________ aufgehalten hat.
 
3.2.4 Ebenso ist ausgewiesen, dass sich der Versicherte wegen eines Leistenbruchs im Oktober 2001 in medizinische Behandlung begeben musste. Diese Behandlung liess er nicht in der Stadt Y.________, sondern in der Stadt X.________ vornehmen.
 
3.3 Die genannten Indizien lassen eher darauf schliessen, dass der Versicherte, wie er in seinem Schreiben vom 31. Juli 2001 ausgeführt hat, zunächst bloss vorläufig in der Stadt Y.________ eine Wohngelegenheit suchte und sich erst zur definitiven Übersiedlung in diese Stadt entschloss, als er sein Engagement an der Oper in A.________ ausbauen konnte. Wann dies der Fall war, geht aus den Akten nicht hervor, dürfte indessen für seinen Entschluss, den Lebensmittelpunkt definitiv von der Stadt X.________ nach Deutschland zu verlegen, entscheidend gewesen sein. Es ist nachvollziehbar, dass er bis zu jenem Zeitpunkt darauf bedacht gewesen war, sich die Option zu bewahren, allenfalls doch noch im Raum der Stadt X.________ eine weitere Anstellung zu finden, bestand doch die Möglichkeit, an Privatschulen zu unterrichten oder Ballettausstattungen herzustellen.
 
Richtig ist zwar, dass sich die Lebenspartnerin des Beschwerdeführers offenbar per Ende Juni 2001 in der Stadt X.________ abgemeldet hatte und ab 1. Juli 2001 in der Stadt Y.________ lebte. Hiezu war sie indessen auf Grund ihres Arbeitsvertrages verpflichtet. Dies traf für den Beschwerdeführer gerade nicht zu. Er hat sich denn auch keine eigene Wohnung gemietet, sondern offenbar - unter Beteiligung an der Miete - bei seiner Lebenspartnerin übernachten können (wobei diese nach Lage der Akten ihre definitive Wohnung in der Stadt Y.________ erst im November 2001 bezogen hat).
 
3.4 Zusammenfassend ergibt sich, dass die persönlichen und beruflichen Veränderungen, welche im Leben des Beschwerdeführers eingetreten sind, nicht eindeutig darauf schliessen lassen, er habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt und Lebensmittelpunkt in der Stadt X.________ ab Mitte 2001 aufgegeben. Vielmehr bestehen erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass er dies erst getan hat, nachdem sein definitives Engagement an der Oper A.________ (mit der Möglichkeit, seine Lebenskosten ganz aus diesen Einnahmen zu bestreiten) feststand. Die Vorinstanz wird diesbezüglich noch weitere Abklärungen zu treffen haben.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, insoweit teilweise gutgeheissen, dass das Urteil des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom 25. Februar 2003 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über die Beschwerde neu entscheide.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Die Arbeitslosenkasse GBI hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
 
Luzern, 22. September 2003
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Die Vorsitzende der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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